Was ist Theologie?

Gestern hatte ich auf eine Tagung der ACK die Gelegenheit, einen griechisch-orthodoxen Priester zu hören. Der Vortrag über Spiritualität, Liturgie und Gemeinde war spannend. In der anschließenden Diskussion kam noch ein interessanter Punkt zur Sprache: Die Unterscheidung zwischen Theologie und Philosophie.

Was wir im Westen oft Theologie nennen, das wissenschaftlich reflektierte Reden über Gott, gilt dort als Philosophie. Ein Theologe ist jemand, der aus seiner Erfahrung und seinem Leben mit Gott heraus redet – egal wie wissenschaftlich das nun ist. Erst in jüngerer Zeit wird in der griechisch-orthodoxen Kirche Wert auf akademische Ausbildung gelegt, aber noch immer sind viele Priester ganz einfache Leute.

Zu Beginn der Tagung traf ich eine Krankenschwester, die in einem Hospiz arbeitet. Ihr erster Satz war: “Ich bin hier der fromme Exot, ich bin nämlich kein Theologe”. Nach der Lektion von gestern müsste man dieses Statement noch mal philosophisch überdenken…

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Irrtumslosigkeit

Das spätmodern-rechtsevangelikale Dogma der “Irrtumslosigkeit der Bibel” hat mit knappem Vorsprung den Preis für die lausigste theologische Erfindung bei Faith & Theology abgeräumt. Ben Myers hat dazu einen kurzen Kommentar geschrieben, und Chris Tilling hatte sich schon vor längerer Zeit in einem vierteiligen Post damit aus einer evangelikalen Perspektive kritisch auseinander gesetzt.

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Neben allem, was andere schon gesagt haben, ist mir hier auch noch ein ganz praktischer Aspekt dieser Frage wichtig: Wenn wir (in verschärfter Fortschreibung der altprotestantisch-orthodoxen Lehre von der Verbalinspiration) die Bibel für irrtumslos und unfehlbar erklären, dann berauben wir uns selbst der Möglichkeit, die Bibel mit der Bibel zu kritisieren. Eine Talibanisierung der Christenheit könnte die Folge sein – geistige Isolation und wachsende Militanz in vielerlei Hinsicht.

Thomas Cahill (der, nur bevor jetzt manch einer gleich lospoltert, im Übrigen durchaus der Meinung ist, dass Gottes Geist hinter der Entstehung der Schrift steht und sie vorantreibt, nur eben nicht so) hat es gut auf den Punkt gebracht:

Doch selbst wenn wir keine neuzeitlichen wissenschaftlichen Methoden heranziehen und die palimpsestartige Inkonsistenz der hebräischen Bibel außer Acht lassen, müssen wir bestimmte Passagen der Bibel als unwürdig für einen Gott, an den wir glauben wollen, zurückweisen. Im Buch Josua etwa lesen wir, wie Gott den Israeliten befiehlt, alle Kanaaniter, selbst die Kinder, mit dem Schwert zu töten, und in den Psalmen finden sich wiederholt Gebete, in denen Gott aufgefordert wird, sämtliche Feinde des Dichters auf brutale Art und Weise umzubringen. (…) Selbst die glühendsten religiösen Eiferer müssen zugeben, dass diese Dinge das Werk von Menschen waren, die sich fälschlicherweise eingeredet haben, Gott stünde auf ihrer Seite. (Abrahams Welt. Wie das jüdische Volk die westliche Zivilisation erfand, S. 215f.)

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Theologisches Gruselkabinett

Ben Myers lässt über die dämlichste theologische Erfindung abstimmen. Die Auswahl unter all den Grausamkeiten fällt nicht ganz leicht, daher die Stichworte auf Deutsch, bevor ihr hier mit entscheiden – oder protestieren – könnt 🙂

  • Irrtumslosigkeit der Bibel
  • Doppelte Prädestination
  • Die “Entrückung”
  • Unfehlbarkeit des Papstes
  • Arianismus
  • Christentum als Imperium
  • die Lehre von gerechten Krieg

Ich werde für die Entrückung stimmen. Wer hat die nochmal erfunden?

