Nicht von dieser Welt?

Ab und zu begegnen mir Menschen, die im Blick auf Gott alles ganz genau wissen. Wie er über dieses und jenes denkt, wann wie er im einzelnen die Welt gemacht hat, wen er mag und wer bei ihm nichts zu lachen hat, und so weiter. Gott scheint für sie ein weitgehend gelüftetes Geheimnis zu sein. Als wäre er ein großes Zahnrad im Inneren dieser Welt, das dafür sorgt, dass alles in den Bahnen berechenbarer Ordnung verläuft.

Die Bibel dagegen ist das große Geheimnis. Auf mysteriöse Weise ist sie vom Himmel direkt in die Feder ihrer Autoren geflossen und obwohl sich manches widersprüchlich liest und geschichtlich nach unseren heutigen Maßstäben nicht immer zu hundert Prozent plausibel klingt, obwohl hier und da manche befremdliche Moralvorstellungen aufblitzen, ist sie kein Gegenstand dieser Welt, sondern man muss ihr mit unbedingter Unterwerfung begegnen und darf keine kritischen Fragen stellen.

Das nämlich wäre sündiger Relativismus und dann bekäme man es mit Gott zu tun. Schließlich ist es sein Job, die Autorität der Bibel zu schützen. Noch Fragen?

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Feigenhasser

Über einen Post von Michael Frost auf Facebook fiel mir das folgende Dokument in die Hände. Jetzt wissen wir, warum es vielen Menschen auf dieser Welt so schlecht geht! Ich kann nur sagen: Wer Ohren hat zu hören, der höre…

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Der Tag der Wahrheit

Der erste Kongresstag begann mit extremen Wechselbädern, aber das ist eben auch „Lausanne“. Nach Carver Yu, der sich an einer Grundsatzkritik am Pluralismus (im Sinne eines radikalen Relativismus) versuchte, die etwas grob ausfiel, schlug Michael Herbst deutlich bescheidenere und differenziertere Töne an. Sein Paper steht schon im Netz. Er beschrieb die ostdeutsche Situation und die Notwendigkeit, dass Christen als Minderheit demütig, aber zuversichtlich von Jesus reden lernen.

Unsere Gruppe hatte sich gerade angeregt darüber unterhalten, dann holte Os Guinness zum Paukenschlag aus. Christen dürften nicht ablassen von Anspruch, eine absolute Wahrheit zu vertreten. Wo dieser Anspruch zurückgenommen oder relativiert werde, sei alles verloren. Seine sechs Gründe jedoch waren eher sechs Behauptungen, und auf dem Fuß folgten verbale Ausfälle gegen Christen, die das anders sehen. So aggressiv war noch niemand aufgetreten, und es war angemessen, dass es keine Diskussion mehr gab an den Tischen, denn die „friß oder stirb“-Logik einer monolithisch-propositionalen Wahrheit (die Herbst so schön vermieden hatte) ließ dafür keinen Raum mehr. Leider war eher ein Beleg dafür, dass die Leute, die apologetisch alles an die Wahrheitsfrage hängen und das so steil vertreten, tatsächlich ein gehöriges Aggressionspotenzial darstellen. Schade!

Beruhigend war dafür die Multiplex-Einheit zum Thema Pluralismus. Dort gab es differenziertere stimmen wie die von Robert Calver, die auch auf der Website zum Kongress zu finden ist.

An diesem Tag haben bisher nur Männer gesprochen, die meisten Europäer. Das beste Statement zum Pluralismus waren aber gar nicht deren theoretische Ausführungen, sondern der Beitrag eines Libanesen, der von der Lage der Christen unter 350 Millionen muslimischen Arabern sprach und sagte, ob man diese als Freunde oder Feinde betrachte, lieben müsse man sie allemal. Das hätte Michael Herbst über die Atheisten in Ostdeutschland auch sagen können. Gar nicht richtig angesprochen wurde die Tatsache, dass Säkularisierung immer auch dem Schutz religiöser Minderheiten diente und dass Christen denselben Vorgang der Pluralisierung in islamischen Ländern durchaus begrüßen würden. Insgesamt fand ich das Ganze unbefriedigend.

Ich traf eine südafrikanische Professorin und wir fragten uns beide, warum Desmond Tutu eigentlich nicht da war, wenn der Kongress schien Versöhnung zum Thema hat. Hat man ihn nicht eingeladen, oder konnte er nicht kommen? Bislang ist Afrika eher Kulisse als eine hörbare Stimme, aber vielleicht wird das ja noch anders.

