Re-reading Richard Rohr (2)

Die Pause fiel etwas länger aus – der schrullig-schlaue Commisario Montalbano war schuld – aber nun geht es weiter mit kleinen Weisheiten von Pater Richard Rohr. Ab nächste Woche mische ich mich auch wieder bei den Kommentaren ein, das habe ich die letzten Tage einfach nicht geschafft:

Wenn Ihre wichtigste Bezugsperson, der „signifikante Andere“ sagt, „du bist gut“, dann sind Sie tatsächlich gut. Die Erfahrung, von Gott befreit und geliebt zu werden, bedeutet: Gott sagt zu Ihnen: „Du bist gut.“ Jede und jeder andere kann Ihnen das genauso sagen, aber Sie werden das immer wieder bezweifeln, selbst wenn es sich zeitweise ganz gut anfühlen mag und als notwendiger „Flaschenöffner“ dient.

Der Erlösung versichert uns erst im Nachsatz eiens ewigen Lebens; der erste Satz spricht uns dieses jetzige Leben zu, und dann kommt die Aussage: „Und wenn du jetzt das Leben hast, dann hast du es auch später.“ Das kann uns schließlich zur tief inneren Gewissheit werden.

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Der Spiegel am Boden

Heute habe ich eine Kurzgeschichte von Andrea Camilleri gelesen, in der Commissario Montalbano sich mit seiner Abneigung gegen psychologische Tiefbohrungen herumschlägt und nebenbei einer Frau das Leben rettet, ihr Glück allerdings ist, wie er dabei geistesgegenwärtig bemerkt, irreparabel zerstört. Am Ende bleibt diese bittere Einsicht:

Es stimmte, Livia hatte recht. Er hatte Angst, er fürchtete sich davor, sich in die »Abgründe der menschlichen Psyche« zu begeben, wie dieser blöde Matteo Castellini das nannte. Er fürchtete sich, weil er genau wusste, dass er am Grund einer solchen Schlucht unweigerlich einen Spiegel vorfände. In dem sich sein eigenes Gesicht spiegelte.

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Beziehungstechniker

Weil wir gerade beim Thema sind: Wolf Lotter lässt sich in einem aktuellen Beitrag für Brandeins über Netzwerke, Kooperation aus und himmt hier konkret den Begriff „Beziehungsarbeit“ aufs Korn:

Mit diesem Wort belegten 68er-Sozialpsychologen jenen Eiertanz, bei dem man so lange über menschliche Verhältnisse redet, bis man sich nichts mehr zu sagen hat. Sozialingenieure doktern an ihren Verhältnissen so lange herum, bis sie zum Totalschaden werden. Das liegt an der leicht irren Idee, man könne menschliche Beziehungen allgemein und verbindlich planen, steuern, konstruieren und nach Bedarf zusammenschrauben – so lange, bis sie dem eigenen, meist völlig verkorksten Weltbild entsprechen. Das hat wenig mit Beziehungsfähigkeit zu tun, aber jede Menge mit Manipulation.

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Wenn das mal gut geht…

Nach Bastian Schweinsteiger hat nun auch Philipp Lahm sich über die Argentinier negativ ausgelassen. Passt eigentlich gar nicht zu ihm. Mich erinnert das eher an Wayne Rooney vor dem Spiel letzten Sonntag oder die britischen Revolverblätter, die vergangene Woche beleidigt von „kick and crush“ träumten und regelmäßig zwar nicht das Viertelfinale von 2006, dafür aber den zweiten Weltkrieg wiederholt sehen möchten. Das Ergebnis kennen wir ja.

Ist das eine Operation in psychologischer Kriegsführung? Wenn ja, dann wäre damit das Eingeständnis verbunden, dass das deutsche Team sie nötig hat. Wenn nicht, was ist es dann?

Überflüssig! Hätten das nicht wieder Beckenbauer und Ballack erledigen können, wenn es schon unbedingt sein muss?

