Volkskirchen-Fundis?

Der Begriff ist mir heute in einem Gespräch entflutscht, aber bei näherem Hinsehen fand ich ihn doch interessant. Es gibt alle möglichen Fundamentalisten – islamische, grüne, unfehlbarbiblische -, warum nicht auch solche? Wie immer wird eine komplexe Realität auf ein paar unhinterfragbare Dogmen reduziert, die mit Zähnen und Klauen verteidigt werden gegen alle Kritik und abweichenden Meinungen.

Was also sind die “Fundamentals” in diesem Fall? Ich spekuliere mal vor mich hin:

1. Die Kirche (bitte immer mit bestimmtem Artikel) ist in Ordnung. Kritik an “der” Kirche ist in manchen Kreisen tatsächlich die einzige Todsünde, die noch überlebt hat. Sie macht dich innerhalb von Sekunden zur Unperson. Das sagt man nicht direkt, aber die dünnhäutigen Reaktionen – verbal wie nonverbal – sprechen ihre eigene Sprache, selbst wenn die Kritik sachlich und fair ausfiel und wenn Dinge gesagt werden, die jeder weiß.

2. Allein die Taufe genügt: Manche Volkskirchen-Fundamentalisten (NB: Nicht alle Volkskirchler, nur dass wir uns richtig verstehen!) glauben zum Beispiel an das Heil nicht sola fide wie bei Luther, sondern “solo baptismo”. Diese objektive Realität wird auch bei “Evangelen” quasi-katholisch “ex opere operato” (allein durch den äußeren Vollzug des Taufritus) gedacht. Durch persönlichen Glauben oder allzu aktive Nachfolge würde die Gnade Gottes im Grunde doch nur verdunkelt…

3. Wir haben das Volk: So wie Bibel-Fundis immer genau wissen, was “die Bibel” sagt (in Wirklichkeit haben sie es in schlauen Büchern aus Amerika gelesen) so wissen diese lieben Mitchristen, wer das Volk ist und was es will. Es liebt zum Beispiel agendarische Gottesdienste – und nur die. Sie erheben also einen religiösen Alleinvertretungsanspruch. Wenn das Volk – wie jüngst ein Jugendpfarrer erzählte – mit den Füßen abstimmt und anderen Gottesdienstformen als dem “Hauptgottesdienst” die Türen einrennt, dann kann das nur Manipulation sein, die bekämpft werden muss. Das Volk muss daran erinnert werden, was ihm wirklich gut tut und was es eigentlich möchte. Es möchte hören, was es schon kennt, also ungefähr so: Dass es eine gute Idee wäre, nett zu einander zu sein. Sich wenigstens zu bemühen.

4. Die Frucht des Geistes ist Ruhe und Ordnung: “Das Volk” möchte auch nicht herausgefordert werden zu glauben. Schon gar nicht, Glaube als gelebte Beziehung zu Gott und als Abenteuer mit beträchtlichen Risiken und mit großem Gewinn zu verstehen. Das Volk liebt die Harmonie und will nicht mit der Vorstellung beunruhigt werden, dass mehr in ihm stecken könnte, als es dachte, und dass unsere Welt anders aussehen könnte, wenn wir Gott leidenschaftlich vertrauen und andere leidenschaftlich lieben würden. Solche Ideen müssen leidenschaftlich unterdrückt werden, weil sie für Unruhe sorgen. Gott ist aber kein Gott der Unordnung, sondern der Ordnung. Das ist zwar nicht das, was Paulus in 1. Kor 14,33 schreibt, aber er hat es ganz bestimmt so und nicht anders gemeint.

5. Du sollst keine anderen Gottesdienste haben: Volkskirchen-Fundis unterstellem dem, der etwas anders macht (also fahnenflüchtig aus der Reihe tanzt), dass er Gottes Werk sabotiert und sich für etwas Besseres hält – pfui. Sie sind Apostel des Stillstands und Meister, denselben mit rühriger Aktivität zu tarnen. Beschäftigt wirken muss man schon, nur verändern darf sich nichts. Daher sprechen sie den Misserfolg heilig. Denn wenn Scheitern unser Ziel ist, brauchen wir nicht auf andere Resultate zu hoffen und vor allem können wir nicht enttäuscht werden. Also Vorsicht: Wer – wie eben beschrieben – erfolgreich einen alternativen Gottesdienst beginnt und den “Hauptgottesdienst” darüber verpasst, gerät viel eher ins Fundi-Visier, als der, der nie in die Kirche geht. Das ist ja normal.

