Allah (3)

Nach dem historischen Rückblick behandelt Volf methodische Fragen: Sowohl von christlicher (Al Mohler jr.) als auch muslimischer Seite (das Innenministerium in Malaysia gegen die katholische Wochenzeitung Herald 2007) wurde in Frage gestellt, ob arabisch sprechende Christen Gott als Allah anreden dürfen. Die Kopten tun das ganz selbstverständlich seit Jahrhunderten. Aber selbst zwei verschiedene Begriffe könnten sich auf denselben Gegenstand beziehen – ein Beispiel dafür sind „Morgenstern“ und „Abendstern“, denn beides bezieht sich auf den Planeten Venus.

Sollten sich die Aussagen von Muslimen aus christlicher Sicht nicht auf „unseren“ Gott beziehen, blieben noch drei Möglichkeiten: Sie reden von einem anderen Gott, sie beziehen sich auf gar keinen realen Gegenstand, oder sie handeln von einem Götzen, einer menschlichen Projektion. Letzteres behaupten Religionskritiker wie Feuerbach von Christen wie von Muslimen.

Nikolaus von Kues ging davon aus, dass alle Menschen im Grunde den einen wahren Gott verehren, der mit dem Wahren und Guten identisch ist (ähnliche Gedanken finden wir u.a. auch bei C.S. Lewis in The Last Battle). Aber der Ansatz bei einer allgemeinen Gotteserkenntnis hilft nicht weiter, weil er eher Postulate aufstellt als konkrete Glaubensansichten betrachtet und vergleicht. Christen und Muslime haben auch keine gemeinsamen heiligen Schriften (wie Christen und Juden), aber es gibt zumindest einige Übereinstimmungen zwischen den Aussagen der Bibel und des Koran. Dennoch glauben die meisten Muslime nicht, dass die Schriften der Christen dem Koran in irgendeiner Form gleichwertig oder ähnlich sind.

Es bleibt also der Weg über den inhaltlichen Vergleich der Beschreibungen Gottes. Wir brauchen keine völlige Übereinstimmung, um von einem gemeinsamen Gott reden zu können, Diskrepanzen sind möglich. Es gibt sie im Übrigen auch unter Christen verschiedenener Richtungen und Konfessionen. Die Gegenposition vertritt der Australiers Mark Durie, der den Sachverhalt mit Falschgeld vergleicht. Schon die kleinste Abweichung ist für Durie der Beweis für die Unechtheit der Blüte. Jesus dagegen, sagt Volf, kann im Johannesevangelium davon sprechen, dass seine jüdischen Gegner auch dann noch von demselben Gott sprachen wie er, als sie sich weigerten, ihn als wahren Propheten (geschweige denn als Verkörperung Gottes) anzuerkennen. Volf folgert: Wer immer nur die Unterschiede hervorkehrt ist wie jemand, der sich über die Fehler des anderen freut. Genau das tut die Liebe aber laut 1.Kor 13,6 nicht.

Im fünften Kapitel betrachtet Volf die gemeinsamen Elemente der Gotteslehre. Er setzt ein bei der Erklärung Nostra Aetate (1965), in der sich Paul VI. auf einen Brief von Papst Gregor VII an den König von Mauretanien bezieht. Dann stellt er fest:

There are Muslims and Christians who disagree so radically about God‘s character that they, in fact, do worship two different Gods. But then it would be easy to find Christians who disagree among themselves so radically that we may be tempted to conclude that they too worship different Gods. The same is true of Muslims and Jews, I suspect. (S. 96)

Volf erklärt, dass er sich auf dem Mainstream beider Religionen beziehen wird: Menschen, die ihren Glauben ernst nehmen, zugleich aber wissen, dass selbst große Lehrer in vielen Dingen recht unterschiedlicher Meinung waren. Bei diesen Gruppen lassen sich einige Gemeinsamkeiten feststellen:

  • Es gibt nur einen Gott
  • Dieser Gott ist der Schöpfer der Welt
  • Gott ist radikal anders als alles, was er geschaffen hat und alles, was nicht Gott ist

Damit sind Pantheismus wie Polytheismus schon ausgeschlossen. Neben diesen eher formalen Punkten ist aber auch die Beschreibung des Wesens Gottes wichtig. Bei menschlichen Charakteren kann man durchaus geteilter Meinung sein – Volf nennt Milosevic, der von den Serben als Retter gefeiert wurde und von den Muslimen als Schlächter von Belgrad bezeichnet wurde. Im Blick auf Gott lässt sich das jedoch nicht durchhalten. Der monotheistische Gottesbegriff impliziert praktisch schon, dass Gott gut ist und kein überdimensionales sadistisches Monster. Wenn man Gottes Güte in Frage stellt, steht sein Gottsein in Frage. Vergleicht man den Willen Gottes, so lassen sich tatsächlich Gemeinsamkeiten ausmachen, die dem Doppelgebot der Liebe entsprechen. In beiden Glaubensgemeinschaften wird jedoch auch heftig debattiert, was das konkret bedeutet.

Dann wendet sich Volf dem Thema Anbetung zu. Christlich verstanden heißt das nicht nur „Gottesdienst“ im Sinne einer Gemeindeveranstaltung, sondern die (1.) Grundhaltung der Liebe zu (2.) Gott und zum Nächsten, die (3.) das ganze Leben umfasst. Menschen beten dann vermutlich zu demselben Gott, wenn das, was sie über ihn sagen, vergleichbar ist. Liebe zu Gott und zum Nächsten sind für Christen wie für Muslime gültige Forderungen, auch wenn sie jeweils unterschiedlichen Stellenwert haben und die Christen zumindest noch das Thema der Feindesliebe damit verbinden. Weitgehende Übereinstimmungen finden sich auch im Bereich der zehn Gebote. Natürlich gibt es auch hier Differenzen, sie liegen zum Beispiel in den geforderten Sanktionen, etwa bei Diebstahl oder Ehebruch. Aber deutliche Unterschiede im Strafmaß entdecken wir auch, wenn wir das Alte Testament aufschlagen.

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Fasten und Schreiben

Heute bin ich über einen Hinweis auf den jüdischen Hintergrund von Kafkas literarischem Werk gestoßen. Unter anderem las ich dort:

Wie Tagebuchnotizen beweisen, verfasste Kafka alle „wichtigen“ Textstellen zwischen dem Beginn des Monats Elul und dem Tag nach Yom Kippur, also in der Zeit, die für Einkehr und Buße vor dem jährlichen g’ttlichen Gerichtsurteil über den Menschen bestimmt ist! Teschuva bedeutete für ihn die schriftstellerische Auseinandersetzung mit der menschlichen Schuld; vor diesem Hintergrund ist es auch zu verstehen, wenn er vom „Schreiben als Gebet“ sprach.