Ich gehe mit sehr gemischten Gefühlen in den Abend. Wie es weitergeht, kann ich Dan im nächsten post erzählen. Das Netz im Kongresszentrum ist notorisch überlastet, ich werde also nicht auf jeden Kommentar antworten und nicht auf alle Mails, so lange ich hier bin. es ist auch wenig Zeit, die Pausen sind kurz und man trifft ständig interessante Leute, gestern Michael Frost, heute Andrew Jones und natürlich die alten und neuen Bekannten aus der deutschen Delegation. Schon, aber auch schwer, das alles zu verarbeiten. Ich hoffe, dass das Stimmungsbild trotzdem interessant ist, und vielleicht hört ja der eine oder die andere mal eine Aufzeichnung an. Es muss ja nicht Guinness sein…

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Wenn der Förster wildern geht

Die Zeitungen haben es während der Sarrazin-Debatte der letzten Wochen ja regelrecht herbeigeschrieben, was Horst Seehofer nun, wenige Tage nach der – inzwischen muss man ja sagen: umstrittenen – Wulff-Rede verkündet hat: Er wünscht keine Zuwanderung aus islamischen Ländern. Ständig wurden Statistiken präsentiert, welches Wählerpotenzial eine Partei rechts der Union angeblich hat. Und dass Angela Merkel vielleicht zu weit in die Mitte gerückt sei.

Da war doch klar, dass jemand diese Schäfchen wieder einsammeln muss, wenn (was ja alle Kommentatoren befürchteten) hier kein deutscher Wilders Karriere machen soll. Also krempelt Seehofer (der eben noch eine sicher nicht stammtischtaugliche Frauenquote für die CSU durchgeboxt hatte) die Ärmel hoch und wildert selbst im dichten Gestrüpp der Sarrazin-Leser und Sympathisanten, um sie wieder bei Mutter CSU zu beheimaten.

Schön ist das nicht, ganz ehrlich ist es vielleicht auch nicht einmal, und ob es wirkt, wird man sehen müssen. So wie jetzt gleich wieder alle pflichtbewusst aufschreien (und dafür sorgen, dass auch der letzte verschreckte Kleinbürger davon erfährt), muss man sich fast fragen, ob das nicht ein abgekartetes Spiel ist: Der populistische Theaterdonner, der kalkulierte mediale Widerhall, ein bisschen Volksheld spielen (der ist in Bayern mangels Küste nicht Pirat, sondern Wilderer), und dann in ein paar Wochen entweder andere zur Versöhnung vorschicken oder alles im Sand verlaufen zu lassen, wenn die Diskussion abebbt.

Wie das geht, sehen wir ja regelmäßig, wenn es um die EU geht. Laut schimpfen und dann doch brav mitmachen. Das geht eben nur in Bayern – hier wildert der Förster selbst. Wir bauchen keinen Geißler, wir haben den Protest gegen die eigene Politik schon in der Person des Landesvaters integriert. Da sollte sich Herr Mappus mal eine Scheibe von abschneiden…

Und weil wir alle keine Rechtspartei wollen, spielen wir mit: Bitte etwas öffentliches Seehofer-Bashing, möglichst aufgeregt und ohne zu viel Augenzwinkern. Ein paar von uns (es können ruhig dieselben sein) müssen in etwa drei Tagen schreiben, das müsse man doch noch sagen dürfen, wenn es schon so viele empfinden. Dann nochmal ein kleiner Reigen der Kritik, ein paar vermittelnde Worte der Kanzlerin (Nachtrag: voila – hier sind sie auch schon), die den Tanz beruhigen, und alles geht fast so weiter wie bisher. In einem Jahr trifft man sich diskret zum Bier und schmunzelt drüber.

Alles klar?

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Kaputte Kicker

Die Bayern in der Krise – was wurde da nicht alles geschrieben, gespottet und geunkt in den letzten Wochen. Die bekannten Reflexe abgründiger Schadenfreude sind zurück, selbst bei Zeitgenossen, die normalerweise fair und besonnen sind.

Freunde wie Feinde sollten einfach mal dieses nachdenkliche Interview mit Philipp Lahm lesen. Danach, danke ich, kann kaum einer, der im Sommer Deutschlandfähnchen geschwenkt hat (oder heute abend auf einen Sieg gegen die Türkei hofft), sich guten Gewissens an der Bayern-Misere weiden. Oder das beliebte Klischee der Arroganz bemühen.

Es geht nicht um Mitleid oder Sympathie, sondern einfach um sowas wie Achtung. Auf dem Platz jedenfalls ist Nachtreten verboten – zu Recht.

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Jeder Christ ein Fanatiker?

