Back to the Future

Neulich fragte mich ein Freund, wozu ich ein Buch über Keltisches Christentum schreibe. Eigentlich geht es mir dabei nicht um die Vergangenheit, sondern um die Kirche der Zukunft:

  • Sie versteht sich als gemeinsam gelebte Mission
  • Sie schlägt Brücken in fremde, sogar feindliche Kulturen
  • Sie bringt Originale hervor, keine Funktionäre und Hierarchien
  • Sie erzählt das Evangelium als Geschichte der Neuschöpfung unserer gefallenen Welt
  • Sie lebt eine ganzheitliche Spiritualität, ohne Heiliges und Profanes, Geistliches und Weltliches zu trennen
  • Sie betet mit Leidenschaft und nimmt alle Künste zu Hilfe, um Gott zu loben
  • Sie ist mobil, flexibel und liebt das Abenteuer
  • Sie staunt über die Schöpfung und liebt die Menschen
  • Sie verbindet einfachen Glauben und höchste Gelehrsamkeit

Beim Schreiben habe ich entdeckt, dass ich am Tag des Heiligen Columbanus geboren wurde. Ich wusste doch, dass da eine Verbindung war 😉

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Coole Regeln

Was man von Apple lernen kann, hat Harris Collingwood zusammengestellt. Es sind ein paar bemerkenswerte Gedanken dabei:

  • Großartigkeit (excellence) übertrifft alles: Auf unseren Kontext übertragen würde das bedeuten, dass Halbherzigkeit unser größter Feind ist. Nicht neu, aber wahr. Manchmal lohnt es sich, an Details eine Weile zu tüfteln und sie durchdacht und liebevoll zu gestalten.
  • Sich für eine Geschichte entscheiden und dabei bleiben: Unsere Identität macht sich in Geschichten fest, die man zwar fortschreiben, aber nicht wie ein Hemd wechseln kann. Es dauert lange genug, bis sich jemand in einer Gemeinde als “Insider” fühlt. Wer die Story ohne zwingenden Grund wechselt, macht alle vorübergehend zu Fremden. Keine gute Idee. Die Apple-Story (pfiffige Underdogs und Befreier einer fremdbeherrschten Welt) ist übrigens nicht so schlecht. Das gab’s doch schon mal?
  • Sich seine Freunde gut aussuchen und sich seine Feinde noch besser aussuchen, das ist unter Christen eine spannende Sache. Aber wir müssen wohl lernen zu unterscheiden, welche Partnerschaften uns helfen, Gottes Auftrag zu erfüllen (darum geht es ja, nicht um “cool Sein”) und wo wir uns über Gebühr Probleme einhandeln. Streitlust trifft oft genug die falschen. Von manchen Dingen (und Personen/Gruppen) muss man sich aber auch klar abgrenzen. Ein Schmusekurs mit George Bush etwa lässt unsere “Story” in einem reichlich Licht erscheinen. Vor allem aber müssen wir gut erklären können, wogegen unser Kampf (den gibt es) sich tatsächlich richtet. Nicht gegen “die anderen” nämlich (auch nicht gegen Bush), sondern gegen zerstörerische Kräfte und Tendenzen, die erst einmal im eigenen Herzen und in den eigenen Reihen überwunden und dann schließlich in unserer Umgebung werden wollen.
  • Dass man schließlich anderen den schwarzen Peter überlassen sollte, muss man erstens nicht zwingend aus Apples Story herauslesen und zweitens hat Collingwood es viel netter formuliert in dem Grundsatz “Show, don’t tell. Let others tell”: Man kann die Tatsachen für sich sprechen lassen. Auch das habe ich schon mal irgendwo gehört…
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Wenn neu, dann richtig!

Heute habe ich Brian McLarens Vortrag aus Princeton gehört. Diese Stelle blieb besonders bei mir hängen, weil sie das Miteinander neuer und “alter” Gemeinden gut beschreibt und die richtigen Konsequenzen zieht:

Der beste Weg, bestehende Gemeinden zu beleben, ist neue Gemeinden zu pflanzen. … Ich glaube, wir müssen unverhältnismäßige, absurde, verschwenderische Beträge in die Pflanzung experimenteller, neuer Gemeinden hineinstecken, die keinen Erfolg garantieren, sondern die so gewagt sind wie nur möglich.

