Tempel und Tümpel

Im Blick auf die ökumensiche Landschaft mit ihren Strömungen wurde ich gestern an das Bild aus Ezechiel 47 erinnert. Dort entspringt im Tempel ein Fluss, der dann nach Osten hinunter ins Jordantal fließt, alles zum Blühen bringt und schließlich das Tote Meer gesund macht – es wird reich an Fischen. Um das Bild völliger Harmonie abzurunden, schiebt der Prophet in Vers 11 dann noch nach:

Die Lachen und Tümpel aber sollen nicht gesund werden; sie sind für die Salzgewinnung bestimmt.

Heute entdecken viele Christen, dass sie bei allen Unterschieden im Grunde zu einem gemeinsamen Strom gehören. Zugleich gibt es überall Gruppen und einzelne, die so viel Einigkeit und die hohe Fließgeschwindigkeit für gefährlich halten und die „klare“, harte Abgrenzung fester Standpunkte suchen. Ins Schwimmen wie der Prophet geraten sie nur sehr ungern. Manchmal wirbeln sie mit ihrem Protest viel Staub auf und manch einer investiert viel Zeit und Kraft, ihnen gut zuzureden – oft mit sehr überschaubarem Erfolg.

Vielleicht sollten wir uns an Pfingsten auf den Strom der Heilung konzentrieren und die ätzende Salzlauge ignorieren. Sie darf in Tümpeln fortbestehen und erfüllt so auch einen Zweck in Gottes Plan. Denn die salzige Brühe. die ungenießbar ist und in größeren Mengen lebensfeindlich wäre, dient nun der Salzgewinnung. In diesen Nischen wird etwas konserviert, was von Zeit zu Zeit und in sehr behutsamer Dosierung wieder nützlich werden kann – Mineralien, die sonst verlorengehen würden. Das spricht dafür, auch mit verbohrten Kritikern gelassen umzugehen. Man muss zwar nicht gutheißen, was sie tun und wie sie es tun, andererseits fließt der große Strom weiter und an seinen Ufern gedeiht so viel Interessantes, dass man sich nicht allzu lange mit ihnen aufzuhalten braucht. Irgendwann entdeckt man bei ihnen dann doch einmal eine (vielleicht sehr einseitige und ungeschickt vertretene) Einsicht, die allen wieder nützt.

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Pfingsten, die Pfingstler und der Zeitgeist

Ich hatte es letzte Woche ja schon erwähnt: an Pfingsten die Misere der Kirchen zu beklagen, ist ein beliebter, aber alles andere als origineller und wohl auch nicht geistreicher Akt. Exemplarisch dieses Zitat eines traditionalistischen Katholiken, Kardinal Brandmüller, aus der SZ online:

In Afrika und Asien sieht der Kardinal den „Geist des Herrn“ noch mächtig wirken, während in Deutschland „das Schiff der Kirche mit schlaffen Segeln zum Spielball des Meeres, das heißt des Zeitgeistes, wird“.

Ähnliche Töne waren auch im evangelikalen Umfeld des Kapstadt-Kongresses immer wieder zu hören: Anderswo boomen die Kirchen, hier nicht, und das liegt natürlich am Zeitgeist. Von dem müssen wir wieder weg. Die Rhetorik erinnert an den Antimodernismus des 19. Jahrhunderts und dessen evangelikales Gegenstück, den Fundamentalismus Anfang des 20. Jahrhunderts.

Dabei spielt der Zeitgeist eben auch eine gewichtige Rolle beim Boom. Brian McLaren hat schon bei seinem Besuch 2007 darauf hingewiesen, dass das kirchliche Wachstum fast immer im Zuge von Modernisierungsprozessen stattfindet. Deswegen Afrika und Asien. Und Yan Suarsana beschreibt in dem hier schon erwähnten Buch Christentum 2.0, dass der Erfolg der Pfingstbewegung (zu der er auch charismatische Bewegungen in den historischen Kirchen rechnet), genau damit zu tun hat, dass sie Menschen beim Übergang aus einer vormodernen in eine moderne Welt dabei hilft, ihre Identität neu zu bestimmen: Manche alten Elemente, etwa des Animismus, werden in die (z.B. in ihrer Nutzung von Technik und Kommunikationsmitteln oder Offenheit für Bildung und sozialen Aufstieg) westlich-modern geprägten, dogmatisch nicht festgelegten Theologie und Spiritualität integriert, etwa im Heilungs- und Befreiungsdienst mancher Prediger und Gemeinden. Sein Fazit:

In vielen afrikanischen Ländern fungiert das pfingstliche Christentum so als „Brücke zwischen zwei Welten“, indem es lokale religiöse Vorstellungen integriert und es damit kompatible macht zu den „sogenannten primitiven Religionen, die charakterisiert sind durch Animismus, Geistbesessenheit, Vergöttlichung, Schamanismus und Prophetie“, sich jedoch gleichzeitig von der alten, vermeintlich überholten Symbolwelt distanziert, indem „Ahnen, Geister, Fetische, Zauberei, Jujus und andere Große Götter von nun allesamt an mit dem Werk des Teufels gleichgesetzt werden“. Um diesen Teilverlust im Vergleich zur bisherigen Plausibilitätsstruktur zu kompensieren, wird auf der anderen Seite das Tor zu Neuem geöffnet: Zum einen ist dies eine neue religiöse, dezidiert christliche Plausibilitätsstruktur, zum anderen die Befähigung zur Partizipation an der […] neuen Lebensrealität, die geprägt scheint durch einen westlichen Lebensstil (S. 63)

Kaum jemand, den ich kenne, will nun einer plumpen, unkritschen Kontextualisierung des Evangeliums im 21. Jahrhundert das Wort reden und die Fehler der liberalen Theologie oder des Kulturprotestantismus wiederholen. Nur kann man beim Thema „Zeitgeist“ eben auch den gegenteiligen Fehler machen. In der Spät- und Postmoderne sind die meisten Kirchen noch gar nicht angekommen. Es gibt noch keine „funktionierenden Modelle“, die „reproduzierbar“ wären, und es ist noch nicht einmal sicher, dass sie in dem Maße, wir wir das kannten, wieder existieren werden.

Dass das Christentum dort wächst und hier nicht, ist nämlich beides dem Zeitgeist geschuldet. Die Aufgaben, die es hier zu lösen gilt, bekommen wir nicht in den Griff, indem wir versuchen, diese Erfolgsgeschichten zu imitieren. Das ist der Fehler an der konservativen Rolle rückwärts. Auch dieses Denkmuster der Verweigerung ist übrigens keineswegs typisch christlich – es blüht überall da, wo die Angst vor dem sozialen und gesellschaftlichen Abstieg die Runde macht.

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Ist Gott grün?

Diese Frage warf jemand letzte Woche in einer e-mail auf. Seither habe ich immer mal wieder darüber nachgedacht. Mein erster Gedanke dazu war: Einen farblosen Gott kann ich mir eigentlich nicht vorstellen.

Man kann Gott nun mit allen möglichen Farben in Verbindung bringen. Ich fand ja immer, blau müsse seine Lieblingsfarbe sein, dicht gefolgt von Grün, wenn der Blick an den Himmel bzw. von oben auf die Erde etwas zu sagen hat.

Theologisch korrekter wäre vielleicht die Orientierung am Regenbogen: Das sind so ziemlich alle Farben drin. Mit einer Ausnahme: Schwarz!

Also lautet die korrekte Antwort auf die Frage, ob Gott grün ist: Ich weiß es nicht genau. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass er nicht schwarz sein kann. Das sollte zur Orientierung doch ausreichen, oder?

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Allah (7): Hybride Religiosität

Ich habe ein paar Wochen mit anderen Dingen zugebracht und nun wieder Miroslav Volfs Allah. A Christian Response aus dem Regal gezogen.

Nachdem Volf sich viel Zeit genommen hat für die Frage, ob Christen und Muslime zu einem Gott beten, wenn auch in unterschiedlicher Form und mit nur teilweise übereinstimmenden Vorstellungen von diesem Gott, fragt er nun in Kapitel 10, ob damit auch gesagt sei, dass es sich um dieselbe Religion handele.

Das Thema ist ja seit Lessing kontrovers diskutiert worden: Progressive neigen dazu, die Frage zu bejahen und alles vielleicht etwas diffus als Einheit zu betrachten, während Konservative auf allen Seiten den Identitätsverlust fürchten und stark die Abgrenzungen betonen. Aber die eher abstrakte Diskussion hilft nur bedingt weiter. Schon Lessing interessierte sich weniger für die Wahrheitsfrage, sondern die nach dem konkreten Zusammenleben.

Spannungen im konkreten Zusammenleben haben viel mehr mit den konkreten, tatsächlich gelebten Ansichten und Praktiken zu tun als mit dogmatischen Vergleichen. Und praktisch stellt sich durchaus für manche Menschen die Frage, inwiefern man in beiden Welten – der christlichen und muslimischen – zugleich leben kann.

Volf verwirft diesen Gedanken nicht und versucht eine nähere Bestimmung, zunächst mit einer Eingrenzung der Fragestellung. Es ist nicht die Frage, ob Menschen Elemente verschiedener Glaubenstraditionen verknüpfen dürfen (es steht ihnen frei), ob Glaube kulturell verschiedene Formen haben darf (darf er), ob man von anderen religiösen Gemeinschaften Dinge lernen und übernehmen kann (auch das ist legitim und manchmal sogar wünschenswert) oder schließlich eine religiöse Identität gegen eine andere tauschen darf (das ist ohnehin immer fluider geworden).