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Allah (2)

Ich fahre hier fort mit einer groben Skizze von Volfs Argumentation und beschränke mich erst einmal auf die Darstellung seines Gesprächsbeitrags. Wer es genauer haben möchte kann Allah gern selbst zur Hand nehmen. Die zahllosen Fragen rund um das Verhältnis von Christen und Muslimen werde ich hier leider auch nicht erschöpfend erörtern können. Aktuell ist es allemal nach den Äußerungen des neuen Innenministers, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, aber dahinter steht wohl auch das Interesse der CSU, sich und andere mit etwas rhetorischem Krawall von der Causa Guttenberg abzulenken.

Im ersten Teil seiner Suche nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen Muslimen und Christen widmet sich Miroslav Volf der Geschichte. Er beginnt mit der Regensburger Rede von Papst Benedikt XVI, die seinerzeit so große Wellen schlug (und zu gewaltsamen Ausschreitungen in Teilen der islamischen Welt führte), weil der Papst darin die Frage aufwarf, wie sich die Gottesbilder beider Seiten zu einander verhielten, noch konkreter: ob dem Gott der Rationalität auf christliche Seite nicht letztlich ein Gott der Willkür auf islamischer Seite gegenüberstehe. Er zitierte dabei den Dialogdes byzantinischen Kaisers Manuel II Palaeologus mit einem gebildeten Perser.

Die Antwort führender islamischer Gelehrter war ein offener Brief, dem 2007 ein weiteres Dokument folgte, an dessen Entstehung der jordanische Prinz Ghazi bin Muhammad bin Talal federführend beteiligt war: A Common Word Between Us. In beiden geht es um den Frieden zwischen Christen und Muslimen. Ein erstaunliches Element des Open Letter ist der Bezug auf das Doppelgebot der Liebe und das Bekenntnis zu dem einen Gott, an dem die Autoren die Gemeinsamkeit beider Religionen festmachen. Der Gewinn dieser Position liegt für Volf u.a. darin, dass sie zeigt, wie ein richtig verstandener und bewusst gelebter Glaube zum Frieden beiträgt. Denn die säkularistische Gegenposition lautet seit jeher:

If religion has anything to do with conflicts between Christians and Muslims, religious passions stemming from single-minded devotion to God are the source of these conflicts, not a means to overcome them, many critics argue. Less religion is what we need. Let people keep religious devotion locked in the privacy of their hearts.

Volf erwähnt kurz John Piper, der freilich seiner üblichen Neigung zum Ausschluss abweichender Positionen folgt und eine eher simplistische Analogie bemüht, um zu zeigen, dass Christen und Muslime nicht vom demselben Gott (freilich auf durchaus unterschiedliche Art) reden können. Dagegen hat der Papst [und nicht nur er] inzwischen auf das Common Word positiv geantwortet.

Zweitens vergleicht Volf die Haltung von Papst Pius II und Nikolaus von Kues im fünfzehnten Jahrhundert. Während Pius II zeitlebens vergeblich einen neuen Kreuzzug initiieren will, sucht Nikolaus den Dialog, unter anderem in seiner Schrift de pace fidei. Es geht ihm keineswegs um eine verwässerte Kompromissformel oder darum, den Gegner möglichst schlecht aussehen zu lassen. Also setzt Nikolaus damit an, dass Gottes wahres Wesen sich menschlichen Kategorisierungen entzieht, selbst numerischen wie die Zahlen drei und eins. Sachlich, sagt Nikolaus, sei die Trinität im Koran aber vorausgesetzt: Denn Wenn Gott ein Wort hat, dann muss dieses Wort auch Gott sein, weil bei Gott zwischen Haben und Sein kein Unterschied besteht. Zweitens sagt Nikolaus, dass Liebe zur göttlichen Vollkommenheit gehöre, aber ein Gegenüber voraussetze – und zwar erst einmal innerhalb der Gottheit selbst, da die Schöpfung als Gegenüber ja zeitlich ist. Man muss – so versteht Volf Nikolaus – nicht in allem, was wir über Gott zu sagen haben, übereinstimmen, um sagen zu können, dass der Gott, den wir (mehr oder weniger angemessen) verehren, derselbe ist.

Drittens nimmt sich Volf Teile von Martin Luthers Schriften aus der Zeit der Belagerung Wiens durch die Türken und danach vor. Bei aller für den Reformator typischen Polemik zieht sich auch hier der Gedanke durch, dass Muslime den einen, wahren Gott verehren. Zugleich sagt Luther aber auch, dass sie diesen Gott nicht richtig kennen, weil sie weder die Trinität noch das Wort vom Kreuz akzeptieren. Volf kritisiert Luthers „brutale Rhetorik“ und seine Karikaturen des muslimischen Gottesverständnisses bzw. seine schroffe Charakterisierung der Türken als Werkzeuge des Satans. Aber dasselbe sagt Luther eben auch über Katholiken, Täufer oder Juden. Volf fragt zurück:

Luther is willing to admit that one can have all the right convictions about God – which the devils have – and be damned. But he does not seem ready to grant that one can have partly wrong convictions about God and still be saved. But why not? After all, Luther believes that God is unconditional love and that faith in God is itself a gift of that utterly generous God. (S. 73)

Zwei Dinge hält Volf am Ende fest aus der Beschäftigung mit Luther: Auch bei Luther gibt es nicht den starren Gegensatz zwischen Christen und Muslimen, sondern den Gegensatz zwischen Menschen, die Gott richtig erkannt haben (manche Christen) und denen, die ein verzerrtes Bild von Gott haben (die Mehrheit der Christen und alle Nichtchristen). Zweitens streitet Luther nicht ab, dass es signifikante Überschneidungen gibt, auch wenn dieses nicht primär soteriologische Thema ihn nicht besonders interessiert.

