John Piper, Roger Olson und die „Avengers“

Müdigkeit und Langweile auf einem Langstreckenflug haben mich tatsächlich dazu gebracht, The Avengers anzuschauen. Die ewig alte Story: Comic-Superhelden retten die Welt, mit unendlich viel Feuerwerk und zwischendrin einer hübschen, schlagkräftigen Frau, Laserblitze fliegen so langsam, dass noch Zeit zum Ausweichen bleibt, Manhattan wird zum hundertundx-ten Mal in Trümmer zerlegt; eigentlich alles nicht der Rede wert.

Wäre da nicht die ein Szene gewesen, zur Stärkung des teutonisch-düsteren Elements in „Stuttgart“ angesiedelt, wo der Bösewicht Loki (diesmal hat man auf der Suche nach noch unverbrauchten Schurken die germanischen Mythen geplündert – Thor muss dafür bei den „Guten“ helfen) das Publikum des Opernhauses durch eine Demonstration willkürlicher Gewalt auf die Knie zwingt. Und dann sagt dieser „Gott“ sinngemäß zu den zitternden Stuttgartern: „Seht Ihr, so ist es richtig, dafür seid Ihr doch in Wahrheit geschaffen worden.“ Friede durch absolute Unterwerfung.

Auch keine neue Idee, aber sie hat mich unwillkürlich an das Gottesbild von John God-Is-Angry Piper erinnert, wohl weil ich tags zuvor diesen Post von Roger Olson gelesen hatte. Olson setzt sich mit dem Gott der Willkür auseinander, den Piper aus seiner extremen Calvin-Interpretation her zeichnet. Mir war das eben deshalb schon immer fremd, weil Zorn und Unterwerfung, Drohung und Einschüchterung so im Mittelpunkt stehen. Und nachdem ich diese Frage schon mehrfach aufgeworfen habe, hier nochmal Olsons Formulierung derselben:

Ich sage jetzt nicht, Piper ist kein Christ; ich sage nur, seine Ansichten sind viel, viel schlimmer als Open Theism. Open Theism [eine Art Prozesstheologie] bewahrt wenigstens Gottes Charakter. Und ich sage, dass ich nicht guten Gewissens einer Gemeinde angehören könnte, die Piper oder einer seiner Anhänger leitet (…). Ich würde mir wünschen, dass gemäßigte Calvinisten sich gegen Piper stellen, wenn er solche Sachen sagt (und gegen seine Imitate, wenn sie das wiederholen). Dass das nicht geschieht, macht mir wirklich Sorgen. Was denken die nur?

(Wer sich weiter mit der Problematik neoreformierter Positionen auseinandersetzen will, kann bei Krish Kandiah weiterlesen)

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Korea (9): Die weibliche Perspektive

Der letzte Beitrag am Montag: Abschließend spricht Dr. Min Jung Kim, sie ist Pastorin, leitet das Good Ministry Institute und Gastdozentin am Fuller Seminary und arbeitet als „Chaplain“ (gibt’s dafür einen deutschen Begriff?) von MCM, deren koreanischer Zweig auch von einer Frau geführt wird. Pastorinnen dürfen in Korea, wenn sie überhaupt ordiniert werden, weder Beerdigungen noch Abendmahlsgottesdienste halten, sagt sie. Oft sind sie für die männlichen Kollegen eine Art Sekretärin oder sie kümmern sich um den Kindergottesdienst.

DSC06018Trotz Promotion wurde sie selbst alles andere als freudig begrüßt in ihrer Denomination, daher auch die vielen unterschiedlichen Tätigkeiten in Gemeinde, Studium und Forschung und Wirtschaftsleben. Ihr Fachwissen zum Thema Integration neuer Gemeindeglieder in den Kirchen eignete sie sich an, weil sie keine Gelegenheit zur öffentlichen Wortverkündigung bekam.

Frauen in irgendwelchen Führungspositionen – in der „säkularen“ Welt keine Seltenheit – tauchen in den Gemeinden gar nicht auf, sagt sie. Weil sie nicht predigen durfte, schrieb sie Bücher und hielt Fortbildungen für Pastoren. Sie betrachtet sich als Wegbereiterin für ihre zukünftigen Kolleginnen: Kürzlich durfte sie die Beerdigung des ehemaligen Chefs von Hyundai halten.

Sie wirkt entschlossen und kämpferisch, glaubt aber nicht an einen schnellen Erfolg, in Korea ändert sich das wohl erst, wenn Jesus wiederkommt, sagt sie. Immer mehr Frauen studieren Theologie, aber sie kommen in den Gemeinden nicht zum Zug. Als „Firmenpfarrerin“ bei MCM/Sungjoo predigt sie nun bis zu sieben Mal in der Woche.

Und da kommt auch schon die Frage, die mir auf der Zunge lag: Müssen die Gemeinden, in denen Frauen leiten und predigen dürfen also erst noch gegründet werden? Das sei sehr schwierig, sagt Dr. Min Jung Kim. Hier werden neue Gemeinden in der Regel durch Ausgliederung von Gruppen aus großen Muttergemeinden gegründet. Selbst da scheitern viele Gründungsprojekte. Die Verbände stellen keine Mittel bereit, eine Frau stünde also völlig allein, wenn sie das täte.

Am Erbe der US-Missionare kritisiert sie den evangelikalen Heilsindividualismus. Nicht das Versagen der Leiter, sondern die Selbstbezogenheit der Christen und Gemeinden insgesamt hat den Bedeutungsverlust ausgelöst – hier widerspricht sie ihren Vorrednern also. Wenn die sozialen Aspekte des Evangeliums nicht wieder entdeckt werden, lässt sich das miese Image auch nicht mehr umkehren.

Unter den PioniermissionarInnen hier war auch eine Offizierin (geht das auf Deutsch?) der Heilsarmee aus Südafrika. Das wäre doch eine lokale Tradition, an die sich anknüpfen ließe…

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Korea (8): Soziale Pioniere

Rev. Bom Seok Kim berichtet von seiner Arbeit als „Wirtschaftsmissionar“ – so wird er hin und wieder scherzhaft genannt: Er möchte mit der Merryyear Foundation Geschäftsleute dazu bringen, durch Mikrokredite Bedürftigen zu helfen, wirtschaftlich auf die Beine zu kommen – nicht nur in Korea, sondern auch in anderen Ländern wie Vietnam oder Malawi.

Er sagt, die Kirchen in Korea haben in der Gesellschaft an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Das Engagement für soziale Gerechtigkeit auf dem Boden des Evangeliums könnte so ein Schritt sein. Statt 20 Millionen Dollar für ein Gebäude auszugeben, hat sich seine Gemeinde entschieden

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Frau Myung Sook Cho, sie ist stellvertretende Leiterin einer Schule für Flüchtlinge aus Nordkorea, und das, obwohl Frauen in der Diktatur dort alles andere als angesehen sind. Sie begann früh, sich um von Abschiebung bedrohte nordkoreanische Flüchtlinge in China zu kümmern. Also verhalf sie einer Gruppe zur Flucht nach Vietnam und kam dafür ins Gefängnis.

