Die Teaparty-Bewegung, ein inhomogenes Aufbegehren der Rechten in den USA, droht die Republikanische Partei zu radikalisieren. Es droht das Ende der Volkspartei als Big-Tent-Phänomen, das in der Mitte der Gesellschaft verankert ist.
Etwas Ähnliches ereignet sich anscheinend gerade unter den US-Evangelikalen. Durch einen Post von Björn Wagner stieß ich auf diesen Artikel von Scot McKnight, der ötdlich frustriert den Rechtsruck einer offenen Bewegung mit durchaus progressiven Elementen zu einem strikten dogmatischen Calvinismus, dem euphemistisch als „complementarianism“ bezeichneten patriarchalischen Geschlechterverhältnis in Familie und Kirche, fundamentalistischem Bibelverständnis (Stichwort „inerrancy“) und Kreationismus, um die Liste der theologisch-kulturellen Grausamkeiten voll zu machen.
Symbolfigur dieser Machtergreifung ist für McKnight der Southern Baptist Al Mohler, der wurde unlängst von Christianity Today als Reformator beschrieben. Nicht mehr gefragt sind offenbar Denker wie J.I. Packer oder auch der Brite John Stott, der eine Schlüsselfigur der Lausanner Bewegung und des Manifests von Manila.
Die Ironie an der ganzen Geschichte ist aber auch, dass McKnight sich in letzter Zeit deutlich von emergenten Stimmen wie Brian McLaren distanzierte und seine evangelikalen Wurzeln betonte, die McLaren seiner Meinung nach aufgegeben hatte. Die Termini „emerging“ und „emergent“ erschienen ihm und anderen (wie meinem Freund Jason Clark) als zu unscharf, die Bewegung dahinter theologisch zu beliebig – und das ist sie in den USA zu einem nicht geringen Teil auch. Wobei man bei McKnights ernüchterndem Ausblick ahnt, warum das Schlagwort a new kind of christianity auch als Abgrenzungsbegriff existiert.
Nur wandelt sich die Heimat just in dem Moment, wo McKnight sich dezidiert zu ihr bekennt, unversehens zur Fremde. Vielleicht hat Brian McLaren – der ja von Rechtsevangelikalen sehr vehement angegangen wurde – nur früher und deutlicher gesehen, wohin der Hase läuft, und dass der Begriff evangelical trotz aller Rettungsversuche auf Jahre hinaus ebenso verbrannt ist wie emergent?
Am Sonntag beginnt in Kapstadt der große Weltkongress der Lausanner Bewegung. Vielleicht schaffen es die 4.000 Delegierten, viele aus dem globalen Süden, ja noch, das große Zelt wieder ganz weit zu spannen. Und vielleicht wirkt sich das auch in den USA aus, wo man es (zumal im Süden) nicht so gewohnt ist, von anderen zu lernen beziehungsweise deren Existenz und Denkweisen bestenfalls durch ein Zielfernrohr (mit dem Finger am Abzug) zur Kenntnis nimmt.
Ich würde mich freuen, wenn als Folge der Global Conversation in Kapstadt viele von einem „neuen Christentum“ sprechen, das bunt und vielfältig wie nie in einer multipolaren Welt konstruktiv mitmischt, ohne in die reaktionären Reflexe zu verfallen. Vielleicht finden wir auch einen besseren Begriff, hinter dem sich alle versammeln, zu denen die alten Kategorien nicht mehr passen.
Hallo Peter!
„Vielleicht finden wir auch einen besseren Begriff, hinter dem sich alle versammeln, zu denen die alten Kategorien nicht mehr passen.“
Diesen Begriff bzw. gleich mehrere davon gibt es doch schön längst: „Christen“, „Nachfolger Jesu“, „Jünger“ etc.!
Wo immer ein Begriff auf das Zentrum des Evangeliums verweist, statt darum bekümmert zu sein, die Peripherie kleingläubig-ängstlich abzustecken, erweisen sich alte Kategorien als das, was sie sind: alt.
Christus ist neu – gestern, heute und auch morgen.
PS: Mir ist klar, dass dort, wo Strukturen gewachsen sind und in Form von bestimmten Konfessionen und Denominationen Gestalt angenommen haben, auch über Programme, Begrifflichkeiten etc. diskutiert werden muss, die über diese Grundsatzbemerkung „hinausgehen“. Wo diese Grundlegung dagegen hinter Programmen und Begrifflichkeiten verschwindet, endet man in Sackgassen. Genau das ist mit einem großen Teil der Evangelikalen und mit einigen Emergenten in den USA passiert (Analogien gibt’s auch bei uns): was in Louisville geschieht, ist nur die Flucht von der einen Sackgasse in die nächste. Insofern teile ich Deine Hoffnung, dass sich da in Kapstadt etwas tut!
Vielleicht ist Bo Giertz schon ein bisschen veraltet. Bei ihm habe ich seinerzeit etwa folgendes gelesen: Wenn in der Kirche etwas Neues aufbricht, Menschen neu die freimachende Botschaft des Evangeliums erleben, stellt sich zwangsläufig sehr bald die Frage, wie es denn weitergehen soll mit den Kindern, der Gemeindestruktur und vielem anderen. Die Kirche braucht Strukturen.
Wenn das stimmt, ist die Sackgasse vorprogrammiert – .
Der Weltkongress der Lausanner Bewegung mit seinen 4000 Delegierten kann nicht mehr sein als ein Standort-Austausch. Die Wellen der Globalisierung machen nirgends Halt, sie bringen die festesten Fundamente in Bewegung und lassen gerade eben Errungenes schon wieder fragwürdig erscheinen.
Die Jahreslosung „Siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf…“ hat sich mir mit dem emergenten Aufbruch verbunden und gleichzeitig mit der Prophetie des Bileam: „Ich sehe ihn, aber nicht jetzt; ich schaue ihn, aber nicht von nahem.“
Unter den Früchten des Heiligen Geistes ist die Geduld nicht die geringste.