Wright, Luther und die Ethik

Nachdem ich am Samstag Tom Wrights spannende Gedanken zur christlichen Ethik und neutestamentlichen Tugendlehre gehört habe, habe ich etwas in meinen Sachen gekramt und bin bei Luthers Ethik gelandet. Wright hat Luthers negative Bewertung des Gesetzes im Kommentar zum Galaterbrief kritisiert, aber man kann Luther vielleicht auch anders lesen, indem man zum Beispiel vom Sermon von den guten Werken ausgeht.

Etwas verkürzt gesagt funktioniert das dann so, dass im Wort der Schrift eine Dialektik von Gesetz und Evangelium (durchaus im Sinne von Anspruch und Zuspruch) zu finden ist. Das Gesetz beschreibt dabei die überführende und richtende Wirkung, das Evangelium die glauben weckende und befreiende. Beides ist aber nötig, denn es entspricht der Dialektik des Christen, der auch unter der Gnade ein Angefochtener bleibt. Einen „tertius usus“ wie in der reformierten Theologie (für die „Wiedergeborenen“ als heilsame und positive Weisung zum Leben) braucht Luther daher gar nicht: Es reicht, das Gebot als Korrektur zu haben, die den Christen auf seinem Weg hält – und genau so hat es Tom Wright mit dem Bild von der „Leitplanke“ auch beschrieben. Es geht also Luther wie Wright darum, der drohenden Gesetzlichkeit einer primär an Normen orientierten Ethik auszuweichen, ohne einer denkfaulen, launischen „Spontaneität“ das Wort zu reden, die selbstbezogen nur das tut, wozu sie gerade aufgelegt ist.

Luther setzt sich im Jahr 1520 auch kritisch mit der aristotelischen Tugendlehre auseinander. Vor allem weigert er sich, Glauben als menschliche Tugend zu bezeichnen, weil er den Glauben (im Sinne des erneuerten Herzens von Jeremia 31 und Ezechiel 36) als ein Werk Gottes versteht. Bei Wright wäre hier vielleicht der Begriff „Neuschöpfung“ die beste Entsprechung. Glaube bei Luther ist der „Christus in uns“ oder das In-Christus-Sein der Glaubenden. Man darf ihn weder als Zustimmung zur kirchlichen Lehre intellektualisieren noch als einen Affekt unter anderen psychologisiseren.

Aus dem Glauben heraus wird der Mensch dann aber auch für Luther ungemein aktiv, und hier begegnet uns die Verschränkung von eigenem Handeln und menschlicher Verantwortung auf der einen Seite und dem Wirken des Geistes und der Gnade auf der anderen Seite, wie Kolosser 1,28 es beispielsweise beschreibt. Die wesentliche Lebensäußerung des Glaubens ist die Liebe im Sinne des Doppelgebotes, nachdem Luther den Glauben schon als die Erfüllung des ersten Gebots (Exodus 20,2f; vgl. Dtn 6,4) bezeichnet hat.

Alle anderen „guten Werke“, für die Luther viele positive Worte findet, sind durch die Liebe qualifiziert. Luther wehrt hier eine Bevorzugung kultisch-religiöser Tätigkeiten ab, und das kann m.E. auch analog zur Kritik von Jesus und später Paulus am Kultgesetz verstanden werden, vor allem auch als Analogie zur prophetischen Kultkritik etwa bei Amos. Unter den guten Werken gibt es keine „besseren“. Damit befreit Luther den Gottesdienst und das spirituelle Leben, nicht mehr Ausweis eines höheren Status bei Gott zu sein, sondern eine bewusste Gestaltung der Christusbeziehung. Gottesdienst, Gebet und Askese (konkret: Fasten, Wachen und Arbeiten) dienen der Stärkung des Glaubens, und darin liegt ihr Wert, denn die verwandelnde Kraft des geistlichen Lebens wirkt sich auf das Leben in der Welt aus. Das Lob Gottes hat so beim frühen Luther durchaus auch eine politische Dimension:

Hier müssen wir widerstreben zum ersten allem Unrecht, wo die Wahrheit oder Gerechtigkeit Gewalt und Not leidet, und wir müssen in demselben keinen Unterschied der Personen haben wie etliche tun, die gar fleißig und emsig fechten für das Unrecht, das den reichen, gewaltigen Freunden geschieht, aber wo es dem Armen oder Verachteten oder Feinden geschieht, sind sie wohl still und geduldig. (WA 6,226)

Luther wendet die zehn Gebote in seiner Auslegung sämtlich ins Positive und weist auf das hin, was Glaubende tun sollen und können. Ein klares Indiz dafür, dass er sie keineswegs nur negativ betrachtet, sondern in ihnen auch eine praktischen Anleitung erkennt. Freilich hätte man sich die hier so klar formulierte „Option für die Armen“ auch in Luthers unglücklichem Agieren im Bauernkrieg gewünscht. Das dürfen heutige Lutheraner gern besser machen und dabei von Tom Wright lernen, der gerade auch die gesellschaftliche Verantwortung betont, die aus dem Evangelium erwächst.

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5 Antworten auf „Wright, Luther und die Ethik“

  1. Ich kenne T. Wright noch nicht. Von daher weiß ich nicht, inweiweit die Aussage
    „das Gesetz beschreibt dabei die überführende und richtende Wirkung, das Evangelium die glauben weckende und befreiende“ seinem Anliegen bzw. dem, was ich davon gehört habe, gerecht wird..

    Eine Dialektik zwischen „Gesetz“ und „Evangelium“ scheint mir immer auf eine Weitertradierung christlich-antijudaistischer Tendenzen hinauszulaufen, weil sie sich am griech. nomos und nicht am jüdischen Verständnis von „Halacha“ orientiert und damit eher die christlichen Fehlwahrnehmungen in den Blick bekommt als das jüdische Verständnis von Halacha.

  2. @Iwe: Nur zur Klarheit – der Satz, den du zitierst, bezieht sich auf Luther, nicht auf Wright. Man kann diese Dialektik bei Luther negativ und damit antijudaistisch verstehen, muss es aber eben nicht zwingend, wie der Sermon von den guten Werken zeigt. Denn Luther bestreitet ja gar nicht, dass das Gesetz in seiner konfrontierenden und überführenden Wirkung dem Heil dient. Ebenso wäre es ein Missverständnis, das Gesetz mit dem AT bzw. der jüdischen Bibel gleichzusetzen, Luther bezieht es ja auf die ganze Schrift, und wenn ich es richtig im Kopf habe, muss beides zwar unterschieden, aber immer auch zusammen gepredigt werden.

  3. Luther hat eine Menge zu dem Thema geschrieben. ich habe nur das für diesen Zusammenhang Wesentliche rausgegriffen. Zum Thema „Gesetz bei Luther“ gibt es ein paar Meter Literatur…

  4. Hallo Peter,
    ich finde das wichtig, in dem Zusammenhang Luther auch zu rehabilitieren.
    Sonst verfällt man zu schnell in einer Karrikatur von Luthers Position (das gleiche sieht man übrigens bei Platon und Kant).

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