Irrtumslosigkeit

Das spätmodern-rechtsevangelikale Dogma der “Irrtumslosigkeit der Bibel” hat mit knappem Vorsprung den Preis für die lausigste theologische Erfindung bei Faith & Theology abgeräumt. Ben Myers hat dazu einen kurzen Kommentar geschrieben, und Chris Tilling hatte sich schon vor längerer Zeit in einem vierteiligen Post damit aus einer evangelikalen Perspektive kritisch auseinander gesetzt.

Dscf1066-1
Neben allem, was andere schon gesagt haben, ist mir hier auch noch ein ganz praktischer Aspekt dieser Frage wichtig: Wenn wir (in verschärfter Fortschreibung der altprotestantisch-orthodoxen Lehre von der Verbalinspiration) die Bibel für irrtumslos und unfehlbar erklären, dann berauben wir uns selbst der Möglichkeit, die Bibel mit der Bibel zu kritisieren. Eine Talibanisierung der Christenheit könnte die Folge sein – geistige Isolation und wachsende Militanz in vielerlei Hinsicht.

Thomas Cahill (der, nur bevor jetzt manch einer gleich lospoltert, im Übrigen durchaus der Meinung ist, dass Gottes Geist hinter der Entstehung der Schrift steht und sie vorantreibt, nur eben nicht so) hat es gut auf den Punkt gebracht:

Doch selbst wenn wir keine neuzeitlichen wissenschaftlichen Methoden heranziehen und die palimpsestartige Inkonsistenz der hebräischen Bibel außer Acht lassen, müssen wir bestimmte Passagen der Bibel als unwürdig für einen Gott, an den wir glauben wollen, zurückweisen. Im Buch Josua etwa lesen wir, wie Gott den Israeliten befiehlt, alle Kanaaniter, selbst die Kinder, mit dem Schwert zu töten, und in den Psalmen finden sich wiederholt Gebete, in denen Gott aufgefordert wird, sämtliche Feinde des Dichters auf brutale Art und Weise umzubringen. (…) Selbst die glühendsten religiösen Eiferer müssen zugeben, dass diese Dinge das Werk von Menschen waren, die sich fälschlicherweise eingeredet haben, Gott stünde auf ihrer Seite. (Abrahams Welt. Wie das jüdische Volk die westliche Zivilisation erfand, S. 215f.)

Technorati Tags: , ,

Share

4 Antworten auf „Irrtumslosigkeit“

  1. Jetzt wird es auch für mich wieder interessant 😉

    Die Josua-Geschichten sind für mich auch ein Stück weit unverständlich, keine Frage. Aber sie zurückweisen?
    Die Psalmen (Bsp. 137) sind mir da viel näher: Hier drückt der Beter seinen Vergeltungswillen im Gebet vor Gott aus. Gut, dass sich solche Gefühle ehrlich eingestanden und vor Gott ausgesprochen werden können. Aber: Beim Aussprechen muss es bleiben, „die Rache ist des Herrn“. Am Ende bleibt die Bitte um ein erneuertes Herz (Ps. 139).

    Bestimmte Passagen „als unwürdig für einen Gott, an den wir glauben wollen“, zurückzuweisen, geht mir zu weit. Hier ist wieder der Mensch letzte Instanz. Ich entscheide von meinem Gottesbild her, was in der Bibel bleiben darf und was nicht. Ist das nicht Götzendienst?

    Die Ecken und Kanten mancher biblischen Geschichten in mein Glaubensmosaik zu integrieren ist sehr viel herausfordernder.

  2. Ich denke, was Cahill hier meint, ist gerade nicht, dass man das Anstößige aus der Bibel streicht. Nur kann man eben nicht pauschal alles zum Wort Gottes erklären, „weil es in der Bibel steht“, ohne inhaltlich zu werten und abzustufen: Nämlich dass sich Gott in bestimmten Passagen und Aussagen sehr viel klarer offenbart als in anderen. Wenn Jesus „das“ Wort Gottes ist, dann ist es die Schrift in einem anderen und auch sehr viel differenzierteren Sinn. Und ihr Inhalt muss als ein fortschreitender historischer Entwicklungsprozess verstanden werden.

  3. „Wort Gottes“ bezieht sich ja im NT auch nicht auf „die Schriften des AT“. Ich sehe auch eine fortschreitende Offenbarung, das ist keine Frage. Von meinem persönlichen Verständnis von 2Tim 3,16 und 2Petr 1,21 her ergibt sich Inspiration als Konformität des vom menschlichen Schreiber ohne Ausschaltung seiner Persönlichkeit Verfassten mit dem göttlichen Aussagewillen. Und von daher gesehen sehe ich die „Ausradierung“ (muss man ja so klar und schmerzhaft sagen, wie es ist) der Kanaaniter als klar offenbarten Willen Gottes. Das befremdet mich und es schmerzt und ich ringe damit.

    Aber Luthers „Was Christum treibet“ riecht mir dann doch wieder sehr nach Subjektivität.

    Interessant wäre die Frage des Zusammenhangs zwischen einer solchen Korrektur im Sinne von „Das entspricht nicht dem Wesen Gottes“ und Gedanken des Universalismus. Was nicht heißen soll, dass ich letztere nicht auch träume…

Kommentare sind geschlossen.