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Ostern: Exzentrisch Leben

Dscf2299Heute Morgen habe ich gelernt, dass der Stachel des Todes, von dem Paulus in 1.Kor 15,56 schreibt, im Griechischen Kentron heißt. Zunächst war das wohl ein Dorn an einem Stecken, eine Art Piekser, mit dem man müde Zugtiere im Gespann wieder in Bewegung setzte. So ist es hier auch gemeint: Der Tod und die Schatten, die er voraus wirft und die wir bewusster wahrnehmen – also Einsamkeit, Isolation, Streit und Hass, Krankheit und Gebrechlichkeit, Armut und so weiter – treibt uns zu allen möglichen Dingen. Wir fliehen von Natur aus vor allem was uns an unsere Endlichkeit erinnert. Oder es schlägt um in marode Todesverliebtheit, so wie sich manche Kidnapping-Opfer mit ihren Entführern und Peinigern innerlich einlassen und verbünden. Aber wir sind so oder so wie die Rinder vor dem Pflug eingespannt und dem ausgeliefert, der den Dorn in der Hand hat – ein ernüchterndes Bild menschlicher Existenz; es trifft aber die Gefühlslage vieler Menschen.
Von Kentron kommt auch unser Wort Zentrum: Man sticht mit dem Zirkel irgendwo ein uns zieht einen Kreis. Wenn Todverfallenheit nicht mehr das Zentrum unseres Lebens ist, wenn nicht mehr alles unerfüllt endlich und armselig beschränkt ist und unseren Lebenshunger nicht stillt, dann leben wir exzentrisch. Wir werden immer noch den Tod in allen seinen Formen bekämpfen und ihm Widerstand leisten – wie Jesus. Selbst da, wo der Kampf nach menschlichem Ermessen aussichtslos scheint und jede gute Tat nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Weil Ostern offenbart hat, dass nicht der Tod das letzte Wort hat, können wir täglich viele kleine (und hin und wieder sogar manch große) exzentrische Anschläge der Liebe verüben und damit den Aufstand für das Leben weiterführen.

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Heilsame Verfremdung

Die Schrift und die Tradition müssen so gelesen werden, dass ihre Fremdheit herauskommt, das nicht-offensichtliche und unzeitgemäße an ihnen, damit sie von Neuem und wahrhaft gelesen werden können von einer Generation nach der anderen. Man muss sie komplizierter machen, bevor man ihre Einfachheit richtig begreifen kann… Und dieses “Verkomplizieren” – dieses Bekenntnis, dass sich nicht sofort und ohne weiteres erschließt, was das Evangelium in der Schrift und Tradition sagt – ist vielleicht eine der grundlegendsten Aufgaben der Theologie.

Rowan Williams, Arius: Heresy and Tradition (2nd ed.; Grand Rapids: Eerdmans, 2001), p. 236 (gefunden bei Faith & Theology)

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Vielsagende Lücken

Dallas Willard verwendet den Ausdruck the great omission. Und es ist wirklich erhellend, wenn man ganz plötzlich darüber stolpert, was so alles fehlt. Letzte Woche wollte ich für eine Predigt über Gastfreundschaft im Jerusalemer Bibellexikon das Stichwort nachschlagen. Ein hoher Wert in der antiken Kultur und ein Dauerthema in den Evangelien.

Dachte ich. Das Lexikon hat keinen Eintrag dazu, und auch unter “Tisch(gemeinschaft)” oder “Mahl(gemeinschaft)” war nichts zu finden. Schließlich scheiterte noch der Versuch, im Umfeld der Stichworte Freiheit, Freude und Friede den “Fremden” zu lokalisieren. Für die Autoren und Herausgeber ist das offenbar kein Thema. Wen wundert’s also, dass das auch für den Alltag vieler Gemeinden gilt?

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Frauenpower, mal anders gesehen

Ich bin bei Hartmut Gese auf einen interessanten Gedanken gestoßen. In Sacharja 5,5ff erscheint die Bosheit in Gestalt einer Frau, ähnlich wie in den Sprüchen schon Weisheit und Torheit. Seine Schlussfolgerung sollte man im christlichen Geschlechterkampf in der Debatte um das Verhältnis der Geschlechter in der christlichen Tradition hören:

Wir müssen davon ausgehen, dass Sacharjas Prophetie an die Männer wendet, und zunächst ist eben auch die Bosheit der männlichen Welt gemeint (…): Der intime Personalbezug zum Mann lässt die personal verstandene Bosheit des Menschen im Symbol als Menschen, und zwar als Frau erscheinen.

