Kein Neuanfang ohne Tradition

Als noch niemand von Ancient Future oder Deep Church sprach, formulierte Bertolt Brecht schon den folgenden Gedanken, der sich in der Theologie und Kirche ebenso bewahrheitet wie in Theater und Literatur:

Wichtig ist in unseren Werken auch die Technik des Neuanfangens, von solchen entwickelt, welche die Tradition beherrschen, denn der Neuanfangende, der die Tradition nicht beherrscht, fällt leicht unter die Herrschaft der Tradition zurück.

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Dicht gemacht

Die russisch-orthodoxe Kirche will mit der EKD unter der Ratsvorsitzenden Margot Käßmann nicht zusammenarbeiten. Ganz überraschend kommt die Nachricht nicht, obwohl so mancher auf mehr Offenheit gehofft hat. Für die ökumenischen Beziehungen an der Basis ist das sicher schwierig. Aus evangelischer Sicht war das Verhältnis zu den Orthodoxen, die im nachkonstantinischen Zeitalter und einer pluralistischen Welt mehrheitlich noch nicht so ganz angekommen zu sein scheinen, nie ganz einfach.

Um so mehr wird es nun darauf ankommen, während der offiziell drohenden Eiszeit die persönlichen Freundschaften zwischen einzelnen Christen, Gemeinden vor Ort und unter den offiziellen Repräsentanten beider Seiten zu pflegen und die Gräben nicht größer werden zu lassen, als sie schon sind. Als Evangelische muten wir den Orthodoxen einiges zu. Wir müssen das vielleicht auch, aber dann müssen wir ihnen auch die Zeit und den Raum geben, sich daran zu reiben.

Also, wenn die „da oben“ dicht machen (wenigstens auf orthodoxer Seite), dann müssen wir hier unten uns etwas einfallen lassen, wie wir die Tür erst recht offen halten. Mal sehen, wann die nächste Gelegenheit dazu kommt.

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„Ich bin einer von euch“

Herr Berlusconi hatte hierzulande noch nie eine gute Presse und die Aufhebung seiner Immunität diese Woche schlug daher große Wellen. Warum dennoch viele fürchten, dass der Mann sich in Italien auch weiterhin noch halten könnte, hat dieser Kommentar von Stefan Ulrich in der SZ mir endlich einmal schlüssig erklärt. Es hat mit der Misere des Staates und dem Gesetzesdschungel zu tun:

Der italienische Staat weiß seit langem, dass die Bürger ihm nichts zutrauen und sich, wo sie nur können, entziehen. Der Staat reagiert, indem er immer strengere Gesetze erlässt, sei es im Straßenverkehr, am Bau oder im Steuerrecht. Der Bürger entzieht sich weiter, und der Staat legt nach. Die Folge: Es ist ein derart dichtes Regelwerk entstanden, dass es die Italiener ersticken würde, wenn sie sich daran hielten. (…)

In dieser Lage präsentiert sich ihnen ein Mann, dem es – im Großen – anscheinend genauso geht. Berlusconi verspricht, dem Staat Einhalt zu gebieten. Er beschimpft die lästige Strafjustiz. Er suggeriert, ein bisschen Korruption sei eher ein Kavaliersdelikt. Ich bin kein Politiker, sondern einer von euch, sagt Berlusconi, und daran ist etwas Wahres.

Wer also Berlusconi los werden will, muss gleichzeitig auch dieses Problem in den Griff bekommen. Der Cavaliere ist nicht die Ursache der Misere, sondern nur ein besonders unerträgliches Symptom. Wenn das Vertrauen weg ist – das kann man durchaus auch theologisch verstehen – dann hilft es auch nicht weiter, bürokratisch an der Regelschraube zu drehen und die Sanktionen zu verschärfen.

Wie gut also, dass unsere Regierung nur der Spiegel dieser Gesellschaft ist. Die Amis haben Obama, wir Angie, Guido und Guttenberg.

PS: Im Blick auf unseren schillernden Landesvater, die Lichtgestalt des Kaisers Franz (Berlusconi ist ja auch Vereinspräsident in Mailand!) und das sich hartnäckig haltende Gerücht, die im Grunde unregierbaren Bajuwaren wollten insgeheim einen echten Bazi á la FJS als Regenten, kann das eigentlich nur im Aufruf zu fränkischem Separatismus oder in der Depression enden.