Das hier schon gelegentlich zitierte Buch von Schleichert ließ sich nach dem trockenen Beginn recht gut an, inzwischen jedoch quäle ich mich eher durch die Seiten. Nicht, weil es nicht verständlich wäre, sondern weil Schleicherts geballte Vorurteile nun richtig zu Buche schlagen.

Der kurze Abschnitt über subversives Argumentieren brachte wenig Neues. Dagegen verdichtet sich der Eindruck, dass jede Religion, die „heilige Texte“ hat (bei Ideologien, die Schleichert ursprünglich auch einbeziehen wollte, gibt es das genau genommen ja gar nicht), zu Fundamentalismus, Intoleranz und Gewalt neigt, weil die in diesen Texten (d.h. Bibel und Koran) ja enthalten und nicht zu tilgen sei. Folglich sind auch moderate Vertreter (er bezieht sich hier auf Christen und gelegentlich auch Juden) nur als inkonsequent zu betrachten, im Grund haben die Fanatiker den eigentlichen Glauben besser verstanden. Nun gehe es darum, Fanatikern wie Gemäßigten vor Augen zu führen, was sie da eigentlich Verrücktes und Schlimmes glauben.

Subversiv gedacht müsste man nun fragen, wo wir hinkämen, wenn – was leider nicht ausgeschlossen scheint – zum Beispiel die Kontrahenten in Sachen Stuttgart 21 nun nach folgender Maxime von Schleichert handelten (S. 118):

Den Gegner ernst nehmen, heißt vor allem, sein intolerantesten, bösartigsten, extremsten Sentenzen und Programm ernst nehmen, und niemals zu sagen, dass es „so schlimm schon nicht kommen wird“.

Es folgt der unvermeidliche Hinweis auf „Mein Kampf“. Im Prinzip macht Schleichert hier mit Christen nichts anderes, als was Alice Schwarzer und andere momentan mit dem Islam machen: Er unterstellt, dass der Extremist die eigentliche Norm sei und man daher immer mit dem Schlimmsten zu rechnen habe. Für Schwarzer ist jemand wie Tariq Ramadan nur der raffinierteste Verführer von allen – Christopher Hitchens lässt grüßen (hier ein lesenswerter Beitrag von William T. Cavanaugh zur Problematik). Auch Schwarzer verweist natürlich auf „Mein Kampf“. Das Gute an dieser Logik ist, dass man sich so mit den vielen Beispielen gar nicht mehr beschäftigen muss, die die eigene These gefährden könnten.

Nun kann man als Christ weder leugnen, dass es in der Vergangenheit kirchlich sanktionierte Gewalt gab, noch dass es heute militante Christen gibt. Man kann höchstens versuchen, letztere als Randerscheinung abzutun. Oder als Verirrung: Die eigentliche Aufgabe wäre dann der Nachweis, dass religiöser Gewalt aus christlicher Sicht immer ein Missverständnis der Bibel in ihrer Gesamtheit zugrunde liegt. Der wiederum scheint mir nur gelingen zu können, wenn man die unterschiedlichen biblischen Texte nicht pauschal und eindimensional als wörtlich eingegeben und unfehlbar betrachtet, sondern begründen kann, dass manche Texte (z.B. die Bergpredigt) ein höheres Gewicht haben als andere (z.B. Texte über den Bann und den Heiligen Krieg im AT). Oder anders gesagt: dass es (im krassen Unterschied zu „Mein Kampf“) durchaus eine innerbiblische Bibel- und Sachkritik gibt. Wo das versäumt oder unterlassen wird, da wird man weiter mit dem Verdacht leben müssen, ein ambivalentes Verhältnis zu Zwang und Gewalt zu pflegen, das nur aus taktischen Gründen Zurückhaltung übt, solange die Mehrheitsverhältnisse ungünstig sind. Hier bei uns fragt man sich das momentan im Blick auf dem Islam, in den USA muss man jedoch diese Sorge eher beim Christentum eines Glenn Beck und der Teaparty-Bewegung (und deren Verklärung von Krieg, Todesstrafe und Waffenbesitz) haben – oder manche fragwürdige Synthese von Orthodoxem Christentum und Staatsmacht in (Süd-)Osteueropa.

Man kann nun natürlich den Spieß umdrehen und fragen, ob nicht auch die säkularistische Position ganz ohne Heilige Schriften dieselbe Ambivalenz aufweist und nun ihrerseits vor dem Dilemma steht, ohne Rekurs auf einen Kanon nachweisen zu müssen, dass solche Auswüchse nicht in der Konsequenz der Anschauung liegen, sondern ihrem Wesen zuwiderlaufen – ein ebenso unmögliches Unterfangen; ob wir also mit einer Erziehungsdiktatur zu rechnen haben, deren Konsequenzen aus Angst vor dem Islamismus auch von Christen unterschätzt werden.

