Der Preis von Gerechtigkeit

Gestern Abend haben wir mit Freunden Roman Polanskis Oliver Twist angesehen. Es ist so lange her, dass ich das Buch gelesen habe, dass die Geschichte wieder ganz neu und fremd war. Es hat mich recht nachdenklich gemacht.

Zwar haben wir in einigen europäischen Ländern die Situation verbessert, aber dann liest man von anderen Ländern, in denen hunderttausende Kinder auf den Straßen leben und womöglich den Todesschwadronen zum Opfer fallen. Und viele andere Kinder werden ausgebeutet. Heute macht die Globalisierung das, was zu Dickens‘ Zeiten die industrielle Revolution machte: Einige wenige werden schrecklich reich und viele andere unvorstellbar arm und elend.

Wohltätigkeit alleine wird das nicht verändern. Es muss ein zähes Ringen um Gerechtigkeit hinzu kommen. Im Film verkörpert dies die Figur der Nancy, die ihr eigenes Leben riskiert (und verliert), um Olivers Kidnappern das Handwerk zu legen. Gerechtigkeit hat also zuweilen einen hohen Preis, auch heute. Polanski hätte auch in Lateinamerika im 21. Jahrhundert drehen können.

Übrigens: Wer eine Filmnacht ins Auge fasst, kann nach einem Päuschen in John le Carrés Der Ewige Gärtner gehen. Ich habe bisher nur das Buch gelesen, aber das hatte es in sich.

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Falsches Format

Eben war ich bei Aldi eine Matratze 90×200 einkaufen. Ich konnte das Ding, obwohl heute aktuell im Angebot, einfach nicht finden. Also fragte ich nach, wurde nach hinten geschickt, fand nichts, fragte erneut. Der freundliche Mitarbeiter führte mich schließlich zu einer Palette. Dort waren die Matratzen – vakuumverpackt und handlich eingeschrumpft. Ich hatte immer nach einem viel größeren Teil geschaut.

Diese Geschichte hat tatsächlich eine kleine “Moral”: Gott kommt an Weihnachten (oder da besonders, aber ich fürchte, nicht nur dann) in einer unerwartet kleinen Verpackung – jedenfalls nicht in dem Format, auf das wir geeicht sind, und prompt wird er übersehen. Bis jemand kommt und mich mit der Nase drauf stößt, dass ich die ganze Zeit achtlos an dem vorbei gegangen bin, was ich eigentlich gesucht habe.

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Heut‘ schließt er wieder auf die Tür…

Als ich heute morgen als erster der Familie zum Gottesdienst ging, steckte ein Schlüssel innen in der Haustür. Ich zog ihn ein Stück heraus und machte mich auf den Weg. Als ich als letzter der Familie nach Hause kam, war ein Zettel an der Tür, die sich nicht öffnen ließ. Weil drinnen der Schlüssel steckte, inzwischen offenbar wieder richtig bis zum Anschlag.

Der Notdienst war schon im Anmarsch. Die Doppelfalztüre ist sehr sicher, ergo musste das alte Schloss (O-Ton Monteur: “Baumarkt-Qualität”) herausgebohrt und ein neues eingesetzt werden. Mit Wochenendzuschlag ein höllisch teurer Spaß. Vielleicht hätten wir doch lieber das Kellerfenster eindrücken sollen. Aber hinterher ist man immer klüger.

Vielleicht fragt sich der eine oder andere, ob mir dabei noch eine tiefsinnige Erkenntnis zuteil wurde oder warum sonst ich davon hier schreibe?

Fehlanzeige. Shit happens.

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Bocklos

Mein Sohn hatte gestern mal wieder einen Anfall von Langeweile. Kein Freund da, Flimmerkistenzeit aufgebraucht, “kein Bock” auf andere Beschäftigungen (mein Hinweis auf unerledigte Hausaufgaben wurde als Zumutung zurückgewiesen).

Ich werde beim Duden den Antrag stellen, zu lustlos, furchtlos, arbeitslos nun auch “bocklos” in den deutschen Wortschatz aufzunehmen.

