Gott im „Ich“?

Ich finde die Praxis der Kontemplation eine ganz wertvolle und unverzichtbare Sache. Allerdings scheint mir, dass ich die dazugehörige Theorie manchmal erst in mein theologisches Koordinatensystem übertragen muss. In den letzten Woche habe ich das neue Buch von Franz Jaliczs gelesen. Ab und zu stolpere ich dabei über Aussagen wie diese, wo er davon spricht, die „Welt der Dualität“, wie er es nennt, hinter sich zu lassen:

Er ist kein Objekt, kein Gegenüber, das ich als Subjekt erkennen und kontaktieren kann. Wenn ich mich als ein „Ich“ von ihm abgrenzen (Subjekt) und ihn mit einer Du-Anrede von mir ausschließen könnte (Objekt oder Gegenüberstehendes), wäre er nicht mehr Gott. Gott kann man nicht begrenzen. Gott kann ich nicht von mir ausschließen, indem ich ihn als ein Gegenüber behandle. Gott ist überall und in jedem Geschöpf und auch nirgends, weil er nicht in Zeit und Raum eingeordnet werden kann. In der Wirklichkeit kann ich ihn viel mehr mit „Ich“ ansprechen als mit „Du“. Deswegen hat auch Mose Gott als „ich bin“ erkannt. Ich muss Gott in mir finden. Dort ist er unmittelbar da. (S. 141)

In der Tradition der Mystik, etwa bei Meister Eckhart, gibt es freilich viele ähnliche Aussagen. Ich denke, dass ich erahnen kann, was gemeint ist. Trotzdem finde ich die gewählte Sprache schwierig. Und die Exegese zum Gottesnamen, gelinde gesagt, sehr gewagt.

Miroslav Volf setzt sich in Von der Ausgrenzung zur Umarmung mit dieser Frage, ob die Grenzen des Selbst am Ende völlig aufgehoben werden, kritisch auseinander. Wie Jaliczs geht auch er von der Trinität als Vorbild aus. So wie sich dort Einheit und Unterschied nicht aus- sondern einschließen, Vater und Sohn also zu jedem Zeitpunkt unterscheidbar bleiben, aber nicht zu trennen sind, so gilt das auch für die Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch:

Wenn sich die Trinität so der Welt zuwendet, werden der Sohn und der Geist in dem schönen Bild des Irenäus die beiden Arme Gottes, durch die die Menschheit erschaffen und in Gottes Umarmung aufgenommen wurde (vgl. Adversus Haereses 5,6,1). Dieselbe Liebe, die in der Trinität in sich nicht abgeschlossene Identitäten erhält, ist darauf aus, „in Gott“ Raum für die Menschheit zu schaffen. Die Menschheit ist jedoch nicht einfach der Andere Gottes, sondern der geliebte Andere, der zum Feind geworden ist. Wenn Gott sich daran macht, den Feind zu umarmen, ist das Kreuz das Ergebnis. Am Kreuz öffnet sich der tanzende Kreis der Selbsthingabe und gegenseitigen Einwohnung der göttlichen Personen für den Feind; in der Qual der Passion hält die Bewegung für einen kurzen Augenblick an und ein Riss erscheint, so dass die sündige Menschheit mitmachen kann (vgl. Johannes 17,21). Wir, die anderen – wir, die Feinde – werden von den göttlichen Personen umarmt mit derselben Liebe, mit der sie einander lieben, und deretwegen sie für uns in ihrer ewigen Umarmung Raum schaffen.

Also begegne ich Gott nicht als einem Fremden, ich begegne ihm nicht nur außerhalb meiner Selbst, sondern auch in mir (das darf man dann gern „Seelengrund“ nennen). Man muss aber das „Du“ nicht als etwas Ausgrenzendes missverstehen, wie Jalics es explizit tut. Nicht einmal der johanneische Jesus, der ja deutlich anders spricht als der synoptische, kann auf das „Du“ verzichten. Freilich will niemand Gott zum Objekt machen im Sinne des Ich/Es von Martin Buber. Aber hinter das richtig verstandene „Ich und Du“ geht es auch nicht richtig zurück, und da soll es vermutlich auch gar nicht.