So gesehen ist es interessant, Schleichert aus dieser doppelten Perspektive zu lesen: Wie geht er hier mit Christen um – und warum sollte es erlaubt sein, als Christ Muslimen gegenüber dieselbe Logik anzuwenden? An den Islam gerichtet stellt sich aber auch die Frage, ob es (wie in weiten Teilen des westlichen Christentums) in der Koranauslegung plausible Ansätze gibt, die zu einer im umfassenden Sinn gewaltfreien Praxis führen, und das verlässlich und dauerhaft. John Milbank, der das Dreieicksverhältnis von Christentum, Islam und Aufklärung untersucht, sieht in den mystischen Strömungen des Islam eine größere Offenheit in dieser Richtung.

Viele interessante Fragestellungen also…

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Die Guten schaffen sich ab

Wer bereit war, sein Leben eher zu opfern, als seine Kameraden zu verraten, (…) wird oft keine Nachkommen hinterlassen, seine edle Natur zu vererben. Die tapfersten Leute, welche sich stets willig fanden, sich im Krieg an die Spitze ihrer Genossen zu stellen, (…) werden im Mittel in einer größeren Zahl umkommen als andere Leute.

Das wird man ja wohl noch sagen dürfen… dass der pessimistische Gedanke, der derzeit so viele Gemüter erhitzt, von Charles Darwin stammt (hier gefunden). Die Logik ist unerbittlich – wenigstens so lange man fraglos akzeptiert, dass Krieg (militärisch, ökonomisch, religiös oder kulturell) die Grundmetapher des Lebens ist.

Nichts Neues also, davon sang Billy Joel auch schon, dass die Guten zu früh sterben, wenngleich er diese Tragik verdächtig fröhlich besingt:

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Fanatismus: Was bringt interne Kritik?

Kritik von Außen zieht bei Fanatikern selten, sie wird ja erwartet oder gar bewusst provoziert. Ein Weg wäre daher die interne Kritik. Man lässt sich auf die Denkvoraussetzungen des Gegenübers ein und versucht, den Fehler darin zu finden. Im Christentum bedeutete das oft genug, „dieselbe Bibel anders zu lesen“, sagt Hubert Schleichert.

Der Humanist Castellio etwa argumentiert gegen Calvins Intoleranz nicht, indem er dessen Ansichten komplett verwirft (nach dem Motto: Wer andere verbrennt, der kann nicht Recht haben), sondern er akzeptiert Calvins Theologie im Wesentlichen. Einserseits wird solch ein interner Kritiker eher gehört, für Außenstehende (und spätere Generationen) scheint er sich jedoch in den abstrus erscheinenden Details zu verhaspeln. Ähnlich wirkt heute die Argumentation mancher Aufklärer gegen den Hexenwahn. Ich würde noch dazu setzen: Heute wundern wir uns über Theologen (bzw. distanzieren uns), die rassistische Sprache und Denkmuster stehen ließen und zugleich versuchten, die Kirche vor den Nazis und gelegentlich auch Juden vor dem KZ zu retten. Und die Argumentation islamischer Feministinnen sieht anders aus als die von Alice Schwarzer. Die Frage ist, wer mehr bewirkt. Also fragt Schleichert (S. 96):

Vielleicht muss, solange überhaupt gekämpft werden muss, stets maskiert gekämpft werden, halb maskiert jedenfalls. Paradox formuliert: Sobald man laut und ohne Einschränkung sagen darf, dass es weder Teufel noch Hexen gibt, braucht man es eigentlich nicht mehr zu sagen.