Zum Glück sind Volkskirchen-Fundamentalisten extrem selten. Genau genommen gibt es sie gar nicht. Ich weiß eigentlich gar nicht, wie ich darauf komme. Vergessen wir das ganze Gedankenspiel also wieder 😉

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3 Antworten auf „Volkskirchen-Fundis?“

  1. Hm…also mir fallen da jede Menge anderer „fundamentals“ der Volkskirche ein.

    Zum Beispiel: „EIGENTLICH GEHÖREN JA IMMER NOCH ALLE DAZU (AUCH WENN SIE LÄNGST AUSGETRETEN SIND)“ Man ist ja nur herausgegangen, um das Geld zu sparen, weil man sich über den Pastor geärgert hat, weil die kirchliche Friedhofsverwaltung auf Einhaltung von Regeln bestand … (Macht es für mich auch mit dem Willow-Grundsatz „belonging for believing“ eher schwer…

    Dann fiele mir ein: „(Deshalb): AMTSHANDLUNGEN DÜRFEN UNTER KEINEN UMSTÄNDEN ABGELEHNT WERDEN“
    Also: auch dann in jedem Fall taufen, auch wenn keiner der Eltern in der Kirche ist? Auch wenn hinter dem Wunsch nichts anderes steckt als: Mein Kind soll auf der Insel oder im Dorf „dazugehören“ ?

    Vielleicht zu beidem passend: „GLAUBE IST VOR ALLEN DINGEN VERBORGEN“ Eigentlich glaubt jeder
    doch, auch (irgendwie) im christlichen Sinne. (?)Vielleicht auch: „GLAUBE IST SO GEHEIMNISVOLL, DASS MAN NICHT SAGEN KÖNNEN MUSS, WORAN UND WARUM“ („die sind dann auch nicht besser“)

    Dann natürlich als ein gewaltiges „fundamental“:
    die PFARRERZENTRIERUNG. Wenn der Pastor nicht da war, war „die Kirche“ nicht vertreten (öffentliche Empfänge, Geburtstage etc.) Und alle Gaben sollen sich in ihm konzentrieren:
    Ich sehe deutlich die Entwicklung, dass wir Pastorinnen und Pastoren als letzte in dem ganzen System überbleiben, aber auch mit dem Druck, all die Arbeit der anderen Mitarbeitenden irgendwie in unsere Arbeit zu integrieren und zu verdichten (wenn möglich, natürlich, ohne Qualitätsverlust…)

    Auch so ein „fundamental“: „DIE EIGENTLICHE BEKENNTNISSCHRIFT SIND DIE EKD-MITGLIEDSCHAFS- UNTERSUCHUNGEN“. Diese werden gewissermaßen als handlungsleitende Norm genommen. Z. B.: Ihr dürft eigentlich Kasualien gar nicht als Anknüpfungspunkte für Glaubensvertiefung nutzen, weil die Leute es doch erkennbar gar nicht wollen.

    Und vielleicht noch ein letztes: „JEDE VORHANDENE GRUPPE MUSS 1. UNBEDINGT VOM PASTOR GELEITET WERDEN UND 2. SIE DARF AUF KEINEN FALL
    AUFGEGEBEN WERDEN“.

    Nach meiner Wahrnehmung also doch „fundamentals“ genug

  2. Stimmt. Heute lese ich in der Zeitung ein Interview, wo ein hochrangiger Kirchenvertreter vom „Priestertum aller Getauften“ redet. Bei Luther heißt das „Priestertum aller Gläubigen“. Die Akzentverschiebung ist vielsagend. Entweder eben „Getauftsein = Glaube“ oder aber „Glaube = nicht entscheidend“. Ich frage mich, ob der Mann das ernsthaft glaubt oder nur kirchenpolitisch korrekt reden will?

    Was das Prinzip „belong before you believe“ angeht (das Willow nicht erfunden sondern aus England gelernt hat), so besteht das ja gerade darin, dass die Leute schon Teil einer Gemeinschaft werden (und kommen bzw. sich identifizieren), während sie noch auf dem Weg zum Glauben sind. Kein Kirchensteuersparmodell…

  3. hallo,
    mal abgesehen davon, dass man sicher ohne große Mühe sicher auch einige freikirchenmäßige Fundamentalismen formulieren könnte, seh ich (als Landeskirchen-Schäfchen) ein wirkliches Problem in der schon erwähnten Pfarrerzentrierung. Das betrifft gar nicht in erster Linie die Aufwertung von Veranstaltungen durch Anwesenheit des geistlichen Würdenträgers.

    Vielmehr beobachte ich, dass viele Leute – auch regelmäßige Kirchgänger – z.B. die Formulierung ihrer Glaubensüberzeugung an den Pfarrer „delegiert“ haben. Soll heißen: nur selten wird zu Gesprächsthemen mit biblisch geprägtem Gedankengut argumentiert. Nur selten wird im Kirchen-Kaffee die Predigt weitergesponnen … Man weiss, was Sitte und Anstand und Tradition fordern – aber die gedankliche Auseinandersetzung oder die eigenständige Auslegung anhand / mit der Bibel findet kaum statt. Luther hat dafür gestritten, dass das Volk die Bibel bekommt, um sozusagen ohne Zwischenvermittlung glauben zu können. Hoffentlich geben wir diese Errungenschaft nicht in einer bequemen Haltung „Der Herr Pfarrer weiss ja da Bescheid“ auf.

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