Mein Motto ist, dass bestehende Gemeinden nachahmen und neue Gemeinden innovativ sind (existing churches imitate and new churches innovate).

Das Problem vieler Neugründungen, sagt er dann noch dazu, ist dass sie leider oft nur erfolgreiche Vorbilder kopieren. Dann erreichen wir das Ziel, dass alle von der Anstrengung profitieren, nämlich auch nicht.

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Haltung bewahren

Denken und Handeln im Blick auf die kommende Generation, dabei ohne Furcht und Sorge jeden Tag bereit sein zu gehen, das ist die Haltung, die uns praktisch aufgezwungen ist und die tapfer durchzuhalten nicht leicht, aber notwendig ist. (D. Bonhoeffer)

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Reformatorische Westerwellen

Heute legt mir ein Freund ein Pamphlet hin, in dem jemand erklärt, dass die christliche Kirche seit 1900 (!) Jahren degeneriert. Drunter ein Diagramm, wie es richtig wäre. Ein Glück, dass wir das endlich erfahren. Das finstere Mittelalter, die Zeit der babylonischen Gefangenschaft hat ein Ende und hier ist der Prophet (stopp: Apostel!) der uns den Durchblick verschafft. Er tut das im Übrigen alle paar Jahre mit einer anderen Idee.

Wie verzweifelt muss man eigentlich sein, um auf solche Rhetorik hereinzufallen? Und warum muss jede nette (und meinetwegen auch hilfreiche, richtige, biblische, …) Idee dadurch zum Glänzen gebracht werden, dass man alles andere runtermacht? Gibt es zeitlos richtige Konzepte oder hatten die anderen eben auch in mancher Hinsicht ihre Zeit und Ihr Recht?

Vor 500 Jahren hat man auch mit großem Eifer Reformkonzepte verhandelt. Aber den reformatorischen Vogel hat einer abgeschossen, der gar nicht als Reformator angetreten war, sich erst mühsam in dieser Rolle zurecht fand (im Grunde hat er es nie richtig geschafft), weil er eigentlich nur Gott suchte und das Evangelium verstehen wollte (kein Diagramm…).

Wenn einer vollmundig den großen Wurf ankündigt (statt das Urteil darüber anderen bzw. der Nachwelt zu überlassen, oder – wie wäre das? – Gott selbst!), dann mag ich schon gar nicht mehr weiterlesen. Machen wir es doch eher wie die Bundeskanzlerin: Kleine Schritte, auch wenn Westerwelle (warum fällt mir jetzt ausgerechnet der als Vergleich ein – gibt’s da Parallelen?) über das Trippeln spottet und große Sprünge sehen will.

Den Stein der Weisen lassen wir lieber bei Harry Potter. Reformieren muss jede Generation, aber vielleicht etwas bescheidener im Anspruch nach außen.

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Kulturrelevanz – mal anders

Neulich in Braunschweig feierte man am 11.11. die Eröffnung des Karnevals. Ein paar Nasen standen mit Narrenkappen in der Fußgängerzone herum und versuchten mit kläglichem Erfolg Stimmung zu machen. Aus den Lautsprechern kamen einige hundert Watt Unterstützung, aber das Ganze zündete offensichtlich nur bei den wenigen, die auf Bierbänken hockten und schon kräftig ins Glas geschaut hatten. Das ist eben nicht das Rheinland. Und was mich angeht, ist das auch gut so.

In der VW-Arena fragte derweil Michael Herbst, wer denn die Menschen der Volksmusik-Kultur erreichen wird. Gute Frage: Ich bestimmt nicht. Das Thema aber hat mich schon vor ein paar Jahren mal sehr interessiert. Wer immer es unternimmt, kann sich meines Beifalls und meiner Gebete sicher sein.

