Verfolgte Unschuld?

Ratko Mladic ist – das entbehrt nicht einer gewissen Ironie – in den Niederlanden eingetroffen und die Welt wartet auf den Prozess wegen Völkermords. Der Mann behauptet natürlich, er sei unschuldig. Anlass genug, hier einen kleinen Auszug aus Mirolsav Volfs „Exclusion and Embrace“ zu posten. Das Buch entstand Ende der Neunziger aus den Erfahrungen der Balkankriege. Der Mord fängt – das lässt im Blick auf die Rhetorik der erstarkten FPÖ in Österreich auch Sorgen aufkommen – schon mit dem Reden an:

Wenn die Sprache und Denke der Exklusion – wir können das „symbolische Exklusion“ nennen – moralisch dazu dient, die Praxis der Exklusion zu untermauern, sollten wir davor gewarnt sein, sie auf „Ignoranz“ zurückzuführen, in ihr ein „fehlendes Wissen“, „Uneinsichtigkeit“ oder „verarmte Phantasie“ zu sehen […] Bosheit als Ignoranz setzt zu viel falsche Unschuld voraus und erzeugt zu viele trügerische Hoffnungen. Es impliziert, dass die Verderbnis der Übeltäter in erster Linie eine Frage des Verstandes ist, dem mit anständiger Aufklärung abgeholfen werden kann. Sowohl die christliche Tradition als auch die Erfahrung lehren uns, das dies selten der Fall ist. Symbolische Exklusion ist oft eine Entstellung des anderen, nicht bloßes Unwissen in Bezug auf ihn; sie ist eine willentliche Fehlkonstruktion, kein Versagen der Erkenntnis. Wir dämonisieren und bezeichnen andere als Tiere, nicht, weil wir es nicht besser wüssten, sondern weil wir uns weigern, das Offensichtliche anzuerkennen, und uns dafür entscheiden, nur das zu wissen, was unseren Interessen dient. Dass wir unsere Verzerrungen dennoch für schlichte Wahrheiten halten ist kein Gegenargument; es unterstreicht nur, dass das Böse fähig ist, ein gedankliches Umfeld zu erzeugen, in dem es unerkannt gedeihen kann.

Die „Praxis der Exklusion“ und die „Sprache der Exklusion“ gehen Hand in Hand mit einer ganzen reihe von emotionalen Reaktionen auf den anderen, die von Hass bis Gleichgültigkeit reichen; diese Exklusionen rufen emotionale Reaktionen hervor und werden zugleich von ihnen aufrecht erhalten. Bevor Jitzchak Rabin 1995 ermordet wurde, trugen rechtsgerichtete israelische Demonstranten Plakate herum, auf denen er wie Yassir Arafat dargestellt wurde, mit einer Kufiya auf dem Kopf und Blut, das von seinen Händen tropfte. Das Bild diente dazu, Hass zu erzeugen, den Widerwillen gegenüber dem anderen, der sich aus dem Gefühl, Schaden oder Unrecht erlitten zu haben, nährt, und von der Demütigung befeuert wird, das nicht verhindert haben zu können […]. Einige der brutalsten Akte von Exklusion beruhen auf Hass, und wenn die allgemeine Geschichte der Menschen und Gruppen nicht genug Gründe zum Hass liefert, werden die Meister der Exklusion die Geschichte umschreiben und Unrecht erfinden, um Hass zu erzeugen.

Mehr von Miroslav Volf über das Thema Versöhnung nächstes Jahr beim Studientag Gesellschaftstranformation am 18. Februar 2012.

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