Weil die Leute, mit denen sie arbeitet, aus einem brutalen Überwachungsstaat vor dem Hungertod geflohen sind (1996-98 starben 3 Millionen Menschen oder 15% der Bevölkerung), trauen sie niemandem über den Weg, erst recht keinem unsichtbaren Gott. Die Schule hilft ihnen, sich in der südkoreanischen Gesellschaft zurechtzufinden, so dass sie im hiesigen Bildungssystem Anschluss finden.

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Rev Kim gibt der derzeitigen Regierung die Schuld für das schlechte Klima zwischen den koreanischen Staaten und hofft auf einen Wechsel bei den anstehenden Wahlen, der eine Wiedervereinigung wahrscheinlicher machen würde. Vielen Südkoreanern machen aber die Kosten einer Wiedervereinigung Sorgen, nicht jeder möchte tatsächlich mit den armen Landsleuten im Norden teilen. Daher sind auch die Bemühungen im eine Wiedervereinigung eher halbherzig, 60 Jahre nach dem Krieg.

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Reformation auf Koreanisch

Das zweite Podiumsgespräch am gestrigen Montag: Generationenwechsel in traditionellen (Mega-)Gemeinden – der verlief keineswegs überall gut, aber es gibt etliche gute Beispiele:

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Rev Kee Chae Han von der Evangelical Homines Church (1907 von Koreanern gegründet, inzwischen als quasi eigene Konfession auf 3.000 Gemeinden im Land). Theologische Ausbildungsstätten sind die Laboratorien und Übungsfelder für ihn. Seine Gemeinde spricht von „total care ministry“ – jede Lebensphase vom Mutterleib bis an die Schwelle zur Ewigkeit soll möglichst gut begleitet werden. Rund 1.200 ehrenamtliche Leiter arbeiten in seiner Gemeinde mit.

Rev. Han spricht die Sprache des Managers: Er nennt drei Paradigmenwechsel, über die er ein Buch geschrieben hat, reißt fünf Stadien der Entwicklung von Leitern nach John Maxwell an und erklärt die vielfältigen Programme seiner Gemeinde für alle möglichen Zielgruppen, Sprachen und Kulturen und nennt Bildungsprojekte in Nepal und Kambodscha. Den Werten seiner Gesellschaft, Macht, Geld und Ansehen, setzt er die Begriffe Liebe, Frieden und Freiheit entgegen.

Aber auch er sorgt sich um den Ansehensverlust der Evangelikalen, daher hat eine eine Art Ethikcode für sich und seine Kollegen geschrieben. Offenbar gab es eine ganze Reihe von Fällen, wo diese moralisch versagt haben: sexuelle Belästigung von Gemeindegliedern, die Veruntreuung von Geld und Ähnliches. Dazu kommt die absurde Zersplitterung: Allein die Presbyterianer haben 250 (!!) Verbände – vermutlich das problematische Erbe der US-amerikanischen Mutterkirchen, die dürften auch für das antikatholische Ressentiment verantwortlich zeichnen.

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Pastor Park, Samuel No-Cheol spricht von den Wundern in Korea: Gemeindewachstum (heute sendet man Missionare in alle Welt), Wirtschaftswachstum (von Nehmer- zum Geberland). Er ist seit drei Jahren Pastor einer großen, aber im Stil sehr traditionellen Gemeinde, der Seoul Presbyterian Church, in der seine zeitgemäße Predigtweise trotzdem gut ankommt. Auch viele andere Gemeinden werden inzwischen von Koreanern geleitet, die einen großen Teil ihrer Kindheit und Jugend im Ausland verbracht haben und mehrsprachig aufgewachsen sind. Der Fachbegriff lautet 1.5 Generation.

Pastor Hyung Eun Lee von der Sungnak Evangelical Holiness Church („nur“ ca. 3.000 Gottesdienstbesucher, 7.000 Mitglieder) spricht über die Notwendigkeit des Wandels und der Reformation in Korea. Er hat über den Pietismus promoviert, der nicht nur kirchliche, sondern auch gesellschaftliche Reform im Blick hatte, und hat auf Eugene Petersons Kritik an Megachurches geantwortet. Praktische Alltagssituationen sind in seinen Predigten sehr wichtig. Der Lebensbezug darf nicht verloren gehen. Zugleich müssen wir wieder zurück zum Ursprung, zur alten Kirche und zum Text des Neuen Testaments.

Hier sitzen drei Männer, die sich sehr um die Zukunft ihrer Kirchen sorgen. Sie spielen die Probleme nicht herunter, suchen nach Lösungen, brechen mit alten Mustern, lösen sich von ihren Vorgängern und sind bereit, dafür selbst einen hohen Preis zu bezahlen. Ob ihre Konzepte schon weit genug greifen oder nicht, wird man sehen müssen. Aber wenn sie sich durchsetzen, bekommt vielleicht die Ökumene eine neue Chance. Immerhin!

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Korea (7): Die großen Fragen der Zukunft

Taifun Bolaven ist noch einen Tag entfernt. Ein weiterer sonniger und vor allem hochkarätig besetzter Studientag hat begonnen: Pastor Daniel Donwon Lee von der Global Mission Church begann den Vormittag. Er kam – wie viele seiner Kollegen – als Student in die USA und war dort mit der Gemeindewachstumsbewegung und Donald McGavran in Kontakt. Aber wie viele seiner Kollegen stellt auch Pastor Lee kritische Fragen angesichts rückläufiger Trends in Korea: Die (evangelische) Kirche schrumpft und ihr Einfluss geht zurück. Lee spricht über die zehn Qualitätskriterien natürlicher Gemeindeentwicklung und die Kritik von Howard Snyder am Church Growth Movement, weil dort neben dem quantitativen auch das qualitative Wachstum der Gemeinden in den Blick kommt. Nun sind Zellgruppen und „Spiritual Formation“ ein großes Thema hier.

Interessant ist das insofern, als es zeigt, dass die Koreaner trotz ihrer Erfolge und Größe immer noch Impulse aus dem Ausland suchen und aufnehmen. Irgendwie gelingt das uns Deutschen insgesamt weniger gut, würde ich sagen. Bei allen kulturellen und theologischen Differenzen muss man vor dieser Haltung erst mal den Hut ziehen.