Das wirf vielleicht noch einmal ein anderes Licht auf die Auslegungen der Geschichte von Sündenfall. Im Übrigen, betont Gese, steht der gängige Begriff für Bosheit im Hebräischen im Maskulinum 🙂

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Religion: Hab‘ ich da was verwechselt?

Daniels Post hat mich auf den Religionstest der Zeit gebracht und ich habe mit den Fragen dort ein Weilchen gerungen.

Immerhin habe ich 0% Buddhismus dabei erzielt (die Antworten waren zu offensichtlich), aber vermutlich dank der ganzen N.T. Wright Lektüre der letzten Jahre, dank Buber und den inzwischen 4 Abenden zum AT hier in der Gemeinde habe ich 63% Judentum, 18% Christentum und den Rest unter ferner liefen.

Eigentlich ein schönes Ergebnis, auch für Christen.

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Verfettet, verklebt, verqualmt?

Gestern abend haben wir in unserer “Bibelschule” über die alttestamentlichen Propheten gesprochen. Dabei kamen wir auch auf Jesajas Berufung zu sprechen, wo es in Bubers Übersetzung heißt:

Geh, sprich zu diesem Volk: Hört nur, höret, und unterscheidet nimmer, seht nur, sehet, und erkennet nimmer! Zu verfetten ist das Herz dieses Volks, seine Ohren zu verstumpfen, seine Augen zu verkleben, sonst könnte es mit seinen Augen sehn, mit seinen Ohren hören, in seinem Herzen unterscheiden, umkehren und Genesung würde ihm! Ich sprach: Bis wann, mein Herr? Er sprach: Bis dahin, dass Städte verheert sind, kein Insasse mehr, Häuser, kein Mensch mehr darin, des Menschen Boden verheert zu Öden.

Jesaja bewirkte diese Verstockung nicht, indem er sein Volk belog, sondern indem er die Wahrheit öffentlich sagte.

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Hauskirchen: mein Unbehagen

Die verärgerte Reaktion von Richard auf meinen Post über Haus-/Megakirchen hat mich noch weiter nachdenken lassen. Ich versuche es jetzt mal ohne Ironie, Sarkasmus oder Satire. Mal sehen, ob es gelingt 🙂 Und um es noch einmal gleich vorweg zu sagen, ich habe nichts gegen Hauskirchen und alles, was dort entdeckt und gelebt wird!

Ich finde allerdings die Diskussion darüber streckenweise recht problematisch. Und das liegt zum großen Teil an den Gegensätzen, die dabei aufgebaut und gepflegt werden. Als ich Richards Post “einfach Gemeinde leben” las, wurde mir mein Unbehagen klarer. Er beginnt dort mit folgender Klage:

Was mich stört, ist der unsägliche Vergleich der Hausgemeinde als eines von mehreren Gemeindemodellen mit anderen.

und er schließt mit der Feststellung:

Das einzige “Gemeindemodell”, das meiner Meinung nach richtig ist, ist diese ausgewogene, ausballancierte Gemeinde und die finden wir in der Apostelgeschichte als Beispiel wieder.

Ich habe so meine Mühe mit diesem Anspruch, es gebe das Gemeindemodell schlechthin (und der Umkehrschluss, dass alle anderen falsch sind ergibt sich zwingend aus der Formulierung oben).

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Sich selber lieben?

Heute stand ich in der Buchhandlung vor einem Titel, der lautete: “Liebe dich selbst, und es ist egal, wen du heiratest”. Ich kam nicht mehr dazu, in dem Buch zu blättern und mir eine Meinung davon zu bilden. Angeblich »ein flammendes Plädoyer für das Abenteuer Beziehungen und eine Liebeserklärung an die Ehe«.

Was mir aber im Gedächtnis blieb, war diese Aufforderung, sich selbst zu lieben.

Immer wieder einmal habe ich mich (kürzlich erst auch im Gespräch mit anderen) gefragt, ob Jesus uns eigentlich dazu auffordert, uns (auch) zu lieben, oder ob er das als selbstverständlich gegeben voraussetzt und diese Tatsache zum Maßstab für die Liebe zum Nächsten macht. Hier sind ein paar Fragen für Euch:

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Weisheit (2): Geheimnisvolle “Welt”

War aber für den Hebräer der Begriff Natur nicht vorgegeben (was wir uns freilich sehr schwer vorstellen können), so lag für ihn die Welt viel mehr im Unwägbaren, Unmessbaren, er war ihr gegenüber viel weniger, als wir denken, durch eine handliche Begrifflichkeit geschützt. Die Schwerfälligkeit des Hebräers in der Bildung von Abstraktbegriffen ist bekannt (…). “Welt” war für Israel wohl überhaupt mehr ein Geschehen als ein Sein.