Kein gutes Zeichen. Hoffen wir, dass unsere Jungs auf dem Platz doch noch bessere Antworten geben als auf der Pressekonferenz. Die nämlich dämpfen derzeit eher meinen Optimismus.

Vielleicht kann ja der neue Bundespräsident mal ein positives Signal nach Buenos Aires schicken?

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Poet und Prophet

Ab und zu scheint das nicht weit auseinander zu liegen – Walter Wink zitiert in Engaging the Powers einen Brief von D.H. Lawrence aus dem Jahr 1923, in dem dieser die Ereignisse des 2. Weltkriegs zehn Jahre vor Hitlers Machtergreifung schon beklemmend vorausahnt:

In der Nacht spürt man, wie sich in der Dunkelheit seltsame Dinge regen, seltsame Gefühle rühren sich in diesem bislang unbezwungenen Schwarzwald. Du richtest dich auf und hörst in die Nacht hinein. Man spürt eine Gefahr. Es sind nicht die Menschen. Sie wirken nicht gefährlich. Aus der Luft kommt dieses Gefühl von Gefahr, ein merkwürdiges, haarsträubendes Gefühl unheimlicher Gefahr.

Etwas ist geschehen. Etwas ist geschehen, das noch nicht eingetreten ist. Der alte Zauber der alten Welt ist gebrochen… Etwas ist der Menschenseele zugestoßen, ihr ist nicht mehr zu helfen… Es ist ein Schicksal, keiner kann es mehr ändern… Zugleich haben wir es selbst über uns gebracht – durch eine Ruhrbesetzung, durch eine englische Nichtigkeit und einen falschen deutschen Willen. Wir haben es selbst getan. Aber anscheinend war es nicht abzuwenden.

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Vorbei ist vorbei. Wirklich!

Meine Frau zitierte neulich einen ihrer Ausbilder mit den Worten „es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit gehabt zu haben“. Es sind nicht die Ereignisse und Umstände, sondern deren Bewertung heute, die uns glücklich oder unglücklich machen. Martin Seligman schlägt in dieselbe Kerbe. Er kritisiert die Tendenz bei Darwin, Marx und Freud, Menschen als die Summe bzw. das Produkt vergangener Ereignisse zu verstehen. Marx und Freud bezeichnet er als Deterministen. Und er hält es für einen Irrweg, zu glauben, dass ein Stochern im Müll der Vergangenheit seelische Gesundheit in der Gegenwart hervorbringt.

In Wirklichkeit haben Studien ergeben, dass sich schwere Kindheitserlebnisse wie der Verlust eines Elternteils oder eine Trennung der Eltern, Vernachlässigung oder Misshandlung wenn überhaupt, dann nur schwach auswirken auf die zukünftige Zufriedenheit. Selbst Unfälle mit Langzeitfolgen werden innerhalb von einigen Monaten so weit verarbeitet, dass die meisten Menschen hinterher nicht wesentlich unglücklicher sind als zuvor. Sein Fazit: „Negative Kindheitserlebnisse sind nicht schuld an irgendwelchen Erwachsenenkrisen.“

Das Ganze gibt es natürlich auch wieder auf „christlich“: Dann werden Menschen nicht wie bei Jesus durch den Zuspruch von Vergebung kurzerhand befreit, sich der Gegenwart Gottes zu öffnen und eine gute Zukunft zu erwarten, sondern man lutscht die ollen Kamellen der eigenen Biografie, des Familienhintergrunds und der Geschichte von Volk und Nation ohne Ende, um darin irgendeinen verborgenen „Schlüssel“ zu finden, der Heilung und Glück ermöglicht – nicht bekannte Sünden zum Beispiel, gern auch ein paar Generationen zurück und alles andere als zweifelsfrei dokumentiert. Aber meistens kommt man nur frustriert und mit Mistgeruch in der Nase von zurück von diesen inquisitorischen Zeitreisen.

