Hundesterben

Zum Nachdenken in der Karwoche ein treffendes Gedicht von Erich Fried:

Definition

Ein Hund
der stirbt
und der weiß
daß er stirbt
wie ein Hund
und der sagen kann
daß er weiß
daß er stirbt
wie ein Hund
ist ein Mensch

(Foto: Sleeping Street Dog von Jnarin – Creative Commons 2.0)

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Fundgrube

Heute bin ich auf den Blog Natur des Glaubens von Michael Blume gestoßen. Aus der Fülle interessanter Beiträge im Grenzbereich von Biologie und Religionswissenschaft fand ich beim ersten Herumblättern – und es gibt noch viel zu entdecken – zwei besonders interessant:

Ein Bericht über das Buch Mothers and Others von Sarah Hrdy, das eine „weibliche“ Perspektive der menschlichen Evolution entfaltet, in dem die „männliche“ Lesart der Frühgeschichte unserer Gattung, die vorwiegend blutige Beutezüge und Stammeskämpfe am Werk sah, korrigiert wird. Anders als bei Primaten und anderen Säugetieren, bei denen alles an den Müttern hängt, wurden und werden Menschenkinder gemeinschaftlich erzogen. Nicht nur die Väter, sondern auch Großeltern waren und sind beteiligt. Das ist nicht nur zur Entwicklung intellektueller und sozialer Fähigkeiten wichtig, sondern auch für die Entwicklung von Religiosität. Denn auch die meisten religiösen Gemeinschaften haben den Charakter der Großfamilie („as-if kin“).

Und ein Post über Hirnforschung bezüglich Spiritualität und Religion, der auf spannende Zusammenhänge verweist: Spirituelle Erfahrungen, etwa des „absoluten Einsseins“, spielen sich in anderen Gehirnregionen ab als religiöse Aktivitäten wie das Gebet. Es gibt tatsächlich religiöse Menschen ohne spirituelle Erfahrungen und Spiritualität ohne religiösen Bezug. Religiosität kann als gemeinschaftsbildend und -fördernd verstanden werden. Spiritualität dagegen spielt bei der Überwindung von Egoismus und Fremdenfeindlichkeit eine Rolle. Insofern ist es mehr als sinnvoll, beides zusammenzuhalten. Eine Spannung bleibt: Mystiker wehren sich gegen die Definitionen und Gottesbilder konkreter Glaubensgemeinschaften und -traditionen, Religionsgemeinschaften dagegen haben ein ambivalentes Verhältnis zu Mystikern. Auch gut formuliert: die abschließenden Gedanken zur Frage, ob Gott ein Hirngespinst ist.

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Spruch des Tages (15)

Im christlichen Gottesdienst ist die Sprache der Rechte fehl am Platz, außer wenn sie dazu dient, uns an die Rechte anderer zu erinnern. Was uns betrifft, so bekennen wir, dass wir nicht von Rechtsansprüchen reden können, denn uns ist alles gegeben und alles vergeben und alles verheißen.

Lesslie Newbigin

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Traurige Bekehrungen

Durch einen Tweet von Frank wurde ich aufmerksam auf diese „Bekehrungsgeschichte“ einer gewissen Rechelle, die der religiösen Rechten in den USA, zugleich damit aber dem christlichen Glauben insgesamt den Rücken gekehrt hat.

Wirklich bewegend liest sich Rechelles Entschuldigung an alle, die sie in den Jahren ihres Christseins verurteilt und abgelehnt oder unter Druck gesetzt hatte: Homosexuelle, Nichtchristen allgemein, Sonntagsschüler, Angehörige, die Notleidenden dieser Welt.

Freilich kann man auch Christ sein, ohne allen anderen mit der Hölle zu drohen und all die anderen Dinge, die Rechelle nun als das erkannt hat, was sie sind: Mist. Sie selbst scheint diese Möglichkeit jedoch nicht zu sehen. Kirche ist für sie ganz offenbar eine durch und durch zwanghafte, gesetzliche, ausgrenzende Institution, die das Leben der einzelnen und der Gesellschaft vergiftet. Sie bedauert es, solchen Menschen auch noch Geld für ihre Zwecke gegeben zu haben. So weit Rechelles Erfahrung reicht, ist das wohl leider auch ganz zutreffend.