Der “Lobpreisstadel” hätte sicher großen Zulauf, die Kreuzbuben könnten statt der Herzbuben auftreten, weitere Blasmusik (bitte auf die 1 und die 3 klatschen, keine Offbeats!) könnte von der Heilsarmee kommen, das Abendmahl würde mit Brezeln und Bier gefeiert werden. Gute-Laune-Predigten müssten mit viel Pathos und “Herz” gehalten werden und sollten ein Stück (ge)heil(t)e Welt vermitteln. Ein Trachtenanzug und Hemd mit weiß-roten Karos wäre als Outfit gut. Der Gemeindeleiter (respektive -leiterin) würde als “Wirt(in)” bezeichnet und aus einem Diakon würde nach biblischem Vorbild der “Ober”. Und zum Segen wird geschunkelt.

Frage an alle Experten: Würde das als “Emerging Church” durchgehen?

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Endlich erschienen: Der E-Faktor

Heute war es so weit: Ich halte ein Exemplar des E-Faktors in Händen. Einen Abschnitt habe ich selber geschrieben, aber heute habe ich natürlich damit angefangen, mir den Rest der Beiträge anzusehen und freue mich über so viele gute Impulse und Mut zur Veränderung – aber auch darüber, dass Ingolf Ellßel oder Peter Wenz in einem Band über “Evangelikale und die Zukunft der Kirche” schreiben. Schön, dass das heute kein Problem mehr ist.


“Der E-Faktor” (Ulrich Eggers, Markus Spieker)

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Der Frost kommt ;-)

Nein, mit dem Wetter hat das eigentlich nichts zu tun. Der Winter lässt momentan noch auf sich warten. Michael Frost und Alan Hirsch haben mit ihrem Buch .“The Shaping of Things to Come: Innovation and Mission for the 21 Century Church” eine ganze Reihe wertvoller Denkanstöße gegeben, die bei vielen auf fruchtbaren Boden gefallen sind. Nächstes Jahr kommen sie ja in die Schweiz – aber vorher sind sie bei uns!

Unter dem Stichwort “Innovation:Transformation” werden wir vom 28.4. bis 1.5. (vor den Eisheiligen darf ja der Frost noch kommen) in Nürnberg mit Leuten aus der Region und den beiden ein Wochenende gestalten, bei dem diskutiert und geträumt, gebetet und nachgedacht werden kann. Eine noch nicht ganz offizielle Vorabinfo hänge ich hier einfach mal an. Weil wir es interaktiv haben möchten, ist die Teilnehmerzahl begrenzt. Es werden wohl spannende Tage.

Innovation@Transformation.doc

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Aufmischen

In unserem Gemeindeblog habe ich ein paar Gedanken zusammengetragen zu der häufig gestellten Frage, ob Kleingruppen in der Gemeinde eine geschlossene Sache sein sollten. Ich finde, sie dürfen das eigentlich nicht sein und eine geschlossene Gruppe läuft sich deutlich schneller tot als eine, wo neue (und erst recht suchende) Leute immer mal wieder den Haufen “aufmischen”.

Ich glaube, dass wir Gemeindeprogramm zukünftig gar nicht mehr eindeutig in Aktionen nach innen und Angebote für Außenstehende trennen können, sondern dass wir alles so gestalten sollten, dass beides zugleich klappt. Vielleicht hinkt der Vergleich jetzt gleich mehrfach, aber mir fallen gerade die integrierten Schulklassen ein, wo Behinderte und “normale” Kinder gemeinsam lernen. Auch hier sind die Voraussetzungen recht unterschiedlich, und doch tut es allen gut. Damit will ich nicht die eine oder andere oben genannte Gruppe als “behindert” einstufen, aber Ihr wisst schon, was ich meine.

Klar ist das für die Verantwortlichen mehr Aufwand, aber der lohnt sich. Bestimmt denkt jetzt jemand: “Aber die 12 Jünger waren doch eine geschlossene Gruppe, oder?” Wahrscheinlich liegt das mehr in der Symbolik der 12 – die Sammlung der 12 Stämme aus dem Exil – begründet als darin, dass Jesus exklusive Gruppen liebte. Das tat er ganz offenbar nicht.

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Kirche als Gottesdienst oder als Mission?

