Neue Befreiungstheologie

Tomas Halik entwirft in Geduld mit Gott in Ansätzen eine „neue Befreiungstheologie“. Während die ursprüngliche Befreiungstheologie das Unrecht thematisierte, das die Armut und Unterdrückung in der damals noch so genannten „Dritten Welt“ verfestigte, und perspektivische Verengungen konventioneller Theologie durch den Hinweis auf den sozialen Kontext aufbrach, gilt das Interesse nun der Säkularisierung und dem modernen Atheismus in der westlichen Welt.

Ein Element dieser Befreiungstheologie ist ein Art apophatische Eschatologie, die sowohl allzu selbstgewisse religiösen Entwürfe als auch deren säkulare Pendants – seien sie nun von Marx, Huntington oder Fukuyama inspiriert – als Projektionen entlarvt und als „heilige Unruhe“ den Horizont offen hält für das Handeln Gottes zur Vollendung seiner Welt. In diesem Sinne ist sie auch eine Befreiungsspiritualität, eine Spiritualität des Exodus, und als solche sollte sie

nicht zu einer Flucht vor unserer Verantwortung für die Gesellschaft führen, in die wir gestellt sind – im Gegenteil: zu ihren Aufgaben gehört die Empfänglichkeit für die Zeichen der Zeit auch in dem kulturellen und politischen Klima der heutigen Welt. Die „Solidarität mit den Suchenden“ schließt eine Teilnahme an deren Fragen und Suchen mit ein.

Ein Vorbild für diesen Weg sieht Halik in dem späten Thomas Merton, der spirituelle Pilger auf den geistlichen Wegen des Ostens begleitete und darin seinen „Aufbruch zu den anderen“ lebte. Wer Geduld mit Gott übt, hält auch die Fragen anderer aus, ohne sie mit vorschnellen und damit auch vorletzten Antworten zu ersticken:

So wie für die Mission in der Welt sozial Armer die Kirche arm sein muss, ebenso muss sie, um in diese Welt religiösen Nichtgesichertseins eintreten zu können, manche ihrer Sicherheiten über Bord werfen. Sie muss nicht nur die äußeren Zeichen des Triumphalismus los werden … sondern vor allem den eigenen inneren Triumphalismus, nämlich Besitzerin des Wahrheitsmonopols zu sein. (S. 40)

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Wer zählt im Zelt?

Die Teaparty-Bewegung, ein inhomogenes Aufbegehren der Rechten in den USA, droht die Republikanische Partei zu radikalisieren. Es droht das Ende der Volkspartei als Big-Tent-Phänomen, das in der Mitte der Gesellschaft verankert ist.

Etwas Ähnliches ereignet sich anscheinend gerade unter den US-Evangelikalen. Durch einen Post von Björn Wagner stieß ich auf diesen Artikel von Scot McKnight, der ötdlich frustriert den Rechtsruck einer offenen Bewegung mit durchaus progressiven Elementen zu einem strikten dogmatischen Calvinismus, dem euphemistisch als „complementarianism“ bezeichneten patriarchalischen Geschlechterverhältnis in Familie und Kirche, fundamentalistischem Bibelverständnis (Stichwort „inerrancy“) und Kreationismus, um die Liste der theologisch-kulturellen Grausamkeiten voll zu machen.

Symbolfigur dieser Machtergreifung ist für McKnight der Southern Baptist Al Mohler, der wurde unlängst von Christianity Today als Reformator beschrieben. Nicht mehr gefragt sind offenbar Denker wie J.I. Packer oder auch der Brite John Stott, der eine Schlüsselfigur der Lausanner Bewegung und des Manifests von Manila.

Die Ironie an der ganzen Geschichte ist aber auch, dass McKnight sich in letzter Zeit deutlich von emergenten Stimmen wie Brian McLaren distanzierte und seine evangelikalen Wurzeln betonte, die McLaren seiner Meinung nach aufgegeben hatte. Die Termini „emerging“ und „emergent“ erschienen ihm und anderen (wie meinem Freund Jason Clark) als zu unscharf, die Bewegung dahinter theologisch zu beliebig – und das ist sie in den USA zu einem nicht geringen Teil auch. Wobei man bei McKnights ernüchterndem Ausblick ahnt, warum das Schlagwort a new kind of christianity auch als Abgrenzungsbegriff existiert.