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Weisheit der Woche: Heldenverheerung

Die FAS hat gestern eine lange, aber ungemein scharfe Analyse des Aufstiegs und Falls von KTG vorgelegt. Wer sich die Zeit nimmt, hat eine gehörige Dosis Antikörper gegen die beginnende Verklärung des Polit-Stars gebunkert. Die werden wir dringend brauchen, ob es nun ein Comeback gibt oder nicht – das Muster kann sich auch anderweitig wiederholen. Hier ein kurzer Auszug:

Politik ist die Chance für Leute, die nicht gut aussehen und weder singen noch tanzen können, sehr, sehr prominent zu werden, und wenn sie dann noch, wie Guttenberg, gut aussehen, singen und tanzen, dann sind sie kaum noch aufzuhalten. Bis sie an sich selber scheitern. (…)

Die Wähler lieben Politiker, die Knoten durchschlagen, Unmögliches möglich machen oder auch nur Mögliches möglich. Schnell wird dabei die Grenze zu einem Deal überschritten: Jene, die Übermenschen sein wollen, beweisen denen, die an Übermenschen glauben wollen: dass es sie gibt. Und jene, die an Übermenschen glauben wollen, beweisen denen, die es sein wollen, durch ihre Anhänglichkeit und Begeisterung: dass sie es sind. Sehr belastbar sind solche Deals natürlich nicht. Aber es reicht, um eine Menge Schaden anzurichten.

(…) Guttenberg führte höchstpersönlich die Bewegung derer an, die nicht hinschauen wollten, unterstützt von zahllosen Unionspolitikern, die damit beschäftigt waren, der Öffentlichkeit einzureden, dass Lügen und Betrügen vielleicht nichts Großartiges ist, aber bei großartigen Menschen nicht weiter ins Gewicht fallen. Sie machten sich zu Einpeitschern von Personen, die unübersehbar das Urteil durch den Affekt ersetzten.

(Ein echtes Rätsel ist für mich die Union, vor allem natürlich in Bayern: Statt gerechtfertigten Zorn über das parteischädigende Verhalten ihres Stars zu äußern, solidarisiert man sich in einer Art Stockholm-Syndrom mit dem Kidnapper. Aber der Mythos wird nicht ewig leben. Wenn die medienwirksamen Auftritte – mit denen ist ja erst einmal vorbei –  in Vergessenheit geraten, stirbt er dahin. Und in ein paar Monaten werden sich die ersten CSU-Granden trauen, aus ihrem Herzen keine Mördergrube mehr zu machen.)

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Abendmahl (3): Was das Zeichen zeigt

Im Alten Testament treffen wir immer wieder auf prophetische Zeichenhandlungen. Das waren keine lustigen Pantomimen, mit denen eine Botschaft „veranschaulicht“ werden sollte, sondern eher eine zeichenhafte Vorwegnahme zukünftiger Ereignisse, man kann auch sagen, sie waren effektive Zeichen. So wahr Jeremia einen Tonkrug im Hinnom-Tal zerschlägt (Jer. 19), so wahr wird Jerusalem belagert und zerstört werden. Jesu „Tempelreinigung“ war ein Schlag in genau dieselbe Kerbe.

Wenn Jesus vor seiner Festnahme und im Blick auf seinen bevorstehenden Tod mit seinen Jüngern ein eigenwillig abgewandeltes Passamahl feierte, dann muss das auch als ein prophetisches Zeichen verstanden werden. So wie das Passa den Auszug aus der Sklaverei in Ägypten eröffnete, deutet er an, so beginnt mit seinem Tod der Exodus aus der Zwangsherrschaft von Sünde, Gewalt, Tod und Zerstörung. Und zugleich spielt Jesus auf Jesaja 25,6ff an, das überschäumend fröhliche Gelage der Erlösten in einer geheilten Schöpfung unter Gottes ungetrübter Herrschaft. So wahr wir jetzt trinken, so wahr werden wir es wieder tun am Ende aller Dinge. So real wie das Brot in meiner Hand wird auch die Erlösung von allem sein, was mich jetzt zerstören will, selbst wenn es im Augenblick noch tief in meinem Herzen schlummern sollte.

Leib und Blut stehen für die Gesamtheit der Person. Das Blut für die Lebenskraft und über den Leib treten wir zu einander in Beziehung – Blick, Worte, Gesten, Berührungen. In Brot und Wein begegnet uns der ganze Jesus, macht uns zum Teil der ganzen Geschichte des Gottesvolkes – von Abraham bis zum Abwischen aller Tränen – und ruft uns ganz in die Nachfolge, mit Haut und Haaren. Er selbst ist unsere Wegzehrung (mir fällt dazu immer das Lembas-Brot aus Tolkiens „Herr der Ringe“ ein). Der mit Zöllnern und Sündern gegessen hat, mit Pharisäern und Verrätern, mit perplexen Jüngern als Auferstandener das Brot brach, der stellt sich zu uns und schart uns um seinen Tisch.

Einer für alle – alle für einen
Das Abendmahl ist ein Beziehungsgeschehen. Es besteht eben darin, dass eine glaubende Gemeinschaft von Jesusnachfolgern, Gottes Geist, das Wort der Verheißung und eben Brot und Wein an einem konkreten Ort zusammenkommen. Und das Zusammenkommen ist “das Eigentliche” – so unendlich viel mehr als nur die Summe der Teile. Sie werden nicht addiert, sondern potenzieren einander. In dieser Beziehung aktualisiert sich ein Verhältnis, das von Jesus gestiftet und durch seinen Tod und seine Auferstehung begründet wurde. Diese Auffrischung (das weiß jeder, der eine Zeckenimpfung hinter sich hat) ist mehr als nur eine Erinnerung. Es wird eine Dynamik in Kraft gesetzt, ein Grundmuster kommt zum Vorschein, wenn wir die Worte sprechen, das Brot brechen und aus diesem Kelch trinken. Ein Muster, das verbindet: Menschen untereinander und Gott mit den Menschen. Ein Muster der Selbsthingabe und der vorbehaltslosen Gastfreundschaft, das in Gott selbst schon angelegt ist, in dem er sich uns mitteilt, und das er durch uns der ganzen Welt mitteilen möchte.

Brot und Wein – das ist auch sehr erdverbunden: Es ist weder das Wasser und Brot der Verurteilten und Inhaftierten, sondern das Mahl der Befreiten und Begnadeten. Noch ist es„Kaviar und Sekt“ der Schicken und Hippen, die den armen Lazarus vor ihrer Tür ignorieren. Es ist ein revolutionäres Mahl, das uns durch Raum und Zeit und über alle Unterschiede hinweg verbindet.