Am Wochenende (Prag – herrlich goldener Oktober in der goldenen Stadt) sprachen Martina und ich über unseren geistlichen Weg über die letzten Jahren. In gewisser Weise hat die Begegnung mit den Kelten, angeregt durch unseren Freund Roger Ellis, da eine Schlüsselrolle gespielt. Als wir 1994 Rogers Präsentation auf der Pioneer Leaders‘ Conference hörten, war uns das gar nicht so klar.

Es war insofern eine Wende, als wir uns langsam aber sicher vom charismatischen Konzept “Gemeinde als Gottesdienst” lösten. Natürlich gibt es das auch in anderen Bewegungen und Prägungen, immer mit demselben Problem: Kirche wird primär als Versammlung oder gar Veranstaltung gedacht. Statt dessen wuchs immer mehr die Perspektive für Kirche als Mission. Der bewusste (nicht unbedingt immer nur “strategisch” organisierte) Weg in eine Welt fremder Gedanken, Lebenskonzepte und Erfahrungen.

Natürlich hatten die Kelten Gottesdienste (wir auch immer noch, und das wird auch so bleiben), aber es war viel mehr der Alltag, der sich in den Gebeten und Texten widerspiegelt. Der “richtige” Gottesdienst, der die Einheit der Kirche konstituiert, das ist ein römisches Thema (und in der Folge von CA VII irgendwie auch ein lutherisches). Und es hat bedauerlicherweise auch dazu beigetragen, dass wir Streitereien, Spaltungen, Verurteilungen und ein gerüttelt Maß an frommem Kulturimperialismus erlebt haben. Hätten die Kelten geahnt, was ihr Nachgeben im Streit um den Ostertermin auf der Synode von Whitby 664 bewirkt (nämlich die Uniformierung des Glaubens), dann hätten sie es sich vielleicht noch einmal überlegt.

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OmU: Lobe den Herren

Wie verbindet man alt und neu? Ein Versuch, der allseits gut ankam, waren deutsche (!) Untertitel zum Allzeit-Klassiker “Lobe den Herren”, dessen gehaltvoller Originaltext vor allem bei der Zeile über “Abrahams Samen” regelmäßige Kicherstürme unter Konfirmanden hervorruft.

Bei Gelegenheit muss ich das Ding noch etwas optimieren, aber vielleicht macht es dem einen oder der anderen ja auch so Spaß und inspiriert, selbst kreativ zu werden.

Lobe Den Herren

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Geist und Gemeinde

Bei Michael Welker (Gottes Geist: Theologie des Heiligen Geistes) habe ich heute den folgenden – auf das Wirken Jesu bezogenen – Satz gelesen:

Erkennbar wird eine Kraft, die einseitige, monozentrische, einlinige, gut reproduktionsfähige, schnell übertragbare, bequem anschlussfähige Machtformen in Frage stellt und aufhebt. Erkennbar wird, dass dieser Geistträger in eine unübersehbare Fülle und vielfältige Konkretheit individuellen Lebens und Leidens hineinwirkt. Aus dieser Fülle soll die geistgewirkte Kraft des Zeugnisses ausstrahlen.

Wenn man das mal auf die populären Modelle kirchlich-institutioneller, vereinheitlichender Strukturen und Konzepte von Gemeindeaufbau und -gründung bedenkt (die gelegentlich an das Franchise-Prinzip erinnern oder gar wie ein Strukturvertrieb im Schneeballsystem gedacht sind und mit – zumindest theoretisch – exponentialen Wachstumskurven locken), dann wirft das allerhand Fragen auf. Da könnte Gottes Geist tatsächlich zum massiven Störfaktor werden?

Es geht ja nicht in erster Linie Fragen der Machbarkeit, also ob so etwas funktioniert (das tut es nicht immer, aber immer wieder…), sondern ob sich in solchen Ansätzen Gottes Geist am Werk zeigt und ob sich Gott in ihnen offenbart. Dass die Alternative zu einer solchen regulierten Ordnung Chaos hieße, ist eine typisch deutsche Befürchtung…

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Umkrempelnde Gedanken

Vincent Donovan gibt mir momentan mehr als genug Stoff zum Nachdenken, zum Beispiel mit diesen Gedanken, die vielleicht nicht so neu sind, aber in der Zuspitzung und der Frage der Umsetzung in konkrete Gemeindearbeit eine ganze Menge Fragen aufwerfen:

Nur in der Vermittlung eines nach außen gerichteten Christseins haben wir die Hoffnung, das Christentum zu erreichen. Ein nach innen gekehrtes Christsein ist eine gefährliche Imitation, eine irreführende Maskerade. Es ist gar kein Christentum.