Nur wandelt sich die Heimat just in dem Moment, wo McKnight sich dezidiert zu ihr bekennt, unversehens zur Fremde. Vielleicht hat Brian McLaren – der ja von Rechtsevangelikalen sehr vehement angegangen wurde – nur früher und deutlicher gesehen, wohin der Hase läuft, und dass der Begriff evangelical trotz aller Rettungsversuche auf Jahre hinaus ebenso verbrannt ist wie emergent?

Am Sonntag beginnt in Kapstadt der große Weltkongress der Lausanner Bewegung. Vielleicht schaffen es die 4.000 Delegierten, viele aus dem globalen Süden, ja noch, das große Zelt wieder ganz weit zu spannen. Und vielleicht wirkt sich das auch in den USA aus, wo man es (zumal im Süden) nicht so gewohnt ist, von anderen zu lernen beziehungsweise deren Existenz und Denkweisen bestenfalls durch ein Zielfernrohr (mit dem Finger am Abzug) zur Kenntnis nimmt.

Ich würde mich freuen, wenn als Folge der Global Conversation in Kapstadt viele von einem „neuen Christentum“ sprechen, das bunt und vielfältig wie nie in einer multipolaren Welt konstruktiv mitmischt, ohne in die reaktionären Reflexe zu verfallen. Vielleicht finden wir auch einen besseren Begriff, hinter dem sich alle versammeln, zu denen die alten Kategorien nicht mehr passen.

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Dicke Freunde

Nicholas Christakis hat sich mit der Wirkung von Beziehungsnetzen beschäftigt und dabei eine Reihe von interessanten Entdeckungen gemacht. Sein Ausgangspunkt war der „Widower-Effect“, von da aus geht es weiter zu der Frage, ob Dickleibigkeit „ansteckend“ ist. Sie ist es: Wer stark übergewichtige Freunde hat, wird mit 45% größerer Wahrscheinlichkeit selbst ähnlichen Umfang erreichen. Und zwar auch dann, wenn es nur die Freunde der Freunde bzw. die Freunde der Freunde der Freunde betrifft (das fiel mir neulich in Paris auf: Man sieht viel weniger Dicke dort als bei uns). Zum einen ist es das Verhalten, das abfärbt, Essgewohnheiten zum Beispiel. Zum anderen verändert sich der Maßstab, das innere Bild einer „Normalfigur“, man gewöhnt sich an den Anblick.

Manches, was Christakis hier sagt, hat mich an die IGW-Tagung mit Steve Timmis erinnert, der die Bedeutung von gelebter Gemeinschaft für die Identität des einzelnen Christen so stark betont hat: Das Beziehungsnetz ist wie ein lebendes Wesen. Es hat ein Gedächtnis, es pflegt dauerhaft bestimmte Gewohnheiten und Gefühlslagen. Vielleicht ist der kollektive Faktor bei Emotionen bisher weitgehend übersehen worden, sagt Christakis. Glückliche und unglückliche Menschen bilden Cluster in Beziehungsnetzen und wie Dicke und Normalgewichtige trennen sie drei Bindeglieder („three degrees of separation“). Die glücklichen Leute findet man eher im Zentrum, die Unglücklichen am Rand des Netzes., dazwischen die Neutralen.

Menschliches Verhalten wird also nicht nur vom angeborenen Temperament bestimmt, sondern auch von der sozialen Umgebung. Und unterschiedliche Verknüpfungsmuster prägen die Reaktionen ganzer Gruppen von Menschen bzw. die Art und Intensität, wie Menschen sich gegenseitig beeinflussen wie ein Bienen- oder Vogelschwarm.

