Ich habe wieder mal „Das hier ist Wasser“ von David Foster Wallace herausgekramt. Am Ende seiner Ansprache an die Absolventen des Kenyon College heißt es da, aktuell wie eh und je:
In den Niederungen des Erwachsenenalltags gibt es keinen Atheismus. Man kann nicht nichts anbeten – jeder betet etwas an. Aber wir können wählen, was wir anbeten. Und ein höchst einleuchtender Grund, sich dafür an einen Gott oder etwas Spirituelles zu halten […], ist der, dass euch so ziemlich alles andere bei lebendigem Leib auffrisst.
Wenn ihr Geld und Güter anbetet – wenn ihr daraus den wahren Sinn des Lebens bezieht –, dann werdet ihr davon nie genug haben, nie das Gefühl haben, dass es reicht. Das ist die Wahrheit.
Foster Wallace spielt diesen Gedanken jeweils noch einmal mit Schönheit, Macht und Intellekt durch, dann fährt er fort:
Wisst ihr, das Heimtückische an diesen Formen der Anbetung ist nicht, dass sie böse oder sündhaft wären, sondern dass sie so unbewusst sind. Sie sind Standardeinstellungen. Sie sind Glaubensformen, in die man nach und nach einfach so hineinschlittert, jeden Tag ein bisschen mehr; […]
Und die sogenannte »wirkliche Welt« hält einen auch nicht davon ab, gemäß diesen Standardeinstellungen zu operieren, denn die sogenannte »wirkliche Welt« der Männer, des Geldes und der Macht läuft wie geschmiert dank dem Öl aus Angst, Verachtung, Frustration, Gier und Selbstverherrlichung. Unsere heutige Kultur hat sich diese Kräfte auf eine Art und Weise nutzbar gemacht, die außerordentlichen Reichtum, Komfort und individuelle Freiheit hervorgebracht hat. Nämlich die Freiheit für jeden von uns, Herrscher seines winzigen, schädelgroßen Königreichs zu sein, allein im Mittelpunkt der Schöpfung.
Dieser Schein-Freiheit des Konsums und des neoliberalen Systems stellt er nun eine andere Definition von Freiheit gegenüber:
Aber es gibt natürlich verschiedene Formen der Freiheit, und die kostbarste wird in der großen weiten Welt des Siegens, Leistens und Blendens nie erwähnt. Die wirklich wichtige Freiheit erfordert Aufmerksamkeit, und Offenheit und Disziplin und Mühe und die Empathie, andere Menschen ernst zu nehmen und Opfer für sie zu bringen, wieder und wieder, auf unendlich verschiedene Weisen, völlig unsexy, Tag für Tag.
Das ist wirkliche Freiheit.
Dass diese Freiheit erst noch entdeckt werden will, zeigt nebenbei die Suche in einer Bilderdatenbank: Zum Stichwort Freiheit finden sich da fast ausschließlich Bilder, in denen einzelne Personen vor der Kulisse großartiger Naturpanoramen abgebildet sind. Die Freiheit, auf den bedürftigen Anderen zuzugehen, ist da noch nicht angekommen.
PS: Martin Horstmann hat mich auf dieses Video aufmerksam gemacht, in dem Forster Wallaces Rede visualisiert ist. Die oben zitierten Teile scheinen allerdings nicht alle enthalten zu sein.