Klar kann man Gott nicht begrenzen. Aber Gott hat sich in der Schöpfung selbst begrenzt und zurück genommen, damit Raum für etwas anderes entstehen kann. An dieser Vorstellung hängt theologisch viel zu viel, um sie zu verwischen oder aufzugeben. Zugleich hört Jalizcz ja keineswegs auf, vom „Ich“ zu reden, das ja in seiner Auffassung als Gegensatzpaar den Gedanken der Abgrenzung ebenso transportiert wie das „Du“. Das ist zumindest missverständlich.

Vielleicht wäre eine etwas entwickeltere Pneumatologie die Lösung für die Spannung, die Jalicz beschreibt. Der Heilige Geist fristet in diesem Buch jedenfalls ein Schattendasein, aus dem man ihn befreien sollte. Wenn wir überhaupt von „Unmittelbarkeit“ reden wollen, dann wohl am besten so, dass der Geist verbindet, ohne die Unterschiede obsolet zu machen.

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Pfingstkirchen und „geistliches Kapital“

Dieses Symposium an der USC – exakt 100 Jahre nach der legendären Azusa Street Revival – ist schon ein paar Jahre her, aber es enthält ein paar spannende Studien über die Pfingstbewegung und ihren gesellschaftlichen Einfluss, vor allem in Afrika, mit interessanten Ergebnissen.

In Deutschland trifft man an dieser Stelle noch viel Unkenntnis, Vorurteile und Missverständnisse an. Sieht man genau hin, dann schaffen Pfingstgemeinden eine Menge „soziales Kapital„!

Gastgeber bzw. Moderator ist der bekannte Soziologe Peter L. Berger, er kommentiert die drei Referenten.

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Sehr bemerkenswert

Da habe ich gestern noch auf ein paar Sätze von Kardinal Woelki zur Sexualethik hingewiesen, und nun lese ich überrascht, dass in den USA kein geringerer als Alan Chambers, Präsident von Exodus International, offenbar schwer am Umdenken ist, was seine bisherige Position zur Therapierbarkeit homosexueller Orientierung angeht. Er distanziert sich von dem Konzept der „reparative therapy“.

Die New York Times hat das Thema aufgegriffen. Dort wird auch erwähnt, dass sich Chambers Rücktrittsforderungen ausgesetzt sieht, weil er nicht bestreitet, dass Homosexuelle „in den Himmel kommen“. Chambers wiederholt diesen inklusiven Standpunkt in einem TV-Interview, das auch auf Chambers‘ Blog zu sehen ist. Vielleicht ist diese Aussage auf lange Sicht noch wichtiger. Ganz ausführlich kommt Chambers in The Atlantic zu Wort. Er vertritt immer noch (wie Woelki) eine relativ konservative Theologie, aber in einem sehr moderaten Tonfall, der dieser sehr gereizten Debatte definitiv gut tut.

Der Vorstand von Exodus International soll außerdem beschlossen haben, sich jeglicher Kriminalisierung von Homosexualität zu widersetzen. Den breiteren Hintergrund der Entwicklung in den USA beleuchtet aktuell dieser Artikel in der Zeit.