Würdig und unwürdig
Der Begriff der „Würde des Amtes“ wurde in letzter Zeit ziemlich traktiert im Blick auf politische und kirchliche Ämter und die Frage, ob sie durch das Verhalten der Amtsträger beschädigt werden kann. Die Würde des Aktes beim Abendmahl ist dagegen untrennbar verbunden mit der Würde des anderen. Paulus tadelt die Korinther nicht dafür, dass sie vergessen hatten, vor dem Abendmahl ihre Sünden minutiös zu beichten, sondern konkret dafür, dass die Reichen sich rücksichtslos verhielten und die Armen (die länger arbeiteten und später kamen, wenn nichts mehr übrig war) durch ihr Verhalten ausgrenzten. Damit untergruben sie genau das, was Jesus mit seinen barrierefreien Mahlfeiern erreicht hatte, nämlich alle Gräben und Konventionen zu überwinden, die Menschen trennten. Für Paulus war dieses Benehmen buchstäblich krank. Es widerspricht einer Kultur der Gastfreundschaft, die für Christen unverzichtbar ist. Das wäre im Übrigen auch der richtige Ausgangspunkt für den ökumenischen Dialog…

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Abendmahl (2): Nur ein Symbol?

Immer wieder begegne ich Menschen, die mir sagen, dieses oder jenes (darunter auch das Brot und der Wein beim Abendmahl) sei nur ein Symbol. Als wäre das eine minderwertige Wirklichkeit, ein bloßes Hinweisschild, ein austauschbarer Begriff. Wenn aber in Teheran oder Gaza Israelfahnen verbrannt werden, wenn Neonazis aufmarschieren und den Arm zu Hitlergruß erheben, wenn um Kruzifixe in Schulen gestritten wird oder wenn wir – um mal vom Politischen ins Private zu wechseln – erschrecken, wenn wir beim Schwimmen im Meer den Ehering verlieren, dann wird ganz schnell deutlich, dass Symbole einen Wirklichkeit nicht nur abbilden, sondern auch schaffen. Deswegen kommt man für den Hitlergruß richtigerweise in den Knast. Deswegen lieben wir Brautkleider und Taufkerzen.

Symbole ordnen unsere Wirklichkeit. Sie stellen Beziehungen und Zusammenhänge her. Unsichtbares – eben die Beziehungen zwischen Personen und/oder Gegenständen – wird sichtbar. Betrachte dich einen Augenblick im Spiegel: Wie viele Schriftzüge von Marken sind auf Kleidung, Schuhen, Uhr oder Brille zu erkennen? Design und diese allgegenwärtigen Firmenlogos tragen zur „Corporate Identity“ bei. Sie zeigen, dass wir zu bestimmten Gruppen dazugehören oder eben nicht. Sie verraten, wofür wir sind und wogegen wir protestieren. Und schließlich: Münzen und Geldscheine haben in der Regel keinen hohen Materialwert, aber das nehmen wir kaum noch mehr wahr. Der grüne Schein ist 100 Euro wert, und wehe, wenn ich ihn verliere. Wirklich nur ein Symbol, bloß eine Konvention?

Freilich kann man Symbole entwerten und missbrauchen, das ist ja nur die Kehrseite davon, dass sie in der Regel einen Wert und einen Sinn haben. Was Gott betrifft, so ist er für uns ohne die biblische Symbolsprache gar nicht zugänglich, die den Überschuss des Symbolisierten gegenüber allen Versuchen einer platten “Entschlüsselung” bewahrt. Wir bekommen Gott begrifflich nie ganz „zu fassen“. Aber er gibt uns Symbole, an die wir uns halten können.

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Das Abendmahl (1): Auf den Geschmack kommen

Den nachfolgenden Text habe ich letztes Jahr für die Zeitschrift The Race geschrieben, die in diesen Tagen neu unter dem Titel oora erscheint. Hier ist der erste von drei Teilen.

Je nachdem, wen man fragt, fallen Erfahrungen mit dem Abendmahl sehr unterschiedlich aus. Neben vielem Positiven gibt es da auch Stimmen, die den Ernst und die Schwere des Sakraments betonten. Ein striktes Members only gilt mancherorts, unwürdige Sünder nur nach skrupulöser Selbstprüfung, Fremde besser gar nicht. Manche Abendmahlsteilnehmer scheinen daher einzufrieren, wagen den Blick nur auf die Schuhspitzen zu richten. Angestrengte Andacht und zerknirschtes Gedenken an unter Qualen vergossenes Blut drücken auf die Stimmung. Nur nichts falsch machen – man atmet auf, wenn alles vorbei ist.

Die Gegenreaktion blieb nicht aus: Brot und Wein wurden mit Cola und Chips vertauscht, die ehrwürdige Liturgie durch spontane, möglichst hemdsärmelige Kommentare ersetzt. Pragmatische Hygienefreaks schweißten Hostien und Saftportiönchen in Folie und Plastiktöpfchen ein. Eine tierliebe Pfarrerin ließ jüngst einen Hund teilnehmen und Feministinnen nutzten den Anlass, um über sakrale Aspekte von Menstruationsblut zu spekulieren. Für Katholiken ist es das unumstößliche Zentrum des Gottesdienstes, die Heilsarmee kapituliert vor den theologischen Streitereien, bejaht zwar „die geistliche Bedeutung hinter (!) dem … Akt“, verzichtet aber auf die Praxis. Reichlich Verwirrung rund um den Tisch des Herrn also?

In all der Unklarheit liegt es nahe, Vergewisserung im Gefühl zu suchen. Aber das innere Miterleben von Passion und Auferstehung überfordert unser Empfinden, wenn wir meinen, dass ein so gewichtiges Ereignis uns jedesmal wieder eine Gänsehaut verursachen und uns im tiefsten Herzensgrund rühren muss. Solche Erlebnisse bleiben die Ausnahme. Daraus aber nun den Rückschluss zu ziehen, dass Gott deshalb nicht so richtig gegenwärtig und alles doch ein nur „totes Ritual“ sei und der Geist Gottes auf anderen Wege wirke, führt auch nicht weiter. Wir bewerten die unmittelbare Wirkung zu hoch und übersehen die langsame, aber nachhaltig prägende Kraft der stetigen Wiederholung.

Statt die Augen zu schließen und alles Äußere auszublenden, können wir daher das Gegenteil tun und mit alle Sinnen präsent sein: Den Geschmack von Brot und Wein, den Klang und Gehalt des Zuspruchs der Liturgie, die Anwesenheit der übrigen „Heiligen“ in ihrer ganzen Schönheit und Bedürftigkeit bewusst wahrzunehmen. Nicht hinter, sondern in all dem begegnet uns Gott. Fulbert Steffensky schreibt passend dazu in Schwarzbrot-Spiritualität:

Spiritualität ist eine Lesekunst. Es ist die Fähigkeit, das zweite Gesicht der Dinge wahrzunehmen: die Augen Christi an den Augen des Kindes; das Augenzwinkern Gottes im Glanz der Dinge. Nicht Entrissenheit, sondern Anwesenheit und Aufmerksamkeit ist ihre Eigenart. Sie ist keine ungestörte Entweltlichung und Einübung in Leidenschaftslosigkeit. Sie ist lumpig und erotisch, weil sie auf die Straße geht und sieht, was dem Leben geschenkt ist und was ihm angetan wird.