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Alleine Glauben?

Immer wieder bekommt man zu hören, man müsse als Christ doch nicht ständig in die Kirche rennen. Besonders unter Evangelischen wird das noch als „Freiheit“ gehandelt: Glauben könne man doch auch für sich. Von solchen Anfragen aus dem persönlichen Umfeld erzählte mir erst jüngst wieder jemand.

Klar kann man das – weil Glauben in diesem Zusammenhang so verstanden wird, dass man der Meinung ist, es gibt ein höheres Wesen (und dass man, warum auch immer, deshalb ein anständiger Mensch sein sollte). Ganz anders sieht es aus, wenn Glauben bedeutet, Gott zu vertrauen, ihn zu lieben und sich von ihm verändern zu lassen. Glaube nicht als Meinung, sondern als Prozess – als Weg der Nachfolge. Nicht bloß kognitiv, sondern ganzheitlich. “Love is a verb”, habe ich neulich gelesen.

Das geht schlechterdings nicht alleine. Beziehung und Gemeinschaft ist für Christen immer die Nagelprobe echten Glaubens: Wie kann denn jemand sagen, er liebe Gott, wenn ihm sein Bruder/seine Schwester gleichgültig ist, fragt Johannes (1. Joh. 4,20). Erst die anderen stoßen mich mit der Nase darauf, wo ich Veränderung nötig habe und erst die anderen können bereits eingetretene Veränderungen wahrnehmen und bestätigen. Dann erst weiß ich, dass ich mir nichts in die Tasche lüge von wegen Anstand und guter Mensch. Nichts kann so befreiend sein wie solch eine Konfrontation und nichts ermutigt mehr als so ein Lob.

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Gesund mit Sinn

Heute haben wir im Gottesdienst die Auswertung einer Umfrage erklärt bekommen, die psychisch Kranke und Gesunde im Hinblick darauf untersuchte, wie sie Sinn im Leben konstruieren. Es war spannend, weil einige von uns an der Befragung teilgenommen und dazu im Sommer einen umfangreichen Fragebogen ausgefüllt hatten.

Wir bekommen demnächst die offizielle schriftliche Auswertung (ich werde sie dann hier zugänglich machen). Vorab schön zu hören war allerdings, dass “wir Christen” offenbar trotz der gewöhnlichen Schwankungen und Krisen gut im Leben zurecht kommen, dass unsere Aussagen über Sinn relativ viele Verknüpfungen aufweisen (man muss sich das wie ein Netz denken – je mehr Knoten es hat, desto besser hält es) und dass die Kategorie “Wirksamkeit” (also etwas bewegen oder verändern zu wollen in unserer Welt) auffällig hoch im Kurs stand.
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Gesehen: Narnia

Heute waren wir mit drei unserer Kinder Narnia ansehen. Es ist viel mehr Disney und Kinderfilm als der Herr der Ringe, und er bleibt der Buchvorlage (die hatten wir ja letzten Sonntag noch einmal unter die Lupe genommen) ziemlich treu. Eigenwillige “Verbesserungen” wie in “Die Rückkehr des Königs” (z.B. Frodos unsäglicher Cliffhanger im Schicksalsberg oder die Totenarmee á la “Fluch der Karibik” in Minas Tirith) sind zum Glück ausgeblieben.

Aslan klang irgendwie nach Elmar Gunsch, das fand ich gewöhnungsbedürftig. Die Hexe wirkte blass (das sollte sie auch) aber leider nicht richtig gefährlich. Alles in allem aber schön verfilmt und nicht so plump, wie das bei Disney auch hätte ausfallen können. Vielleicht wäre der alte Lewis damit ja doch einverstanden gewesen, dass sein Märchen so verfilmt wird.

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Überfordert?

Heute saß ich mit meinem abgekämpften und verzweifelten Sohn über seinen Mathe-Hausaufgaben (G8 in Bayern ist einfach Stress für die Kleinen). Er war der Meinung, die Aufgaben seien viel zu schwer und er könne das nicht. Dabei hatte er nur von einer Zeile in die nächste eine Zahl falsch abgeschrieben. Aus Müdigkeit vermutlich.

