Erst der Freispruch, dann das Geständnis

Oft wurde und wird das Verhältnis von Vergebung und Umkehr so beschrieben: Unter dem Eindruck des Zornes Gottes und dem Urteil seines Gesetzes bricht der Widerstand des Sünders zusammen, er bereut zerknirscht seine Taten und bekennt sich schuldig. Aufgrund der bedingungslosen Kapitulation spricht ihn Gott frei, beziehungsweise er vergibt ihm, verzichtet also auf die Vollstreckung des gerechten Urteils. Das erinnert von fern an eine belagerte Stadt: Bei kampfloser Übergabe wird das Leben der Bewohner verschont.

Vergebung nach christlichem Muster läuft dagegen genau umgekehrt. Da erreicht uns die Botschaft von Gottes versöhnender Liebe als allererstes. Christus starb für uns, sagt Paulus in Römer 5, als wir noch Feinde waren. Gottes Hingabe ist eine zuvorkommende Hingabe, und sie öffnet den Weg für eine Änderung des Sinnes und Handelns. Nur wenn wir verstanden haben, dass alle Schuld, die zwischen Gott und uns verhandelt wird, immer als schon vergebene Schuld auf den Tisch kommt, können wir uns selbst ehrlich betrachten und werden dann an uns selbst auch Dinge entdecken können, vor denen wir lieber die Augen verschließen würden – und sie tatsächlich auch verschließen, so lange wir Gott als den drohenden Gott betrachten.

Zerknirschung mag dann folgen, aber sie ist nicht mehr der Gradmesser, ob man die Vergebung „verdient“, sondern frei geschenkte Einsicht in die Folgen unsrer falschen Haltungen und Entscheidungen. Gott sagt also vorab: „Egal, was es ist (er weiß es ohnehin besser als ich) – Dir ist vergeben. Und wenn Du das verstanden hast, dann schauen wir beide uns jetzt mal in aller Ruhe und Freundschaft an, was das im einzelnen alles war.“ Nicht der Zorn Gottes, sondern seine Güte bewirken die Umkehr (Römer 2,4).

Theoretisch ist das leicht gesagt. Aber erst wenn wir das existenziell erfahren, kann es uns verändern. Und nur eine Umkehr, der die Vergebung zuvorgekommen ist, wird nachhaltige und gründliche Veränderung bewirken. Umkehr aus Angst führt in die Sackgasse des eingeschränkten Gesichtsfeldes und der Verdrängung.

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16 Antworten auf „Erst der Freispruch, dann das Geständnis“

  1. Spannende Sicht. Wenn mich ein Mensch um Vergebung bitten würde für bspw. unüberlegte Kommentare würde ich nicht auf sein Verhältnis zu Jesus schließen können, wollen und dürfen.

    Jesus diente den Menschen in dem er sie heilte, ihnen vergab und sie trotz aller Fehler liebte – wohl die effektivste Form des Lehrens.

    Die Belagerung einer Stadt wäre heutzutage demnach wohl eher Menschenwerk, nicht Gottes Werk und auch sie wäre vergeben.

    Danke Vater, dass Du Deinen Sohn zur Vergebung aller Sünden geopfert hast. Danke Herr

  2. Ja, genau.

    „Wir werden nicht durch unsere Versprechen Gott gegenüber verändert, sondern durch seine Versprechen uns gegenüber.“ Zitat
    Er hat uns zuerst geliebt….
    Wie schön, dass du das hier schreibst. Ich habe in der Vergangenheit leider auch zu oft die andere Version gehört und irgendwie geglaubt…..zuerst muss ich, damit Gott kann….und verarbeite immer noch die Auswirkungen, solche die sich positiv anfühlen und die anderen.

    Danke fürs Teilen.

  3. Hallo,

    diesen Artikel finde ich sehr gut. Denn die VERGEBUNG ist eines der lebenswichtigen Grundlagen für ein befreites LEBEN Nach dem VATER UNSER in Matthäus 6, 9-13 verstärkt JESUS in den folgenden zwei Versen dieses lebenswichtige Thema für ein befreites LEBEN:

    9 Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt. 10 Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. 11 Unser tägliches Brot gib uns heute. 12 Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. 13 Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.1 [Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.]

    Hier in den Versen 14 + 15 lösen sich nun die „Ketten“ der „Nichtvergebung“, des „Todes“ und der „Verdammnis“:

    14 Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben.