Es geht immer um Zugehörigkeit, Praktiken und Glaubensansichten zugleich, nicht nur um eines davon. Fragt man von da aus, ob und inwiefern sich Christusnachfolge und eine Identifikation als Muslim (das erforscht Volfs Kollege in Yale, Joseph Cumming) kombinieren lassen, so ist von christlicher Seite aus zu fragen:

  • ob jemand im Namen des dreieinigen Gottes getauft ist
  • ob er sich zu Jesus Christus als Herrn bekennt, in dem Gott menschliches Fleisch angenommen hat
  • ob er Gottes Geschenk des neuen Lebens durch Christus angenommen hat

Damit wäre Christsein auch dann konstituiert, wenn es sich um ein unreifes, uninformiertes oder gelegentlich auch unethisches Christsein handelt. Wenn jemand diese Bedingungen erfüllt, dann kann er fünfmal am Tag beten oder den Ramadan Einhelten und Mohammed als einen (!) Propheten betrachten und trotzdem Christ sein. Offen bliebe lediglich die Frage, ob er aus islamischer Sicht als genuiner Muslim gelten kann.

Die Schwierigkeiten, die solche eine hybride Religiosität mit sich bringt (Volf bestreitet das gar nicht) sind angenehmer als die, die durch Verachtung, Feindseligkeit und Gewalttätigkeit entstehen – und die gelegentlich auch die Missionspraxis geprägt haben (darum geht es im folgenden Kapitel).

(Hier geht es zu Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5 und Teil 6  dieser Reihe. Wer unten kommentieren möchte, kann sich dort über den bisherigen Verlauf der Diskussion und ihre Grenzen orientieren)

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Richard Rohr: der Mittschnitt vom Dienstag

Es war eine sehr anregende und angenehme Begegnung am Dienstag mit Richard Rohr. In mancher Hinsicht hat er mich an Brian McLaren erinnert. Die beiden können provokativ denken und reden, zugleich aber sind sie sehr freundliche, warmherzige und aufgeschlossene Menschen, in deren Nähe zumindest ich mich sehr wohl fühle.

Aber damit sich jeder selbst ein Bild machen kann, hier der Mitschnitt aus der leider etwas „halligen“ Kirche (vielen Dank an Daniel Siegel fürs Aufnehmen und Daniel Ehniss fürs Online stellen!):

 

Richard Rohr – Emerging Christianity from EmergentDE on Vimeo.

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Feuerwerks-Spiritualität

wordfoto.jpgPfingsten ist insofern ein anderer Fall als die anderen Feste des Kirchenjahres, als sich an diesem Tag die Frage der Wiederholbarkeit – besser noch: der Reproduzierbarkeit – des gefeierten Ereignisses stellt. Während das bei Weihnachten und Ostern gelegentlich in der Sprache der Mystik oder Herzensfrömmigkeit noch gesagt wird, dass Christus im Innern des Glaubenden geboren werden oder auferstehen müsse, erwartet doch niemand im Weihnachts- oder Ostergottesdienst irgendein kollektives Erleben, das einer tatsächlichen Wiederholung entspräche, vielmehr geht es um eine vertiefte Aneignung der Botschaft schon geschehener Dinge.

An Pfingsten jedoch wird das Ereignis im jerusalemer Obergemach oft mit der dunklen Folie der eigenen kirchlichen Schwachheit, Leere, Müdigkeit oder Resignation in ein Kontrastverhältnis gesetzt („in dieser schlaffen und glaubensarmen Zeit“) und dann der Kontrast zur vitalen Urchristenheit (“die scharf geschliffnen Waffen der ersten Christenheit“) aufgemacht. Oder gern auch zum Wachstum der Kirchen in der südlichen Hemisphäre, aber eben nicht hier.

Kann man sicher so machen. Nachdem ähnliche Geistausgießungen zwar immer wieder vorkommen, aber weder produzierbar sind noch sich dabei am Verlauf des Kirchenjahres orientieren, könnten wir ja auch einmal den anderen Weg einschlagen, und Gott dafür danken, wo der Geist auch bei uns überall schon wirkt. Das muss ja nicht in geistlose Selbstzufriedenheit münden. Und die in diesem Zusammenhang besonders beliebte Rhetorik des halbleeren Glases kann genauso geistlos sein, weil sie allzu oft suggeriert, die Gegenwart des Geistes sei ein andauerndes Feuerwerk des Außergewöhnlichen.