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Liebe, Zorn und Heiligkeit

Ich habe die (inhaltlich gar nicht neue) Aufregung um Rob Bells neues Buch kürzlich erwähnt, das Thema beschäftigt mich ja immer wieder. Ein paar Vorab-Verrisse habe ich überflogen, die Präzensenten scheinen mir aus der theologischen Schule von John Piper und Al Mohler zu stammen.

Hier prallen theologische Welten aufeinander, vor allem aber Gottesbilder. Und da ist es so wie in der Christologie: Wenn man mal auf dem falschen Fuß beginnt, hinkt alles, was danach kommt. Christologisch lag der Fehler lange Zeit darin, von einer abstrakten „göttliche Natur“ auszugehen, deren Attribute (Allmacht, Allwissen, Allgegenwart) dann die Menschlichkeit Jesu derart sprengten, dass es zu absurden Folgeschlüssen kommen musste. Etwa so, dass der irdische Jesus göttliche idiomata wie Allgegenwart „verhüllt“ ausübt.

Hier liegt m.E. ein ähnliches Problem auf Seiten der Kritiker vor: Gottes primäre Eigenschaft ist für sie die Heiligkeit. Heiligkeit zerfällt dann für sie in die zwei (konträren) Charakteristika von Zorn und Liebe. Man ist hier an die Dialektik von Gesetz und Evangelium erinnert, nur dass es eben Gottesattribute sind und keine Wirkweisen der Schrift. Und dieser Dualismus zieht sich nun ausgehend vom Gottesbild durch die ganze Heilslehre, daher eine streng symmetrisch gedachte doppelte Prädestination, in der die Verwerfung und ewige Qual eines Teils – möglicherweise des Großteils – der Menschheit als ein Akt erscheint, durch den Gott seine Heiligkeit erweist und seine Ehre mehrt. Daher auch das Insistieren auf der Vorstellung ewiger Höllenqualen – sie sind in dieser Logik eben auch nötig um der Ehre Gottes Willen.

Was auf den ersten Blick vielleicht noch wie eine Verschiebung von Nuancen wirkt, hat gravierende Folgen – vor allem seelsorgerliche, durchaus aber auch politische. Es beeinflusst nicht nur die Verkündigung (das berüchtigte „turn or burn“), sondern auch Kirchenstrukturen und den Umgang mit Macht. Denn natürlich liest man mit dieser Brille dann auch die Bibel und aus derselben die Bestätigung des eigenen Standpunktes heraus, der doch in Wirklichkeit schon die Prämisse des Denkens war.

Im Grunde muss sich diese Theologie also die Frage stellen lassen, die Papst Benedikt XVI in seiner Regensburger Rede an den Islam stellt: Ist Gott primär als absolut transzendenter, undurchschaubarer Wille zu verstehen, oder hat er sich auf den vernünftigen (darum geht es Benedikt in dem Zusammenhang) – wir könnten aber auch hinzufügen: liebenden und barmherzigen – Umgang mit seinen Geschöpfen festgelegt? Der Heiligkeitsbegriff als primärer theologischer Anker öffnet das Gottesbild für eine eine gewisse Persönlichkeitsspaltung. Mein Verdacht ist – man müsste der These mal genauer nachgehen, ein nettes Promotionsthema mit vielen Fußnoten – ob nicht gerade eine gewisse Schwierigkeit, mit den Ambivalenzen des Lebens und der Schrift fertig zu werden, dazu führt, dass man diese überspringt und letztlich in die Gottesvorstellungen selbst zurückverlagert. Problematische Gewalt entschwindet so im Schatten unhinterfragbarer und unantastbarer Heiligkeit.

Ordnet man dagegen Heiligkeit und Zorn der Liebe unter, sieht alles anders aus. Ein gewaltfreies Gottesbild wird möglich, das jedoch keineswegs harmlos ist. Gottes Zorn wird nicht als ein ausschließender Zorn in seine Heiligkeit, sondern als leidenschaftliche Solidarität mit den Opfern von Gewalt und Unrecht in seine Liebe integriert. Sein Ehrgeiz liegt darin, nicht nur die 99 Schafe zu behalten, sondern auch das eine verlorene noch zu finden. Dafür riskiert er alles. Wo meine Sympathien liegen, brauche ich nicht zu erklären.

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Allah (1)

Heute landete das neue Buch von Miroslav Volf auf meinem Schreibtisch, es heißt Allah: A Christian Response.

Volf, der in Yale Systematische Theologie lehrt und ein Seminar mit Tony Blair über Glaube und Globalisierung leitet, geht darin der Frage nach, wie Christen und Muslime die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen ihren Religionen bewerten und was daraus für den Umgang mit dem jeweils anderen und das Zusammenleben in einer pluralistischen, multireligiösen Gesellschaft folgt.

Zu meiner Überraschung beginnt Volf mit Rick Warren und dessen Gebet zur Amtseinführung von Barack Obama. Warren wurde von Rechtsevangelikalen hart angegangen, weil er in diesem Gebet eine Wendung gebrauchte („you are the compassionate and merciful one“), die in zahlreichen Suren des Koran erscheint. Die Kritiker um einen gewissen Joe Schimmel argumentierten, Warren habe damit verschleiert, dass der Gott der Bibel und der Gott des Koran zwei gänzlich verschiedene Götter seien.