Solche vernetzten „Superorganismen“ existieren, weil sie unser Leben positiv beeinflussen (also einen „Nutzen“ haben). Positive Einflüsse können sich umgekehrt auch nur über Beziehungsnetze verbreiten. So oder so geht es um „das Gute“, daher lohnt es sich, kräftig in Freundschaften und Beziehungen zu investieren.

Christen haben oft die Tendenz gehabt, sich aus diesen Netzen zurückzuziehen, um nicht mit Schlechtem angesteckt zu werden. Jesus hat das Gegenteil gelebt: Er hat sich auf viele unterschiedliche Menschen eingelassen, weil er das Gute, das er brachte, für stärker hielt. Auch in seinen Jüngern, wie das Wort vom Salz und Licht zeigt, auch wenn die alles andere als vollkommen waren. Mittelbar beeinflussen wir sogar Menschen, zu denen wir gar keinen direkten Kontakt haben. Das machen wir uns viel zu selten bewusst, vermute ich.

(Danke an Jason Clark für den Hinweis!)

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Appetit auf Essen

Für alle, denen die Reise in den Süden bisher zu weit und teuer war, gibt es jetzt keine Ausrede mehr: Das diesjährige Emergent Forum findet in Essen statt.

Wer mehr wissen will oder sich anmelden, klickt einfach auf das Bild unten.

Emergent Forum 2010

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Gemeinschaftsmythen (6): Kleingruppen

Das letzte Patentrezept, das Joseph Myers verwirft, sind Kleingruppen. Eine Gemeindestruktur, die auf Kleingruppen setzt, schafft deswegen nicht automatisch mehr Zugehörigkeit und Verbundenheit. Solche Vorgänge sind wesentlich komplexer.

Myers unterscheidet daher im Anschluss an Edward T. Hall vier Bereiche: Den öffentlichen, den sozialen, den persönlichen und den intimen. In jedem dieser vier Bereiche leben wir in Beziehungen: Distanzierte Beziehungen zu Fremden, deren Namen wir meist nicht kennen, im öffentlichen Bereich. Bekanntschaften im sozialen Bereich. Freundschaften im persönlichen Bereich. Und der intime Bereich von Beziehungen, in dem man alles von sich preisgibt, ist ganz wenigen Menschen vorbehalten. (wer es noch detaillierter möchte, kann bei Depone weiterlesen)

Ein gravierender, aber verbreiteter Fehler besteht nun darin, dass wir eines dieser Felder zur Norm erklären und meinen, alle guten Beziehungen müssten persönlich oder intim sein, nur dann sind sie „gut“. Nur werden auch in der besten Kleingruppe Bekannte nicht automatisch zu Freunden. Vielleicht fällt uns das gar nicht auf, weil viele die Gruppe verlassen, wenn sie an dieser Hürde scheitern, weil die Chemie einfach nicht stimmt.

Zugehörigkeit ist multidimensional. Was das im einzelnen bedeutet, werde ich in den nächsten Tagen/Wochen skizzieren.

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Der entkirchlichte Messias?

David Fitch befasst sich respektvoll und kritisch mit Frost und Hirschs missionalem Ansatz (dass der zwischendurch auch als „emergent“ etikettiert wird, wird Alan vielleicht nicht so ganz schmecken). Bei allem Guten, das die beiden mit ihrer Kritik an institutionellen Komm-Strukturen und leidenschaftloser, subkultureller Kokon-Existenz in die Diskussion eingebracht haben, bleiben für ihn auch ein paar ernste Probleme. Sie betreffen den Kirchenbegriff.

Bei ihrer Kritik an verzerrten Jesusbildern und dem Versuch der Rückkehr zu einem (be)rein(igt)en Jesus, der nicht schon Produkt kirchlicher und kultureller Entstellungen ist, setzen sie – so Fitch – stillschweigend voraus, dass man Jesus ohne Kirche begegnen kann, die in der Regel eher als Hindernis erscheint. Problematisch ist das deshalb, weil ohne das – klar: unvollkommene – Christuszeugnis der Kirche und ihren (sicher ab und an diskussionswürdigen) Schriftgebrauch über die Jahrhunderte Jesus heute gar kein Thema mehr wäre.