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Bemerkenswert

Die Zeit zitiert Kardinal Woelki mit der für offizielle katholische Verhältnisse doch bemerkenswerten Aussage:

»Ich halte es für vorstellbar, dass dort, wo Menschen Verantwortung füreinander übernehmen, wo sie in einer dauerhaften homosexuellen Beziehung leben, dass das in ähnlicher Weise zu heterosexuellen Partnerschaften anzusehen ist.«

Woelki bestätigt das Zitat im Interview, bekräftigt zugleich das Bekenntnis der römischen Kirche zu Ehe und Familie, und sagt außerdem:

»Man hüte sich, sie in irgendeiner Weise ungerecht zurückzusetzen«, heißt es im Katechismus über Menschen, die homosexuell veranlagt sind. Wenn ich das ernst nehme, darf ich in homosexuellen Beziehungen nicht ausschließlich den »Verstoß gegen das natürliche Gesetz« sehen, wie es der Katechismus formuliert. Ich versuche auch wahrzunehmen, dass da Menschen dauerhaft füreinander Verantwortung übernehmen, sich Treue versprochen haben und füreinander sorgen wollen, auch wenn ich einen solchen Lebensentwurf nicht teilen kann.

Bemerkenswert ist das insofern, als Woelki nicht die Unterschiede, sondern die Gemeinsamkeiten in den Mittelpunkt stellt. Ist das nur freundliche Rhetorik dessen, der weiß, dass sich an der offiziellen Position ohnehin nichts ändern wird, ist das eine Einzelstimme, oder deutet sich da tatsächlich eine gewisse Offenheit an?

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„Predigt“ die Kleidung mit?

In regelmäßigen Abständen gerate ich in Diskussionen über liturgische Gewänder. Dort begegnen mir die unterschiedlichsten Argumentationen (meist pro, selten contra): Psychologische (der Amtsträger „fühlt“ sich anders und wird anders wahrgenommen), ästhetische (das Gewand verweist auf die Dimension der Heiligkeit und Transzendenz eines Gottesdienstes) und pragmatische (wenigstens gibt es keine Diskussion über andere Formen von Dresscode und Uniformierung, wie man sie z.T. in Freikirchen vorfindet). Bei besonderen Anlässen erwarten zudem gerade die kirchenfernen Gäste einer Taufe oder Hochzeit, dass um der Festlichkeit willen alles ganz „klassisch“ aussieht.

Alles gute Argumente. Wer will (oder wer keine Wahl hat…), kann das auch gern so handhaben. Warum ich trotzdem keinen Talar tragen will, liegt an einer Information, die ich ausgerechnet vom Leiter eines Prädikantenkurses bekam: Liturgische Gewänder gibt es im Christentum erst seit der konstantinischen Wende, und damals waren sie der Amtstracht römischer Staatsdiener nachempfunden bzw. angepasst. In der Neuzeit waren es dann wieder die Staatsbeamten wir Professoren und Richter, an denen man sich orientierte.

Freilich, richtig verstanden könnte das Signal nur bedeuten, dass man eine höhere Macht repräsentiert und nicht diesen konkreten Staat. Aber den obrigkeitlichen Charakter bekommt man m.E. nicht ganz weg. Und der ist für mich das falsche Signal.

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Das „kleine“ Kreuz

Vielleicht war es der Kreuzträger bei der Beerdigung, an der ich letzte Woche teilnahm, der mich wieder an eine Predigt erinnerte, die ich neulich gehört hatte. Da ging es um Jesu Aufruf, „sein Kreuz auf sich“ zu nehmen und ihm nachzufolgen. Der Prediger erklärte dazu, dabei handele es sich um die Dinge, die einem das Leben eben so zumute und auferlege: Krankheit, ein fieser Chef, lästige Nachbarn, berufliches Scheitern und derlei mehr.

Wenn das so wäre, dann müsste man dieses Kreuz ja gar nicht auf sich nehmen, es würde einem einfach auferlegt. Natürlich gibt es solche Dinge, die uns – ob Christen oder nicht – zugemutet werden, und die sich niemand freiwillig aussucht. Für Jesu Zeitgenossen war das Kreuz aber nicht nur ein vages Symbol, sondern grausame Realität eines Imperiums, das auf Abschreckung durch Gewalt setzte und jeglichen Widerstand damit zu unterbinden versuchte. Wer dem Kaiser trotzte, musste mit Schikanen bis zur physischen Vernichtung rechnen und der totalen Degradierung zu einem hilflosen Bündel aus Blut und Schmerzen.