Die Rettung der eigenen Seele, oder Selbst-Heiligung, oder Selbst-Vollendung, oder Selbst-Erfüllung mag sehr wohl das Ziel des Buddhismus oder der griechischen Philosophie oder der modernen Psychologie sein. Aber es ist nicht das Ziel des Christentums. Wenn jemand Christ wird, um Selbsterfüllung und Selbsterlösung zu finden, verrät und missversteht er das Christentum zutiefst.

Ich widerstehe jetzt der Versuchung zu kommentieren. Etwas weiter unten heißt es dann:

Auch jetzt noch ist es nur unser Kontakt zur heidnischen Welt, der Welt die nicht christlich ist, der uns ehrlich und uns selbst treu bleiben lässt.

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Frischer Wind aus dem Westen: Eindrücke von der „Emergent Convention“ in San Diego

Man muss sich die Paradoxie auf der Zunge zergehen lassen: Während die Teilnehmer der nebenan statfindenden „National Pastors Convention“ Referate von Größen wie John Ortberg hörten und in Freizeitkleidung ohne Krawatte zu „modernem“ Lobpreis mit konzertreifer Rockband mit den Zehen wippten, saßen die 700 (im Schritt 10-15 Jahre jüngeren) Teilnehmer der „Emergent Convention“ meist in kleinen Diskussionsgruppen zusammen und sprachen über den Wert traditioneller Liturgie, die Bedeutung der Theologie Karl Barths oder der Quantenphysik, die Philosophiegeschichte seit der Aufklärung und vieles mehr, um so der Frage auf den Grund zu gehen, wie sich Kirche im 21. Jahrhundert verändern wird. Eines aber wollten sie auf gar keinen Fall sein – modern! Es wäre also zu kurz gegriffen wenn man hier an „Jugendgemeinden“ für 15-25 Jährige denkt – mit trendiger Musik, Piercings, verdunkelten Räumen, Videobeamern und Gottesdiensten, die ein hippes „X“ im Namen hatten (Für alle, die es noch nicht bemerkt haben: „X’e“ sind mega-out…).

Während hier wie in den USA immer noch viele geistliche Leiter und Theologen unter „Postmoderne“ einen plumpen, destruktiven Relativismus verstehen, der alles Streben nach Wahrheit aushöhlt und zersetzt, machen sich Denker wie Brian McLaren von der Cedar Ridge Community Church im Bundesstaat Maryland daran, ein differenzierteres Bild zu zeichnen. Auch postmoderne Menschen fragen nach Wahrheit, vielleicht sogar mehr als frühere Generationen. Aber sie misstrauen mit gutem Grund all jenen, die beanspruchen, über absolute Wahrheiten zu verfügen – seien es nun totalitäre Ideologien oder der Versuch, die christliche Botschaft auf vier Gesetze und ein Gebet in drei Sätzen an den persönlichen Heiland zu verkürzen.

Sie gewinnen so einen erfrischend neuen Zugang zu Dimensionen des Glaubens, die unsere vernunftgeprägte Theologie der Moderne – sei sie nun evangelikal oder liberal – verloren hatte. Sie entdecken die Bibel neu als eine dramatische Geschichte voller Rätsel, nicht als ein lückenlos erklärbares System von abstrakten (und damit universal gültigen) Satzwahrheiten. Sie fragen, welche Botschaft wir dadurch vermitteln, dass wir Gottesdienste in Theater- oder Kinobestuhlung feiern und auf alle anschauliche, handfeste Symbolik verzichten. Sie fragen, ob das Christentum auf Dauer nicht leidet unter dem Ideal „zeitgemäßer“, marktorientierter Mega-Gemeinden mit (durchaus „geistlichen“, keine Frage!) Leitern, die vor allem fähige Manager sind? Oder ob es richtig ist, dass Evangelisten allzu oft wie Verkäufer auftreten und argumentieren, oder (schlimmer noch) sich in moderner Kreuzzugs-Rhetorik üben?