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Männer und das Väterproblem

Aus der Begegnung mit Richard Rohr ist mir noch sein Schlagwort Men as Learners and Elders (MALEs) im Kopf geblieben. Ich fand das sehr sympathisch. „Elders“ ist dabei schwer zu übersetzen. Gerade im Zusammenhang mit Männern ist ja sonst oft von „Vätern“ die Rede.

Und dann beschleicht mich immer das ungute Gefühl, dass sich hinter diesem Begriff (von dem Jesus ja nun expressis verbis abrät!) ein ähnliches Ziel verbirgt, allerdings mit einem problematischen Beigeschmack: „Väter“ impliziert ein gewisses, vor allem bleibendes, Autoritätsgefälle und zumindest in manchen Kontexten auch keine klare Abgrenzung gegen ungute emotionale Abhängigkeiten, die sich daraus entwickeln können, gerade wenn jemand mit Defiziten und Traumata in jemand anderem seinen „Vater“ entdeckt und dieser die väterliche Rolle einnimmt.

Zugleich halte ich die Spannung, Lernender zu bleiben und mit der schon erlangten vorläufigen Weisheit oder dem eigenen Beispiel anderen behutsam zu helfen, für ziemlich gesund. Auch das wird ja bei denen, die so gern und oft von „Vaterschaft“ reden, nicht immer ebenso nachdrücklich betont.

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Weisheit der Woche: Beten für den Feind

In all the churches I’ve attended over the years, I’ve heard prayers offered for Presidents and other political leaders, victims of war and natural disaster, and relatives and congregants. But I’ve never heard anyone pray for an enemy, despite the fact that it’s an admonition from Jesus himself. Maybe that’s the best place to start.

Amy Sullivan im US-Magazin Time nach dem Tod bin Ladens (Danke an Andi Söllner für den Tipp)
Immherin ein Ansatz in diese Richtung wird hier beschrieben
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Barth missional (17): Prophetische Gemeinde

Ein schöner Aspekt reformierter Tradition ist die Wertschätzung der prophetischen Dimension. Barth sieht sie nicht nur bei Christus, sondern auch im Handeln der Gemeinde:

Prophetie beruht auf einem besonderen Vernehmen und besteht in einer besonderen Kundgebung des von Gott je und je in seinem Werk, nämlich in der von ihm regierten Geschichte seines Volkes und der Welt gesprochenen Wortes: des Wortes, in welchem er, was er in Begründung des Bundes ein für allemal gesprochen, nicht etwa durch etwas Anderes ersetzt, ergänzt oder überbietet, wohl aber zu bestimmter Zeit neues Gehör und neuen Gehorsam fordernd, in neuer Klarheit wiederholt und bestätigt. Im prophetischen Element und Charakter ihres Dienstes blickt, greift, schreitet die Gemeinde in der jeweiligen Gegenwart und aus ihr hinaus hinüber in die Zukunft: nicht willkürlich, nicht auf Grund eigener Analysen, Prognosen und Projekte, wohl aber lauschend auf die Stimme ihres Herrn, der auch der Herr der Welt ist, welcher eben das, was er sprach, indem er sie berief, begründete und beauftragte, wieder und neu spricht in dem, was in ihr und in der Welt jetzt und hier als in seinem Machtbereich geschieht, der sie eben damit in die Zukunft weist und führt, ihr eben damit das ihr anvertraute Zeugnis, ohne daß es ein anderes würde, in neuer Gestalt auf die Lippen legt.

Im prophetischen Zeugnis sagt Gott nichts anderes, aber er sagt es anders. So neu und überraschend, dass es – Barth sagt das schön – neues Gehör findet und neuen Gehorsam bewirkt. Um dieses Wort so sagen zu können, muss die Gemeinde „lauschen“ – die Ohren spitzen und geduldig hinhören. Dann wird aus dem „alten“, überlieferten ein neues und vor allem zukunftsweisendes Wort. Wenn sich die Gemeinde dieses „Vorwärts!“ zu eigen macht, schreibt Barth, wird sie von ihrer Umwelt auch eher als Störung empfunden:

Der Konflikt zwischen dem christlichen Zeugnis und der Welt wird dann – wahrscheinlich wirklich erst dann, wenn es sich unmißverständlich in jenem Vorwärts! konzentriert, dann aber sicher – unvermeidlich und manifest werden. […] Die Folgen werden, wenn die Gemeinde – und wäre es auch nur eine einigermaßen gewichtige Fraktion innerhalb der Gemeinde – es wagt, ihren Zeugendienst auch in dessen prophetischem Charakter aufzunehmen, unübersehbar sein.