Andere Möglichkeiten interner Kritik sind

  • aus den jeweils heiligen Texten auszuwählen und andere Schwerpunkte zu setzen. Schleichert hält das von der logischen Seite her für schwierig, weil man entweder die Autorität der Texte zu akzeptieren hat oder sie komplett verwirft. Ich halte diese Argument im Blick auf den biblischen Kanon und innerbiblische Sachkritik für nicht ganz zwingend. Notfalls, so sagte schon Luther, muss man Christus gegen die Schrift treiben, und er hatte eine Art Kanon im Kanon. Heute mag das anders aussehen als zu seiner Zeit.
  • Der Nachweis innerer Widersprüche gelingt oft schwer, weil er formalisierte Systeme voraussetzt; er wird von den Anhängern einer Ideologie zudem heftig bestritten werden. Schleichert fragt etwa, wie das denn zusammenpasse, dass Moses der demütigste Mensch gewesen sein soll und dann an einem Tag dreitausend Mann töten lassen könnte. Aber das sei eben nur unter bestimmten Bedingungen ein Widerspruch, andere sehen auch den Todesbefehl als Akt demütigen Gehorsams an (wir hatten dieselbe Problematik letzte Woche im Blick auf Lüge bzw. vorsätzliche Täuschung).
  • Man kann nun auch mit unterschiedlichen Textschichten argumentieren (der frühe Darwin/der späte Darwin, um mal ein anderes Beispiel zu wählen) oder anstößige Passagen durch allegorische Deutung zu entschärfen (z.B. das Hohelied als Bild der Liebe von Christus und Gemeinde, nicht als erotisches Gedicht über ein noch nicht verheiratetes Paar).
  • Interessant sind auch die Ausnahmen, die mancher bei der Forderung nach Toleranz macht (etwa: Ausländer ja, aber nur bestimmte). Hier zitiert Schleichert John Locke, der zwar religiöse Toleranz fordert, Atheisten davon aber ausdrücklich ausnimmt, mit folgender Begründung:

Doch sind diejenigen ganz und gar nicht zu dulden, die die Existenz Gottes leugnen. Versprechen, Verträge, Eide, die das Band der menschlichen Gesellschaft sind, können keine Geltung für einen Atheisten haben. Gott auch nur im Gedanken aufzuheben, heißt alles dies aufzulösen. Außerdem können die, die durch ihren Atheismus alle Religion untergraben und zerstören, sich nicht auf eine Religion berufen, auf die hin sie das Vorrecht der Toleranz fordern könnten.

  • weiter kommt man mit subversiver Kritik, wie sie sich in Voltaires Bibelkommentar findet. Der Absatz bei Schleichert ist spannend zu lesen, ebenso wie der Exkurs über wahre und falsche Propheten und das Dilemma von Orthodoxien gegenüber jedem Anspruch neuer Offenbarung. Der Grundkonflikt von Offenbarungsreligionen wird nicht nur in zahlreichen Sektenbildungen anschaulich, sondern auch im Verhältnis von Christentum, Judentum und Islam. Christen glauben, dass sich Gott in Jesus offenbart und damit die Offenbarung des ersten Testaments erfüllt und überbietet, aber sie lehnen den Anspruch Mohammeds ab, der 600 Jahre später den Anspruch erhob, von einem Engel eine weitergehende Offenbarung empfangen zu haben. Mit den Mitteln der Vernunft lässt sich das kaum entscheiden.
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Fanatismus: einige zwiespältige Argumente

Ein Dauerthema dieses Blogs ist die Frage, wie Christen in einer pluralistischen Gesellschaft dem Evangelium entsprechend leben können. Insofern sind Fanatismus und Toleranz zwei Begriffe, die ständig am Horizont erscheinen. Ob es sich um Kreuze und Kopftücher handelt, Sarrazin und die Integration, islamistischen Terror und westliche Reaktionen, Ökumene, Umgang mit Homosexualität und vieles mehr.

Hier vernünftige Grenzen zu ziehen und Unterscheidungen zu treffen ist wichtig – und folgenreich. Hin und wieder benutzen wohlmeinende Zeitgenossen dabei hochbrisante Argumentationsmuster. Vielleicht kann das auch gar nicht ausbleiben, wenn man sich auf dieses zerklüftete Terrain begibt. Trotzdem ist es gut, wenn man das Risiko wenigstens ahnt.

Wenn ich also im Folgenden ein paar Stichworte aus Hubert Schleicherts Wie man mit Fundamentalisten diskutiert, ohne den Verstand zu verlieren aufgreife, dann kann man das im Blick auf christlichen Fundamentalismus hören (den gibt es seltener in einer echt militanten, häufiger in einer dogmatischen Variante, die allerdings auch handfeste politische Konsequenzen hat), man kann es aber auch im Blick auf islamische Hardliner, dogmatischen Atheismus wie Christopher Hitchens oder, um einmal ein ganz anderes Beispiel zu wählen, auch mal im Blick auf die Diskussion, wie eine Demokratie mit Neonazis und anderen Verfassungsfeinden umgehen soll.

Keines dieser Argumente, sagt Schleichert, ist in sich rundweg falsch oder kategorisch abzulehnen. Er exerziert es zudem am Beispiel von Calvin und Augustinus vor, nicht weil die besonders böse Menschen waren, sondern weil es lange genug her ist, so dass niemand sich sofort auf den Schlips getreten fühlen muss.

