Päpstlicher als der Papst

Spiegel Online interviewt den Piusbruder Matthias Gaudron. Seit Papst Franziskus den Traditionalismus und den Klerikalismus ganz unverblümt kritisiert (zuletzt hier), ist der konservative Flügel weiter in die Defensive geraten. Interessant sind vor allem die Argumentationsmuster – als da wären…

  • der Verweis auf die Bekenntnisse und die (wie sich zeigen wird: unverschämte) Unterstellung, den Glauben auf Mitmenschlichkeit zu reduzieren: „Es ist nun einmal so, dass der katholische Glaube etwas Überzeitliches an sich hat. Wenn die einzige dogmatische Sicherheit darin bestehen soll, dass Gott Gott im Menschen ist, halte ich das für ein bisschen wenig. Für diese Vorstellung muss ich nicht katholisch sein. Die Wahrheit des Glaubensbekenntnisses kann auch der Papst nicht ändern.“
  • der – freilich äußerst selektive – Verweis auf den Konsens mit anderen Glaubensgemeinschaften: „Die Überzeugung, dass Homosexualität eine Sünde ist, teilen wir mit Juden und Muslimen, das ist keine Lehre der Piusbruderschaft.“
  • die Koppelung eines rein taktischen und formalen Toleranzbegriffs mit strikt exklusivem Wahrheitsanspruch: „Toleranz bedeutet, dass ich den anderen in seinen Überzeugungen respektiere, auch wenn ich diese für falsch halte, und ihn nicht mit Gewalt zu meinen eigenen Auffassungen bekehren will.“
  • der Verweis auf das Wachstum der eigenen Bewegung und das Schrumpfen der Kirche: „Ja, und deshalb kann uns der Vatikan nicht mehr übersehen. Es ist kein rasantes Wachstum, aber ein beständiges.“
  • die Ankündigung des baldigen Zusammenbruchs: „Die Kirche in Deutschland wird in 15 bis 20 Jahren zusammenbrechen.“

Kennen wir Evangelischen solche Stimmen nicht auch von irgendwoher? Die Piusbrüder würden die verweltlicht-vermenschlicht-verweichlichte Kirche gerne retten, wenn man sie nur ließe. Lassen wir aber das letzte Wort dem Papst, der neulich klar und schön sagte, wie es sich verhält mit Gott und der Menschlichkeit – Gaudron gab es nämlich mächtig verzerrt wieder:

Wenn der Christ restaurativ ist, ein Legalist, wenn er alles klar und sicher haben will, dann findet er nichts. Die Tradition und die Erinnerung an die Vergangenheit müssen uns zu dem Mut verhelfen, neue Räume für Gott zu öffnen. Wer heute immer disziplinäre Lösungen sucht, wer in übertriebener Weise die ›Sicherheit‹ in der Lehre sucht, wer verbissen die verlorene Vergangenheit sucht, hat eine statische und rückwärtsgewandte Vision. Auf diese Weise wird der Glaube eine Ideologie unter vielen. Ich habe eine dogmatische Sicherheit: Gott ist im Leben jeder Person. Gott ist im Leben jedes Menschen. Auch wenn das Leben eines Menschen eine Katastrophe war, wenn es von Lastern zerstört ist, von Drogen oder anderen Dingen: Gott ist in seinem Leben. Man kann und muss ihn in jedem menschlichen Leben suchen. Auch wenn das Leben einer Person ein Land voller Dornen und Unkraut ist, so ist doch immer ein Platz, auf dem der gute Same wachsen kann. Man muss auf Gott vertrauen.

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