Allah (7): Hybride Religiosität

Ich habe ein paar Wochen mit anderen Dingen zugebracht und nun wieder Miroslav Volfs Allah. A Christian Response aus dem Regal gezogen.

Nachdem Volf sich viel Zeit genommen hat für die Frage, ob Christen und Muslime zu einem Gott beten, wenn auch in unterschiedlicher Form und mit nur teilweise übereinstimmenden Vorstellungen von diesem Gott, fragt er nun in Kapitel 10, ob damit auch gesagt sei, dass es sich um dieselbe Religion handele.

Das Thema ist ja seit Lessing kontrovers diskutiert worden: Progressive neigen dazu, die Frage zu bejahen und alles vielleicht etwas diffus als Einheit zu betrachten, während Konservative auf allen Seiten den Identitätsverlust fürchten und stark die Abgrenzungen betonen. Aber die eher abstrakte Diskussion hilft nur bedingt weiter. Schon Lessing interessierte sich weniger für die Wahrheitsfrage, sondern die nach dem konkreten Zusammenleben.

Spannungen im konkreten Zusammenleben haben viel mehr mit den konkreten, tatsächlich gelebten Ansichten und Praktiken zu tun als mit dogmatischen Vergleichen. Und praktisch stellt sich durchaus für manche Menschen die Frage, inwiefern man in beiden Welten – der christlichen und muslimischen – zugleich leben kann.

Volf verwirft diesen Gedanken nicht und versucht eine nähere Bestimmung, zunächst mit einer Eingrenzung der Fragestellung. Es ist nicht die Frage, ob Menschen Elemente verschiedener Glaubenstraditionen verknüpfen dürfen (es steht ihnen frei), ob Glaube kulturell verschiedene Formen haben darf (darf er), ob man von anderen religiösen Gemeinschaften Dinge lernen und übernehmen kann (auch das ist legitim und manchmal sogar wünschenswert) oder schließlich eine religiöse Identität gegen eine andere tauschen darf (das ist ohnehin immer fluider geworden).

Es geht immer um Zugehörigkeit, Praktiken und Glaubensansichten zugleich, nicht nur um eines davon. Fragt man von da aus, ob und inwiefern sich Christusnachfolge und eine Identifikation als Muslim (das erforscht Volfs Kollege in Yale, Joseph Cumming) kombinieren lassen, so ist von christlicher Seite aus zu fragen:

  • ob jemand im Namen des dreieinigen Gottes getauft ist
  • ob er sich zu Jesus Christus als Herrn bekennt, in dem Gott menschliches Fleisch angenommen hat
  • ob er Gottes Geschenk des neuen Lebens durch Christus angenommen hat

Damit wäre Christsein auch dann konstituiert, wenn es sich um ein unreifes, uninformiertes oder gelegentlich auch unethisches Christsein handelt. Wenn jemand diese Bedingungen erfüllt, dann kann er fünfmal am Tag beten oder den Ramadan Einhelten und Mohammed als einen (!) Propheten betrachten und trotzdem Christ sein. Offen bliebe lediglich die Frage, ob er aus islamischer Sicht als genuiner Muslim gelten kann.

Die Schwierigkeiten, die solche eine hybride Religiosität mit sich bringt (Volf bestreitet das gar nicht) sind angenehmer als die, die durch Verachtung, Feindseligkeit und Gewalttätigkeit entstehen – und die gelegentlich auch die Missionspraxis geprägt haben (darum geht es im folgenden Kapitel).

(Hier geht es zu Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5 und Teil 6  dieser Reihe. Wer unten kommentieren möchte, kann sich dort über den bisherigen Verlauf der Diskussion und ihre Grenzen orientieren)

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7 Antworten auf „Allah (7): Hybride Religiosität“

  1. Ich kann mir nicht vorstellen, daß aus muslimischer Sicht der zweite Punkt akzeptabel ist: – nämlich, daß „er sich zu Jesus Christus als Herrn bekennt, in dem Gott menschliches Fleisch angenommen hat“.

    Da können dann Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung auseinandergehen. Die Frage wäre, warum jemand sich gleichzeitig als Muslim und als Christ verstehen will.

    Mir scheint das auf was Ähnliches rauszulaufen wie „messianisches“ Judentum. Diejenigen, die sich als messianische Juden definieren, werden aus jüdischer Sicht – und da sind sich alle Richtungen des Judentums einig – nicht als Juden gesehen. Das Selbstverständnis bzw. die Selbstwahrnehmung von messianischen Juden ist jedoch, dass sie sich als Juden sehen.

  2. Dass hybride Religiosität möglich ist, ist die eine Sache, aber wie du (bzw. Volf) beton(s)t, ist die Frage, ob mensch gleichzeitig echter Christ und echter Muslim sein kann.

    Wobei jetzt zu fragen ist, was ein echter Christ bzw. ein echter Muslim ist. Ich würde bei Christ die Akzente subtil anders setzen als Volf – aber das muss hier nicht diskutiert werden, ist eher als „Beispiel“ gedacht.

    REntsprechend istz damit zu rechnen, dass sich auch Muslime nicht uin allen Punkten einig sind darüber, wer Muslim ist (Beispiel: reicht es aus, einmal die Shahada gesprochen zu haben, um als Muslim zu gelten)? Wenn wir jetzt die Fälle außen vor lassen, in denen die Kategorisierung als Muslim nicht mehr ist als die Basis dafür, dass jemand wegen Abfall vom Islam angeklagt wird, so ist klar, dass für die überwältigende Mehrheit der Muslime Punkt zwei nicht annehmbar ist, für viele (nach meiner subjektiven Wahrnehmung: für die Mehrheit) auch Punkt eins nicht. Und wenn es in Punkt drei nicht nur um Visionen und Träume oder ähnliche Rechtleitung durch den Gesandten „Jesus“ geht, sondern die Annahme des neuen Lebens irgendwie mit der Bibel zu tun hat, ist dies i.d.R. auch höchst problematisch.