Wer den Grund für sein Unglück in der Vergangenheit sucht, an der ja nichts mehr zu ändern ist, der wir im Blick auf die eigene Zukunft passiv. Er friert ein – erstarrt wie Lots Frau zur Salzsäule. Um aus der unglücklichen Lebensgeschichte eine glückliche zu machen, können wir zwei Dinge tun, sagt nicht nur Seligman, sondern das ist alte christliche Lebensweisheit: Dankbar sein und vergeben. Beides kann man lernen, indem man es übt.

Glaube und Glück stehen übrigens auch in einem signifikanten Zusammenhang, sagt Seligman. Der entscheidende Faktor ist die Zukunftshoffnung, und er zitiert Juliana von Norwich:

Aber alle sollen gesund werden und alles soll gesund werden, und alle Arten von Dingen sollen gut werden … Er hat nicht gesagt »Du sollst den Stürmen des Lebens nicht ausgesetzt sein, du sollst keine Seelenqualen erleiden, du sollst nicht gepeinigt werden«. Sondern er hat gesagt »Du sollst nicht überwältig werden«

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Weisheit der Woche: Nach vorn denken

Zum Wochenende ein weiteres knackiges Zitat aus einem klugen Artikel, der mich diese Woche schon einmal beschäftigt hat:

Nach vorn zu denken wirkt geradezu unprofessionell. Das ist die Domäne der Spinner, der Unpräzisen, die ohne Werkzeuge – denn die gehören dem alten Paradigma – und ohne Modelle – auch die sind ja aus der alten Welt – einfach nur behaupten, sie könnten ein neues Modell schnitzen. Weil die Konstrukteure des neuen Paradigmas nicht beweisen können, dass das Neue perfekt funktioniert, gelten sie den Alt-Paradigma-Anhängern als unzuverlässig. Deshalb legen sich die Anhänger des alten Paradigmas lieber mit dem Gestern ins Bett. Dabei kommt vieles heraus, nur kein Nachwuchs. Keine Zukunft.

Wolf Lotter in brand eins 06/2010

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Science nonfiction?

Unter dem Titel „Zurück in die Gegenwart“ waren Pille, Spock, Kirk & Co in Star Trek IV im San Francisco des Jahres 1986 auf der Suche nach Buckelwalen. Da gab es eine Szene, wo Doc McCoy beim Versuch, Mr. Chekov vor der Medizin des 20. Jahrhunderts zu retten, einer Patientin im Krankenhaus eine Pille gibt, die ihr eine Niere nachwachsen lässt.

Jahre später ist das plötzlich nicht mehr so unvorstellbar, wenn diese Nachricht der SZ stimmt. Noch sind es keine Nieren, sondern großflächige Verletzungen der Haut, schreibt Autor Werner Bartens, die fast von selbst nachwachsen. Wenn sich die Methode bewährt, könnte die Zukunft näher sein, als wir dachten. Und Wissenschaft wäre wieder einmal so spannend wie ein Film. Hoffen wir also, dass es besser läuft als die Sache mit dem Wundermittel gegen Neurodermitis vor einer Weile.

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Psychiatrische Hintertreppe

Die letzten Tage habe ich in Manfred Lütz‘ neuem Buch Irre – Wir behandeln die Falschen gelesen. Es ist eine mit Humor und Anekdoten angereicherte Tour durch die verschiedenen psychischen Leiden und die passenden Therapieansätze mit einer ausführlichen Einleitung zur Frage, wer eigentlich normal ist. Ein bißchen wie Wilhelm Weischedels philosophische Hintertreppe, nur eben für ein anderes Fachgebiet.

Der Titel trügt ein bißchen, denn Lütz denkt keineswegs, dass möglichst alle Normalos zu ihm in die Therapie kommen müssten oder dass seine Patienten keine Hilfe nötig hätten. Aber abgesehen von dieser irre-führenden Umschlagseite merkt man, wenn die anfängliche Pointendichte zurückgeht, eine große Achtung des Chefarztes vor seinen Patienten und deren einmaligen Lebensgeschichten. Schon deshalb lohnt sich die Lektüre.