Eine unmittelbare Beziehung des einzelnen Christen zu Christus, wie Frost und Hirsch das postulieren, hält Fitch zu Recht für eine Fiktion. Beim Lesen erinnerte mich das an Kant, der den Ausgang des Menschen nicht von falschen Jesusbildern, sondern aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit propagierte und – wie sein Zeitgenosse Johann Georg Hamann anmerkte – sich damit selbst zum Vormund aufschwang, der sagen konnte, was richtig ist. Derselbe Idealismus und derselbe hohe Anspruch des völligen Neubeginns spiegelt sich in der Formel wider, dass aus der Christologie die Missiologie und aus de Missiologie die Ekklesiologie hergeleitet werden müsse. Auch die geht in der Praxis nicht auf, weil die Christen, die sich wie Mike und Alan auf den missionalen Weg machen, ja keine unbeschriebenen Blätter sind, sondern alle möglichen kirchlichen Traditionen im Gepäck haben. Unbewusst, vielleicht, aber das Neue entsteht eben doch großteils in Anknüpfung an und Abgrenzung gegen das Vorhandene. Wie bei Hase und Igel: Die Kirche ist immer schon da. Oder wie Fitch sagt: Missiologie ist Ekklesiologie und umgekehrt.

Und das ist auch der zweite Kritikpunkt: Dass nämlich die Kirche als eine Größe von geschichtlicher Kontinuität in diesem Konzept verloren zu gehen droht. Bei allem Gestaltwechsel der Inkarnationen, Inkulturationen oder Kontextualisierungen ist es eben doch so, dass die ganz konkrete Praxis der Schriftauslegung, Gemeinschaft, der Taufe und Mahlfeier durch alle Zeiten erstreckt und alle Christen prägt und verbindet. Kirche entsteht nicht als creatio ex nihilo voraussetzungslos in jedem Augenblick der Geschichte neu auf der grünen Wiese, sondern sie entsteht aus dem Alten, das Gottes Geist immer wieder neu belebt wie die Totengebeine bei Ezechiel und das müde „Fleisch“ aus Joel 3. Wenn aber Kirche keine geschichtliche, konkrete Gemeinschaft von Menschen mehr ist, so Fitch, dann verblasst sie ganz schnell zum Konzept und zur Ideologie.

Fitch macht seine Kritik zwar an Frost und Hirsch fest, es gibt aber sicher noch mehr postmoderne Denker, denen sein Rat gut täte. Bei aller Bedeutung dieses Umbruchs ziehen sich eben auch viele Linien durch. Ich bin auch dafür, dass Kirche sich neu erfindet. Nur die Idee, geschichtslos auf den Nullpunkt zurückgehen zu können, ist gar nicht neu, sondern typisch modern. Und sie bringt die Beziehungen zu denen, die das „Alte“ schätzen, leider ziemlich oft auf Null.

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Die „Illusion der Emerging Church“

Spencer Burke schreibt, dass es weder „die moderne Kirche“ gibt, noch eine wirklich fassbare Größe namens „emerging church“. Das unterscheidet sich insofern von verschiedenen anderen Abgesängen und vor allem Abrechnungen, als er um ein differenzierteres Bild der Großwetterlage bemüht ist. Die Kirche insgesamt erlebt einen tiefgreifenden Umbruch, aber in mancher Hinsicht ist auch dieser Umbruch etwas, was sich ständig ereignet.

Anstatt nun die Kontraste zu scharf und statisch herauszuarbeiten, rät Burke zum Lernen und zur Offenheit nach allen Seiten. Sein letzter Absatz gefällt mir gut:

Someday those who are defending the church today will realize that it was the loss of modernity that they were grieving. And those who are so eager to be the torch bearers for the emerging church will be left with a new institution to feed. But for some, the Church will always be the Church and she will continue to surprise us…

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Samstag in München?

Viele sind gerade unterwegs zum ökumenischen Kirchentag nach München, manche sind sogar schon da. Ich selbst buddele mich gerade durch das üppige Programm und versuche, mich zwischen den vielen interessanten Veranstaltungen zu entscheiden.

