Das Jahr mit den größten Veränderungen seit langer Zeit ist zu Ende. Viele haben gefragt, wie es so geht. Ganz gut soweit eigentlich. Ich versuche einfach mal einen kurzen Abriss für alle, die mehr Details möchten:
Der Examenstunnel
Die erste Hälfte verlief eher anstrengend. Das zweite Examen überschattete alles ein bisschen. Insgesamt lief es ganz okay, ich war wegen einiger privater Sorgen allerdings reichlich zerstreut. Die eigentliche Prüfung lag für mich (und für viele der Kolleg*innen) darin, es auszuhalten, von Leuten bewertet zu werden, die nicht allesamt den souveränsten Eindruck machten. Kurz: Ich war froh, als alles vorbei war. Ein paar Tage nach der letzten Prüfung ging ich eine Runde spazieren und hatte dabei das Gefühl, wieder ein paar Zentimeter gewachsen zu sein. Schon seltsam, wie der Körper auf all das reagiert.
Naturgemäß waren Prüfungsstress, Prüfungsfrust oder Prüfungsangst immer wieder ein Thema im Kollegenkreis. Und wenn das Stichwort „Examen“ fällt, erzählen auch nicht akut Betroffene – die Älteren. Dabei hat mich erstaunt, wie nachhaltig belastend solche Prüfungen offenbar sind, und wie sehr das bei ganz vielen Jahrzehnte später noch sehr präsent ist. Da handeln wir uns Probleme ein, indem wir das staatliche Prüfungswesen zum Vorbild nehmen. Der Staat aber möchte – im Unterschied zur Kirche, wo das häufig beschworen wird – von seinen Vertreter*innen nicht geliebt werden. Insofern kann er sich das leisten.
Der Abschied
Es folgten Wochen des Abschieds. ELIA-Gottesdienste, Teamsitzungen, Gemeindeversammlungen, auf denen schon Dinge verhandelt wurden, die ich nicht mehr miterleben werde. Das letzte Mal predigen, die letzte Seminarreihe, alles bekam ein anderes Gewicht und eine besondere Stimmung. Im Juli fand dann das große Abschiedsfest statt. Menschen und Erinnerungen aus 25 Jahren kamen zusammen; mehr gute Worte, als ich in so kurzer Zeit richtig aufnehmen konnte. Ich brauchte erst wieder ein paar Tage, um emotional Boden unter die Füße zu bekommen.
Und doch war es kein schwerer Abschied. Das lag im Wesentlichen daran, dass ich nie ins Zweifeln oder Grübeln kam, ob das der richtige Schritt zur richtigen Zeit war. Parallel wurde die Frage entschieden, wo ich ab September eingesetzt werde. Das waren noch ein paar spannende Wochen im Sommer. Und mit ein paar Verzögerungen hat sich auch die Nachfolge bei ELIA geklärt – im März kommt Martin Benz aus Basel/Lörrach mit seiner Familie, nicht nur für mich eine gute Nachricht.
Plötzlich Pfarrer…
Vier Monate sind inzwischen vergangen seit meinem Dienstantritt zum ersten September an der Auferstehungskirche in Zerzabelshof. Mitte September war die Ordination durch Regionalbischof Ark Nitsche zusammen mit drei Kolleg*innen im idyllischen Barthelesmaurach. Mein Freund Jason Clark war eigens aus London gekommen, das war ein ganz wunderbares Geschenk. Zwei Tage vor dem Termin starb mein Schwiegervater mit 83 Jahren und meine erste Amtshandlung nach der Ordination war dann auch, ihn zu beerdigen. Freude und Trauer waren nicht zu trennen.
Da es meine Stelle bisher gar nicht gab, gibt es in Zabo auch keine Dienstwohnung. Was bedeutet, dass ich von Erlangen aus pendele. Kenne ich schon, nur ist es noch ein bisschen weiter als zuletzt nach Sündersbühl. Ich versuche, das Auto möglichst stehen zu lassen und bin mit Öffentlichen und/oder Fahrrad unterwegs. Im Schnitt bleibt so etwa eine Stunde in jeder Richtung auf der Straße/Schiene liegen.