Ich habe mich gefragt, ob das nicht manchmal im “richtigen Leben” auch so läuft. Ich beschwere mich darüber, dass irgend etwas nicht klappt oder unendlich schwer ist. Am Ende war es nur ein ganz dummer, simpler Fehler, aber die Aufgabe ist durchaus zu schaffen. So lange ich aberdenke, ich bin entweder unfähig oder die Herausforderung ist zu groß, merke ich das gar nicht.

Außerdem versuche ich mir gerade Gott als einen Vater vorzustellen, der mir bei meinen Aufgaben hilft. Hatte ich bisher noch nie aus dieser Perspektive betrachtet.

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Au Wei – hnachten!

Auf dem Heimweg lese ich die Anzeigen in der Londoner U-Bahn. Ein Inserat zitiert ironisch das biblische “Geben ist seliger als Nehmen” und fügt an “or so they say”. Hier prallen die Welten des Glaubens und der Konsumgesellschaft aufeinander. Die Weihnachtsdekoration der Regent Street verzichtet auf alle biblisch-christlichen Symbole und ein Kaufhaus verkündet von der Fassade herab, man glaube an den Weihnachtsmann.

Ich frage mich, ob wir Weihnachten boykottieren und aus Protest in den Sommer verlegen sollten, um Kitsch und Kommerz ein Schnippchen zu schlagen und die wahre Bedeutung des Festes wieder klar kriegen zu können…

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Transforming Nations…

Heute haben wir aus 25 Ländern Europas, Afrikas und des Nahen Ostens gehört, wie Alpha sich dort entwickelt. Es ist ein wirklich bunter Haufen. Unter den Anwesenden ist ein russisch orthodoxer Erzbischof und eine Gruppe Armenier, von denen einige der ältesten “Volkskirche” der Welt angehören. Und morgen kommt die zweite Hälfte, aber da bin ich schon wieder daheim um bei meinen eigenen Alpha Kurs zu sein.

Beim nächsten Mal sollten wir den Afrikanern ein paar Taschenwärmer zur Verfügung stellen. Die Ärmesten sitzen mit Mütze und Winterjacke oder dicken Wollpullis in unseren geheizten Räumen. Aber was viele von ihnen unter den schwierigen Umständen im Kongo, Angola, Zimbabwe und Südafrika bewegen, ist großartig. Immer wieder haben sie in den telegrammartigen Statements von Alpha Kursen in den Gefängnissen gesprochen. Das gibt Hoffnung, dass auf Dauer mehr als AIDS und Bürgerkriege das Schicksal der Menschen dort prägen.
„Transforming Nations…“ weiterlesen

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Wieder mehr Oasen

Seit gestern sind wir mit einem Team in London zur EMEA (Europe – Middle East – Africa) Woche von Alpha International. Nach anderthalb Tagen Meetings in geschlossenen und schlecht belüfteten Räumen bin ich heute mittag eine Runde Joggen gegangen.

Das Acacia Hotel liegt dafür günstig (abgesehen davon ist es schrecklich heruntergekommen, aber für London recht billig. Erinnert an die Beschreibung des “Railway Hotel” von Mike Batt). Aber der Hyde Park ist nur ein paar Minuten entfernt, und so war ich in der schon ziemlich fahlen Novembersonne eine Stunde lang im Hyde Park und Green Park unterwegs. Vorbei am Buckingham Palace, an Hunden, Enten und Kanadagänsen, Joggern und Reitern. Die Bäume sind noch nicht so kahl wie daheim. Hin und wieder ein paar merkwürdige imperiale Monumente, die uns als Deutschen zum Glück erspart geblieben sind.