    15 Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.

    Danke für den guten Artikel.

    Sei reichlich gesegnet!

    Günter

  4. @Mik: Ich würde sagen: Die Beichte bzw. der persönliche Zuspruch der Vergebung ist ein Weg, wie Versöhnung und Vergewisserung („es ist alles gut zwischen uns“) geschieht.

  5. @Peter: Ich hab die Beichte wie sie in der kath. Kirche praktiziert wird als Vorläufer von Seelsorge und „zwischenmenschlicher Gemeindearbeit“ eingeordnet. Nach der Beichte erfolgt Gebet und der Geistliche spricht (an Christi statt) „von Mensch zu Mensch“ die Vergebung der Sünden zu, aber genau weiss ich es nicht.

    Die Vergebung die Menschen sich gegenseitig zusprechen, war für mich nicht einfach. Es hat lange gedauert bis ich verstanden hatte, dass in mir etwas frei wird, wenn ich anderen Menschen vergebe. Am Anfang stehen Gebet und Entschluss. Es braucht Zeit bis sich die Veränderung im Inneren vollzieht aber irgendwann realisiert man, dass der Groll und die Verletzungen davon geweht sind. Das war mir ein großes Geschenk.

    Ich hab kürzlich erst Manipulation, Verletzung der Privatspähre (Mailer geknackt) und geistlichen Missbrauch vergeben müssen. Das wird irgendwann gut sein. Das weiß ich und es ist gut so.

  6. Du hast Recht damit, dass Gott uns zuerst geliebt hat… Das ist die göttliche Perspektive.

    Aber im Erleben der Menschen kommt da nicht beides zusammen?
    Meinst du, dass Luthers Ansatz – zuerst Gesetz, dann Evangelium – falsch ist?

    Predigte Petrus nicht zuerst über die Sünde des Volkes, bevor das Volk fragte, was es tun kann… und Petrus eröffnet ihnen dann den Weg… ?

  7. @Viktor: So wie ich Apg 2 lese, predigt Petrus dort über Gott, der seine Verheißungen erfüllt, dann über die Auferweckung Jesu von den Toten, und erst dann über die Umkehr seines Volkes…?

  8. @Peter: Jap. Meine ehrliche Frage ist, ob nach dem Erleben des Menschen nicht zuerst Einsicht der Verlorenheit (Gesetz) und dann Evangelium kommen muss?

    1. Mein ehrliche Erwiderung: Ich denke, nein. Weil es weder psychologisch noch von der Schrift her so aufgeht. Wahre Selbst- (und damit Sünden-)Erkenntnis gibt es nur im Licht der Gnade und des Evangeliums. Echte Umkehr erst recht.

  9. Muss es nicht erst Recht vor Gnade geben, damit es Gnade vor Recht geben kann?
    Wie glücklich die Menschen, welche die große Last ihrer Sünde gespürt und begriffen haben, das sie verdammungswürdig sind und dann Gottes Freispruch und Gnade erfahren.
    Gibt es ohne tiefes und bitteres Tal der Sündenerkenntnis und Verlorenheit denn wirklich ein warmes Licht der Gnade Gottes? Wird nicht erst durch das Angesicht des Grauens vor der Sünde und ihrer Folgen der Blick für die Tat Jesu geschärft?
    Erging es Luther, Withfield und Spurgeon nicht in dieser Reihenfolge so und hat sie dass nicht zu wirksamen (wenn auch nicht fehlerfreien) Dienern Gottes gemacht, deren Einfluss durchaus positiv bis in unsere Zeit reicht?
    Allzuoft sehe ich, dass diesen Tälern kaum oder keine Zeit eingeräumt wird und die Menschen ohne enge Pforte und schmalen Weg in Scharen in ein vermeintliches “ Reich Gottes“ eingehen und einen Schein der Frömmigkeit haben, deren Kraft aber verleugnen und letzlich eher schädlich als hilfreich sind.