Da ist zunächst das Gefährdungsargument: der Häretiker (oder Abtrünnige/Andersdenkende) wendet sich gegen die Wahrheit, die ihm bereits klar vor Augen stand. Dass das größeren Anstoß erregt, als wenn jemand den Glauben (egal an was genau) schlicht ignoriert oder missversteht, liegt auf der Hand. Es stellt, so Schleichert, „die innere Wirksamkeit der christlichen Doktrin in Frage“ (S. 70). Nur mal so: Nach 1945 Nazi zu sein ist schlimmer als vorher – oder?

Spannend ist in diesem Zusammenhang auch das folgende Zitat aus neuerer Zeit von Karl Rahner – es wäre interessant zu wissen, ob sich kirchliche Sektenbeauftragte heute darauf noch beziehen:

Wer für den unmittelbar tödlichen Ernst einer Entscheidung darüber, ob dieser oder jener Satz wahr ist, keinen Sinn hat, der kann die christliche Einschätzung der Häresie nicht verstehen. […]. Denn hier wird die absolute Wahrheit, die schon in geschichtlich eindeutiger Weise ausgesprochen gegeben war, verloren […].
Das Heidentum […] bedeutet keine Gefahr für den Christen, der sich schlicht als weitergekommen, überlegen […] ansehen kann. Aber all das ist anders beim Häretiker: […] er verlässt das Ziel und gibt dabei vor, es allein zu besitzen. Ihm Gutgläubigkeit zuzubilligen, fällt daher dem Christentum schwerer als dem […] Ungläubigen gegenüber […]. Wie sollte er schuldlos […] das richtige und das gefälschte Christentum nicht auseinanderkennen? Er ist der Gefährlichste: er bekämpft die wirkliche und endgültige Wahrheit.

Es folgt das Hirtenargument, das bei Augustinus klassisch so lautet: Wer seinen Freund in einem Anfall von Fieberwahn auf einen Abgrund zulaufen sähe, würde ihn auch mit allen Mitteln davon abhalten, sich hinunterzustürzen: „Wer einen Tobsüchtigen bindet und einen Schlafsüchtigen aufrüttelt, fällt beiden lästig und liebt doch beide.“ Zugleich muss der verantwortungsvolle Hirte aber noch einen Schritt weitergehen, und darf die Wölfe zum Schutz der Herde nicht schonen.

Repression (lassen wir die Mittel einmal offen) wird gerechtfertigt gegen den Hinweis, dass sie noch lange bzw. an sich kein Umdenken bewirkt, sondern höchstens Heuchelei. Man kann auch an Guantanamo denken, wenn Schleichert hier Beza (er nennt ihn seltsamerweise Bezelius) zitiert mit den Worten aus de haereticis: „Nicht um von ihnen gewaltsam (…) falsche Reue zu erzwingen (werden Häretiker gestraft), sondern damit die Obrigkeit wahrhaft Gott dient (…) und die öffentliche Ordnung, die Lehre und die Sitten bewahrt bleiben.“

Das Gute rechtfertigt für Augustinus auch extreme Mittel: „Die Schläge des Freundes sind besser als die Küsse des Feindes“, das wusste schon Salomo (Spr 27,6). Zwang, der zum Guten dient, ist also etwas ganz anderes als Zwang zum Bösen. Folglich ist Gewalt gegen rechtgläubige Märtyrer qualitativ anders als Gewalt gegen Gotteslästerer. Das würden ein paar Millionen Muslime im Blick auf Kurt Westergaard vielleicht ähnlich sehen. Manche von ihnen verstehen womöglich auch

Toleranz als Ausdruck von Schwäche. Calvin etwa lehnte es ab, dem Beispiel des Gamaliel zu folgen (Apg. 5,34ff), denn dessen Zögern habe nur darauf beruht, dass er zweifelte und daraus die irrige Schlussfolgerung zog, man müsse Gott das Urteil überlassen, so würde sich das Gute von selbst durchsetzen. Manche Polemik gegen „liberale Theologie“ folgt ja derselben Spur: „Wenn die nichts mehr glauben, brauchen sie auch nichts zu verteidigen.“

Beliebt ist auch die Kriminalisierung. Dann wird der Andersdenkende zum Gotteslästerer, seine Theologie zur Blasphemie, er wird als Klassenfeind, Spion oder Kollaborateur verdächtigt. Der Homosexuelle wird zum wahrscheinlichen Kinderschänder, der Loveparade-Besucher zum schamlosen Lüstling, der Nazi per se als so dumm, zurückgeblieben oder geisteskrank hingestellt, dass man ihn zum Schutz der Allgemeinheit wohl doch besser wegsperren sollte. Nur um nicht falsch verstanden zu werden: Bei Neonazis und ihren Organisationen kommen wir tatsächlich kaum umhin, zu fragen, wo die Grenze zur kriminellen Vereinigung überschritten wird. Nur liegt die Dämonisierung anderer auch nicht weit von der Kriminalisierung weg, und die gibt es im frommen Spektrum viel häufiger.