Eben weil das so ist, darf die Gemeinde – und das ist im Blick auf Pfingsten vielleicht der wichtigste Gedanke – diesen Auftrag nicht ein paar Außenseitern überlassen:

Dieses Zeugnis kann in der Gemeinde unmöglich bloß beiläufig, willkürlich und zufällig laut werden, unmöglich Sache einer bestenfalls mit Kopfschütteln zu duldenden Narrenfreiheit einiger Weniger sein. Es geht auch hier um den Dienst der ganzen Gemeinde, um eine Gabe und Möglichkeit, von der Gebrauch zu machen grundsätzlich alle Christen eingeladen und aufgerufen sind. […] Es könnte … weder natürlich noch in Ordnung sein, wenn nicht mindestens mit einer die ganze Gemeinde beherrschenden Aufgeschlossenheit, Bereitschaft und Willigkeit für das prophetische Vorwärts! zu rechnen wäre.

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Barth missional (16): Singende Gemeinde

Den Dienst der Gemeinde an Gott und der Welt beschreibt Barth grundsätzlich als Verbindung von Sprechen und Handeln. Das gilt auch für den Gottesdienst, zum Beispiel für das unentbehrliche Singen:

Das kann und muß man mit Sicherheit sagen: eine Gemeinde, die nicht sänge, wäre gar nicht Gemeinde. Und wo sie nicht in ihrer Sprache singt, oder nur archaisierend in Wiederholung der Texte und Weisen ihrer Vorfahren zu singen weiß, wo sie nur beiläufig, unfreudig, verschämt mehr seufzt und brummt als singt – da ist sie mindestens eine betrübte, ihrer Sache offenbar nicht recht sichere Gemeinde, von deren Dienst und Zeugnis gewiß auch sonst nicht viel zu erwarten ist.

Er stellt aber auch gleich klar:

Mit einer Konzertveranstaltung kann ihr Singen nichts zu tun haben. Sie singt aber, und das aus innerer, sachlicher Notwendigkeit. Singen ist menschliche Aussage in ihrer höchsten Potenz.

Und im Blick auf die Tendenz einer sich verselbstständigenden Kirchenmusik – das wird für Diskussionen sorgen, zum Glück nennt er weder Gitarren noch Schlagzeug! – schreibt der Mozart-Liebhaber doch tatsächlich:

Daß daneben auch noch Orgel oder Harmonium gespielt werden muß, ist jedenfalls nicht als notwendig einzusehen. […] wenn es nur gewiß wäre, daß die Geister, denen mit den uns nur allzu vertrauten Klängen gerade jener Instrumente gerufen wird, lauter reine Geister sind! Für Orgelsolovorträge jedenfalls dürfte in der kirchlichen Liturgie kein Raum sein – auch nicht in Form der so beliebten Vor- und Nachspiele! (KD IV,3, S. 994)

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Aufschlussreiche Funde

Wer diesen Blog öfters liest hat vielleicht meine Abneigung gegen plumpe “Steinzeit-Theorien“ mitbekommen, die zur Erklärung der Unterschiede zwischen Frauen und Männern herangezogen werden. Für mein Empfinden wurden da wahllos und willkürlich Vermutungen angestellt und moderne Stereotypen zurückprojiziert. Etwa die Vorstellung, die Frauen hätten in der Höhle Feuer und Kind gehütet, während die Männer hinaus zogen in die große Welt, weshalb sie auch heute noch besser einparken, sich dafür im Kühlschrank nicht zurechtfinden. Solche (wenigstens im Blick auf heutige Verhältnisse) fixen Ideen hat nun ein Forscherteam widerlegt: Bei den frühen afrikanischen „Vorfahren“ des homo sapiens kamen die Frauen deutlich weiter herum als die Männer.

Ein andere Abneigung gilt den gelegentlich arg funktionalen und simplen „Erklärungen“ zum Ursprung von Glaube und Religion. Und auch hier scheint sich eine Wende anzudeuten. In der aktuellen Ausgabe berichtet National Geographic von den Ausgrabungen in Göbekli Tepe, unweit der Quelle von Euphrat und Tigris. Dort wird gerade die älteste Tempelanlage der Welt ausgegraben, und die Funde deuten darauf hin, dass die bisherige Annahme – Ackerbau führt zur Siedlungsgründung und diese ist die Voraussetzung für die Entstehung der ersten Religionen – revisionsbedürftig ist. Es könnte gut sein, dass „Religion“ der Grund dafür war, dass viele Menschen sich versammelten und Ackerbau in größerem Stil nötig wurde, um sie zu versorgen.

Menschen sind also nicht einfach irgendwann religiös geworden, vielleicht waren sie es schon immer – was im Umkehrschluss auch bedeuten könnte, dass sie es womöglich auch bleiben und kaum als „Krankheit“ (Dawkins etwa spricht polemisch von einem „Virus“) gedeutet werden können, die eine ursprünglich „gesunde“ Menschheit irgendwann einmal befallen hat. Der deutsche Archäologe Klaus Schmidt sagt im Interview kurz und knapp: „Der Mensch hatte immer religiöse Gedanken. Das unterscheidet ihn vom Tier.“

Vielleicht gibt es früher oder später auch wieder andere Entdeckungen und neue Thesen. So oder so finde ich es gut, dran zu denken, dass es in all diesen Fragen keineswegs immer so einfach und eindeutig ist, wie es oft dargestellt wird.

