Weisheit: Ein Lernender bleiben

Ich sitze über den Sprüchen des Alten Testaments und mache mir Gedanken über den Sinn der Weisheitsliteratur. Gottes Offenbarung in der Geschichte – für mich immer noch das Wesentliche in der Bibel – spielt kaum eine Rolle, sondern die menschliche Erfahrung und die erkennbare Struktur und Ordnung der Wirklichkeit unseres Lebens. Streckenweise sind darin sogar ägyptische Weisheiten (mit leichter Bearbeitung) einfach übernommen worden.

Vielleicht liegt das wirklich Interessante und Relevante für uns heute weniger in den einzelnen Sprüchen selbst sondern in der Einsicht, dass empirisches Vorgehen und vernünftiges Handeln legitim ist und dass man von den Erfahrungen anderer Völker und Kulturen durchaus etwas lernen kann. Und dass Gott mit den gewöhnlichen, alltäglichen Dingen des Lebens etwas zu tun hat und nicht nur im Außergewöhnlichen (oder, aber der Begriff ist dem hebräischen Denken eh fremd: Übernatürlichen) anzutreffen ist.

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Aber auch die aus anderen Quellen übernommenen Weisheiten werden wie die eigenen Erfahrungen unter das Motiv der Gottesfurcht gestellt. Gott ernster zu nehmen als mich selbst kann eben auch wohltuend und befreiend sein und es schafft die Voraussetzung dafür, ein Leben lang Lernender und Hörender zu bleiben. Primär Gott gegenüber, aber andere Menschen, Kulturen (und damit auch Religionen) gehören eben dazu.

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4 Antworten auf „Weisheit: Ein Lernender bleiben“

  1. „…dass empirisches Vorgehen und vernünftiges Handeln legitim ist und dass man von den Erfahrungen anderer Völker und Kulturen durchaus etwas lernen kann.“ – wirklich?
    Hier kommt einmal mehr die umstrittene Stelle Sprüche 3, 5-8:
    „5 Vertraue auf den HERRN mit deinem ganzen Herzen und stütze dich nicht auf deinen Verstand! 6 Auf all deinen Wegen erkenne nur ihn, dann ebnet er selbst deine Pfade! 7 Sei nicht weise in deinen Augen, fürchte den HERRN und weiche vom Bösen! 8 Das ist Heilung für deinen Leib, Labsal für deine Gebeine.“
    Das interessante an den Sprüchen ist doch gerade, daß Weisheit hier nicht als „etwas“ sondern als „jemand“ auftritt, die von der Person Gottes nicht getrennt zu denken ist und damit unweigerlich mit der Gottesfurcht verbunden einhergehend.
    Ein Gedankengebäude aufgrund empirischer Befunde und logischer induktiver wie deduktiver Schlüße hat deshalb meines Erachtens nichts damit zu tun, genausowenig spirituell entlehnte „Weisheiten“ anderer Religionen und Kulturen (Vers 7). Die Verheißung hängt an der Gottesfurcht und damit an der Beziehung zu einer Person.

  2. Ohne von deinem letzten Satz etwas wegnehmen zu wollen und zu müssen, Jürgen: Bei dem Lernen (das ja tatsächlich so stattfand), ging es nicht um Gedankengebäude und abstrakte Theorien, sondern um die Integration einzelner Erfahrungen und Erkenntnisse in den Glauben Israels. Aber man war offen.

    Für uns bedeutet das, dass wir empirische Wissenschaft als Christen kritisch nutzen können und sogar alternative Heilmethoden wie Akupunktur nicht verteufeln müssen. Und es spielt dabei keine Rolle, ob die Leute, die das entwickelt haben, nun Christen waren oder nicht.

    Die Alternative zu dieser Offenheit wäre, dass ich nur noch das glaube, was ich schon weiß und was (in meiner Lesart wenigstens) in der Bibel steht. Alles andere wäre verdächtig. Aber das kann ja nicht gut gehen. Da müssten wir schon zu den Amish ziehen…

  3. Ich denke auch, daß die Erkenntnisse empirischer Wissenschaft an sich weder gut noch schlecht sind.
    Ich fands in dem Zusammenhang nur interessant mal drüber nachzudenken, inwieweit „Leben im Geist“, was auch immer das für den einzelnen im Alltag bedeutet, überhaupt mit Rüchgriffen auf Erfahrungswissen zu tun hat, wenn man z.B. Moses Scheitern anschaut, das sich ja aus Zweifeln und Anwendung von Vorerfahrungen zusammensetzt, die aber in dem Moment gar nicht gefragt waren, wie also unser Erfahrungswissen der Kreativität und Aktualität von Gottes Handeln im Weg stehen könnte.
    Im übrigen denke ich für mich nicht, die Bedeutungen des in der Bibel stehenden schon voll zu wissen oder zu erfassen, auch wenn ich sie schon mehrmals durchgelesen hab. Gerade das immer wieder in Bezug auf meine Alltagssituationen auszuloten ist spannend genug, bevor ich mich gleich nach Alternativlösungen auf dem Markt umschaue.

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