Für alle, die noch nicht völlig zugeplant sind: Wer Samstag nachmittag Lust hat beim Zentrum „Zukunft der Kirche vor Ort“, trifft mich und weitere Leute von Emergent Deutschland dort mit einer kurz(weilig)en Präsentation und der Möglichkeit zum Reden und Diskutieren. 16.00 bis 17.30 Uhr in der Friedenskirche (Isarvorstadt) – alles Wissenswerte steht hier.

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Hörtipp fürs Wochenende

Neben dem sympathischen irischen Akzent sind es die (nicht immer ganz neuen, aber guten) Geschichten und die genial-unkonventionellen Gedankenspünge, die Peter Rollins bei seinem Insurrection Talk hinlegt. Hat mich gleich an mehreren Stellen kalt erwischt – im heilsamen Sinn.

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Verlockende Romantik

46169.jpg Alan Roxburgh analysiert in Missional Map Making mehrere spätmoderne Entwicklungen: Globalisierung, Pluralismus, drastische Armut, Demokratisierung des Wissens, rasanten technischen Fortschritt und mehr. Als letztes erscheint die Rückkehr zur Romantik. Caspar David Friedrichs Wanderer über dem Nebelmeer versinnbildlicht, worum es dabei geht: Der einsame Wanderer hat einen Punkt klarer Sicht oberhalb des trüben Schleiers gefunden, der über den Niederungen der Zivilisation (und, so würden wir heute hinzufügen ihren Abgasen) liegt. Sein Blick schweift in die grenzenlose Weite und sieht erhabene Dinge.

Ähnlich sehnen wir uns heute danach, unserer undurchschaubaren und unkontrollierbaren Welt ein Schnippchen zu schlagen und uns aufzuschwingen zu einer reinen, unverstellten, idealen Vision von Jesus und dem, was Kirche zu sein hat. Es ist der begreifliche Versuch, den trübenden und betrüblichen Auswirkungen unserer Kultur zu enteilen. Dabei verrät schon die Semantik der Buchtitel („wild“, „ungezähmt“) den Romantiker. Das Marketing der Verlage spielt diese Karte im Übrigen kräftig mit.

Auf den ersten Blick ist das sehr sympathisch und erfrischend attraktiv, doch der Anspruch neuer Klarheit inmitten gegenwärtiger Wirrungen ist nicht einlösbar. Denn auch der Hang zur romantischen Verklärung (siehe „Avatar„) gehört zu unserer Kultur. Er ist nur das Gegenstück zum Technokratentum, sein Schatten, aber nicht seine Überwindung. Am Ende drohen wieder fünf-Punkte-Programme oder drei Schritte zum missionalen Erfolg.

Theologisch genau betrachtet ist die Idee, mit einer reinen Schau der Dinge vom Berg der Verklärung herabzusteigen und andere mit dieser Erkenntnis von ihren Täuschungen zu erlösen, eine milde Form des Gnostizismus. O-Ton Roxburgh (da kommen die Anspielungen besser heraus):

All the idealists, with their wonderful dreams of a new future and a different kind of world, are reemerging, telling us about the shape of things to come or presenting us with some past moment in history that gives us clues to how we are to function in the new space.

… Such are the dreams of the new Gnostics. When our maps of the world no longer mark where we are, many will look for the Pied Piper who can lead them on the new „right“ path. In this new space, looking for a mysterious stranger to provide all the answers is a beguiling temptation but nevertheless a false and unrealistic hope.

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Kein Märtyrer

Ich mag Brian McLaren. Er hat eine unkonventionelle Art zu denken und er lässt sich nicht ins Bockshorn jagen. Er ist zudem ein angenehmer, unkomplizierter Zeitgenosse. Er hat Dinge in Worte gefasst, die manch anderer im christlich-konservativen Amerika kaum zu denken wagte, und vielen damit Mut gemacht, zu sich selbst und den eigenen Überzeugungen zu stehen.