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Kapstadt und eine christliche Postmoderne

Beim gestern schon erwähnten „Runden Tisch“ war eine gewisse Grundspannung hörbar. Da war einerseits Volker Gäckles eher (er)nüchtern(d)e Frage, ob sich der Kongress von Kapstadt und das Cape Town Commitment in seinen „ethischen Passagen“, die den Schwerpunkt bilden, nicht nur der gewachsenen und verstärkt wahrgenommenen Weltverantwortung der Bewegung gestellt, sondern sich mit der Fülle und Komplexität der Themen nicht zu viel vorgenommen und zugemutet haben könnte. Auch die Frage nach einem „Machbarkeitswahn“ eher reformiert-angelsächsischer Provenienz stand im Raum, deren Kontrast die lutherisch-teutonische Selbstbescheidung der Kirche auf die Rechtfertigung des Sünders bildet.

Den Gegenpol bildete Ansgar Hörstings engagierter Aufruf, doch endlich „Maximalisten“ zu werden, wobei die konkrete Näherbestimmung seines Schlagwortes so ausfiel, dass sich kaum jemand noch freiwillig als „Minimalist“ geoutet hätte, der Gott weniger zutraut, als dass er über Bitten und Verstehen unvorstellbar viel Gutes bewirken möchte.

Zwischendurch geisterte auch immer wieder der Begriff „postmodern“ durch die Debatte, in der Regel als vages Synonym für Dinge, die uneinheitlich, widersprüchlich oder einfach nur fremd erscheinen.

Vielleicht könnte das Neue, das alle zu fassen suchten, besser mit der vorsichtigen (mehr ist es noch nicht) Abkehr von Totalitätsansprüchen aller Art beschrieben werden. Wenn das so ist, und wenn die ethischen Appelle gar nicht darauf abzielen, den Himmel auf Erden zu schaffen, sondern nur darauf, das jeweils Mögliche zu tun und damit ein Zeichen zu setzen, dass Gott (und mit ihm sein Volk) sich nicht einfach abfindet mit Unrecht, Leid und heilloser Zerrüttung, deren endgültiges Ende zwar erst Gottes neue Welt bringt, die aber auch jetzt unter den Bedingungen der alten Welt – freilich immer wieder von Neuem – überwunden werden können. dann könnte man doch gut damit leben. Und wenn das einherginge mit dem Verzicht auf theologische Totalitätsansprüche (z.B. auf Unfehlbarkeiten jeglicher Art), dann wäre damit nur die Türe für vertiefte Ökumene und einen respektvollen, aber auch klaren Dialog mit anderen Religionen geöffnet.

Der für (die Postmoderne kennzeichnende) Verzicht auf einen Totalitätsanspruch – darauf, sich der irreduzibel komplexen Welt in einer umfassenden Theorie oder auch einer alle Probleme lösenden Praxis zu bemächtigen – muss keineswegs in einen radikalen oder auch nur naiven Relativismus führen, wie mancher vielleicht minimalistisch-pessimistisch argwöhnt. Man kann ihn christlich auch als die Demut interpretieren, dass unser Tun und Erkennen Stückwerk bleibt. Als dieses Stückwerk ist es aber keineswegs wertlos und kein Grund, das eigene Licht unter den Scheffel zu stellen. Insofern wäre Capetown 2010 mit seiner Tendenz zu einer Hermeneutik der Liebe und deren Praxis vielleicht tatsächlich ein Schritt in eine christliche Postmoderne.

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Himmel, Hölle und die „Reichen“

Mich beschäftigt immer noch ein Beitrag zum Runden Tisch Evangelisation im Rückblick auf den Kongress von Kapstadt. Die Frage, die dort aufgeworfen wurde, lautete: Immunisiert unser Wohlstand Menschen gegen das Evangelium? Wie gehen wir mit Menschen um, die – so weit wir sehen können – ganz zufrieden leben und materiell gesichert sind? Müsste man, so die Frage, nicht wieder mehr über Himmel und Hölle predigen?

Mag sein. Gern über die real und global existierende Hölle der Armut (die wir nur zu gern ignorieren, wo wir auf sie stoßen), biblische (Sozial-)Kritik an Gier und Reichtum und über die quälenden Sorgen, die sowohl der Mangel als auch der Reichtum (man könnte ihn ja verlieren) hervorrufen. Die Drohung mit einer rein jenseitigen Hölle bliebt aber (zumal wenn man ihre Ansätze oder Spuren in der Gegenwart nicht aufzeigen kann, sei also nicht auch eine schon gegenwärtige wäre) ebenso unbefriedigend wie das Winken mit einem rein jenseitigen Himmel, dessen Schilderungen zudem oft nach endlosen Gottesdiensten klingen, die viele schon im irdischen Kurzformat als langweilig empfinden.