    [Übrigens: Jesus ist (wie Muhammad, Abraham, David und Mose) im Islam nicht einfach nur Prophet (nabi), sondern Gesandter (rasul). Propheten gibt es tausende, Gesandte weniger als 10.]

    Kann mir also keine Konstruktion vorstellen, in der jemand gleichzeitig Christ und Muslim sein kann, also von Christen als Christ und von Muslimen als Muslim anerkannt wird – auch nicht als defizitärer (unreif o.ä.) Gläubiger der jeweiligen Religion. oder hat Volf da noch eine Überraschung in petto?

  3. Volf geht u.a. auf die Diskussion über die „Muslim Background Believers“ ein. Die ist sehr interessant und vielschichtig. Inwiefern andere Christen und Muslime eine solche Möglichkeit zugestehen, ist die eine Frage. Die andere, wie bei messianischen Juden auch, ist die Binnenperspektive. Wenn da also jemand sagt, er sei in beiden Welten zuhause, dann muss man das ja auch erst einmal ernst nehmen und kann dann Detailfragen stellen.

  4. Den von dir oben verlinkten Artikel (auf dessen Christianity Today-Version Volf verlinkt) finde ich hinsichtlich der Vorstellbarkeit einer solch hybrid gelebter Nachfolge sehr interessant. Cumming umrahmt seine Darstellung ja mit einem Plädoyer für Fingerspitzengefühl im Umgang mit Menschen, die einen solchen Weg einschlagen.

  5. Ja ich denke auch, dass ein Mensch sich selbst so sehen kann. Was ich allerdings nicht glaube, ist dass diese Hypridität mit weniger Verwirrung, Feindseligkeit und potenzieller Gewalt behaftet ist. Wir reagieren auf nichts so allergisch, wie auf Menschen, die unsere Kategorien sprengen.

  6. erst mal
    @Peter:
    ich hatte deinen Artikel so verstanden, als ginge es gerade darum, ob jemand von beiden Seiten akzeptiert werden kann. Deshalb war ich vor allem darauf eingegangen.

    Ich hab mir jetzt mal den Artikel von Cumming durchgelesen. Der Vergleich mit den messianische Juden ist aufschlussreich (und ich stimme Cummings zu dass „messianischer Muslim“ kein hilfreicher Ausdruck ist).

    Ich hab mich nie systematisch mit messianischem Judentum beschäftigt, aber ab und zu aus gegebene Anlass was mitbekommen. Und ich sehe, dass das doch eine sehr heterogene Bewegung ist. Um die Kategorien von Cummings zu benutzen: manche sind C4, andere C5 und für noch andere möchte ich C7 vorschlagen: Jesus wird als Messias anerkannt, aber Teile des NTs (z.B. Paulus) werden explizit abgelehnt und das Mainstream-Christentum als von Gott abgefallen betrachtet. Ich vermute mal, für MBBs und ihre Gemeinschaften gilt das analog auch (wobei ich mir nicht zutraue, darauf einzugehen, was die Entsprechung von C7 bei MBBs sein könnte)..

    Es gibt auch missionarische Bestrebungen, die auf Bildung von C5-MBBs abzielen. Z.B. der Weg des Kamels ( http://mideastoutreach.wordpress.com/2006/05/17/camel-training/ ). Die Reaktionen darauf sind gemischt, offenbar war das Resultat in Bangladesh deutlich anders als in Ostafrika. Wobei ich nicht völlig ausschließen kann, dass die Leute in Ostafrika (Malawi etc.), die so was versuchten, nur zu kritisch waren – und ich hab mir nicht gemerkt, in welchem Zusammenhang ich diese Diskussion gelesen habe (war jedenfalls wars auf Englisch).

    Zurück zu Volf: der stellt ja Kriterien auf, was für ihn eine echt christliche Jesusnachfolge konstitutiv ist. Was ja bei der Unterscheidung von C5 und „C7“ nötig ist. Ich würde die Frage, welche Form bei der Taufe eingehalten wurde, d.h. auch eine Taufe „nur“ im Namen Jesu würd ich anerkennen, solange diese Form nicht benutzt wurde, weil der Täufer die Trinität ablehnt. Weshalb der zweite Punkt wichtig ist. Und eine Jesusnachfolge ohne Jesu Gnadengeschenk angenommen zu haben ist ein Unding. und ich würde auch auf die Frage „Glaubwürdigkeit der Bibel“ achten, wobei das Vertrauen in Gottes Wort auch graduell sein kann, in leichteren Fällen ist das wohl eher eine Sache von „unreifem“ Glauben.

  7. Ups, im letzten Absatz hab ich etwas verformuliert (das edit-Fenster ist so klein, dass ich schon mal die Übersicht verliere 😉

    Ich hoffe, es ist trotzdem klar was ich meine: die Frage nach der Form der Taufe halte ich für weniger wichtig, die anderen Punkte von Volf schon. Und die Frage der Glaubwürdigkleit der Bibel spielt auch eine Rolle, den Punkt würde ich mit hinzuziehen.

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