Und er hat dafür einiges einstecken müssen. Und hier beginnt meine Sorge. In letzter Zeit kamen immer wieder einmal Töne, die mich (bei aller Differenz in der Theologie) an Hans Küng oder entfernt sogar Eugen Drewermann erinnern. Etwa wenn Brian im Huffington Post darüber nachdenkt, warum er so angefeindet wird und sich dabei auf das Milgram-Experiment bezieht. Da ist einiges schief im Vergleich und ich hoffe, Brian schafft es bald wieder, aus dieser Selbststilisierung zum Opfer eines kranken Systems auszusteigen, dessen Chefkritiker er ja gleichzeitig auch gerade zu werden scheint.

Bitte, lieber Brian: Sage weiter mutig – und positiv – was du denkst. Beziehe und halte deine Position und ermutige andere zum eigenständigen Denken. Aber lass, wenn überhaupt, andere dich als Märtyrer bezeichnen. Du wärst (wie Küng und der immer irgendwie weinerlich klingende Drewermann) ohne diese – zugegeben: oft bitteren – Kontroversen nie so bekannt geworden. Und neben den vielen „treuen Kritikern“ hat dir das auch viele gute Freunde beschert. Bleibe der Poet und Troubadour, der du bist. Lass dich nicht zum „Kritiker vom Dienst“ umbiegen. Und wenn du – wie wir alle ab und zu – deine Wunden lecken musst, dann tu das nicht in der Öffentlichkeit. Jim Wallis tut es auch nicht.

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Die Suche nach dem „dritten Weg“

Der dritte Weg ist derzeit für viele ein großes Thema. Es geht dabei nicht darum, zu sagen, dass alles bisherige falsch war – egal, wie man nun den ersten und zweiten Weg inhaltlich beschreiben würde – sondern nach einer Möglichkeit zu suchen, herrschende Gegensätze und vor allem Ausschlüsse zu überwinden, mit Paradoxien zu leben und zu einem tieferen Verständnis des Lebens vorzudringen. Im dualistischen Denken erscheint dies dennoch als Widerspruch.

Die Suche nach dem dritten Weg ist an vielen Stellen erkennbar. Es ist das erklärte Gegenstück zu faulen Kompromissen und kleinsten gemeinsamen Nennern. Es geht auch nicht um den prichwörtlichen „Mittelweg“. Anders als im Schema These-Antithese-Synthese scheint mir oft nicht die höhere Ebene, sondern das tiefere Verstehen das Ziel zu sein.

Treffend beschrieben hat Bernhard von Mutius diesen Ansatz in Die andere Intelligenz – Wie wir morgen denken werden. Ich habe eine stark vereinfachte Version seiner hilfreichen Gegenüberstellung hier eingefügt. Um die in dieser Kürze schablonenhaft wirkenden Begriffe zu entschlüsseln, ist die Lektüre des anregenden Sammelbandes jedoch sinnvoll.

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Es ist nicht einfach nur ein intellektueller, sondern ein spiritueller Weg. Das bedeutet, dass sich nicht nur der Inhalt der Erkenntnis dabei verändert, sondern auch ihr Subjekt. Für Glaube und Theologie hat auch Richard Rohr ein paar gute Gedanken dazu. Ganz am Ende von Ins Herz Geschrieben stellt er eine kleine Liste von Streitfragen zusammen, an denen die Misere des dualistischen Denkens sichtbar wird:

  • Kreationismus contra Evolution (bzw. Biblizismus und Szientismus)
  • Rechtfertigung durch Glauben contra gute Werke
  • Dilemma der Debatte um Homosexualität
  • Kontinuität contra Innovation
  • Geist contra Natur
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Jäger und Sammler

Für mich ist klar: Derzeit bildet sich eine Kirche heraus, die aus jedem Teil des Leibes Christi das Wertvollste einsammelt, was es an Weisheit in den verschiedenen Bereichen gibt: spirituelle Weisheit aus der Bibel, aus Meditation und Kontemplation, aus der Wissenschaft, aus dem politischen Ringen um Gerechtigkeit.