Wenn „der Himmel“ – die Herrschaft Gottes, seine neue Welt – schon jetzt eine (wenn auch erst in Ansätzen) erfahrbare Wirklichkeit ist, dann wäre doch die theologische Arbeit, die es im Blick auf Wohlhabende (die Definition des Begriffs lassen wir mal dahingestellt sein) zu leisten gilt, die Beantwortung der Frage: Welche gute Nachricht haben wir eigentlich jemandem zu sagen, der materiell schon “alles hat“? Anders herum gefragt: Ist unser Evangelium beziehungsweise unsere Verkündigung so defizitorientiert, dass wir, wie Bonhoeffer schon bemängelte, immer nur beim Mangel ansetzen können, um dann „Lösungen“ anzubieten? Und könnte das ein Indiz für eine theologische Engführung sein, die schon seit Generationen besteht? Immerhin stammen die folgenden Worte aus dem Jahr 1944:

Die Religiösen sprechen von Gott, wenn menschliche Erkenntnis (manchmal schon aus Denkfaulheit) zu Ende ist oder wenn menschliche Kräfte versagen – es ist eigentlich immer der deus ex machina, den sie aufmarschieren lassen, entweder zur Scheinlösung unlösbarer Probleme oder als Kraft bei menschlichem Versagen, immer also in Ausnutzung menschlicher Schwäche bzw. an den menschlichen Grenzen: das hält zwangsläufig immer nur solange vor, bis die Menschen aus eigener Kraft die Grenzen etwas weiter hinausschieben und Gott als deus ex machina überflüssig wird; das Reden von den menschlichen Grenzen ist mir überhaupt fragwürdig geworden (ist der Tod heute, da die Menschen ihn kaum noch fürchten, und die Sünde, die die Menschen kaum noch begreifen, noch eine echte Grenze?), es scheint mir immer, wir wollten dadurch nur ängstlich Raum aussparen für Gott; – ich möchte von Gott nicht an den Grenzen, sondern in der Mitte, nicht in den Schwächen, sondern in der Kraft, nicht also bei Tod und Schuld, sondern im Leben und im Guten des Menschen sprechen. An den Grenzen scheint es mir besser, zu schweigen und das Unlösbare ungelöst zu lassen. Der Auferstehungsglaube ist nicht die „Lösung“ des Todesproblems. Das „Jenseits” Gottes ist nicht das Jenseits unseres Erkenntnisvermögens!

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Verfolgte Unschuld?

Ratko Mladic ist – das entbehrt nicht einer gewissen Ironie – in den Niederlanden eingetroffen und die Welt wartet auf den Prozess wegen Völkermords. Der Mann behauptet natürlich, er sei unschuldig. Anlass genug, hier einen kleinen Auszug aus Mirolsav Volfs „Exclusion and Embrace“ zu posten. Das Buch entstand Ende der Neunziger aus den Erfahrungen der Balkankriege. Der Mord fängt – das lässt im Blick auf die Rhetorik der erstarkten FPÖ in Österreich auch Sorgen aufkommen – schon mit dem Reden an:

Wenn die Sprache und Denke der Exklusion – wir können das „symbolische Exklusion“ nennen – moralisch dazu dient, die Praxis der Exklusion zu untermauern, sollten wir davor gewarnt sein, sie auf „Ignoranz“ zurückzuführen, in ihr ein „fehlendes Wissen“, „Uneinsichtigkeit“ oder „verarmte Phantasie“ zu sehen […] Bosheit als Ignoranz setzt zu viel falsche Unschuld voraus und erzeugt zu viele trügerische Hoffnungen. Es impliziert, dass die Verderbnis der Übeltäter in erster Linie eine Frage des Verstandes ist, dem mit anständiger Aufklärung abgeholfen werden kann. Sowohl die christliche Tradition als auch die Erfahrung lehren uns, das dies selten der Fall ist. Symbolische Exklusion ist oft eine Entstellung des anderen, nicht bloßes Unwissen in Bezug auf ihn; sie ist eine willentliche Fehlkonstruktion, kein Versagen der Erkenntnis. Wir dämonisieren und bezeichnen andere als Tiere, nicht, weil wir es nicht besser wüssten, sondern weil wir uns weigern, das Offensichtliche anzuerkennen, und uns dafür entscheiden, nur das zu wissen, was unseren Interessen dient. Dass wir unsere Verzerrungen dennoch für schlichte Wahrheiten halten ist kein Gegenargument; es unterstreicht nur, dass das Böse fähig ist, ein gedankliches Umfeld zu erzeugen, in dem es unerkannt gedeihen kann.