Es war natürlich auch kein zusätzliches Büro vorhanden. Meine Zelte vor Ort schlage ich nun im Jugendhaus „Arche“ auf. Da ist von Mittags bis halb vier überwiegend fröhlicher Kinderlärm um mich herum und es riecht nach Essen auf dem Flur – zuletzt Fisch. Schrank, Schreibtisch und Sofa stehen inzwischen, ein paar Bilder hängen an der Wand und das eingerostete WLAN tut es auch wieder. Es fühlt sich trotzdem noch etwas nach Camping an. Das hat auch mit der zeitlichen Befristung auf drei Jahre zu tun. Aber ich habe ja Erfahrung mit Provisorien und Unschärfen.
Die Gemeinde hat mich sehr freundlich aufgenommen. Schnell bekam ich Hilfsangebote für Konfirmandenarbeit und andere Projekte, etwa das Krippenspiel im Familiengottesdienst am Heiligabend. Hin und wieder spricht mich jemand auf der Straße oder beim Einkaufen an, der mein Bild im Gemeindebrief gesehen hat. Auch das ist für mich eine neue Erfahrung und eigentlich gar nicht großstadttypisch.
„Zabo ist ein ein Dorf“
Der Satz fällt oft im Gespräch mit Zaboranern. Er bedeutet je nach Kontext, dass man einander kennt, dass man Anteil nimmt und hilft, dass man gute oder auch schwierige Vorgeschichten miteinander hat. Und dass hier und da auch kräftig geratscht wird, oder Gerüchte sich in Windeseile verbreiten.
Wer nach Zabo hinein möchte, muss entweder durch den Wald oder durch den Tunnel einer der vielen Bahnunterführungen. Das – die klaren Konturen und baulichen Barrieren – erklärt vielleicht auch, warum viele sagen, der Stadtteil sei „doch recht für sich“. Es gibt tatsächlich einen winzigen dörflichen Kern mit einer Handvoll alter Häuser. Darum herum gruppieren sich heute allerlei Geschäfte. Stilprägend sind jedoch die Genossenschaftsbauten aus den zwanziger Jahren. Die Straßennamen deuten das noch an: Heimgartenweg, Waldluststraße, Siedlerstraße. Dazu passen Restaurant- und Kneipennamen wie „Heidekrug“ oder „Sängerlust“. Mittendurch fließt der Goldbach, und seit der nasse Dezember die hartnäckige Dürre beendet hat, ist er auch wieder mehr als nur das kleine braune Rinnsal auf dem Foto.
Ein paar Premieren
Zu den neuen Erfahrungen gehört das erste Clubspiel, das ich live miterlebte: Die Wasserschlacht gegen Leverkusen vom November. Immerhin unentschieden.
Oder die Waldweihnacht im Tiergarten am dritten Advent, mit echtem Schnee und echten Schafen um mich herum.
Es war Zeit, ein paar Radioandachten zu schreiben und aufzunehmen – in Nürnberg mit Christoph Lefherz und in München mit Melitta Müller-Hansen.
Auch ein Novum, freilich weniger erfreulich, war die Brandstiftung in der Auferstehungskirche nach dem dritten Advent, als ein Transparent, das wir in der 11-Uhr-Kirche zuvor aufgehängt hatten, von Unbekannten abgefackelt wurde. Zum Glück entstand kein größerer Schaden. Aber es war für alle ein Schreck und die Kirche bleibt tagsüber nun erst einmal geschlossen.
Der im Herbst neu gewählte Kirchenvorstand nimmt nun seine Arbeit auf und dann werden wir im neuen Jahr sehen, wohin die Gemeinde sich entwickelt und wie unternehmungslustig alle sind. Ich bin ganz zuversichtlich, dass ich etwas Sinnvolles dazu beitragen kann.
Im Vikariat habe ich meine Gitarre wieder öfter ausgepackt und bin auf den Geschmack gekommen. Meine bescheidenen Fertigkeiten möchte ich im neuen Jahr ein bisschen kultivieren. Seit vorgestern steht eine neue neben meinem Schreibtisch. Jetzt muss die Hornhaut auf den Fingerkuppen schnell zulegen.
Draußen böllert es immer lauter. Das neue Jahr ist nicht mehr weit. Wer weiß, was es in 365 Tagen zu erzählen gibt… Ich wünsche Euch allen Gottes Segen auf Schritt und Tritt.