Ich bin auf die „Emergent Convention“ gefahren, um Leute zu treffen, die sich als Grenzgänger verstehen und Denken in starren theologischen „Lagern“ hinter sich lassen. Dabei hat mich beindruckt, wie ernst und radikal hier genuin theologische Fragen diskutiert werden. Vieles, was in den letzten Jahren über den großen Teich geschwappt ist, hat sich weitgehend im Methodischen bewegt: Da wurden Gemeindekonzepte vermittelt, Prinzipien und Schritte-Modelle von Evangelisation verhandelt, das persönliche geistliche Leben unter die Lupe genommen – immer in der Annahme, alles beruhe auf einem selbstverständlichen Grundkonsens in Fragen der Offenbarung, Schriftauslegung, Christologie und Ekklesiologie und eines viel beschworenen, aber selten konkret erläuterten „biblisch-christlichen“ Weltbildes.

Dieses Weltbild, so stellt sich nun heraus, steckt voller moderner „Viren“: Es hat Individualismus auf Kosten von Gemeinschaft gefördert, den Schatz der Glaubenserfahrungen durch Reduktion auf allgemein gültige „Prinzipien“ flachgebügelt, mechanistische Gemeindekonzepte und Dienstleistungs- und Konsumchristentum erzeugt. Es wird obendrein von dem typisch modernen Grundbedürfnis beherrscht, die Welt zu erobern und zu dominieren. In dieser Hinsicht haben wir uns von den biblischen und historischen Ursprüngen des Glaubens entfernt, ohne es zu merken. Das Ende der Moderne, das wir nun erleben, bietet auch uns Christen einen Ausweg aus der Sackgasse. Und einen Neuanfang im Gespräch mit einer Welt, die immer mehr nach Gott fragt, aber am organisierten Christentum verzweifelt.

Es ist sicher kein Zufall, dass viele Lutheraner, Reformierte und Episkopale unter den Teilnehmern sind, die sich nicht unbedingt als Evangelikale verstehen würden. In den USA ist dies ohnehin eine problematische Selbstbezeichnung, wenn man nicht mit der Agenda der konservativ-fundamentalistischen „Christian Coalition“ identifiziert werden möchte, die nationales Pathos pflegt, gegen Abtreibung und Homosexualität zu Felde zieht, aber zu Armut und Krieg schweigt und Ökologie für überflüssig hält, weil ja die „Entrückung“ diese Probleme löst – für die Frommen zumindest. All das bringt der Theologe, Soziologe und Querdenker Tony Campolo gewohnt provokativ zur Sprache, und beweist zugleich, dass es nicht nur die Aufgabe der Jungen sein kann, neue Wege zu suchen. Bringt die Postmoderne also „Postevangelikale“ und „Postliberale“ dazu, das Gute im jeweils anderen zu entdecken, Gräben zu überwinden und miteinander zu lernen, wie man offen spricht und denkt?

All das beruht auf der Einsicht, dass unsere Welt einen tief greifenden Wandel erlebt. Das westlich dominierte Zeitalter der Moderne endet gut 500 Jahre nach Gutenberg, Kolumbus, Luther und Leonardo da Vinci. Über 300 Jahre Aufklärung haben manches verändert, aber mit der vermeintlich „reinen Vernunft“ als Richterin ist die Welt insgesamt nicht besser geworden. 200 Jahre Industriegesellschaft haben Inseln des Wohlstands geschaffen, die sich auf Dauer aber nicht gegen globales Elend abschotten können und aufgrund dieser Künstlichkeit ihre Bewohner innerlich leer gelassen haben. Noch kann niemand sagen, wie die neue Welt jenseits der Erschütterungen aussieht. Es scheint, als hätte Gott ein neues Abenteuer für uns bereit.

www.emergentvillage.com

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