Also ist das „Kreuz“ Leiden, das man sich mehr oder weniger bewusst einhandelt, weil man sich mit Gott und anderen Menschen identifiziert und sich für sie einsetzt (und dann diffamiert, gemobbt, benachteiligt, ausgeschlossen, verfolgt oder gefoltert wird – nicht immer, aber das weiß man vorher ja nie). Es beginnt mit dem Mitleiden, das nicht immer eine rein innerliche Sache bleibt. Irgendwann verteidigt man zum Beispiel einen Kollegen dem Chef gegenüber und gilt in dessen Augen ab da als Staatsfeind Nummer eins.

In einer abgeleiteten Form ist es auch der ganze Einsatz von Kraft und Zeit, der nötig ist, um sich schon jetzt verändern zu lassen in die Art von Person, die nach Gottes neuer Weltordnung lebt und sie schon unter den Bedingungen der „alten“ Welt sichtbar macht. Auch da geht es ja um Verzicht auf manche Bequemlichkeit oder Disziplinlosigkeit, die man sich herausnehmen könnte, wenn man nicht damit rechnen müsste, in die oben beschriebenen Situationen zu geraten – oder wenn es einem egal wäre, was aus der Welt und den Menschen uns her wird.

Wären wir Christen politische Aktivisten in einem autoritären Staat, dann müssten wir ganz praktisch trainieren, wie man nächtliche Verhaftungen und Verhöre heil übersteht, wie man Folter und Isolation erduldet, wie man Lügen und Erpressungsversuche der Geheimpolizei an sich abprallen lässt. Das würde zu diesem „Kreuz“ im weiteren Sinne dazugehören. Und an viele Stellen der Welt ist ja genau das auch die bittere Realität für viele Christen.

Von daher sind Dinge wie Fasten (als Konsumverzicht) und Teilen, das Gebet und die Meditation (die mich in eine gesunde Distanz zu mir selbst und meinen Mitmenschen bringen und destruktive Reflexe ins Leere laufen lässt), die Beschäftigung mit der Bibel und mit geistlicher Literatur (die mir einen anderen Horizont eröffnet, vor dem ich mich und die Welt betrachte) und regelmäßige Kontakte mit Menschen, die auf demselben Weg sind (niemand schafft das allein) alles Investitionen in eine solche Resilienz. Das kleine Kreuz, sozusagen. Oder das leichte Ende des großen, dessen Stunde durchaus auch eines Tages noch kommen kann.

Weil aber das Kreuz nicht das Ende ist, dürfen wir es an jedem der beiden Enden sogar fröhlich tragen.

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Erst der Freispruch, dann das Geständnis

Oft wurde und wird das Verhältnis von Vergebung und Umkehr so beschrieben: Unter dem Eindruck des Zornes Gottes und dem Urteil seines Gesetzes bricht der Widerstand des Sünders zusammen, er bereut zerknirscht seine Taten und bekennt sich schuldig. Aufgrund der bedingungslosen Kapitulation spricht ihn Gott frei, beziehungsweise er vergibt ihm, verzichtet also auf die Vollstreckung des gerechten Urteils. Das erinnert von fern an eine belagerte Stadt: Bei kampfloser Übergabe wird das Leben der Bewohner verschont.

Vergebung nach christlichem Muster läuft dagegen genau umgekehrt. Da erreicht uns die Botschaft von Gottes versöhnender Liebe als allererstes. Christus starb für uns, sagt Paulus in Römer 5, als wir noch Feinde waren. Gottes Hingabe ist eine zuvorkommende Hingabe, und sie öffnet den Weg für eine Änderung des Sinnes und Handelns. Nur wenn wir verstanden haben, dass alle Schuld, die zwischen Gott und uns verhandelt wird, immer als schon vergebene Schuld auf den Tisch kommt, können wir uns selbst ehrlich betrachten und werden dann an uns selbst auch Dinge entdecken können, vor denen wir lieber die Augen verschließen würden – und sie tatsächlich auch verschließen, so lange wir Gott als den drohenden Gott betrachten.