Gleich zu Anfang legt Volf die Karten auf den Tisch, hier die Kurzfassung:

  • Für ihn geht es (wie andeutungsweise für Rick Warren, Respekt!) trotz zahlreicher Unterschiede um ein und denselben Gott
  • Die Dinge, die der Koran im Blick auf die Trinität ablehnt, würde auch kein Christ für richtig halten
  • Sowohl Christen als auch Muslime beschreiben Gott als liebend und gerecht, auch wenn sie diese Begriffe etwas unterschiedlich füllen
  • Beide glauben, dass Gott die Liebe zum Nächsten möchte, freilich wieder mit verschiedenen Nuancierungen
  • die gemeinsame Werte reichen für ein zivilisiertes Zusammenleben aus und bedingen keinen unablässigen Kampf der Kulturen
  • beide Seiten können sich als Verbündete sehen in der Auseinandersetzung mit einer Kultur, der es nur um das eigene Vergnügen und Wohlbefinden geht
  • Liebe und Vertrauen zu Gott und Gehorsam gegenüber Jesus sind wichtiger als Religionszugehörigkeit und Etikettierungen
  • Liebe und Gerechtigkeit erfordern es, dass Menschen ihren Glauben wählen, wechseln und öffentlich leben dürfen
  • Das Glaubenszeugnis ist legitim, es darf weder unterdrückt noch lieblos ausgeübt werden
  • Das Bekenntnis zu dem einen Gott, der alle Menschen liebt und für die da ist, führt zum Bekenntnis zu einer offenen, pluralistischen Gesellschaft und einem weltanschaulich neutralen Staat

Volf schreibt ein Buch über politische Theologie, nicht über Soteriologie. Die Frage des ewigen Heils lässt er offen. Ihn interessiert, ob und wo Christen und Muslime Gemeinsamkeiten entdecken können und wie diese Gemeinsamkeiten zu einem friedlichen Zusammenleben beitragen. Das Interessante wird sein, wie er das begründet.

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Anstößige Liebe?

Rob Bell hat mit Love Wins schon vier Wochen vor der Veröffentlichung in den USA für Wirbel gesorgt. Dieses Video hat seinen Kritikern schon so viel Projektionsfläche geliefert, dass sie spekulative Vorab-Verrisse über den gefühlten Inhalt ins Netz stellen. Offenbar löst Bell bei ihnen Reflexe aus, die sich nicht unterdrücken lassen. Die Liebe scheint dort allerdings nicht immer die Oberhand behalten zu haben.

Die deutsche Fassung wird kurz nach der amerikanischen erscheinen, denn Rob Bell kommt zum Willow Creek Jugendkongress im Mai nach Düsseldorf. Das könnte spannend werden, sollte er auch dort über „Himmel, Hölle und das Schicksal jedes Menschen, der je gelebt“ hat reden. Eugene Peterson und Brian McLaren fanden das Buch schon mal gut.

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„Eierköpfe“, oder: Nürnberg ist einfach größer

„In Erlangen gibbds lauder Eierköpf“, sagte vor 30 Jahren mein Geographielehrer, selbst promovierter Historiker und Studiendirektor am humanistischen Gymnasium, aber eben Sohn eines Eisenbahners aus Nämberch, von wo er täglich mit der Bahn anreiste. Und damit war für Ihn alles gesagt über die ungleichen Nachbarn in der Metrolpolregion.

Schon über 25.000 „Eierköpfe“ haben sich bei Kanzlerin Merkel beklagt und deren Umgang mit der misslungenen Titelverteidigung ihres Jungstars kritisiert. Zugleich hält die an akademischen Fragen uninteressierte Öffentlichkeit mit großer Mehrheit (es gibt eben fünf mal so viel Nürnberger wie Erlanger…) offenbar wie unsere Kanzlerin das umfangreiche Abschreiben zum karriereförderlichen Titel für eine Bagatelle. Nur der Unterfranke Pelzig kommentiert in der Anstalt den Lapsus des Barons aus Oberfranken (der sich am eigenen Schopf aus dem akademischen Sumpf zog) süffisant und meint, wenn Abschreiben schlampiges Zitieren sei, dann wäre Ladendiebstahl „schlampiges Einkaufen“.

Vielleicht sind die fränkischen Verwerfungen ein Grad-Messer für die deutsche Landschaft. Einerseits scheint der akademische Titel (noch?) dienlich für die Karriere und öffentliches Ansehen, andererseits betrachtet man die Institution, die ihn verleiht, als einen weltfremden Haufen zerstreuter Erbsenzähler, die sich am liebsten mit abstrusen Nebensächlichkeiten befassen.

Sprich: Zur Bergkirchweih fährt der Nürnberger schon mal nach in Erlangen, aber den Rest des Jahres lebt er mit dem tröstlichen Bewusstsein, dass die Musik im Schatten von Burg und Lorenzkirche spielt. Das müssen die Eierköpfe mal kapieren, dann regen sie sich auch bestimmt wieder ab.

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Messias/bild/er

Was haben Christen im Laufe der Jahrhunderte nicht alles zusammenphantasiert, wenn es um den Antichristen und falsche Messiasse geht. Der rechte Rand der Republikaner in den USA versucht mit Verdächtigungen und Verleumdungen immer noch, Barack Obama dieses Stigma zu verpassen und sieht den Weltuntergang nahe. Nebenbei hatte man dort noch nie Probleme damit, die Welt noch näher an den Rand des erwarteten Untergangs zu bringen durch lockere Waffengesetze, globales Säbelgerassel und achselzuckendes Hinnehmen ökologischer Apokalypsen, um den „American Way of Life“ zu retten.

Sollte man das Thema aus dem kirchlichen Diskurs also besser ganz streichen? Ich glaube nicht. Alles läuft nämlich viel normaler, viel unapokalyptischer, als es oft dargestellt wurde. Falsche Messiasse kommen und gehen, hier und anderswo. Wir sehen den Unterschied zwischen Original und Plagiat, wenn wir Matthäus 16 lesen. Dort antwortet Jesus auf das Bekenntnis des Petrus (16,16) mit einem Lob, das zugleich zur (echten…) Demut mahnt, weil es auf Gottes Konto geht, dass Petrus etwas richtig erkannt hat.

Zweitens verbietet Jesus den Anwesenden, diese Einsicht an die große Glocke zu hängen. Jürgen Moltmann kommentierte einmal, dass Jesus das Bekenntnis des Petrus suspendiert hat. Der Grund ist, dass Jesus sich schon zu Beginn seines öffentlichen Wirkens entschieden hatte, die damit verbundenen Erwartungen zu enttäuschen (vgl. 4,1ff). Er kannte das öffentliche StimmungsBILD gut genug, um die Gefahr des Jubels und Beifalls aus zweifelhaften Motiven zu unterschätzen. Das letzte, was er brauchen konnte, waren grelle, polarisierende Schlagzeilen und Anhänger, denen es nur darum ging, ihre Auflage zu steigern und die eigene Macht über andere zu sichern (vgl. 20,28).

Drittens nämlich kündigt Jesus seine Hinrichtung und seinen Tod an. Die Wende im Geschick Israels und der Welt wird nicht durch einen vordergründigen Erweis seiner Überlegenheit und Dominanz, nicht durch eine Reform „von oben“ erreicht, sondern darin, dass er der Gewalt, dem Hass und dem Wunsch der Masse nach einem Sündenbock unterliegt – und sich Gott dann trotzdem, nein: genau deswegen, zu ihm stellt.

