Ein schöner Aspekt reformierter Tradition ist die Wertschätzung der prophetischen Dimension. Barth sieht sie nicht nur bei Christus, sondern auch im Handeln der Gemeinde:
Prophetie beruht auf einem besonderen Vernehmen und besteht in einer besonderen Kundgebung des von Gott je und je in seinem Werk, nämlich in der von ihm regierten Geschichte seines Volkes und der Welt gesprochenen Wortes: des Wortes, in welchem er, was er in Begründung des Bundes ein für allemal gesprochen, nicht etwa durch etwas Anderes ersetzt, ergänzt oder überbietet, wohl aber zu bestimmter Zeit neues Gehör und neuen Gehorsam fordernd, in neuer Klarheit wiederholt und bestätigt. Im prophetischen Element und Charakter ihres Dienstes blickt, greift, schreitet die Gemeinde in der jeweiligen Gegenwart und aus ihr hinaus hinüber in die Zukunft: nicht willkürlich, nicht auf Grund eigener Analysen, Prognosen und Projekte, wohl aber lauschend auf die Stimme ihres Herrn, der auch der Herr der Welt ist, welcher eben das, was er sprach, indem er sie berief, begründete und beauftragte, wieder und neu spricht in dem, was in ihr und in der Welt jetzt und hier als in seinem Machtbereich geschieht, der sie eben damit in die Zukunft weist und führt, ihr eben damit das ihr anvertraute Zeugnis, ohne daß es ein anderes würde, in neuer Gestalt auf die Lippen legt.
Im prophetischen Zeugnis sagt Gott nichts anderes, aber er sagt es anders. So neu und überraschend, dass es – Barth sagt das schön – neues Gehör findet und neuen Gehorsam bewirkt. Um dieses Wort so sagen zu können, muss die Gemeinde „lauschen“ – die Ohren spitzen und geduldig hinhören. Dann wird aus dem „alten“, überlieferten ein neues und vor allem zukunftsweisendes Wort. Wenn sich die Gemeinde dieses „Vorwärts!“ zu eigen macht, schreibt Barth, wird sie von ihrer Umwelt auch eher als Störung empfunden:
Der Konflikt zwischen dem christlichen Zeugnis und der Welt wird dann – wahrscheinlich wirklich erst dann, wenn es sich unmißverständlich in jenem Vorwärts! konzentriert, dann aber sicher – unvermeidlich und manifest werden. […] Die Folgen werden, wenn die Gemeinde – und wäre es auch nur eine einigermaßen gewichtige Fraktion innerhalb der Gemeinde – es wagt, ihren Zeugendienst auch in dessen prophetischem Charakter aufzunehmen, unübersehbar sein.
Eben weil das so ist, darf die Gemeinde – und das ist im Blick auf Pfingsten vielleicht der wichtigste Gedanke – diesen Auftrag nicht ein paar Außenseitern überlassen:
Dieses Zeugnis kann in der Gemeinde unmöglich bloß beiläufig, willkürlich und zufällig laut werden, unmöglich Sache einer bestenfalls mit Kopfschütteln zu duldenden Narrenfreiheit einiger Weniger sein. Es geht auch hier um den Dienst der ganzen Gemeinde, um eine Gabe und Möglichkeit, von der Gebrauch zu machen grundsätzlich alle Christen eingeladen und aufgerufen sind. […] Es könnte … weder natürlich noch in Ordnung sein, wenn nicht mindestens mit einer die ganze Gemeinde beherrschenden Aufgeschlossenheit, Bereitschaft und Willigkeit für das prophetische Vorwärts! zu rechnen wäre.
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