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Doch nicht alles relativ

Im neulich schon erwähnten kleinen Aufsatzband Die Reformation. Potentiale der Freiheit hat Michael Welker einen Aufsatz mit dem Titel Sola Scriptura geschrieben, der unter anderem auch auf den Pluralismus eingeht, der ein wesentliches Merkmal der Postmoderne ist und zugleich alle möglichen Ängste auslöst. Welker beschreibt das so:

Angesichts dieser diffusen Pluralität fürchten die einen mit Recht das drohende Chaos, den Relativismus, den Verfall von Gemeinsamkeit und sozialer Konnektivität. Andere machen sich weiche und meist illusorische Vorstellungen von der unendlichen Fülle der Entfaltungsmöglichkeiten, die diese Pluralität biete. Wieder andere rufen nach autoritären Gegensteuerungen gegen dieses Chaos, oder sie setzen auf liberale Integrationsformeln, etwa: wir brauchen dieses oder jenes Minimum an Gemeinsamkeit, um aus dem Schlamassel herauszukommen. Alle diese Sichtweisen haben eins gemeinsam: Vom Pluralismus haben sie nichts kapiert.

Der Pluralismus bringt nicht einfach Bindungslosigkeit, Relativismus, Individualismus mit sich, obwohl diese Erscheinungen auch in pluralistischen Umgebungen auftreten. Der Pluralismus bildet und pflegt vielmehr multisystemische Formen, die sehr wohl hohe Bindekräfte entwickeln, aber eben nicht die gesellschaftseinheitliche, kultureinheitliche Bindekraft versprechen können.

Die Zivilgesellschaft ist für Welker ein Beispiel, wie verschiedene Gruppen und Zusammenschlüsse auf die gesellschaftlichen Systeme wie Politik, Bildung, Recht, Wirtschaft etc. Einfluss nehmen. Nur gibt es das eine Prinzip eben nicht mehr, das alles so organisiert und zusammenhält, wie der Modernismus es gerne gehabt hätte. Welker zieht von hier aus eine Linie zum Pluralismus des biblischen Kanons. In der Vielstimmigkeit der Überlieferung sieht er daher kein Problem, sondern einen Reichtum.

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When I’m sixty-four

Es sind zwar noch 20 Jahre hin, aber vielleicht kann man mit diesem Gebet einer alt(ernd)en Nonne gar nicht früh genug anfangen:

Herr, du weißt besser als ich, dass ich alt werde und eines Tages tatsächlich alt bin. Bewahre mich davor, geschwätzig zu werden und besonders vor der fatalen Angewohnheit zu meinen, ich müsse immer zu allem etwas zu sagen haben. Angesichts des gewaltigen Schatzes meiner Weisheit scheint es ein Jammer, wenn ich sie nicht nutze.

Mache mich nachdenklich, aber nicht launisch. Lehre mich die herrliche Lektion, dass es gelegentlich sein kann, dass ich mich irre. Lass mich einigermaßen liebenswert bleiben. Ich will keine Heilige werden – mit manchen von ihnen hält man es nur schwer aus – aber eine versauerte alte Frau ist ein Glanzstück des Teufels. Befreie mich von der Sucht, die Angelegenheiten aller anderen zu regeln. Halte meine Gedanken frei von der Aufzählung endloser Einzelheiten – gib mit Flügel, damit ich zum Punkt komme.

Ich bitte um genügend Gnade, den schmerzlichen Geschichten anderer zuzuhören. Hilf mir, sie geduldig zu ertragen. Aber versiegle meine Lippen, wenn es um meine Schmerzen und Wunden geht – sie sind interessant und meine Vorliebe, sie aufzusagen, wird mit den Jahren immer süßer. Aber du weißt, Herr, dass ich am Ende noch Freunde haben möchte.

(via Sacred Space)

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Licht in der Finsternis

Ich bereite mich gerade vor auf meinen Kurs über Soteriologie bim IGW in Burgdorf/CH nächste Woche und lese über die verschiedenen Deutungen des Todes Jesu, da fällt mein Blick auf diese Zeilen aus der FAZ zum Münchener S-Bahn-Mord, die voller religiöser Analogien sind:

Dominik F. Brunner hat sein Leben hingegeben, um vier Kinder in der Münchner S-Bahn vor jungen Gewalttätern zu schützen. Er steht dafür, wozu der Mensch mit seinen hellsten Eigenschaften in der Lage ist – zu selbstloser Fürsorge und zu großem Mut. Dass er mit den zwei Verbrechern, die ihn auf dem S-Bahnhof im Stadtteil Solln zu Tode prügelten, auf die dunkelsten Seiten traf, zu denen Menschen auch fähig sind, ist eine Tragödie, nach der ein Gemeinwesen, das sich nicht selbst aufgeben will, nicht in die gewohnten Rituale von politischen Beschuldigungen verfallen darf.

North Foreland LighthouseVielleicht ist es nach dem Tod Jesu ja ähnlich: Die alten Rituale der Beschuldigung haben keinen Sinn mehr. Und zugleich kommt alles darauf an, dass dieser Tod nicht nur zur Kenntnis genommen wird – dankbar und mit Hochachtung – sondern dass er andere inspiriert, nun erst Recht in die Fußstapfen dessen zu treten, der hier so brutal erschlagen wurde, und dafür zu sorgen, dass Gewalt und Hass in dieser Welt überwunden werden und keine Chance mehr bekommen, sich ungehindert zu verbreiten. Wir alle ahnen ja, dass das nicht der letzte Fall dieser Art gewesen sein wird…

Was uns Christen angeht: Wir sind quasi in der Position diese vier geretteten Kinder. Diesen Tod konnten sie nicht verhindern. Aber vielleicht den nächsten. Und die Analogie geht noch weiter, denn in gewisser Weise ist Dominik F. Brunner tatsächlich auch für uns alle gestorben. Nicht als Wendepunkt der Menschheitsgeschichte, klar. Aber er hat Folgen – hoffentlich!