Petrus hat den letzten Gedanken wohl schon gar nicht mehr richtig gehört, als er ansetzt, Jesus zu erklären, dass der als Hoffnungsträger und Lichtgestalt sich alles, nur keine Kapitulation leisten darf. Mit dem Tipp ist er bei Jesus jedoch an der falschen Adresse. Er fängt sich den schärfsten Tadel ein, den wir in den Evangelien überhaupt finden: „Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen! Du willst mich zu Fall bringen; denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen“ (16,23). So schnell kann man also zum „Antichristen“ mutieren…

Die Passionszeit ist nicht mehr weit entfernt. Vielleicht eine gute Gelegenheit, sich zu fragen, zur Entourage welches Messias‘ wir eigentlich gehören wollen. Petrus hat die Kurve in der Messiasfrage noch rechtzeitig gekriegt, und wieder war das nicht sein Verdienst. DIe BILD-Umfrage zu dem Thema aber hätte vermutlich Barabbas mit 75% gewonnen.

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Liebe Frau Dr. Käßmann,

vor ein paar Tagen las ich, dass Ihnen der Europäische Kulturpreis für Zivilcourage verliehen werden soll. Ihre Kritiker waren empört. Pazifisten, Feministinnen und viele andere Menschen im Land freuten sich. Kurz darauf machte die Nachricht die Runde, dass Sie den Preis abgelehnt haben. Die Empörten schwiegen irritiert, die Erfreuten schwiegen aus Hochachtung.

Dass Sie den Preis nicht angenommen haben, war richtig, Schließlich haben Sie im letzten Jahr – nach den (so die Stiftung) preiswürdigen Worten zu Afghanistan – einige schwere Fehler gemacht. Nein, ich meine nicht die Alkoholfahrt, sondern Ihren Umgang damit. Sie hätten nämlich auf die ersten Enthüllungen erwidern müssen, diese Vorwürfe seien „abstrus“. Das hätte Ihre Unterstützer mobilisiert und eine kleine Medienschlacht angezettelt. Es ist zwar schwer, einer so integren Institution des öffentlichen Lebens wie Bild irgendeine Parteilichkeit oder verdeckte Interessen zu unterstellen, aber einen Versuch wäre es allemal wert.

Natürlich hätte die Polizei der Öffentlichkeit irgendwann Beweise präsentiert. Bis dahin hätten Sie die Gelegenheit gehabt, alle kirchlichen Gremien davon zu überzeugen, dass man auf eine Lichtgestalt wie Sie unmöglich verzichten kann. Und dann hätten Sie gelassen an Schritt zwei der Bewältigungsstrategie herangehen können: Scheibchenweise Geständnisse längst bekannter Fakten in verharmlosender Sprache („Einzelfall“, „eventuell“, „hier und da“, „könnte sein“) mit umfangreichen Rechtfertigungen (Verweis auf Ihre vielen Aufgaben und die Schwierigkeit, sich zu erinnern; Anspielung auf Ihre Verdienste und den Stress damals zur Zeit der Führerscheinprüfung). All das natürlich nur vor ausgewählten Journalisten.

Schließlich hätten Sie kurz vor dem Prozess vor dem Verkehrsgericht ankündigen können, dass Sie Ihren Führerschein zurückgeben. Aus freien Stücken natürlich, und weil Sie bei genauerer Betrachtung zu dem Ergebnis gekommen sind, dass da „Blödsinn“ passiert sei. Allerdings nicht ohne den Hinweis, dass dieser Verzicht Sie schmerzt, und nicht ohne Seitenhiebe auf Gegner, die Ihnen die gebührende Demut abgesprochen hätten. „Wer ohne Knöllchen ist, werfe den ersten Steinhäger„, hätte das Sonntagsblatt titeln können, und dann Anspielungen auf Verkehrsdelikte anderer machen.

Ihre Hilfstruppen hätten sich daraufhin auf Facebook und vor den Mikrofonen der Journalisten davon beeindruckt gezeigt, wie mutig Sie Fehler einräumen und die mediale Hetzjagd auf Sie kritisiert. Anspielungen darauf, dass die Staatsanwälte in Hannover eine Landplage seien, erfolgreiche Menschen hassen und kirchenfeindlich gesinnt seien, wären auch eine Überlegung wert gewesen. Was auf keinen Fall fehlen darf, wäre der Hinweis, dass hier Männer versuchen, eine starke Frau zur Strecke zu bringen, oder Spekulationen darüber, ob denn die Rüstungslobby, die Sie mit ihrer Kritik am Krieg vergrätzt hatten, vielleicht auch den Alkomaten hergestellt (und womöglich frisiert?) hatte.

Der Rat der EKD hätte erklärt, dass man Sie als Bischöfin und nicht als Fahrerin gewählt hätte, dass Sie ohnehin selten selbst am Steuer sitzen und dass ein Führerschein keine Bedingung für kirchliche Ämter ist. (Fußnote: Wo war Ihr Fahrer eigentlich an diesem Abend – und könnte man ihn dafür vielleicht schnell noch feuern?) Und dann hätte jemand gesagt: Nichts ist gut in Deutschland, so lange wir uns hier über Fehler im Promillebereich ereifern, während in Afghanistan und anderswo Menschen sterben.

Und wo wir schon dabei sind: Eigentlich müsste die Öffentlichkeit doch dankbar sein dafür, wie Sie das Thema Alkoholmissbrauch und Risiken im Straßenverkehr wieder ins Gespräch gebracht haben! Womöglich werden so viele hundert, ach was, tausende schwerer Unfälle verhindert weil nach diesem Vorfall nicht nur Sie so vorbildlich in sich gegangen sind, sondern auch viele andere ihre Trink- und Fahrgewohnheiten geändert haben.

All das haben Sie unterlassen und damit bewiesen, dass Sie die deutsche Öffentlichkeit nicht verstehen, die lieber verbogene Helden als gar keine möchte, so lange die nur gut aussehen und jugendlich-dynamisch rüberkommen. Zivilcourage hat in der Kultur Europas doch nichts mit Mut zu tun, sondern mit der Dreistigk… Durchsetzungsfähigkeit, das Offensichtliche beharrlich kleinzureden, wegzulächeln und auf bessere Tage oder die Vergesslichkeit der Leute zu hoffen.