Ein anderer Aspekt sind Denk- und Zweifelsverbote. Ob der Begriff in der Sarrazin-Debatte angebracht war, darüber kann man streiten. Calvins Opus gegen die Irrlehrer schließt mit einer Verwünschung ihrer „viehischen Spitzfindigkeiten“ – folglich erscheint ihm auch schon der suspekt, der Milde für die Abweichler fordert. In manchen christlichen Kreisen betrifft das Denkverbot die Evolutionslehre oder die Frage, wie eng man die Inspiration der Schrift zu verstehen hat, oder man verbietet den Widerspruch gegen bestimmte kanonische Autoritäten und sanktioniert das entsprechend.

Zum Schluss nennt Schleichert noch das Distanzierungargument: Der Rechtgläubige verfolgt den Häretiker nur aus Pflicht und aus Liebe, und nicht aus Selbstgerechtigkeit oder weil ihm das klammheimlich Spaß macht und Genugtuung verschafft. Solche Leute gibt es auch, aber mit denen hat der Gerechte nichts zu tun. Aktuell könnte man folgern: Es gibt Leute, die wollen muslimische Einwanderer aus dem Land oder aus der Öffentlichkeit bzw. den Sozialkassen verbannen (oder zur Assimilation drängen), weil sie Angst haben, oder neidisch sind, oder einen Sündenbock brauchen. Andere tun das aus tiefer, selbstloser Sorge um das Gemeinwohl.

So weit der spärlich kommentierte Überblick. Über die Folgen mache ich mir noch Gedanken, lese weiter und melde mich dann wieder an dieser Stelle. Wem langweilig ist oder wer das Thema vertiefen möchte, kann hier einen anregenden Artikel von John Milbank über Christentum, Aufklärung und Islam lesen

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Mach ’nen Kult draus

Vielleicht – nein, hoffentlich! – gibt es diese Diskussion ja nur in den USA. Ein Mädchen und seine Mutter klagen gegen eine Schule in North Carolina, die ein Nasenpiercing verbietet. Das Verbot ist seltsam genug. Richtig schräg wird es, weil sie es unter Verweis auf die Religionsfreiheit aushebeln wollen. Die beiden gehören zur „Church of Body Modification“ (die überzeugt mit sehr appetitlichen Fotos auf ihrer Website).

Also ich warte ja nur darauf, dass bei der geltenden Rechtslage nach Raucherclubs nun überall Qualmkirchen aufmachen…

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Tabubrecher aller Länder…

Der Beifall für Thilo Sarrazin unter Evangelikalen hat mich in den letzten Wochen doch beunruhigt. Vielleicht ging es dabei nicht einmal um die Sache, sondern um das (meiner Meinung nach nicht unbedingt berechtigte) Empfinden, dass hier jemand von einer linken Medienmeute gelyncht wird, weil er „die Wahrheit“ gesagt und auf „Fakten“ verwiesen hat, die von allen anderen angeblich tabuisiert und totgeschwiegen wird. Solche Erfahrungen kamen vielen vertraut vor, Eva Herman hatte in mancher Augen für ihre Thesen zu Kind und Familie schließlich ähnliches erleiden müssen, in einschlägigen Kommentaren dazu klang auch schon einer gewisse Christenverfolgungs-Rhetorik an.

Unbehagen gegenüber dem Islam kommt dann noch dazu, wie auch eine gewisse Bitterkeit über Kritik und Häme, die man in der Öffentlichkeit für bestimmte Moralvorstellungen einstecken musste. Nun wagt jemand mit tatkräftiger Unterstützung von Bild („Jede Wahrheit braucht einen Mutigen…“) einen scheinbar ähnlichen „Tabubruch“ und erhält dafür große Zustimmung. Dreht sich der Wind? Und wäre das nicht eine herrliche Gelegenheit, dem eigenen Frust auch einmal Luft zu machen, indem man sich mit Sarrazin solidarisiert? Zumal einem selbst doch diese Solidarität versagt geblieben ist…?