Zerknirschung mag dann folgen, aber sie ist nicht mehr der Gradmesser, ob man die Vergebung „verdient“, sondern frei geschenkte Einsicht in die Folgen unsrer falschen Haltungen und Entscheidungen. Gott sagt also vorab: „Egal, was es ist (er weiß es ohnehin besser als ich) – Dir ist vergeben. Und wenn Du das verstanden hast, dann schauen wir beide uns jetzt mal in aller Ruhe und Freundschaft an, was das im einzelnen alles war.“ Nicht der Zorn Gottes, sondern seine Güte bewirken die Umkehr (Römer 2,4).

Theoretisch ist das leicht gesagt. Aber erst wenn wir das existenziell erfahren, kann es uns verändern. Und nur eine Umkehr, der die Vergebung zuvorgekommen ist, wird nachhaltige und gründliche Veränderung bewirken. Umkehr aus Angst führt in die Sackgasse des eingeschränkten Gesichtsfeldes und der Verdrängung.

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Pausenzeichen (5)

Die Frage „Was ist das Evangelium?“ habe ich hier immer wieder mal aufgeworfen. Nun haben Walter Faerber und ich uns hingesetzt und ein kleines, aber hoffentlich feines Buch zum Thema geschrieben, das Ende September in der neuen Reihe Einfach Emergent bei Francke erscheint. Der Titel lautet: Evangelium. Gottes langer Marsch durch seine Welt.

Der Titel sagt schon einiges, aber längst nicht alles, was allgemeinverständlich auf den 80 Seiten im Pocketformat steht. Hier der Klappentext:

Das Evangelium ist die Bewegung, mit der Gott geduldig und auf vielen Umwegen seine Welt zurückgewinnt. Peter Aschoff und Walter Faerber verfolgen diesen Weg von seinen Anfängen in Israel und in den Metropolen des römischen Imperiums bis zur globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts. Das Ergebnis: keine zeitlose theologische Formel, sondern ein vielfältiger Weg, auf dem das Evangelium immer wieder neu Gestalt annimmt. Gott lässt sich auf die Fülle menschlicher Kulturen und Persönlichkeiten ein und findet seinen Weg auch in Zeiten voller Unsicherheit und Bedrohung. Aus dieser Sicht sind die Krisen christlicher Großorganisationen in der westlichen Welt kein Grund, um die Zukunft der christlichen Bewegung zu fürchten. Sie sind eher Zeichen dafür, dass etwas Neues im Entstehen ist – aus dem Beten und dem Tun des Gerechten unter den Menschen.

Es ist bei amazon ab sofort vorbestellbar.

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Pausenzeichen (3) Von der Ausgrenzung zur Umarmung

Jetzt ist es online vorbestellbar: Im Herbst erscheint Miroslav Volfs großartiges Werk „Exclusion and Embrace“ unter dem oben genannten Titel auf Deutsch im Francke-Verlag. Hier ist der Klappentext:

In einer Welt voller großer und kleiner Konflikte denkt Miroslav Volf über die großen Themen von Versöhnung, Wahrheit und Gerechtigkeit nach. Seine Frage ist weniger die, welche Strukturen nötig sind, um Frieden und Gerechtigkeit voranzubringen, sondern wie Christen ihre Identität neu bestimmen und leben können, dass sie zu Agenten der Versöhnung zwischen Menschen werden. Seine Antwort setzt beim Gleichnis vom verlorenen Sohn an und wird dann sorgfältig auf ganz verschiedene Konfliktsituationen angewandt. Volf bleibt dabei nicht in taktischem Pragmatismus stecken, sondern fragt weiter nach dem Wesen Gottes und dem Wirken des Heiligen Geistes in menschlichen Beziehungen. Wer im 21. Jahrhundert sein Christsein nicht auf das Private beschränken möchte, findet hier reichlich geistliche Inspiration und geistige Herausforderungen.

