Gegenkultur und prophetisches Bewusstsein

Nach dem ersten Kapitel von Brueggemann würde ich sagen, dass prophetisches Reden mehr ist, als nur etwas von Gott zu “hören” – das können im Prinzip alle Christen. Wenn man Prophetie und “hörendes Gebet” verwechselt, entsteht die Situation, dass man viele ziemlich belanglose Beiträge in Veranstaltungen bekommt, die keinen Ruck durch eine Gemeinde gehen lassen, sondern eher zerstreuend und belanglos wirken, als würde Gott plappern, um den frommen Betrieb in Schwung zu halten (Das gilt m.E. auch dann noch, wenn erwartungsgemäß in einer größeren Gruppe der eine oder andere sagen wird, er habe damit “etwas anfangen können”).

Im zweiten Kapitel setzt sich Brueggemann mit der herrschenden imperialen Mentalität auseinander (“royal consciousness”). Mose war mehr als ein sozialer Aktivist, weil es ihm um die Veränderung der Denkstrukturen ging, die ein unterdrückerisches Regime wie in Ägypten erst möglich machten. Zur Zeit Salomos jedoch ist Israel dabei, dem Vorbild der Nachbarstaaten nachzueifern (politische Ehen, Steuerprovinzen, Bürokratie, stehendes Heer, Faszination der Weisheit, Frondienste).

Salomo erreichte, was man nicht für möglich gehalten hätte, denn er nahm die mosaische Innovation und machte sie völlig zunichte. Im Jerusalem des zehnten Jahrhunderts ist es, als hätte die Revolution und das soziale Experiment nie stattgefunden. (S. 31)

Die drei wichtigsten Faktoren, die der prophetischen Gegenkultur des Mose entgegenstehen, sind: Wohlstand (1. Kön 4,20ff), Ausbeutung und Unterdrückung (1. Kön 5,13ff) und eine Religion der Immanenz (1. Kön 8,12f). Sie bedingen einander gegenseitig.


Der wachsende (aber recht ungleich verteilte) Wohlstand ließ Fragen des (Bürger-) Rechts in den Hintergrund treten. Eine Politik der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit verschwand von der Tagesordnung. Gott wird zu diesem Zweck in Jerusalem quasi domestiziert. Der König kontrolliert den Zugang über seine religiösen Funktionäre (kommt uns das nicht irgendwie bekannt vor…?). Kritik wurde nicht nur gewaltsam unterdrückt, sondern die Öffentlichkeit wurde gegen sie erfolgreich immunisiert. Kein Wunder, dass hier die Weichen für das frustrierte Gedankengut des Predigers gestellt wurden.

Die theologischen Errungenschaften dieser Zeit, Schöpfungstheologie und messianische Ideen, bekommen so eine Schlagseite: Die Schöpfung wird auf Ordnung hin ausgelegt (Gerechtigkeit bewirkt hier störende Unruhe), der Messianismus ist eher an der Stabilität des Königtums interessiert als an dem Einsatz für die Unterdrückten. Das verdankt sich Salomos Programm der erreichbaren Sättigung (“achievable satiation”). Es zeichnet sich aus durch

  • eine Management-Mentalität, in der keine Geheimnisse bewahrt sondern nur kostenbewusst Probleme gelöst werden müssen.
  • eine Religion des Optimismus, die Gott zum störungsfreien Garanten des eigenen Wohlstands und Machterhalts macht.
  • eine Self-made-Mentalität, die das eigene Angewiesensein auf den Nächsten nicht mehr wahrnimmt.

Zum letzten Punkt wäre es verlockend, aktuelle Beispiele aufzuzählen und mit dem Finger auf andere zu zeigen. Nur sind die Fragen zu zu ernst. Wir sind alle infiziert mit dieser imperialen Mentalität. Aber es wird deutlich, vor was für einer gewaltigen Aufgabe der Prophet steht.

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