Dass Sie nun nicht etwa ihre Schwester oder einen Pressereferenten zur Preisverleihung in die Paulskirche schicken, sondern ganz verzichten, weckt dennoch Hoffnung. Es zeigt, dass Sie – spät, aber immerhin – die perfide Strategie der obskuren Europäischen Kulturstiftung durchschaut haben, die im Geiste von Wikileaks & Co einen gefährlichen Anschlag auf unsere Gesellschaft plant und einen Keil in die Beziehung zu wichtigen Verbündeten südlich der Alpen zu treiben versucht.

Sie zeichnen sich damit im Übrigen auch als wahrhaft konservative Denkerin aus. Und dafür lässt sich mit Sicherheit ein anderer Preis finden. Den sollten Sie dann mit einem gerüttelt Maß an Demut vor dieser unserer aller Kultur auch bitteschön annehmen.

Mit freundlichen Grüßen,

Ihr Peter Aschoff

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Weisheit der Woche: Freiheit und Verachtung

Es gibt neuerdings einen Stil der ostentativ zur Schau gestellten Verachtung von Minderheiten. Die Freiheit zur Herabsetzung wird von Sarrazin ausdrücklich gefordert, und darin steckt eine Lektion des Karikaturenstreits. Diese Lektion lautet: Meinungsfreiheit zeigt sich gerade in der Beleidigung, in der Kränkung. Das ist ein Test: Wer dazu gehören will, muss sich eben auch beleidigen lassen. Und umgekehrt sind diejenigen, die aggressiv beleidigen, wahre Helden.

FAZ-Feuilletonist Patrick Bahners im Zeit-Interview über Integration und Islamfeindlichkeit
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Wright, Luther und die Ethik

Nachdem ich am Samstag Tom Wrights spannende Gedanken zur christlichen Ethik und neutestamentlichen Tugendlehre gehört habe, habe ich etwas in meinen Sachen gekramt und bin bei Luthers Ethik gelandet. Wright hat Luthers negative Bewertung des Gesetzes im Kommentar zum Galaterbrief kritisiert, aber man kann Luther vielleicht auch anders lesen, indem man zum Beispiel vom Sermon von den guten Werken ausgeht.

Etwas verkürzt gesagt funktioniert das dann so, dass im Wort der Schrift eine Dialektik von Gesetz und Evangelium (durchaus im Sinne von Anspruch und Zuspruch) zu finden ist. Das Gesetz beschreibt dabei die überführende und richtende Wirkung, das Evangelium die glauben weckende und befreiende. Beides ist aber nötig, denn es entspricht der Dialektik des Christen, der auch unter der Gnade ein Angefochtener bleibt. Einen „tertius usus“ wie in der reformierten Theologie (für die „Wiedergeborenen“ als heilsame und positive Weisung zum Leben) braucht Luther daher gar nicht: Es reicht, das Gebot als Korrektur zu haben, die den Christen auf seinem Weg hält – und genau so hat es Tom Wright mit dem Bild von der „Leitplanke“ auch beschrieben. Es geht also Luther wie Wright darum, der drohenden Gesetzlichkeit einer primär an Normen orientierten Ethik auszuweichen, ohne einer denkfaulen, launischen „Spontaneität“ das Wort zu reden, die selbstbezogen nur das tut, wozu sie gerade aufgelegt ist.

Luther setzt sich im Jahr 1520 auch kritisch mit der aristotelischen Tugendlehre auseinander. Vor allem weigert er sich, Glauben als menschliche Tugend zu bezeichnen, weil er den Glauben (im Sinne des erneuerten Herzens von Jeremia 31 und Ezechiel 36) als ein Werk Gottes versteht. Bei Wright wäre hier vielleicht der Begriff „Neuschöpfung“ die beste Entsprechung. Glaube bei Luther ist der „Christus in uns“ oder das In-Christus-Sein der Glaubenden. Man darf ihn weder als Zustimmung zur kirchlichen Lehre intellektualisieren noch als einen Affekt unter anderen psychologisiseren.

Aus dem Glauben heraus wird der Mensch dann aber auch für Luther ungemein aktiv, und hier begegnet uns die Verschränkung von eigenem Handeln und menschlicher Verantwortung auf der einen Seite und dem Wirken des Geistes und der Gnade auf der anderen Seite, wie Kolosser 1,28 es beispielsweise beschreibt. Die wesentliche Lebensäußerung des Glaubens ist die Liebe im Sinne des Doppelgebotes, nachdem Luther den Glauben schon als die Erfüllung des ersten Gebots (Exodus 20,2f; vgl. Dtn 6,4) bezeichnet hat.

Alle anderen „guten Werke“, für die Luther viele positive Worte findet, sind durch die Liebe qualifiziert. Luther wehrt hier eine Bevorzugung kultisch-religiöser Tätigkeiten ab, und das kann m.E. auch analog zur Kritik von Jesus und später Paulus am Kultgesetz verstanden werden, vor allem auch als Analogie zur prophetischen Kultkritik etwa bei Amos. Unter den guten Werken gibt es keine „besseren“. Damit befreit Luther den Gottesdienst und das spirituelle Leben, nicht mehr Ausweis eines höheren Status bei Gott zu sein, sondern eine bewusste Gestaltung der Christusbeziehung. Gottesdienst, Gebet und Askese (konkret: Fasten, Wachen und Arbeiten) dienen der Stärkung des Glaubens, und darin liegt ihr Wert, denn die verwandelnde Kraft des geistlichen Lebens wirkt sich auf das Leben in der Welt aus. Das Lob Gottes hat so beim frühen Luther durchaus auch eine politische Dimension:

Hier müssen wir widerstreben zum ersten allem Unrecht, wo die Wahrheit oder Gerechtigkeit Gewalt und Not leidet, und wir müssen in demselben keinen Unterschied der Personen haben wie etliche tun, die gar fleißig und emsig fechten für das Unrecht, das den reichen, gewaltigen Freunden geschieht, aber wo es dem Armen oder Verachteten oder Feinden geschieht, sind sie wohl still und geduldig. (WA 6,226)

Luther wendet die zehn Gebote in seiner Auslegung sämtlich ins Positive und weist auf das hin, was Glaubende tun sollen und können. Ein klares Indiz dafür, dass er sie keineswegs nur negativ betrachtet, sondern in ihnen auch eine praktischen Anleitung erkennt. Freilich hätte man sich die hier so klar formulierte „Option für die Armen“ auch in Luthers unglücklichem Agieren im Bauernkrieg gewünscht. Das dürfen heutige Lutheraner gern besser machen und dabei von Tom Wright lernen, der gerade auch die gesellschaftliche Verantwortung betont, die aus dem Evangelium erwächst.

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