Gerhard von Rad, Theologie des Alten Testaments I, S. 439f.

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Weisheit: Ein Lernender bleiben

Ich sitze über den Sprüchen des Alten Testaments und mache mir Gedanken über den Sinn der Weisheitsliteratur. Gottes Offenbarung in der Geschichte – für mich immer noch das Wesentliche in der Bibel – spielt kaum eine Rolle, sondern die menschliche Erfahrung und die erkennbare Struktur und Ordnung der Wirklichkeit unseres Lebens. Streckenweise sind darin sogar ägyptische Weisheiten (mit leichter Bearbeitung) einfach übernommen worden.

Vielleicht liegt das wirklich Interessante und Relevante für uns heute weniger in den einzelnen Sprüchen selbst sondern in der Einsicht, dass empirisches Vorgehen und vernünftiges Handeln legitim ist und dass man von den Erfahrungen anderer Völker und Kulturen durchaus etwas lernen kann. Und dass Gott mit den gewöhnlichen, alltäglichen Dingen des Lebens etwas zu tun hat und nicht nur im Außergewöhnlichen (oder, aber der Begriff ist dem hebräischen Denken eh fremd: Übernatürlichen) anzutreffen ist.

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Simply Christian

Tom Wright hat mit “Simply Christian” den Versuch unternommen, die Plausibilität des christlichen Glaubens zu erklären. Nach den ersten beiden Kapiteln kann ich sagen, dass er sich wohltuend von herkömmlicher “Apologetik” abhebt, obwohl er sich auch hin und wieder ein paar ironische Kommentare nicht verkneift. Aber er will hier nichts “beweisen”, sondern er erzählt und erklärt.

Der Einstieg verläuft – wer hätte etwas anderes erwartet – nicht über die individuelle Suche nach Sinn, die Frage nach einem Leben im Jenseits (“Himmel”) oder das gequälte Gewissen, sondern über die Frage nach der Hoffnung auf (beziehungsweise unser aller Traum von) Gerechtigkeit und einer besseren Welt.

Im zweiten Kapitel stellt er dann dar, wie Spiritualität in der Moderne auf ganz bestimmte Kanäle eingegrenzt und aus dem quasi zubetonierten oder imprägnierten öffentlichen Leben verdrängt wurde. Kein Wunder also, dass die Quelle beim erneuten Aufbrechen auch allerlei Unrat zu Tage fördert; sie hätte eben nicht gedeckelt werden dürfen.

Das macht Lust auf Weiterlesen. Und falls jemand mit Verlagskontakten das liest: Der Titel könnte eine Übersetzung wert sein. C.S. Lewis‘ Bücher und “Nicht wie bei Räubers” allein sind auf Dauer etwas wenig 🙂

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Saddam und die Bibel

Andrew Jones hat sich Saddams Hinrichtungsvorbereitung bei Youtube angesehen (ich nicht, werde es auch sicher nicht tun und es gibt hier auch keinen Link dahin). Er fand die Umstände entwürdigend. Dann aber las ich bei ihm diesen Satz:

Justice is one thing and i am not against the death penalty when it is warranted.

Die Frage ist doch: wann ist sie eigentlich angebracht? Das Thema ist wieder mal ein Paradebeispiel für biblische Hermeneutik: Manche würden einfach sagen, Todesstrafe sei “biblisch”, weil sie in der Bibel vorkommt. Andere würden sagen, das sei damals vielleicht selbstverständlich gewesen, aber einige Aussagen in der Bibel weisen sehr deutlich in die Richtung, dass niemand das Recht hat, Gewalt zu übern und einem anderen das Leben zu nehmen, auch nicht im Namen der “Gerechtigkeit”, und dass im Neuen Testament der Akzent auf Versöhnung liegt statt auf Strafe.

Ich finde diese Argumentation schlüssiger. Manche Linien muss man noch etwas weiter ausziehen, manche Gedanken mutig zu Ende denken. Wenn wir beim ersten Ansatz gelieben wären, hätten wir noch Sklaven und Kopftücher. Die Trinität wäre dagegen “unbiblisch” wie bei den Zeugen Jehovas. Aber das hatten wir ja schon mal.

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