Richard Rohr, Ins Herz Geschrieben, S. 16

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Postliberale Theologie (6)

(Für alle, die erst hier einsteigen: Die Begriffe sind z.T. in den vorhergehenden Posts erklärt: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5)

Bei Sprachen ist es ja nun nicht so, dass eine „wahrer“ ist als die andere. Wie also lassen sich sprachlich-kulturell die Beziehungen der Religionen untereinander beschreiben, ohne in den Propositionalismus zu verfallen, der nur Wahrheit und Irrtum (oder gar Lüge) kennt? Lindbeck sieht hier mehrere Möglichkeiten:

  1. Unvollendet/Vollendet: Christen erkennen zum Beispiel die Schriften des Judentums an, halten die Offenbarung Gottes aber für unvollständig; ähnlich würden manche Vertreter des Islam die Beziehung zum Christen- und Judentum beschreiben
  2. Unterschiedliche Religionen sind einfach die Objektivierung gleicher oder ähnlicher Erfahrungen (das war der Expressivismus), sie meinen also dasselbe.
  3. Komplementär: Sie beschreiben verschiedene Dimensionen der Existenz, diese sind aber nicht prizipiell unvereinbar. Christen könnten etwa von Buddhisten etwas lernen über Meditation, die Buddhisten sich das soziale Handeln der Christen aneignen.
  4. Direkter Gegensatz: Widersprechende Ziele innerhalb gemeinsamer/überlappender Karten
  5. Kohärent/inkohärent bzw. Authentisch/Inauthentisch (echte Gläubige vs. nur oberflächlich oder aber militant Religiöse)
  6. Mehrere dieser Bestimmungen können gleichzeitig zutreffen

Für den religiösen Dialog bedeutet das: Kulturell-sprachlich steht erstens weniger die kooperative Erforschung gemeinsamer Erfahrungen im Zentrum, weil diese nicht mehr wie beim erfahrungsorientierten Expressivismus (der eigentlich nur Modell 2 zulässt) als das Eigentliche betrachtet und im Kern mit einander identifiziert werden.

Im Blick auf Amos 9,7-8 fragt Lindbeck: Es gibt in der biblischen Offenbarung zweifellos den Zeugenauftrag des Gottesvolkes, aber vielleicht hat Gott „nicht alles, was das Kommen der Gottesherrschaft betrifft, jenem Volk expliziter Zeugen anvertraut, das weiß, was und wo Jerusalem ist, und das (wie die Gläubigen hoffen) – wenn auch nur abweichend – darauf zuwandert.“ (S. 85)

Wenn also auch die anderen im Plan Gottes für seine Welt eine Rolle spielen könnten, fragt er weiter, ob die missionarische Aufgabe von Christen auch manchmal (wichtig: nicht prinzipiell, und nicht prinzipiell nur…) sein könnte, Juden (bzw. Muslime, Marxisten, …) zu ermutigen, bessere Juden (oder …) zu werden.

Im nächsten Post geht es weiter mit der Frage des Heils und den verschiedenen Religionen.

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Postliberale Theologie (5): Karten und Kategorien – Wahrheitsansprüche neu denken

Beim Propositionalismus geht es um die Übereinstimmung zwischen der Struktur des Wissens und der Struktur des Gewussten. Es gibt nur wahr oder falsch (egal ob das Irrum ist oder Lüge). Ausdrucksorientiert könnte man „Wahrheit“ als symbolische Effektivität verstehen, die aber ist schwer zu bestimmen und zu vergleichen. Man könnte höchstens sagen, alles was irgendwie „wirkt“, ist auch irgendwie „richtig“, weil es einen Nerv trifft.