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Moderne Mythen: Das finstere Mittelalter

Das knappe Jahrtausend Mittelalter stand lange in dem Ruf, aus düsterstem Aberglauben bestanden zu haben. So weit jedenfalls der Mythos, an dem Renaissance und Moderne mit der medialen Macht des Buchdrucks im Rücken äußerst erfolgreich gearbeitet haben (und ich vermute mal, die Protestanten darunter ganz besonders), um neue Erkenntnisse in um so hellerem Licht erscheinen zu lassen.

Nun ist es keine ganz neue Einsicht, dass diese historische Karikatur nicht stimmt. Doch ein paar nette Aspekte (zum Beispiel über die Frage, ob man die Erde tatsächlich für eine Scheibe hielt), enthält dieser Artikel der SZ. Christen (die Polemik hält sich ja bis heute an manchen Orten) waren selbst damals keine Feinde der Vernunft, im Gegenteil. Klöster und Domschulen waren Orte universaler Gelehrsamkeit und legten die Grundlage unserer Kultur bis heute.

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Kontrastlektüre

Ich habe im Urlaub endlich The Shack (dt.: Die Hütte) zuende gelesen und war underwhelmed, wie es eine Freundin in England ausdrückte, als ich davon sprach. Nun weiß ich auch, dass das Buch viele tief berührt und begeistert hat. Nur wirklich nachempfinden kann ich es nicht.

Richtig begriffen, was mich an der Hütte denn immer so genervt hat, habe ich allerdings, als ich gleich danach von Franz Jalicz Miteinander im Glauben wachsen zur Hand nahm und gar nicht mehr aufhören konnte. Natürlich vergleiche ich hier nun Äpfel mit Birnen, das Genre ist gänzlich verschieden. Das Thema der geistlichen Begleitung dagegen ist es nicht, selbst wenn im einen Fall ein realer Mensch und im anderen Fall drei imaginäre – und hier fehlt mir schon das passende Wort – Gestalten auftreten.

Jaliczs erläutert die Grundzüge geistlicher Begleitung, einfach praktisch und motivierend. Er schreibt hundert Seiten über das Interesse am Gegenüber und das konzentrierte Zuhören. Der arme Mack von William P. Young dagegen dient für mein Empfinden eher als Stichwortgeber für einen weiteren mehr oder weniger spannenden Monolog „Gottes“, manchmal reagieren die allwissenden drei – die mit (sorry…) kitschigen innertrinitarischen Liebesbezeugungen ständig um sich werfen – sogar ausgesprochen amüsiert auf seine Fragen und kurzen Einwürfe (obwohl das Buch sonst komplett frei von Humor in jeder Form ist).

Während sich Youngs „Gott“ seinem „Bodenpersonal“ und jeglicher Form von kirchlicher Institution gegenüber seltsam distanziert zeigt, arbeitet Jaliczs daran, einen Raum zu schaffen, in dem Kritik und Verletzungen ausgesprochen werden können, ohne seine Zugehörigkeit zur Kirche damit in Frage zu stellen oder Missstände dabei zu rechtfertigen. Dem Leidenden lässt er vor allem Zeit – auch das habe ich bei Macks Turbo-Therapie vermisst. Freilich kann Gottes Geist seelische Prozesse auch beschleunigen, im Alltag ist das aber meiner Erfahrung nach eher die Ausnahme. Da werde ich eher nervös, wenn jemand allzu schnell über etwas hinweg zu sein glaubt.

Natürlich ist das weder ein fairer Vergleich noch eine umfassende Rezension der beiden Bücher. Mein total subjektives Fazit der Urlaubslektüre ist daher eher dieses: Über meine Probleme würde ich doch lieber mit Pater Jalics reden. Und ich denke (nur dass kein falscher Gegensatz entsteht): selbst wenn jemand The Shack richtig gut fand, wird er von Jalics‘ Weisheit noch profitieren.

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WiderSpruch des Tages

Es gibt diese seltsame Sehnsucht nach jemand, der führt – aber keine unangenehmen Entscheidungen treffen soll. Das blitzt immer mal wieder auf. Es gibt ein frei flottierendes Bedürfnis (…) nach autoritären, aber unverbindlichen Gesten. Ich finde das merkwürdig gerade bei Leuten, die von sich behaupten, nicht autoritär strukturiert zu sein.

Die scheidende Chefredakteurin Bascha Mika von der taz

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