  10. Dein Hinweis auf Luther u.a. zeigt den Kern des Problems: im Lauf der Jahrhunderte haben viele versucht, sich selbst einen Weg nach dem Modell Luther zu verordnen. Und das kann nicht funktionieren. Schon allein deshalb, weil Luther keinen Luther als Vorbild hatte. Das ist ein grundlegender Unterschied: Luther hat sich seinen Weg selbst gesucht, er hat nicht versucht, sich und sein Denken nach dem Vorbild eines anderen zu gestalten. Trotzdem haben spätere Generationen gedacht, sie müssten alle die Luther-Erfahrung nachmachen. Aber man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen.
    Zwar hat sich Luther an Paulus orientiert, und das hat ihm sehr geholfen. Paulus selbst hatte aber in Wirklichkeit ganz andere Probleme als Luther. Wie man überhaupt der Bibel Gewalt antun muss, wenn man da überall bei den Berufungen von Menschen Gottes vorher das „Grauen vor der Sünde“ finden will. Bei den Jüngern Jesu finde ich das jedenfalls nicht (auch nicht in Lukas 5,8-9!).
    Die Sündenangst war eher ein Produkt der mittelalterlichen Kirche vor Luther als biblisches Denken. Und wenn man diese Erfahrung (von der Luther ja gerade befreit wurde) zur Notwendigkeit für Leute erklärt, die sie nicht wie Luther schon durch eine unterdrückerische Kirche mitbringen, wird das Ganze eine künstliche und oft personenzerstörende Konstruktion. Es gibt in der Bibel sehr vielfältige Wege zu Gott. Und ich möchte lieber biblisch denken als mich auf ein lutherisches Modell festlegen.
    Oder um es noch einmal mit Worten aus den Gefängnisbriefen Bonhoeffers zu sagen: „Wenn Jesus Sünder selig machte, so waren das wirkliche Sünder, aber Jesus machte nicht aus jedem Menschen zuerst einmal einen Sünder. Er rief sie von ihrer Sünde fort, aber nicht in ihre Sünde hinein. Gewiss bedeutete die Begegnung mit Jesus, dass sich alle Bewertungen der Menschen umkehrten. So war es bei der Bekehrung des Paulus. Da ging aber die Begegnung mit Jesus der Erkenntnis der Sünde voran.“ (Widerstand und Ergebung, Brief vom 30.6.44)

  11. @Matthias: Das Verhältnis Gnade und Recht läuft einfach ganz anders. Es ist für Paulus im Römerbrief ja eben Gottes Gerechtigkeit, die ihn dazu bringt, zu vergeben und Versöhnung zu schaffen. Gerechtigkeit bedeutet dabei nämlich nicht, jeder kriegt, was er verdient, sondern Gott bleibt seinen Verheißungen treu, alles aus der Welt zu schaffen, was Menschen zerstört und von ihm trennt.
    Luther (dasselbe gilt für Whitfield und Spurgeon) war mit seinem Bild eines strengen, strafenden Gottes eben Kind seiner Zeit, wie Walter schon sagte. Er hatte das nicht aus dem Evangelium, sondern von seiner Umgebung „gelernt“. Heute ist dieses Gottesbild (Luther hat viel dazu beigetragen) weitgehend überwunden, bis auf ein paar Biotope vielleicht. Höllen- und Sündenängste haben anderen Konflikten, Phobien und Neurosen Platz gemacht. Man grämt und schämt sich vielleicht nicht derselben Dinge wegen, ist aber dennoch nicht unbedingt freier.
    Was den „Bußkampf“ angeht (auf den läuft Dein Schema ja irgendwie hinaus), gab es ja schon im Pietismus heftige Kontroversen. Zinzendorf konnte das gar nicht so sehen wie Francke.
    Und schließlich der Verdacht der „billigen Gnade“ – der geht m.E. auch ins Leere. Nachfolge ist doch nicht weniger herausfordernd, nur weil sie mit der Vergebung beginnt statt mit der Verdammnis. Die Zumutungen (etwa meinerseits anderen zu vergeben) bleiben doch bestehen…?