Gesunde geistliche Leitung hat mehrere Faktoren, sagt Lee:

  1. eine Balance zwischen Vision und Mission, zu der neben dem Mut zum Träumen auch die Fähigkeit gehört, die eigenen Grenzen anzunehmen
  2. eine Balance zwischen großen und kleinen Gruppen: große Sonntagsgottesdienste allein machen keine gesunde Gemeinde
  3. eine Balance zwischen Familie und Gemeinde
  4. eine Balance zwischen Arbeit und Ruhe: viele Koreaner sind sehr fleißig und ungeduldig, sie gönnen sich kaum Ruhe. Eine Spiritualität des Sabbat und des kontemplativen Gebets kann da helfen. Leider sehen viele das noch als etwas „Katholisches“ an.
  5. eine Balance zwischen Evangelium und kulturellem Kontext: koreanische Christen haben hier in Lees Sicht eher auf Konfrontation gesetzt und alles andere unter Synkretismusverdacht gestellt
  6. eine Balance zwischen der eigenen Gemeinschaft und der Herrschaft Gottes
  7. eine Balance zwischen den Interessen und Bedürfnissen des einzelnen und der Gemeinschaft

Der Direktor von Campus für Christus in Korea, Sung Min Park, spricht über die Herausforderung freier Werke, dem ursprünglichen Auftrag treu zu bleiben und zielorientiert zu arbeiten. Jedes Jahr werden die praktischen Methoden der evangelistischen Gesprächsführung überarbeitet und angepasst – im Moment ist das „Soularium„, eine Bildkartensammlung, der letzte Schrei.

Jik Han Koh von YOUNG 2080 bildet junge Leiter aus und arbeitet mit Charles Kim zusammen, der am Freitag hier war. Er bezeichnet sich als Hersteller von Sprengstoff („TNT“ steht auch für „Twenties ’n‘ Thirties“). Ausgewogenheit findet er weniger wichtig, geistliche Aufbrüche können Kultur und Gesellschaft nur dann verändern, wenn sie Durchschlagskraft entwickeln. Seine Arbeit zielt in drei Richtungen: „Bible Korea“, „United Korea“ und „Mission Korea“ – da ist also wieder die Verbindung von Glaube und Nation, die wir aus der Geschichte schon kennen.

Und die Wachstumskurven der zurückliegenden Jahrzehnte scheinen für ihn Ansporn und Norm zu sein, wenn es um die Zukunft geht: Zahlen über Zahlen füllen seine Präsentationsfolien. Immer wieder fallen Begriffe wie „Dynamit“ und „Revolution“ im Zusammenhang mit der jüngeren Generation, die dafür sorgen soll, das die nächste Generation von Christen zur „goldenen Gans“ der koreanischen Gesellschaft wird.

Die anschließende Diskussion ergibt weitere interessante Aspekte:

  • „Liberale“ (in unserem Sprachgebrauch wohl eher: politische) Theologie entwickelte sich in Korea im Widerstand gegen die Diktatur. Evangelikale glaubten, dass Evangelisation irgendwann die Gesellschaft von selbst verändern würde und hielten sich heraus aus Demonstrationen. Heute sehen sie das selbstkritisch. Der Versuch, durch die Gründung einer christlichen Partei politisch mitzuwirken, gilt als gescheitert, nun herrscht etwas Ratlosigkeit über das weitere Vorgehen. Da waren die Katholiken besser dran, sie konnten zum Beispiel auf Befreiungstheologie aus Lateinamerika zurückgreifen.
  • Vielen Gemeinden scheint die jüngere Generation wegzubrechen. Unter jungen Christen ist eine Stillebewegung entstanden. Leider, sagt Pastor Lee, bleibt aber selbst diese Bibelmeditation oft an der Oberfläche; damit sie wirken könnte, müsste die kontemplative Dimension gestärkt werden.
  • Die jüngere Generation in Korea leidet unter der für hiesige Verhältnisse hohen Arbeitslosigkeit (knapp 10%), daher zögern viele zu heiraten und es werden weniger Kinder geboren. Die Zukunftsaussichten haben sich eingetrübt. Junge Leute stehen unter solchem Leistungsdruck, dass sie oft den Kontakt zu jeglicher Form christlicher Gemeinschaft verlieren.
  • Bei Campus, sagt Rev. Park, hat man die „modernistische Apologetik“ zurückgestellt zugunsten dialogischerer und emphatischerer Ansätze. Wie „postmodern“ die tatsächlich sind, frage ich mich gerade – das klingt mir noch mehr nach Techniken denn nach verinnerlichten Haltungen: Er würde gern Kreationismus neben der Evolutionstheorie in die Schulbücher bekommen, aber auch das ist bisher gescheitert (Gott sei Dank…!). Da sind wir wieder bei der Spannung zwischen der eher fundamentalistischen Tendenz vieler Protestanten hier (und von Campus für Christus generell) und einer zunehmend pluralistischen Kultur.
  • Für unsere Referenten benutzen „christlich“ und „protestantisch“ als Synonyme. Katholiken werden wie Buddhisten, der Islam oder Konfuzianismus weitestgehend als Konkurrenz empfunden. Wer sich zu positiv äußert, kann in konservativen theologischen Ausbildungsstätten hier durchaus seine Anstellung verlieren (Karl Barth zu erwähnen reicht anscheinend auch schon – warum auch immer). Insofern fallen die Antworten auf Nachfragen sehr zurückhaltend aus. Unbefriedigend, demnächst soll in Busan der Ökumenische Rat der Kirchen tagen.
  • Interessante selbstkritische Einsicht gegen Ende: Die Koreaner haben westlichen Imperialismus in der Mission kritisiert und zwischenzeitlich festgestellt, dass die eigenen Missionare denselben Fehler begingen.
  • Pastor Kang unterstreicht die Bedeutung der Spiritualität. In Korea ist das Thema unterentwickelt, gerade hier sind Richard Foster, Dallas Willard oder Philip Yancey Vorbilder – und das Studienkonzept des George Fox Seminary. Lee erwähnte immerhin Henri Nouwen. Vielleicht stehen in zehn oder zwanzig Jahren ja auch Katholiken wie Richard Rohr, Franz Jaliczs oder Thomas Merton auf der Liste?
Die Frage, die bei mir zurückblieb, lautet: Lassen sich Fehler und Schwächen, die man im 19. Jahrhundert aus Amerika übernommen hat (konfessionelle Zersplitterung, Gesetzlichkeit im Blick auf Alkohol, sehr traditionelle Definition von Geschlechterrollen, autoritäre Führung, kleinkarierter Dogmatismus), nun mit (durchaus respektablen) Denkern und Autoren aus dem Amerika des 20. Jahrhunderts (selbst wenn Willard, Foster u.a. alle noch leben, da liegt ihr Schwerpunkt) kurieren? Oder ist das lediglich eine momentane Zwischenstation auf dem Weg ins 21. Jahrhundert, in dem die meisten schlicht noch nicht angekommen sind?
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Sonntag in Seoul

Nach einem samstäglichen Ausflug an die innerkoreanische Grenze (für jemanden, der nahe der innerdeutschen Grenze den größten Teil seiner Kindheit zugebracht hat, eine interessante Erfahrung) standen gestern Gottesdienstbesuche in verschiedenen Gemeinden auf dem Programm.