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Pausenzeichen (2)

Keine Sorge, ich habe meine Vorsätze nicht über den Haufen geworfen. Zum Glück kann man Blogposts vorab einstellen.

In der letzten Woche habe ich mich mit paulinischer Ethik befasst. Wie passen – auf den ersten Blick vielleicht kleinkartiert wirkende – Laster- und Tugendkataloge zusammen mit dem großen theopolitischen Panorama des kosmischen Christus und seinem Triumph über die imperialen Mächten und Gewalten? Was motiviert christliches Handeln: Furcht vor Gottes Zorn oder die Erwartung der neuen Welt?

Bei Langeweile oder Regenwetter über die Feiertage, einfach hier klicken und zuhören.

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Jesus und die Schlittenhunde

34 Jahre lang hat es gedauert, die Bibel in die wichtigste Sprache der Inuit zu übersetzen. Besonders schwer waren die Begriffe aus Flora und Fauna, aber auch die Lebensverhältnisse des Jägervolkes, das keine Herden und keine Landwirtschaft hat. Und so kümmert sich Jesus als guter „Hirte“ eben um die Welpen der Schlittenhunde statt um Schafe.

Noch schwieriger waren theologische Konzepte zu übersetzen, verrät die SZ. Begriffe für „Erlösung“ fehlen zum Beispiel, ebenso

… Ausdrücke wie Frieden, denn die friedlichen Inuit haben kein Wort dafür. So beschrieb ihn Allooloo [ein 65jähriger Priester, der an der Hudson Bay lebt] als Zustand ohne Krieg oder eine Person, die ruhig ist. Gnade übersetzte er mit „unverdienter Gefallen“, Wunder mit „etwas, das man nicht jeden Tag sieht“.

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Private Tugendhaftigkeit: Wenn gut nicht gut genug ist

Auf der Flucht vor der öffentlichen Auseinandersetzung erreicht dieser und jener die Freistatt einer privaten Tugendhaftigkeit. Er stiehlt nicht, er mordet nicht, er bricht nicht die Ehe, er tut nach seinen Kräften Gutes. Aber in seinem freiwilligen Verzicht auf Öffentlichkeit weiß er die erlaubten Grenzen, die ihn vor dem Konflikt bewahren, genau einzuhalten. So muss er seine Augen und Ohren verschließen vor dem Unrecht um ihn herum. Nur auf Kosten eines Selbstbetruges kann er seine private Untadeligkeit vor der Befleckung durch verantwortliches Handeln in der Welt reinerhalten. Bei allem, was er tut, wird ihn das, was er unterlässt, nicht zur Ruhe kommen lassen.

Dietrich Bonhoeffer, Ethik (hier gefunden)

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Sinnklaubereien

Vor einer Weile habe ich hier den Begriff „Leib“ schon einmal reflektiert. Kürzlich bin ich beim Lesen von Kolosser 2,12f. wieder ins Nachdenken gekommen. Dort steht nämlich eine auf den ersten Blick ziemlich merkwürdige Aussage:

In ihm habt ihr eine Beschneidung empfangen, die man nicht mit Händen vornimmt, nämlich die Beschneidung, die Christus gegeben hat. Wer sie empfängt, sagt sich los von seinem vergänglichen Körper. Mit Christus wurdet ihr in der Taufe begraben, mit ihm auch auferweckt, durch den Glauben an die Kraft Gottes, der ihn von den Toten auferweckt hat.