  12. Wie ist es mit:
    „Lasst uns größere Sünder werden, damit wir Ihn noch mehr lieben?“ Ich denke da an Jesus bei Simon und der Sünderin. „Wem viel vergeben ist, der liebt viel und wem wenig vergeben ist, der liebt wenig“.
    Dass meint ja nicht, dass man „mehr“ sündigen sollte, aber dann doch dies, das man erkennt, „das in mir, das ist in meinem Fleisch, NICHTS gutes wohnt“ und dass mich die Erkenntnis über die eigene Bosheit und Verdorbenheit demütig und dankbar werden läßt vor Gott, der einen solchen „Schuft“ (Amazing Grace …) wie mich rettet, sich über Ihn erbarmt und Ihn liebt.und annimmt. „Die Sünde hätte ich nicht erkannt als nur durch das Gesetz“
    Dem reichen Jüngling antwortet Jesus mit dem Gesetz, um deutlich zu machen, dass der Reiche dieses nicht gehalten hat es und es auch nicht kann. Der Jüngling betrog sich selbst und Gott selbst und Jesus liebte ihn immer noch. Seinen Reichtum wollte er um Jesu willen aber nicht aufgeben und ging … Wir kenne die Geschichte.
    Ich bin Gott persönlich dankbar, dass ich auch Angst vor dem Moment bekommen habe, vor Gott zu stehen und wo ER mit mir nichts anfangen kann und ich von Ihm weg muss — letzlich in die Hölle. Besser, man erlebt dies im Leben und kann reagieren als im Tod, ohne Chance zur Umkehr. Man hat vielleicht vor vielem Furcht (Menschen, Umstände, Zukunft etc.), aber vor allen „Furchten“ ist diese doch die wichtigste und realste. Wenn man sich fürchtet, dann aber auch richtig. „Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet euch aber viel mehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle.“
    Alle anderen Schrecken würden mit Ablauf des Lebens beendet sein, der Schrecken der Hölle fängt für jeden Ungläubigen sicher nach dem Tod an.
    Übrigens wußte ich, als ich etwas von diesem Schrecken der Verlorenheit gemerkt habe, nichts von Luther o. so bzw. was dieser durchgemacht hatte. Gleichzeitig muss ich im Nachhinein bemerken, dass solche „Bekehrungsgeschichten“ nicht unbedingt sehr gefragt sind. Dass man von dieser Angst als Motiv irgendwann hin zur Liebe zum Retter kommt, sollte aber die normale Entwicklung sein.
    Vielleicht vermisse ich die „blauen Predigen“ (AUFATMEN) á lá Busch, die meines Erachtens eine sehr dynamisches und weites Spektrum des Wesens Gottes ausdrücken — Seinen Zorn über Sünde und Ungerechtigkeit, aber genauso sein Kreuzestod mit aller Gnade, Liebe und Wahrheit.
    Mit dem „Schwinden“ und „Abnehmen“ der Hölle und er Schlechtigkeit des Menschen in Predigten schwindet auch die ewige Bedeutung des Kreuzestodes Jesu und auch das „Gute“ am Evangelium erfährt darauf hin immer wieder eine Neu- und Umdeutung, da man die Extreme von Himmel und Hölle gerne meidet und sich evtl. was dazwischen sucht, was „Gut“ ist.

  13. @Matthias: Als persönliche Präferenz kann ich das mit der Furcht gern stehen lassen. Und innerhalb der „blauen“ Logik ist das, was ich sagen will (und was m.E. auch die Schrift, richtig verstanden, meint) eben nicht darstellbar, ohne dass dieser Effekt eintritt, dass in Ermangelung der dunklen Folie auch das Licht nicht mehr so hell zu leuchten scheint. Vielleicht dauert es eine Weile, seine Augen umzugewöhnen.

    Dass jemand, der erst der Vergebung begegnet und dann zur Selbsterkenntnis gelangt, weniger leidenschaftlich glaubt oder liebt, nur weil weniger Angst im Spiel war, würde ich jedoch entschieden bestreiten.

  14. Hallo,

    diesen Artikel finde ich witerhin sehr gut. Denn die VERGEBUNG ist eines der lebenswichtigen Grundlagen für ein befreites LEBEN.

    Nach dem VATER UNSER in Matthäus 6, 9-13 verstärkt JESUS in den folgenden zwei Versen dieses lebenswichtige Thema für ein befreites LEBEN:

    VATER UNSER

    9 Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt. 10 Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. 11 Unser tägliches Brot gib uns heute. 12 Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. 13 Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.1 [Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.]

    In den Versen 14 + 15 lösen sich nun die “Ketten” der “Nichtvergebung”, des “Todes” und der “Verdammnis”:

    14 Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben.

    15 Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.

    Danke für den guten Artikel.

    Sei reichlich gesegnet!

    Günter

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