Warum erwähne ich das hier alles? Ihre Story wird von Atheisten hierzulande erfreut aufgegriffen und nicht ganz ohne Häme kolportiert. Rechelle wird das kaum stören, aber natürlich ist es billig, so zu tun, als gäbe es nur diese Karikaturen des Christentums oder einzelne – wenn auch große – problematische Strömungen als das Ganze auszugeben. Um all diese Fehler, die Rechelle nun behoben hat, gibt es ja auch unter Christen mit Recht heftigen Streit, und wer sich nur mal oberflächlich umsieht, trifft auf dessen Spuren. Ich fürchte aber, dass wir in Zukunft öfter mit solchen Situationen konfrontiert sein werden, weil Leute immer weniger über den christlichen Glauben wissen und weil solche krassen Geschichten lieber erzählt werden und leichter hängenbleiben als andere.

Jedenfalls hat es mich neu daran erinnert, solche Schwarz/Weiß Geschichten kritisch zu lesen, auch dann, wenn die Betreffenden zum christlichen Glauben gefunden haben, und mein Bild anderer Weltanschauungen nicht allein auf das zu stützen, was Aussteiger darüber sagen. Und was Rechelles toxisches Christentum angeht, vor dem einen wohl nur Demut und Kritikfähigkeit schützen, wurde ich heute an Mt 23,15 erinnert. Der Hölle sind offenbar die besonders nahe, die ständig von ihr reden, und da ist Jesus plötzlich gar nicht lieb und „tolerant“:

Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr zieht über Land und Meer, um einen einzigen Menschen für euren Glauben zu gewinnen; und wenn er gewonnen ist, dann macht ihr ihn zu einem Sohn der Hölle, der doppelt so schlimm ist wie ihr selbst.

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Fuchs im Einbaum

Die FAZ bringt einen Beitrag von Ben Macintyre zum Überleben im digitalen Zeitalter. Die Diskussion ob wir (um mit Isaiah Berlin bzw. Archilochos zu sprechen) Füchse oder Igel sind, also viele kleine Ansätze pflegen oder uns nur um eine einzige große Idee drehen, scheint entschieden. Der Fuchs hat gewonnen, mit allen Vor- und Nachteilen.

Nun kommt es darauf an, aus dem Überfluss angebotener Informationen das Wesentliche und Nützliche herauszufinden und Ablenkungen oder Wertloses zu ignorieren. Das erfordert eine andere Art des Denkens und Hinsehens. Und dafür hat Macintyre ein anderes, interessantes und griffiges Bild gefunden:

Dem Wissenschaftshistoriker George Dyson zufolge hatten die Nordwestpazifik-Indianer zwei sehr verschiedene Methoden, Boote zu bauen. Die Aleuten, die auf baumlosen Inseln lebten, bauten Kajaks aus Strandgut, indem sie Felle auf einen Rahmen aus Treibholz spannten. Die Tlingit hingegen fällten große Bäume und höhlten sie zu Kanus aus, indem sie das überschüssige Holz herausschlugen und -brannten.

„Früher waren wir Kajakbauer und haben Bruchstücke von Informationen gesammelt, wo wir sie fanden“, schreibt Dyson. „Heute müssen wir lernen, zu Einbaumbauern zu werden und unnötige Informationen zu verwerfen, um die verborgene Gestalt des Wissens freizulegen.“

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Gottes Verkleidung

Richard Rohr macht sich Gedanken über den Realismus der Bibel, und nachdem der Fasching vor der Tür steht, fand ich diesen Ausschnitt aus Ins Herz Geschrieben ganz schön:

Wir lesen in diesen Büchern von Sünde und krieg, Ehebruch und anderen Affären, von Königen und Mordaktionen, von Intrigen und Betrügereien – also von den ganz gewöhnlichen wunderbaren und traurigen Ereignissen des menschlichen Lebens. diese Bücher dokumentieren das Leben realer Gemeinschaften und konkreter gewöhnlicher Menschen, und damit sagen sie uns, dass «Gott zu uns in der Verkleidung unseres Lebens kommt» (…).