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Eins auf die Si-Nuss

Manfred Lütz poltert in Irre – Wir behandeln die Falschen munter gegen die Orientierung an den Sinusmilieus. Er skizziert sie kurz und stellt dann fest:

Es gibt nun Kirchenvertreter, die passgenaue Botschaften in diese Milieus senden wollen. Doch damit ist die Funktion seriöser Religion verkannt. Religion ist eine wichtige Irritation, die die Menschen aus ihrer Alltäglichkeit herausreißen kann. Sie könnte im Grunde all die blödsinnig normalen, gegen anders eingerichtete sorgfältig abgeschotteten Kreise erfolgreich aufmischen. Das hätte Pepp. Dagegen ist eine stromlinienförmig angepasste Softreligion, die genauso blödsinnig normal wird, wie es all die blödsinnig Normalen sowieso schon sind, überflüssig wie ein Kropf.

… der Kitt, mit dem die blödsinnig normalen Sinusmilieus vor allem zusammengehalten werden, ist Verachtung. Die Verachtung der anderen. Zu welchem Milieu man gehört, bemerkt man wohl am intensivsten durch den Widerwillen, der einen in anderen Milieus überfällt. Sich selbst hält man in all seiner eigenen Spießigkeit natürlich für einen Ausbund an Normalität. (S. 22/23)

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Zeit und Welt

… ziehen gegensätzliche Bilanzen für die fünf Jahre, die Papst Benedikt im Amt ist. Für die Welt erklärt Martin Mosebach, warum er der richtige Mann zur richtigen Zeit ist – der messianische Tenor: Nur Benedikt kann die Kirche noch retten. Umzingelt vom grenzenlosen Relativismus ziele die Kirche auf Universalität (und das könnten nun viele konservative Protestanten wörtlich wiederholen)

… aber nicht um den Preis der Aufgabe ihrer Wahrheit. Wenn diese Wahrheit nicht mehr mehrheitsfähig ist, umso bedauerlicher für die Mehrheit.

In der Zeit widerspricht Tanja Dückers, der Mosebachs konservatives Pathos mit seinen falschen Zuspitzungen (er wehrt sich gegen die „Forderung, die Kirche müsse sich der Gegenwart und ihren gesellschaftlichen Tagesvorstellungen vorbehaltlos unterwerfen“) nicht zusagt. Darum gehe es ja gar nicht. Die Kirche, sagt sie, darf nicht zum Museum werden, doch in seiner Unbeweglichkeit verweigere der Papst

… der Kirche ihre Lebendigkeit, die untrennbar mit der Fähigkeit zum Wandel ohne Identitätsverlust verbunden ist.

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Katzen hüten

Nette Metapher von Alan Roxburgh zur Frage, was es bedeutet, eine Gemeinde zu leiten:

Ich erkannte, dass eine Gemeinde zu leiten dem Hüten von Katzen ähnlicher ist, als einen strategischen Plan in die Tat umzusetzen. Katzen widersetzen sich heftig, wenn man sie auf Kurs bringen will – vor allem, wenn es so wenige Anreize gibt!

… Gottes Volk ist in vieler Hinsicht wie Katzen. Mir wurde klar, dass es eine gesunde Reaktion ist, sich angesichts eines strategischen Plans von jemand anderem wie eine Katze zu verhalten.

aus Missional Map Making

Cat People von Sebastián-Dario via Flick'r (creative commons 2.0)

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Abschied vom bösen Gott

Was sagt einer, der sein ganzes Leben damit verbracht hat, zu glauben, dass alles Schlechte, das auf der Welt geschieht, das Ergebnis eines böswilligen Gottes ist, wenn er morgens aufwacht und aus dem Fenster schaut und die Welt noch immer so beschissen ist, wie sie es immer war?

Er sagt: „Scheiße.“

Das jedenfalls habe ich gesagt.

Das muss man gelesen haben: Shalom Auslander in einem hinreißenden Abrechnung mit Gott, oder besser: den gewalttätigen und strafenden Gottesbildern des christlichen Fundamentalismus und des konservativen Judentums, in der Zeit.

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