Die „Praxis der Exklusion“ und die „Sprache der Exklusion“ gehen Hand in Hand mit einer ganzen reihe von emotionalen Reaktionen auf den anderen, die von Hass bis Gleichgültigkeit reichen; diese Exklusionen rufen emotionale Reaktionen hervor und werden zugleich von ihnen aufrecht erhalten. Bevor Jitzchak Rabin 1995 ermordet wurde, trugen rechtsgerichtete israelische Demonstranten Plakate herum, auf denen er wie Yassir Arafat dargestellt wurde, mit einer Kufiya auf dem Kopf und Blut, das von seinen Händen tropfte. Das Bild diente dazu, Hass zu erzeugen, den Widerwillen gegenüber dem anderen, der sich aus dem Gefühl, Schaden oder Unrecht erlitten zu haben, nährt, und von der Demütigung befeuert wird, das nicht verhindert haben zu können […]. Einige der brutalsten Akte von Exklusion beruhen auf Hass, und wenn die allgemeine Geschichte der Menschen und Gruppen nicht genug Gründe zum Hass liefert, werden die Meister der Exklusion die Geschichte umschreiben und Unrecht erfinden, um Hass zu erzeugen.

Mehr von Miroslav Volf über das Thema Versöhnung nächstes Jahr beim Studientag Gesellschaftstranformation am 18. Februar 2012.

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Barth Missional (15): Die Vielfalt der Gemeinde

Lange vor fresh expressions und mixed economies ging Karl Barth in KD IV,3 dem Wirken des Geistes in der Gemeinde nach und erkundete die charakteristisch christliche Spannung von Einheit und Vielfalt. Auf der Seite der Gemeinde ist Letzteres für ihn der Ausgangspunkt:

Der Heilige Geist ist nun einmal kein Gleichmacher. Und so kann die christliche Gemeinde auch ganz abgesehen von der natürlichen Individualität ihrer Angehörigen und von deren Gefahren keine Kaserne, können ihre Angehörigen nicht deren uniformierte Bewohner, kann ihr Tun nicht die Ausführung eines ihnen allen gleichmäßig eingedrillten Manövers sein. (KD IV,3 S. 981)

Von daher ist es nur noch ein kurzer Schritt zum folgenden Gedanken, dass die Gemeinschaft der Kirche aus unterschiedlichen Gemeinschaften besteht, die den allgemeinen Auftrag in vielfältigen Formen und Konkretionen leben, ohne dass

die die ganze Gemeinde konstituierende «Gemeinschaft des Heiligen Geistes» ( 2. Kor. 13, 13), in der die Einzelnen sich allein ernsthaft an ihrem Dienst und Zeugnis beteiligen können, aus der sie also unter keinen Umständen heraustreten dürfen, wird sich konkret immer in Gestalt von besonderen Gemeinschaften derer darstellen, die sich im Rahmen des einen Tuns der einen Gemeinde im Besonderen zu einem gleichen oder doch ähnlichen Tun berufen und begabt finden. Sie darf, sie muß sich entfalten in besonderen Arbeitsgemeinschaften, zu denen dann nicht ohne weiteres alle Christen gehören können und werden,

Diese besonderen Gemeinschaften sind erwünscht und nötig, gerade weil es um den einen Auftrag der einen Kirche geht. Und wo es um den tatsächlich geht, ist es auch völlig in Ordnung, dass nicht alle Christen dort ihren Platz sehen und sich an dieser konkreten Form des Dienstes beteiligen. Dabei ist nun gerade nicht ein ausgedehntes Filialnetz gemeint, wo überall alles dasselbe tun und die Unterschiede nur geografischer Natur sind, sondern ganz unterschiedliche Typen von kirchlicher Lebens- und Arbeitsgemeinschaft. Freilich dürfen sie nie zum Selbstzweck werden, keine „auf die Befriedigung gewisser gemeinsam empfundener seelischer Bedürfnisse bedachte Zusammenrottungen von Gleichgesinnten oder Gleichgestimmten“. Wo diese Gefahr nun gesehen wird,

… da ist es nicht nur zu begrüßen, sondern zu fordern, daß es im Rahmen der allgemeinen Gemeinschaft aller Christen auch zur Entstehung und zum Bestand besonderer Gemeinschaften Einiger oder Vieler unter ihnen kommt. Gerade in der Vielzahl solcher Arbeits-, Dienst- und Zeugnisgemeinschaften wird dann die Einzahl der lebendigen Gemeinde des lebendigen Jesus Christus nur um so kräftiger wirksam und sichtbar werden.

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