Laufen hat etwas Meditatives. Die Gedanken werden ausgeschüttelt, ich komme auf eine ganz andere Weise in Kontakt mit mir selbst, habe wieder ein Gefühl für den Körper und die Emotionen steigen allmählich an die Oberfläche. In den letzten Wochen habe ich mir viel zu wenig Zeit für solche Oasen gelassen. Letzten Samstag saß ich Stunden über meiner Predigt für Sonntag und es kam einfach nichts. Ich kann mich gar nicht erinnern, wann mir das das letzte Mal passiert war. Also mussten die Laufschuhe mit auf den Kurztrip. Es hat sich gelohnt.
Jetzt sitze ich in der Cafeteria des Dana Centre am Naturhistorischen Museum. Guter Cappuccino (da haben uns die Engländer mal eben so überspurtet in der Kaffeekultur!) und kostenloser WiFi Zugang. Im Innenhof fangen sich noch letzte Sonnenstrahlen. Makes my day.

Sehr zu empfehlen ist dort im Übrigen die Ausstellung des Wildlife Photographer of the Year!

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Drohbrief

Diese Woche habe ich einen echten Drohbrief bekommen. Keinen von der ganz schlimmen Sorte (er kam von einem Christen), auch keinen anonymen, aber immerhin mit dem deutlich erkennbaren Bemühen, mich einzuschüchtern und nicht etwa erst einmal einen strittigen Sachverhalt zu klären.

Was tun? Ich habe mit ein paar Leuten darüber gesprochen bzw. davon berichtet. Ich habe den Anlass (wenige Zeilen eines Textes, den ich vor 4 Jahren veröffentlicht habe) für den Brief rekapituliert und überlegt, wo ich einen Fehler gemacht und mir den Groll der betreffenden Person zugezogen haben könnte. Schließlich habe ich eine kurze Antwort geschrieben, von der ich natürlich nicht weiß, ob sie etwas klärt oder alles nur verschlimmert.

Vom Gefühl her war es ein bizarres Erlebnis. Es hat mich an ein paar Bemerkungen von Dallas Willard in “Aus dem Herzen leben” über den Umgang von Christen untereinander erinnert. In diesem Sinne auch ziemlich ernüchternd.

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Die unbe-Kante

Übersetzen hat seine Tücken. Einer der erheiternden Momente auf dem Willow Creek Kongress in Braunschweig war, als Erwin McManus über ein U2 Konzert sprach und sagte “there was the Edge”. Leider konnte man das große “E” nicht sehen und in der Übersetzung erschien der Gitarrist folgerichtig als “die (Bühnen-) Kante”. Ein Raunen ging durch die Halle. Aber wenn man es nicht weiß, hat man einfach keine Chance.

The Edge war also keine Kante, sondern den Unbe-Kante in dieser kantigen Übersetzung. Genug gekalauert. Vor solchen Situationen ist man nie sicher, aber darin liegt ja gerade der Reiz…

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Peripatetik im 21. Jahrhundert

Die besten Ideen kommen mir fast immer beim Joggen. Danach kommt das Herumspinnen mit Freunden. Inwiefern kreatives Denken mit dem Laufen zu tun hat, kann man bei Dr. Strunz nachlesen. Aber lange vor Forrest Gump und der von ihm losgetretenen Laufwelle waren die griechischen Philosophen schon in ihren Wandelhallen unterwegs. Denen scheint die Bewegung auch gut getan zu haben.

Was lernen wir daraus? Die unkreativste Arbeitsform sind Sitzungen. Das wird die wenigsten überraschen, aber es ist ein Grund mehr, sie nach Möglichkeit zu meiden!

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Big Brother

Gestern habe ich eine interessante Erfahrung gemacht: Ich telefonierte mit einem Techniker der Firma, die unsere computergesteuerte Heizung eingebaut hat. Er saß in Berlin und konnte von seinem Rechner aus feststellen, dass der Heizkörper, den ich für defekt hielt, in Ordnung war. Er erklärte mir, welche Schraube ich nachstellen musste und voila – er funktioniert.

Im Verlauf der Prozedur entdeckte ich auch, dass der freundliche Herr mir die aktuelle und gewünschte Raumtemperatur in jedem Zimmer hier sagen konnte. Schon ein seltsames Gefühl. Wie gut, dass die Heizkörper keine Ohren und Augen haben. Davon muss man ja ausgehen können.

Oder?

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