Ich habe aus der Gruppe viele gute Dinge gehört, nachdem das Frühgebet am Samstag eher zurückhaltend bis kritisch kommentiert worden war. Die Yeoksam Parish bietet um 9:30 Uhr eine Messe auf Englisch an, und nachdem das nur um die Ecke war, entschied ich mich für den katholischen Gottesdienst. Die Eucharistie mit den vertrauten Worten weckte in mir als Lutheraner schon fast heimatliche Gefühle. Ach ja: ich habe keine einzige Krawatte im Raum entdecken können.

Später fand ich dann in der Wikipedia die – hoffentlich korrekte – Information, dass die Katholiken in Korea 10,3% der Bevölkerung ausmachen und im vergangenen Jahrzehnt um 70% gewachsen sind. Wie sich das Wachstum erklären lässt, stand leider nicht sehr detailliert dabei. Mag sein, dass eine Reihe desillusionierter Evangelikale darunter sind. Und die positive Rolle der Katholiken bei der Demokratisierung Koreas hat offenbar auch eine Rolle gespielt. Unsere evangelischen Referenten haben ja schon durchblicken lassen, dass ihre Gemeindekultur durchaus autoritäre Tendenzen hatte.

Je besser ich die Leute in unserem Kurs kennenlerne, desto begeisterter und beeindruckter bin ich von den Persönlichkeiten, ihren Lebensgeschichten, der respektvollen, herzlichen und offenen Art des Umgangs miteinander, den tiefen und anregenden Gesprächen. In dieser Qualität habe ich das noch nicht so schrecklich oft erlebt. Es ist ein echtes Geschenk, mit diesen Leuten unterwegs zu sein!

Die Sonne scheint und die Temperaturen liegen über 30 Grad. Für morgen ist der Taifun Bolaven angekündigt. Derzeit hat er Windgeschwindigkeiten von knapp unter 200 Stundenkilometern und lässt 50 Liter Regen in einer Stunde niedergehen. Wir bekommen die ganze Palette des Wetters ab. Mal sehen, welche Folgen das für die Rückflüge hat…

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Der frühe Beter fängt den Segen

Heute morgen habe ich mein erstes original koreanisches Frühgebet miterlebt – in der Myung Sun Presbyterian Church von Pastor Kim Sam-Whan. Früh ist sehr wörtlich gemeint – vor Sonnenaufgang. Unsere Gruppe traf rechtzeitig um 6.00 Uhr zum zweiten Gottesdienst dieses Wochen(!)tages ein. Im riesigen und brandneuen Auditorium (rechts im Bild, links die „alte“ Kirche) waren die 7.500 Plätze zu gut zwei Dritteln gefüllt. Wir wurden sehr freundlich begrüßt und herzlich aufgenommen.

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Das Frühgebet ist das Markenzeichen dieser Gemeinde, die 1980 gegründet wurde und seither gewaltig angewachsen ist. Was mich dann aber doch erstaunte, war, dass heute zumindest kaum gebetet wurde und außer zwei Liedern und dem Segen der Gottesdienst eigentlich aus einer langen Predigt bestand.

Inhaltlich war die Predigt insofern sehr interessant, als zwei Dinge immer wieder auftauchten: Die ständige Mahnung zum Gebet und zur Teilnahme an den Gemeindeversammlungen – besonders den fünf täglichen Frühgebeten (das erste beginnt um 4.50 Uhr, nach zwei Intensivwochen, die im Moment anstehen, ist es dann aber nur ein Termin wochentags) – sowie zu Disziplin und Treue auf der einen Seite und auf der anderen Seite das Motiv des Aufstiegs, das sich an der Entwicklung der Gemeinde (wer täglich kommt, hat das vermutlich schon tausendmal gehört), ihres Gründungspastors, aber auch an der koreanischen Gesellschaft insgesamt festmacht.

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Max Weber hätte kein besseres Beispiel finden können für die Korrelation von Calvinismus und wirtschaftlichem Erfolg. Der Aufstieg Koreas zu einer Wirtschaftsmacht, der Wohlstand seiner Bürger, die Erfolge der Familien bei der Ausbildung ihrer Kinder (90% absolvieren angeblich ein Hochschulstudium, wenn der manchmal etwas unsichere Übersetzer das richtig vermittelt hat) wird als Gottes Gnade gedeutet. Und nun, wo Disziplin das alles ermöglich hat, wird weiter Disziplin gepredigt, um es nicht zu verlieren.

Ob das aufgeht, ist eine andere Frage. Plötzlich war nicht nur mir sonnenklar, warum wir gestern gehört hatten, dass sich viele Christen nach Spiritualität sehnen und deshalb den Gemeinden den Rücken kehren – wir kennen in Deutschland ja analoge Prozesse, wo die Kinder der pflichtbewussten Kriegs und Nachkriegsgeneration sich von den Werten der Eltern lösten.

Ganz am Schluss gab es noch eine unerwarteter Zugabe: Irgendwer hatte einen Knopf gedrückt und über der Bühne des Halbrundes öffnete sich die Decke und gaben neben dem Blick auf den Himmel auch ein paar moderne „Fresken“ frei, die sicher nicht europäischer Standardgeschmack sind, aber auch von vielen Gemeindegliedern bestaunt wurden – das scheint also nicht jeden Tag des Fall zu sein hier. Über kurz oder lang müssen sich auch die Gemeinden in Korea fragen, wie das Evangelium neu kontextualisiert werden kann.

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Ein dicker Schuss Sendungsbewusstsein steckt in diesem landestypischen Mix auch mit drin, und das eigene kleine Museum im Gebäudekomplex erzählt und Worten und Bildern von der Aufbauleistung des Pastors und dem Wachstum der Gemeinde zu fast schon einer eigenen kleinen Konfession. Über 60 Missionare arbeiten in aller Welt, zwei davon in Deutschland, und zahlreiche Hilfs- und Bildungsprojekte werden unterstützt.

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Im Land der Riesengemeinden. Oder?