Sprachlich-kulturell stellt sich die Frage nach der Angemessenheit der Kategorien (analog z.B. zu mathematischen Systemen), sie machen die Formulierung von Wahrheiten erster Ordnung/Intention erst möglich. Eine kategorial „wahre“ Religion macht angemessenes Reden von Gott erst möglich – es muss aber nicht jede einzelne ihrer Aussagen deshalb (propositional/ontologisch) „richtig“ sein, also die Wirklichkeit korrekt wiedergeben

Die Kategorien verschiedener Religionen können etwa inkompatibel sein: „Größer“ bedeutet nicht „röter“. Westliche Religionen haben zum Beispiel keine Kategorien, um sich auf das buddhistische Nirwana zu beziehen, sie können daher erst einmal gar keine sinnvollen Aussagen dazu machen. Umgekehrt, sagt Lindbeck,

… viele Christen behaupten, dass die Geschichten von Abraham, Isaak, Jakob und Jesus Teil des Referenzsinnes des Wortes „Gott“, so wie dies in der biblischen Religion gebraucht wird, sind, und sie schließen daraus, dass Philosophen und andere, die keinen Bezug auf diese Erzählungen nehmen, mit „Gott“ etwas anderes meinen. (77)

Es gibt aber kulturell-sprachlich kein allgemein gültiges Grundkonzept wie bei den ersten beiden Ansätzen, keinen neutralen oder „objektiven“ Ausgangspunkt, an dem sich Wahrheitsansprüche messen lassen.

Propositional gedacht muss eine Religion fehlerfrei sein, um unüberholbar zu werden (Glaube, Schrift, Kirchenlehre) und die höchsten Offenbarungsinhalte (mit Thomas von Aquin gesprochen: revelabilia) vollständig enthalten. Andere Religionen haben dann einen geringeren Wahrheitsgehalt, sind vermischt mit Irrtümern oder sind unvollständig.

Expressiv gedacht besteht die Möglichkeit, dass Religionen sich gegenseitig ergänzen und verstärken, aber die Qualität des symbolischen Ausdrucks findet schwerlich eine Obergrenze, es wäre also immer eine Steigerung denkbar.

Kategorial ist das leichter zu denken: Möglicherweise hat eine Religion die passendsten Kategorien. Andere Religionen könnten kategorial „falsch“ sein, aber trotzdem echte Erfahrung und propositionale Wahrheit enthalten.

Denkt man über Religionen in einer kognitivistischen Weise, sind sie immer sinnvoll genug, um falsch sein zu können, und die teuflischste kann einige Schimmer von Wahrheit sogar dann enthalten, wenn es sich um nicht mehr als den Glauben an die Existenz des Teufels handeln sollte. In einer kategorialen Interpretationsweise könnten im Gegensatz dazu Satansglaube oder Satanismus weder wahr noch falsch sein, sondern wie Ansichten über einen quadratischen Kreis lediglich unsinnig sein (obgleich auf sehr abscheuliche Weise).

Eine Religion kann (auch im kategorialen Denken) in ihrer gelebten Gesamtheit von Lehre und gemeinschaftlicher Praxis als Proposition gedacht werden, als Entsprechung zu Gottes Sein und Willen. Ein Vergleich mit Landkarten hilft hier weiter. Karten, das ist dabei wichtig, müssen gebraucht werden, um zur Proposition zu werden.

  • Werden sie falsch gelesen, sind sie Teil einer falschen Proposition: man kommt nämlich nicht ans Ziel, wenn man die Himmelsrichtungen verwechselt.
  • Umgekehrt sind sie trotz Fehlern im Detail „wahr“, wenn man das Ziel tatsächlich erreicht (darum geht es ja, nicht um bloßes Wissen)
  • Eine Phantasiekarte (etwa von Mittelerde) ist dagegen kategorial falsch – und praktisch nutz- und sinnlos
  • Eine exakte Karte von einem irrelevanten Raum (Frankreich, aber ich will nach Prag) ist ebenfalls unnütz
  • Hat eine Karte korrekte Größenverhältnisse, kann sie propositional wahr oder falsch sein (die Entfernung A-B stimmt, aber B ist nicht, wie angegeben, Prag)
  • Manche Karten oder Routenpläne sind anfangs akkurat und werden dann vage oder falsch
  • Eine ungenaue Skizze genügt manchen Leuten, wenn sie einen guten Orientierungssinn haben
  • viele Details können, selbst wenn sie „stimmen“ manche zur Umständlichkeit verleiten bzw. auf „interessante“ Umwege schicken (gilt im Glauben noch mehr als bei Karten oder Reiseführern)
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