Wörtlich übersetzt heißt es am Ende von V. 12: „legt seinen Leib des Fleisches ab“, und man fragt sich, ob Paulus zum Gnostiker mutiert ist, dessen größte Sehnsucht es ist, der physisch-materiellen Welt und dem Gefängnis des Körpers zu entfliehen, um als reiner Geist in die Sphären ewigen Glücks zu entschweben.

Wie sich die Übersetzer ein „Lossagen“ vom eigenen Leib vorstellen, würde mich ja auch sehr interessieren. Und es wäre eine Untersuchung wert, welche dieser Text im Lauf der Jahrhunderte bei der Entstehung eigenartiger asketischer Bußpraktiken gespielt haben könnte. Aber hat er auch einen Sinn für „Normalos“?

Er hat, wenn man die Begriffe richtig versteht. Zuerst den Begriff „Leib“. Bei Jünger habe ich die hilfreiche Formulierung gelernt: Der Mensch ist „Leib“, insofern er ein Weltverhältnis hat. Nur weil wir leiblich existieren, kommunizieren wir auch und stehen in Beziehung zu anderen. Dieses „Weltverhältnis“, das es hier abzulegen gilt, wird weiter bestimmt durch den Begriff „Fleisch“. Damit wird nicht nur auf die physische Vergänglichkeit und Gebrechlichkeit Bezug genommen, sondern „Fleisch“ kann bei Paulus als eine gottferne und gottwidrige Macht erscheinen, von der Menschen befreit werden müssen, beziehungsweise als ein Modus des Menschseins, der sich gegen Gott verschließt – etwa in Galater 5. Diese Art, in Streit und Konkurrenz auf andere und Gott zu reagieren, gilt es tatsächlich abzulegen.

Die Taufe als christliches Pendant zur jüdischen Beschneidung, so wäre die Aussage im Gesamtzusammenhang dann zu lesen, geht weiter als diese, weil sie einen grundlegenderen Wandel bewirkt und ermöglicht. Sie betrifft nicht nur einen symbolischen Teil des „Leibes“, sondern unsere komplette Existenz. Sie nimmt nicht nur etwas weg, sondern sie bringt etwas Neues ins Spiel, für das die Beschneidung der Platzhalter war, der Hinweis auf etwas, das noch ausstand.

Also muss ein Getaufter (das war schon der Streit mit den Galatern) nicht auch noch beschnitten werden, um zum Volk Gottes zu gehören. Nicht Abraham ist für ihn der Einstiegspunkt in Gottes Heil, sondern der auferstandene Christus, dem er vertraut. Dessen Kraft verändert nun alle Beziehungen: Die zu mir selbst (ich erkenne mich als geliebten Menschen), zu den Mitmenschen (ich kann den anderen lieben) und zu den Mächten und Gewalten, deren Zwänge und Drohungen ihre Wirkung einbüßen. Das ist natürlich idealisiert. Tatsächlich ist es ein ständiges Ringen, sich so verwandeln zu lassen. ( vgl. 1,29)

In diesem veränderten Bezug auf die Umwelt entspricht der Glaubende also den veränderten Verhältnissen, die seit der Auferstehung Jesu von den Toten gelten. Es ist insofern eine prophetische Existenz, als weder die Mächte selbst noch das Gros der Menschheit schon erkannt hätten, dass deren unterdrückerische Macht nur noch auf Illusionen und leeren Drohungen beruht.

Sie ist der Nährboden für Zivilcourage, unangepasstes Leben und friedliche (aber keineswegs harmlose) Revolutionen. Zum Beispiel auch davon, sich freizuschwimmen von den Erwartungsschablonen unserer Gesellschaft. Neulich habe ich mich mit ein paar jungen Christen über deren Erwartungen und Lebensträume unterhalten und war hinterher deprimiert, wie oft da Haus, Beruf, Partner und Glück zu hören war, aber nicht mehr als das. Nicht weiter und größer denken zu können, visionär verarmt zu sein, im Materiellen und Privaten erst auf- und dann unterzugehen, das ist das Werk der „Mächte und Gewalten“ der Konsumgesellschaft. Deren Wucherungen gilt es zu beschneiden oder ihnen kontinuierlich abzusterben. Die Taufe ist der Auftakt dieses Prozesses. Derzeit haben wir noch viel Luft nach oben.