Aber für die meisten religiösen Menschen ist das wohl eine Enttäuschung. Offensichtlich würden sie es vorziehen, wenn Gott in ihren Gottesdiensten zu ihnen käme.

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Weisheit der Woche: Drei Arten von Menschen

When it comes to the future, there are three kinds of people: those who let it happen, those who make it happen, and those who wonder what happened.

Wenn es um die Zukunft geht, gibt es drei Sorten von Leuten: Die einen, die zulassen, das etwas geschieht, die anderen, die dafür sorgen, dass etwas geschieht und die, die sich fragen, was geschehen ist.

John M. Richardson Jr.

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Musik statt Musketen

Ich beschränke mich auf ein paar Hinweise, den ganzen Text muss dann am besten doch jeder selber lesen: Die Zeit berichtet über ein Missionsprojekt der Jesuiten im heutigen Paraguay, das in einem höchst angenehmen Kontrast zu anderen Verschränkungen von Kolonialismus und Christianisierung in Lateinamerika steht und rund 150 Jahre lang ein Modell für Frieden und relativen Wohlstand blieb. Ab 1609 entstanden Großkommunen, die ohne Geldwirtschaft auskamen und in denen indianische Kultur und jesuitische Einflüsse sich konstruktiv verbanden, die sogenannten Jesuitenreduktionen. Man fühlt sich unwillkürlich an den Film Mission erinnert, wenn man diese Beschreibungen liest:

Die spanische Krone hatte diesen Geistlichen gestattet, Missionssiedlungen fernab der damaligen Städte zu gründen, um die Indianerstämme nicht nur für den Glauben zu gewinnen, sondern auch vor Sklavenjägern und der Leibeigenschaft auf den Plantagen der Siedler zu schützen. Auf ihren Kanufahrten durch den Dschungel begannen die Missionare schon bald, Gesänge anzustimmen. Sie hatten entdeckt, dass ihre Musik die Indianer unwiderstehlich anzog.

Es war nicht die Musik allein. Die Jesuiten kamen ohne alle Waffen. Lernten als Erstes die Sprache der Ureinwohner, verfassten Wörterbücher und Grammatiken. Aus den Dialekten des bis dahin verstreut lebenden Volkes der Guaraní schufen sie eine einheitliche Schriftsprache. Alle Kinder lernten lesen und schreiben. In ihrer Muttersprache und in Spanisch.

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Weisheit der Woche: Gärtnern statt Werkeln

Wenn der Mensch in seinem Bestreben, die gesellschaftliche Ordnung besser zu gestalten, nicht mehr Schaden als Nutzen anrichten soll, wird er lernen müssen, daß er auf diesem, wie auf allen anderen Gebieten mit einer tief verflochtenen Organisationsstruktur, keine endgültigen Kenntnisse dessen erlangen kann, was ihm das Beherrschen der Vorgänge erst ermöglichen würde. Er wird sich deshalb des Wissens bedienen müssen, dessen er fähig ist. Er darf nicht die Ergebnisse formen wollen wie ein Handwerker sein Werk. Vielmehr wird er das Wachstum fördern müssen, indem er für eine angemessene Umgebung sorgt – ganz so, wie der Gärtner dies für seine Pflanzen macht. Es liegt eine Gefahr in dem überschwenglichen Gefühl einer unaufhörlich wachsenden Macht, die der Fortschritt in den Naturwissenschaften mit sich brachte und die den Menschen verlockt, … nicht nur unsere natürliche, sondern auch unsere menschliche Umgebung der Herrschaft des menschlichen Willens zu unterwerfen. Die Erkenntnis von den unüberwindlichen Grenzen seines Wissens sollten den Erforscher der Gesellschaft eigentlich Demut lehren.

Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek in The Pretence of Knowlegde

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Schön!

Mein Webhoster hat mir heute dieses Gedicht als Weihnachtsgruß geschickt, ganz ohne Kitschbild, und sich damit wohltuend von den anderen kommerziellen Weihnachtsgrüßen abgehoben, also hier zum Mitfreuen:

Advent

Es treibt der Wind im Winterwalde
die Flockenherde wie ein Hirt
und manche Tanne ahnt wie balde
sie fromm und lichterheilig wird;
und lauscht hinaus. Den weißen Wegen
streckt sie die Zweige hin – bereit
und wehrt dem Wind und wächst entgegen
der einen Nacht der Herrlichkeit.

– Rainer Maria Rilke –

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Fromme Panikmache

„Helfen Sie, Deutschland zu christianisieren!“ steht auf dem Flyer, der mir per Post ins Haus geflattert kam. Darunter ein Spendenaufruf für ein christliches Werk und Bilder von Moscheen und Minaretten aus Berlin, Bremen, Hamburg, Duisburg, Mannheim, Darmstadt und Wesseling (da musste man schon tief in die Provinz reisen, um noch ein Bild aufzutreiben!). Unser Land gebe mehr und mehr Werte auf, „damit sich muslimische Menschen nicht beleidigt fühlen“ wird dort reichlich pauschal geklagt. Die Lösung: Türken mit Blättchen „traktieren“ – vermutlich nun ohne die Scheu, jemandem ordentlich auf die Zehen zu treten…?

Liebe Leute: Die Christianisierung war ein äußerst zwiespältiges Kapitel der Kirchengeschichte, und selbst wenn Ihr ja wohl nur gedruckte Propaganda damit meint, werde ich das nicht finanzieren. Und mit der dunklen Folie der Islamisierung zu drohen finde ich auch nicht motivierend, wenn es darum geht, die angeschlagene Traktatindustrie wieder auf die Beine zu bekommen. Passt vielleicht besser in die Schweiz, das Ganze…?

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Weisheit der Woche: Poesie der Bibel

Die Botschaft der Bibel ist provokant: Gott als Schöpfer der Welt lässt sich radikal auf ebendiese ein; er wird in Jesus Mensch und gibt uns mit dessen Auferstehung Hoffnung. Diese Essenz ist viel zu wertvoll, um sie durch eine konventionelle Sprache verpuffen zu lassen. Prediger sollten mehr auf die poetische Schönheit der biblischen Worte und die Kraft der Geschichten vertrauen.

Alexander Deeg in der Zeit (via crenz)

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Eingekerkert

Spiegel Online berichtet über einen Mann in Belgien, der 23 Jahre im vermeintlichen Wachkoma lag, doch in Wirklichkeit zwar gelähmt, aber bei vollem Bewusstsein war. Ich mag mir das gar nicht richtig vorstellen. Vielleicht wäre mir eben das leichter gefallen, hätte ich nicht erst kürzlich diese Folge von Dr. House gesehen, die jedoch vergleichsweise gut ausging.

So aber wirkt es wie Isolationshaft oder lebendig begraben zu werden. 23 Jahre, komplett abgeschnitten von der Welt! Offenbar ist nicht auszuschließen, dass ähnliche Fehldiagnosen auch in anderen Fällen bestehen. Statt außerirdische Intelligenz zu suchen, sollten wir vielleicht mal unsere Komapatienten genauer ansehen. 18 von 44 untersuchten Komapatienten waren ansprechbar, sagte der Forscher Steven Laureys.

Als Rom Houbens schließlich „entdeckt“ wurde und man ihm half, sich mitzuteilen, war das für ihn wie eine zweite Geburt, schreibt er. Trotzdem hat mich die Geschichte schwer beunruhigt.

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