Am späteren Nachmittag spricht Dr. Paul K. Oh über Versöhnung in Korea: In Südkorea ist seit 1952 alles gewachsen. Das Bruttosozialprodukt pro Kopf stieg von 61 auf 20.000 $. Die Regierungsform hat sich von einer Militärdiktatur zur Demokratie gewandelt, gleichzeitig wuchsen die Kirchen: 50 der 100 größten Gemeinden der Welt findet man hier. Nun ist die Frage, wie es weitergeht. In meinen Worten: Was tritt an die Stelle der so erfolgreichen Ehe von Christentum und Moderne in Korea, wenn das Bedürfnis nach Wohlstand gesättigt und der soziale Aufstieg geschafft ist? Für Dr. Oh bestimmt der Kontext die zukünftige Gestalt des Gemeindewachstums (dass es um Wachstum geht, steht für ihn außer Frage!). Geht es dabei also um mehr Segen und Wachstum für die Christe?

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Oh fragt zurück: Müssen Gemeinden eigentlich immer größer werden? Er setzt dem Israels Weg aus Ägypten durch die Wüste entgegen, dem das gelobte Land folgte und dann das Königtum in Form von Davids Großreich. Statt mehr Wohlstand geht es für ihn nun um Teilen und Dienen. Dazu muss eine Kultur der Kooperation entstehen, die auf institutionelle Macht verzichtet. Das Wachstum hatte nicht nur gute Seiten. Im Rausch des Erfolges wurden die Verantwortlichen oft rücksichtslos. Der aktuelle Präsident, ein früherer Konzernchef und Manager, pflegt für Dr. Oh einen eher autokratischen Führungsstil. Zwischen den Generationen und Geschlechtern, zwischen Regierung und Opposition, im Wirtschaftsleben und in den Kirchen gilt es nun große Gräben zu überwinden:

  • Kirche und Gesellschaft driften auseinander. Christen nehmen in ihrem Heilsexklusivismus oft eine herablassende Haltung gegenüber Andersdenkenden ein und schreiben sie ab
  • Das konservative Christentum hat einen Hang zur Selbstverwirklichung und muss nun vom progressiven Flügel lernen
  • Pastoren neigen gegenüber Laien zu autoritärem Gehabe, und auch hier muss aus einem Gegensatz wieder ein Miteinander werden.

Biblische Vorbilder sind nun Gestalten, die am Rand der Gesellschaft oder in der Fremde lebten wie Joseph, Inbegriff des biblischen Weisen, und Johannes der Täufer mit seiner Bereitschaft zu radikalem Verzicht. Institutionelle Macht hatte keiner von beiden. Großen Einfluss gewannen beide auf andere Art.

Tae Hyung Lee war 24 Jahre Journalist einer kirchlichen Tageszeitung und hat viele christliche Leiter/-innen zum Sinn des Lebens und christlichen Dienstes befragt. Einer der Befragten sagte (bitte kurz durchatmen…), ein Pastor müsse der glücklichste Mensch weit und breit sein, damit andere Menschen auf Gott aufmerksam werden und ihn um sein Glück beneiden. Joel Osteens Buch Your Best Life Now war lange das populärste christliche Buch in Korea, aber (puh…) diese Welle ebbt auch hier allmählich ab.

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Jimmy Carter, sagt Lee, beantwortet die Frage nach dem guten Leben besser: ihm geht es darum, mit Habitat for Humanity anderen Menschen zu helfen. Lee sagt, seine Kriterien von Glück und Erfolg haben sich verschoben. Statt sich für populäre Menschen zu interessieren, fragt er sich inzwischen, welche Menschen Gott besonders spannend findet.

90% der Gemeinden in Korea haben unter 100 Mitglieder, nicht alle überleben aus eigener Kraft. Das Wachstum der Kirchen stagnierte 1999 und inzwischen ist die Tendenz rückläufig. Im Westen hat sich das vielfach noch gar nicht herumgesprochen. Die beeindruckende Größe der Megachurches verdeckt diese Entwicklung derzeit noch. Aber der erfolg der einen Gemeinde geht inzwischen zu Lasten einer anderen. Es bricht also auch in Korea eine Art nachchristliche Ära an: Mitgliederschwund, Traditionsabbruch, gesellschaftlicher Bedeutungsverlust und der Abstieg eines großen Teils der Mittelschicht durch die Wirtschaftskrise 2009 (mit großen finanziellen Auswirkungen für die Gemeinden!) werfen die Frage auf, ob die große Erweckung von 1907 in neuer Gestalt wiederholbar ist.

Denn auch hier kehren viele junge Menschen – aus einem echten Interesse an Spiritualität heraus – den Kirchen den Rücken. Den Glauben wollen sie nicht aufgeben, aber mit den Gemeinden kommen sie nicht mehr klar. Kleine Gemeinden mit minimalem Programm werden wieder interessant: Sie müssen keine großen Budgets für Gebäude und Personal stemmen, ziehen keine autoritären Erfolgstypen an. Für Lee sind die emerging churches ein Zeichen der Hoffnung. Weil sie wenig institutionellen Ballast herumtragen, können sie fragen, was Gott eigentlich in ihrem Umfeld vorhat (statt sich mit dem Blumenschmuck für den kommenden Sonntag zu befassen).

In der anschließenden Diskussion taucht die Frage nach der Rolle von Frauen auf. Viele Koreanerinnen sind berufstätig, der Einfluss von Frauen in viele gesellschaftlichen Feldern wächst, im Bildungssystem und und in einigen Bereichen haben sie die Nase vorn. Die Presbyterianer ordinieren seit 1995 Frauen, hier ziehen die Kirchen also nach. Zugleich haben viele konservative Gemeinden noch ihre Mühe, den neuen Frauentyp zu integrieren.

Fazit des Tages: Es ist aller Bewunderung wert, mit welcher Bescheidenheit und selbstkritischer Nachdenklichkeit unsere Gastgeber hier sprechen. Ob das in Deutschland auch so wäre? Oder müssten sich bei uns Gäste von anderen Kontinenten eher das museale Lob unserer historischen Errungenschaften anhören (oder unsere Verzweiflung angesichts ausbleibender „Durchbrüche“)?

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Sprechende Kirchengeschichte

Wir haben einen einen 103-jährigen Pastor zu Gast, Rev. Bang, einen der ersten Missionare, der aus Korea entsandt wurde, und Dr. Choi (86 Jahre), der letzte Absolvent des Seminars in Pjöngjang und erste Missionar mit koreanischem Pass.

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Rev. Bang rekapituliert die Frühphase der koreanischen Presbyterianer, die 1912 als Landesverband unabhängig von den USA wurden. Schon früh und noch unter japanischer Besatzung wurde das Bedürfnis spürbar, Missionare nach China zu senden, in Anerkennung der Tatsache, dass man von dort einst die konfuzianische Ethik übernommen hatte. China hingegen betrachtete sich damals als den Nabel der Welt und Korea als den etwas zurückgebliebenen Nachbarn. Und wer Christ wurde, konnte kein richtiger Chinese mehr sein.