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Hinkende und tanzende Brüder

Schon vor einer Weile erschien dieser Aufsatz von Peter Zimmerling über den Grafen Zinzendorf und sein Verhältnis zum Pietismus. Zinzendorf war ja in Halle erzogen worden, wo Francke das Bekehrungserlebnis und den „Bußkampf“ zum primären Kriterium wahren Christseins erhoben hatte. Zinzendorf lehnte das ab und orientierte sich dabei an Luther: Der Zwang zu Vergewisserung in Heilsfragen anhand des Ausmaßes eigenen, individuellen Sündenbewusstseins führt in die falsche Richtung. Zimmerling zitiert:

Nämlich eines genuinen [=echten] Pietisten Sache ist, sein Elend und Verderben zu figieren [= vorzustellen] bis ans Ende seines Lebens, und nur zum Trost auf die Seite des Heilands [= die Seitenwunde Jesu, d.h. die durch ihn vollbrachte Erlösung] zu schielen, unser Prinzipium aber ist, auf die Seite das Auge unverwandt zu figieren und mit Leib und Seele dahinein zu fahren, aber auf die Sünde und das Elend nur zuweilen und zur Beugung und Moderation [=Mäßigung] der Freude zu schielen […]. Ein solcher [Pietist] ist ein hinkender Bruder, der eben den Weg hinkt, den wir [Herrnhuter] tanzen.

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Den Glauben der Armen ernst nehmen

Stefan Silber beschreibt in Mission und Prophetie in Zeiten der Interkulturalität, wie eine Theologie der Religionen durch die Perspektive der Armen aus der Befreiungstheologie berührt und verändert wird. Dabei lehnt er eine universalistische Vereinnahmung aller Religionen (etwa bei John Hick) ab, weil diese nicht mehr zwischen Gott und Götzen unterscheiden kann und daher auch das zweifellos vorhandene Unheil, das konkrete Religionen auch bewirken können, nicht richtig in den Blick nimmt. Das geht bestenfalls in den Studierstuben westlicher Intellektueller auf, aber nicht im globale Süden. Silber plädiert für einen anderen Ansatz:

Die Armen sind religiös. Dies gilt für die große Mehrheit der Armen im globalen Maßstab im Unterschied zu den meist säkularisierten Armen Europas. Die Armen verstehen sich vielfach sogar zuerst als religiöse, und dann erst als arme Menschen. Aufgrund des Kontextes der Armut leben sie ihre Religiosität in aller Regel in Differenz zu den Entwürfen ihrer religiösen Autoritäten und nicht selten in mehreren Systemen zugleich.

Aus der Perspektive der Armen sind diese religiösen Ausdrucksformen nicht als defizitäre oder verderbte Praxisformen einer Hochreligion zu verurteilen. Sie sind kreative Antworten auf die Offenbarungen Gottes, die ihnen in einer konkreten Situation von Unterdrückung und Gewalt mitten im Pluralismus der Regionen zuteil geworden sind. Ihre Pluralität und oft auch ihre Ambivalenz schuldet sich dem Kontext der Armut, aus dem sie erwachsen. Eine Theologie, die aus der Option für die Armen einen epistemologischen Vorrang dieses Kontextes ableitet, wird diese Pluralität nicht abwerten, sondern als eine Herausforderung betrachten, in ihr die Wege Gottes aufzuspüren. Die Religionen der Armen werden daher in der Theologie der Befreiung gerade auch in ihrer Pluralität anerkannt, nicht weil hinter allen Religionen derselbe Gott vermutet würde, sondern weil der plurale Kontext der Armut der bevorzugte Ort der Offenbarung Gottes ist.

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