Nun, dasselbe haben anscheinend auch Erika Steinbach und der Bund der Vertriebenen empfunden und eine Spur zu deutlich gesagt, was sie immer schon dachten, aber nie klar zu sagen wagten, schließlich war es (aus guten Gründen) auch ein „Tabu“, etwa dass Polen den zweiten Weltkrieg im Grunde mit verschuldet haben soll. Steinbach war (zu Recht, wie sich nun deutlich zeigt) zu einer echten Belastung des deutsch-polnischen Dialogs und die Stiftung „Flucht – Vertreibung – Versöhnung“ geworden, was wiederum polnischen Scharfmachern in die Hände spielte, die es natürlich auch gibt. Steinbach & Co haben sich damit als Revisionisten geoutet.

Für mich bedeutet das: Wir sollten mit Opfer- und Märtyrerposen oder Begriffen wie „Schauprozess“ sehr, sehr sparsam umgehen. In der Geschichte der Kirche sind viele Unterdrückte nur allzu schnell zu Unterdrückern geworden. Sarrazin hat nach allem, was man inzwischen bei Freunden und Gegnern lesen kann, ja nichts wirklich Neues gesagt, sondern es war der Ton und der grob gestrickte publizistische Auftakt seiner Veröffentlichung, sowie das Nachlegen mit kruden Argumenten, das ihm den verdienten Gegenwind einbrachte (und ihn zum zweifelhaften „Volkshelden“ machte).

Zuletzt: Tabubrecher wie die Knalltüte Terry Jones will ja dann doch niemand wirklich haben. Eine christliche Subkultur, die ihre Verfolgungskomplexe hätschelt und trotzig mit Tabubrüchen und politischen Unkorrektheiten kokettiert, droht solchen Wahnsinn jedoch auf Dauer zu begünstigen.

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Beschützt und geborgen

Nach ein paar Tagen in den Schweizer Bergen muss ich mal einen Dank loswerden – an die eidgenössische Luftwaffe. Die hat uns mit zahlreichen Überflügen das beruhigende Gefühl vermittelt, dass am Himmel oben jemand stets über uns wacht. Man kann ja nie wissen, welche Schurken gerade irgendwelchen Terror aushecken, daher ist präventive und demonstrative Verteidigungsbereitschaft so entscheidend in dieser unsicheren Zeit.

Besonders spektakulär waren die donnernden Loopings zweier Jetpiloten am Mittwoch am wolkenlosen Himmel über Grindelwald. Zuerst habe ich noch überlegt, ob dem staunenden Urlauber hier neben dem Schutz auch Unterhaltung geboten wird. Dann fiel mir ein, dass Loopings und ähnlich verschlungene Manöver zum Standardrepertoire der Alpenflieger gehören müssen. Wenn man mit Überschall länger als ein paar Minütchen geradeaus fliegt, hat man nämlich schon den heimischen Luftraum verlassen…

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Harte Zeiten für Vampire

Mittwoch mittag am Ostbahnhof in Berlin. Ich kaue das Produkt einer großen Sandwich-Kette und blicke durch die Glasscheibe hinaus Richtung Ausgang. Eine automatische Schiebetür öffnet und schließt sich, während Reisende den Bahnhof betreten oder verlassen. Auf – zu. Auf – zu.

Plötzlich wird das monotone Kommen und Gehen interessant: Eine Frau geht auf die Tür zu, aber die öffnet sich nicht. Die Frau geht ein paar Schritte zurück und nimmt einen neuen Anlauf – wieder nichts. Sie wippt auf den Zehenspitzen, sie wedelt mit der Hand – nichts. Unverrichteter Dinge dreht sie ab und verschwindet aus meinem Blickfeld.

Ich starre auf die Tür. Ist sie kaputt? Jemand nähert sich von außen. Sie öffnet sich und schließt sich wieder hinter der Person. Dann kommen zwei Leute von innen. Die Tür funktioniert tadellos. Ich versuche mich zu erinnern: Hatte die Frau nicht irgendwie transsilvanisch ausgesehen? Schattenkreaturen wie Vampire und Geister sieht man ja angeblich nicht im Spiegel. Da wäre es ja auch kein Wunder, wenn Bewegungsmelder sie ignorieren. Also stolpern sie über dunkle Flure und müssen Umwege in Kauf nehmen – die moderne Seite des alten Fluches. Vielleicht sieht man sie deshalb so selten.

Nachdenklich schlucke ich den letzten Bissen herunter. Es fühlt sich gut an, Mensch zu sein. Sogar die automatischen Türen sind uns untertan…

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Weisheit der Woche: Weitblick

In Krisenzeiten braucht man eine etwas weiter ausgreifende Perspektive als den Rat des Mainstreams und das Klein-Klein des bloßen Durchwurstelns

Jürgen Habermas – hier zitiert

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