Ein chinesischer Kirchenverband entstand in der Heimatregion von Konfuzius‘ und Laotse. Erst in den 50er-Jahren wurden die Missionare ausgewiesen. Rev. Bang gehörte dazu – einer von 5 ausländischen Missionaren, die nach 1937 nicht von Chinesen und Japanern vertrieben worden war. Er überdauerte dort zehn verschiedene Regierungen.

Zwar hatten auch die Japaner geschlossene Kirchen in den eroberten Gebieten wieder geöffnet und sogar Missionare nach gesandt, aber die trugen Militäruniformen. Den Koreaner Bang betrachteten sie als einen der ihren, aber der lehnte ab, weil er sich als Chinese fühlte. Nach neun Jahren unter kommunistischer Herrschaft ging Bang nach Hongkong und schließlich nach Korea zurück, wo er Missionsdirektor der General Assembly der Presbyterianer wurde. Deren Ziel ist es, bis 2020 eine Million Missionare entsandt zu haben.

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Dr. Choi wurde 1926 geboren, seine Familie zog 1928 in die Mandschurei. Schulsprache dort war Japanisch, neben Koreanisch und Chinesisch spricht er noch Thai und Englisch, er fühlt sich als Sprachwaise, sagt er. Von Anfang an war die Kirche missionarisch und sie vereinte ganz verschiedene Völker und Kulturen. Dieses Verständnis wurde von Zinzendorf neu belebt, und die koreanische Kirche setzt diese Tradition fort.

Denn als Korea Missionare entsandte, kamen diese aus dem globalen Abseits, einem armen und schwer geschundenen Land, das (wie die Juden im ersten Jahrhundert) Mission trotzdem als seine Aufgabe begriff. Sie repräsentierten keine Kolonialherrschaft und keine Weltmacht. Choi arrangierte Radiosendungen nach China, in denen die Bibel vorgelesen wurde, so dass man mitschrieben konnte. 1985 eröffnete er (mit US-Pass) eine Druckerei in Nanjing, in der Millionen Bibeln gedruckt wurden.

Die beiden alten Herren strahlen immer noch eine große Begeisterung aus und wirken kein bisschen müde. Ab und zu stehen Pensionäre ihre Nachfolgern ja eher im Weg, aber diese beiden sind immer noch ganz aktiv dabei, Jüngere zu fördern und aufzubauen. Koreanische Missionare findet man heute in 180 Ländern in der Welt. Sie sind der Meinung, das Evangelium ist eine globale Aufgabe, die Christenheit nicht etwa auf bestimmte Kulturen und Regionen beschränkt.

Schließlich läuft ein Film über den Koreakrieg, mit dem (wenigstens für deutsche Ohren leicht pathetisch klingenden) Titel Heroes Forever. Junge Koreaner werden mit den historischen Ereignissen des „vergessenen Krieges“ vertraut gemacht. Den Trailer gibt’s hier:

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Seoul: Jetzt wird’s theologisch

Die inhaltliche Arbeit hat begonnen. Dr. Ung Kyu Pak sprach über die verschiedenen eschatologischen Konzepte im Verlauf der koreanischen Kirchengeschichte, die in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts begann und vor allem mit der japanischen Besatzung und der nationalen Befreiung zurecht kommen musste. So schwankte die Ausrichtung zwischen nationalem Aktivismus auf dem Boden des Evangeliums bis hin zur individualistisch-pietistischen Konzentration auf die Innerlichkeit. Sein Fazit lautet:

„The work of the kingdom is not narrowly cultic or religious; instead, it should extend into every area of life. The impact of the kingdom rule of Christ should always modify and transform a person’s worldview. We need to appreciate the merits and demerits of various millennial views. It is true that premillennialism survives best and is most beneficial to Korean Christians in times of suffering and persecution, but life is not always like that, so in the long run it may actually sow seeds of harm.“

Weiter ging es mit Pastor Charles Kim, der in den USA bei Peter Drucker gelernt hat und sich mit der Frage nach dem gesellschaftlichen Wandel befasst – global wie national. Wie reagiert die Kirche auf die digitale Revolution, die – ich habe es gestern erwähnt: so gut wie jeder läuft mit Smartphone herum – überall das Kommunikationsverhalten (und erst recht das Konsumverhalten!) verändert hat, und damit auch den Lebensstil und das Verhalten vieler Menschen (z.B. Twitter und der „arabische Frühling“), ebenso das wirtschaftliche Leben: Apple ist seit Kurzem der wertvollste Konzern weltweit, Aktien werden automatisiert von Computerprogrammen gehandelt. Und so weiter…

Die Kirche in Korea ist im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts massiv gewachsen. Doch allein im vergangenen Jahr wurden hier in Seoul zehn Kirchen verkauft und in buddhistische Tempel umgewandelt. In den USA stagnieren oder schrumpfen 80% aller Gemeinden. Kim fordert ein Umdenken im Blick auf Nachwuchsförderung, Planung (weg von Projekten und Programmen), der Gestaltung geistliches Lebens, im Führungsstil (von der charismatischen Persönlichkeit – dem CEO-Modell – und hierarchischer Struktur hin zum kooperativen Stil, es wird eh weniger „Profis“ geben). Schließlich: Wir müssen alle lernen, interkulturell zu denken und mit einem globalen Horizont zu leben. Überall in Asien und anderen Schwellenländern haben sich Megachurches entwickelt, dabei aber entstehen allmählich auch hier eher „emergente“ Formen von Gemeinden. Die meisten kirchlichen Strukturen haben einen Lebenszyklus. Im Grunde sollte es die Aufgabe bestehender Gemeinden sein, neue Formen von Gemeinde hervorzubringen, statt auf Selbsterhalt zu setzen, sagt Kim.

Zuletzt sprach der Kirchengeschichtler Dr. Dong Joo Kim über das rasante Wachstum der koreanischen Kirche in den 130 Jahren ihres Bestehens: Vor 120 Jahren galt Korea als das Land der Eremiten, es war weitgehend isoliert. 1882 waren die USA das erste Land, mit dem man diplomatische Beziehungen aufnahm. Heute sieht Seoul aus wie eine westliche Großstadt.

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Vor hundert Jahren hab es in Asien 100 Länder. In Korea arbeiteten außerordentlich viele Missionare (1.500, zum Vergleich: in ganz China waren es „nur“ 6.000). Während die Chinesen als Folge des Opiumkrieges sich dem Westen entfremdeten (in Indien verlief die Entwicklung ähnlich), sah das von Japan annektierte Korea den Westen und das Christentum als Verbündete an in seinem Streben nach Unabhängigkeit.

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Die Pionier-Missionare aus den USA, Australien und Kanada leisteten (wie einst Columbanus und Bonifatius im Frankenreich) großartige Arbeit: Sie und ihre Familien brachten große Opfer – nicht selten starb ein Elternteil oder mehrere Kinder, viele wurden in Korea beerdigt und wünschten sich das auch so. Diese selbstlose Haltung hat sich in der koreanischen Kirche erhalten. Das Christentum erschien als Religion der einfachen Leute (katholische Missionare waren 100 Jahre eher da, aber vornehmlich der Oberschicht zugewandt), man übersetzte die Bibel in die Volkssprache, die Gemeinden waren auch nach der Zeit der Pioniere sehr missionarisch aktiv. Man „erbte“ aber auch die sehr konservative Theologie der Pioniere,

Das protestantische Christentum (dazu zählt auch die Pfingstbewegung) leistete einen großen Beitrag zur Modernisierung Koreas – auch weil es eine sehr praktische Ausrichtung hatte: 1910 wurden zehn der 15 Krankenhäuser im von Epidemien geplagten Korea von Missionaren geführt. Während die japanischen Besatzer kein Interesse an gebildeten Untertanen hatten, unterhielten die Kirchen zwei Drittel aller Schulen im Land und errichteten Universitäten, die ersten Waisenhäuser und Sozialstationen.

Nach dem Koreakrieg (1950-52) verdoppelte sich die Zahl der Christen noch einmal. Im ersten Kabinett Südkoreas waren viele Christen vertreten. In den Bergen wurden Gebetshäuser errichtet. Praktisch alle Denominationen in Korea hatten eine pfingstliche Ader, aber das Gebet blieb eben nichts Abgehobenes, sondern es war eingebunden in die anderen Aktivitäten und umgekehrt.

Pastor Kang von der Myungsung Presbyterian Church fügt abschließend an: Ursprünglich waren die Presbyterianer hier eher dem stillen, kontemplativen Gebet zugewandt (das war vom Buddhismus her schon vertraut), später wurde es zunehmend lauter. Das Motiv des Leidens im Evangelium war für das leidgeprüfte Volk zur Zeit der Missionare ein wichtiger Schlüssel. Heute ist Korea eine der reichsten Nationen weltweit, man ist dem Westen immer noch sehr zugetan, aber in der Konsumgesellschaft ist die Frage nach Trost und Hoffnung im Leid längst nicht mehr so präsent. Und während „Westler“, vor allem Christen, in vielen Regionen der Welt mit Misstrauen beäugt werden, finden koreanische Christen in Japan oder islamischen Ländern heute viele offene Türen vor.

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Seoul – ein erstes Sammelsurium

Als ich heute abend zur U-Bahn ging, standen Soldaten mit dem Gewehr im Anschlag an der Treppe zum Untergrund und auf den Stufen lag eine regungslose Gestalt. Der Polizist, der den Zugang sicherte, wies mich freundlich an, ruhig weiterzugehen. Auf dem Weg traf ich noch etwa 15 Soldaten, zum Teil mit Knarre, ein paar mimten hollywoodreif irgendwelche Opfer. Die Passenten gingen gleichmütig vorbei, der Einsatz der Armee im Inland ist hier offenbar kein Streitthema.

Durchaus ein Streitthema scheinen aber Hunde zu sein, eine alte Dame trug ein Plakat, auf dem ein LKW voller gefangener Hunde zu sehen war. Was mit denen geschieht, kann man nur vermuten…

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Ich war mit Jason Clark ein paar Stunden in der Stadt unterwegs, neben langen Gesprächen über Theologie, Spiritualität und den Rest des Lebens, und neben etlichen Tassen Kaffee, haben wir eine Palastanlage besichtigt und uns durch das innenstädtische Straßengewirr gefranst. An vielen Stellen wirkt Seoul wie jede andere Metropole. Dann biegt man um eine Ecke, und hinter den Hochhäusern tun sich kleine Straßen mit winzigen Läden auf, über dem Kopf ein etwas abenteuerliches Gewirr von Stromleitungen. Wenn irgendwo Grünflächen sind und ein paar Bäume stehen, dann ertönt aus ihnen ein knarrendes Zirpen, das den Eindruck erweckt, die hiesigen Grillen und Zikaden haben sich mit Klapperschlangen gekreuzt.

Ich glaube, ich habe in meinem Leben noch nie so viele Coffeeshops gesehen, und auch europäische Bäckereien scheinen zu boomen. In Gagnam, wo das Nachtleben boomt, gibt es so ger ein „bräu haus“. Trotz dieser Affinitäten fällt man hier als „Westler“ sofort auf, es scheinen nicht viele Ausländer (zumindest kaum nichtasiatische) hier unterwegs zu sein. Anders gesagt: Im kleinen Erlangen sieht man sehr viel mehr Asiaten als im riesigen Seoul Kaukasier.

Ich habe auch schon lange nicht mehr so viele junge Menschen gesehen wie hier, Jason und ich haben uns schon richtig alt gefühlt. Und alle sind immer online: Fast überall gibt es kostenloses WiFi. In meinem Waggon in der U-Bahn saß gestern Abend ausnahmslos jede/-r einzelne mit einem Smartphone – meist einheimischer Provenienz – oder Mini-Tablet in der Hand, und auf den Gehsteigen muss man immer wieder Leuten ausweichen, die auf ihr Display starren. Oder Motorrollern, die dort regelmäßig angebrettert kommen, weil die Fahrbahn verstopft ist oder der Verkehr in die Gegenrichtung fließt.

Zum Abendessen stießen die beiden ersten Jahrgänge des Kurses dazu und morgen geht es dann los mit spannenden Referenten zu koreanischer Theologie und Geschichte – dann werden meine Posts vielleicht auch wieder etwas kohärenter als das hier.

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Südkorea: Die ersten Schritte

Der erste volle Tag der Studienwoche mit dem Studienprogramm Leadership and Global Perspectives des GFES hat begonnen und ich bin halbwegs ausgeschlafen. Es ist draußen in Seoul weiterhin sehr schwül, zum Glück etwas kühler als gestern (vielleicht ja auch nur am Morgen) und es regnet recht konstant weiter – mal mehr, mal weniger. Wir haben uns zu zweit erfolgreich mit der U-Bahn durchgeschlagen zum Campus des PCTS, und mit diesem Erfolgserlebnis im Rücken fühle ich mich schon etwas mehr „angekommen“ in dieser Zehn-Millionen-Metropole.

Die Leute hier sind freundlich und hilfsbereit, und wenn sich ein Deutscher und ein Amerikaner über einen Stadtplan beugen, bekommen sie schnell Hilfe angeboten. Viele Schilder haben englische Untertitel, manche Läden haben den Namen sogar nur in lateinischer Schrift angebracht. So zum Beispiel das Café, über dem ein paar von uns wohnen, für die im Luce Center for the Global Church kein Platz mehr war.

Die Grundidee dieser interkulturellen Studienwoche ist: Man muss erst mal weg von Zuhause, um den eigenen Kontext besser sehen und verstehen zu können. Wenn man bewusst eine Weile aussteigt und sich fremden Eindrücken aussetzt, dann erscheint manches, was bis dahin selbstverständlich und daher alternativlos schien, plötzlich in einem anderen Licht. Zu den Reisen kommt in diesem Studienprogramm die Nutzung sozialer Medien. Darum geht es jetzt gleich hier, während in Deutschland allmählich alle aus den Betten krabbeln.

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Die Gemeinschaft der offenen Fragen

In der letzten Woche habe ich mit ein paar anderen Leuten aus unserem Lukas-10-Experiment die Northumbria Community in Felton/GB besucht. Vor ein paar Jahren war ich ja schon einmal da, inzwischen ist das „Mutterhaus“ Netter Springs umgezogen, weiter weg von Lindisfarne und näher Richtung Newcastle. Die Unterbringung in dem neuen Gebäude ist deutlich komfortabler, die zugige (oder bei angenehmen Temperaturen wie diesmal: luftige) Kapelle habe ich allerdings schon vermisst.

Das Haus wird von einem fünfköpfigen Team geführt, dazu kommen Gäste – dieses Jahr offenbar besonders viele Deutsche. Die Tagzeitengebete sind mir inzwischen schon sehr vertraut, also stand diesmal das Gespräch mit den Leuten vom Haus im Mittelpunkt. Uns interessierte, wie diese ökumenische Gemeinschaft funktioniert, die nicht unter einem Dach, sondern in der Zerstreuung lebt – so gesehen war das, was wir erlebten, die verdichtete Ausnahme.

Vieles hat mit der Lebensregel zu tun, die sich um die zwei Brennpunkte von Verletzlichkeit und Verfügbarkeit dreht. Unter den vielen unterschiedlichen Ausprägungen des New Monasticism fällt dabei vor allem die große Gestaltungsfreiheit (und damit verbunden die große Eigenverantwortung) ins Auge. In den konkreten Umsetzung vor Ort kann das nämlich so verschieden aussehen, dass es für uns erst einmal schwer zu greifen war. Doch je länger wir redeten und je mehr verschiedene Gesprächspartner wir bekamen, desto spürbarer war auch die Verbundenheit in vielen Dingen.

Nicht die einheitliche, gemeinsame Dogmatik bestimmt den Kurs (da gibt es eine ganz große Weite), sondern die Anteilnahme am – möglicherweise ganz anderen – Weg des anderen und die gemeinsame Praxis des achtsamen Hörens auf Gottes Führung. Zu den rund 350 Companions, die sich jeweils für ein Jahr verpflichten, gesellen sich in den Community Groups und darum herum weltweit noch einmal rund 3.000 Freunde, so weit ich das verstanden habe.

Nicht die Antworten, sondern die Fragen weisen den Weg, was sowohl Gesetzlichkeit als auch Beliebigkeit verhindert. Rowan Williams hat einmal gesagt, dass Christus nicht nur unsere Fragen beantwortet, sondern auch unsere Antworten hinterfragt. Und so lauten die Leitfragen, bei Alan Roxburgh würden sie als god questions firmieren:

  • Wen suchen wir? (vgl. Joh 18,7)
  • Wie sollen wir also leben?
  • Wie können wir ein Lied für den Herrn auf fremdem Boden singen? (Ps. 137,4)

Aber nicht nur die umsichtige Zurückhaltung (man kann auch sagen: die keltische Liebe zur Unordnung) bei Strukturen und verpflichtenden Inhalten, sondern auch der Umgang mit Gästen und Gesprächspartnern hatte auf Anhieb einen gewissen intuitiven Wiedererkennungs-Effekt, sie riefen ein für mich fast überraschendes Gefühl der Verwandtschaft auf beiden Seiten hervor.

In den letzten Monaten hatte ich mit etlichen Leuten Gespräche über solche dezentralen und weitmaschigen Formen der Weggefährtenschaft geführt. Das Thema scheint viele zu beschäftigen, und vielleicht gibt es in solchen Bewegungen auch Dinge, die in den meisten Ortsgemeinden irgendwie untergehen oder zurückbleiben, wo Programme und Projekte, Personal und Struktur und nicht zuletzt Immobilien die Tagesordnung oft so gründlich dominieren.

Ich denke, wir führen das Gespräch über die Fragen und das Ethos vor Ort fort und werden auch die Verbindung über den Kanal weg halten. Es ist eine sehr spannende Spur, auf die wir hier gestoßen sind.

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Was bin ich?

Bei einem Rundgang auf Holy Island fand ich mich diese Woche am Beispiel der keltischen Heiligen mit der Frage konfrontiert, was meine Träume und Ziele sind. Kurz darauf las ich bei Abraham Heschel die folgenden Zeilen:

Eine Person ist das, was sie anstrebt. Um mich zu kennen, frage ich: Was sind die Ziele, die zu erreichen ich mich bemühe? Was sind die Werte, die mir am wichtigsten sind? Welches sind die größten Sehnsüchte, von denen ich mich bewegen lassen möchte?

Mensch Sein heißt unterwegs sein, und auch wenn niemand sein Ziel schon endgültig erreicht hat, erschließt sich meine wahre Identität erst von da aus. daher bin ich mehr als nur die Summe meiner Erfahrungen und mehr als nur das, was ich schon verwirklicht habe. Wer einen Menschen nur danach beurteilt, verkennt ihn im Grunde. Wer einen anderen verstehen möchte, muss die Sehnsucht verstehen, die ihn antreibt.

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Essen-tielle Lektüre

Ich sitze gerade über Jesaja 55, wo sich der Prophet über Israels Bereitschaft beklagt, viel Geld für mieses Essen auszugeben. Nebenbei erinnere ich mich an die eine oder andere überteuerte und lieblos zubereitete Mahlzeit im Urlaub (es gabt auch andere!!).

Interessanterweise läuft derzeit die Diskussion wieder an, endlich auch mal ohne einen Lebensmittelskandal. Auf Spiegel Online schreibt Bastian Henrichs darüber, dass wir Europäer zuviel Essen an Tiere verfüttern und so indirekt Menschen in anderen Regionen der Welt die Nahrung wegessen (ganz zu schweigen von der grauenhaften Massentierhaltung, die unser billiges Fleisch erst möglich macht).

Und schon vorletzte Woche prangerte Berit Uhlmann in der SZ den Etikettenschwindel der Lebensmittelindustrie an und zitierte dabei unter anderem den Amerikaner Michael Pollan, der schlicht und einfach sagt:

Meiden Sie Lebensmittel, die Ihnen unbekannte, unaussprechliche oder mehr als fünf Zutaten haben.

In diesem Sinne: Allen BlogleserInnen ein schmackhaftes Wochenende!

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