Adam, Eva und die globale Familie

In diesem spannenden Video geht Jeremy Rifkin der Frage nach dem Ursprung der Menschheit, der Zivilisation und der menschlichen Natur nach. Er setzt ein mit der Feststellung, dass der Mensch nicht – wie manche Denker der Aufklärung und Vertreter der (frühen) Evolutionstheorie vermuteten – primär von Aggression und Trieb zur Selbstdurchsetzung gelenkt wird, sondern von Empathie, Kooperation und dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit.

Auf die Frage, ob es gelingen kann, globale Solidarität jenseits von ethnischen, religiösen, ideologischen und nationalen Grenzen zu ermöglichen, kommt er eher nebenbei darauf zu sprechen, dass genetische Daten darauf hindeuten, dass die heute Menschheit tatsächlich von einem Mann und einer Frau abstammt und dass daher die globale Familie genetisch betrachtet gar keine Fiktion ist. Weiß jemand, wer diesen Nachweis geführt hat?

Nur um Missverständnissen vorzubeugen: Ich sage damit nicht, dass Genesis 1-2 in allen Einzelheiten wörtlich auszulegen wäre, besonders was die Theorie von der Erbsünde betrifft. Aber für einen fruchtbaren Dialog zwischen Theologie und Wissenschaft liefert Rifkin ein paar schöne Ansatzpunkte.

RSA Animate – Empathic Civilisation from The RSA on Vimeo.

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Authentisch antworten

Die Unterscheidung der verschiedenen Beziehungsräume bei Joseph Myers hat mich die letzten Tage begleitet. Eine ganz praktische Anwendung war, für jeden Raum eine Antwort auf die Frage zu formulieren, wie es mir geht.

Neulich rief der Verkäufer einer Autofirma an und fragte: „Wie geht es Ihnen?“ In Deutschland ist das ungewöhnlich, in den USA ganz normal. Wir kannten uns bis dahin gar nicht und es wird auch nicht Gegenstand unseres Gespräches sein. Ich habe maximal fünf Worte für eine Antwort. Ich bin gesund, wir haben keinen Trauerfall in der Familie, keine Naturkatastrophe in der Stadt, also sage ich „Danke, gut.“ Für den öffentlichen Raum ist das ganz authentisch.

Wenn ich dem Missverständnis erlegen wäre, ich müsse jetzt persönlich antworten (als wäre er mein Freund), dann hätte das für uns beide eine peinliche Situation ergeben. Amerikaner sind nicht oberflächlich, weil sie in einer solchen Situation nur allgemein und in der Regel positiv antworten, sondern ihre Antwort entspricht der Ebene, auf der sich die Beziehung für ihr Empfinden bewegt.

Am Freitag fragte mich dasselbe jemand, den ich mit Namen kannte. Wir treffen uns auf irgendwelchen Sitzungen ein oder zweimal im Jahr – sozialer Raum also. Ich sagte zwei allgemeine Sätze über meine Arbeit, mit der ich im Wesentlichen zufrieden bin. Da liegen unsere Berührungspunkte, insofern war auch das eine ganz authentische Antwort.

Gestern fragte mich ein Freund, wie es mir geht. Wir tranken etwas zusammen und es war Zeit, um länger zu antworten. Also konnte ich ein paar Dinge sagen, über die ich mich freue, und ein paar, die mir Sorgen machen. Einzelheiten dieses Gesprächs haben auf diesem Blog nichts zu suchen, der ist öffentlich zugänglich. Das steht im übrigen auch nicht auf Facebook (trotz der Formulierung „Freunde“) oder Twitter.

Wenn ganz enge Freunde oder meine Frau fragen, wie es mir geht, und wenn der äußere Rahmen dafür stimmt, wir also ungestört sind, nicht in einem Café sitzen, wo man uns am Nebentisch hört, wenn ausreichend Zeit ist, dann kann ich auch mal die ganz tiefen Dinge auspacken, die mir meistens erst dann richtig bewusst werden, wenn ich anfange, sie jemandem zu erzählen. Und da – aber nur da! – gehören sie dann auch hin.

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Stresstest für „fromme“ Organisationen!

In der christlichen Szene ist es nicht anders als im Bankenwesen: Viele Organisationen sind da irgendwie miteinander vernetzt, die in der Öffentlichkeit zunehmend undifferenzierter betrachtet werden (vor allem, wenn das Reizwort „evangelikal“ im Spiel ist), oft aber reicht schon der Begriff „Religion“, „Kirche“ oder „Gemeinde“, um stereotype Assoziationsketten über Hardliner, Eiferer, Piusbrüder und Fundamentalisten auszulösen.

Schon längst sitzen alle in einem Boot. Wenn nämlich nur eine Gruppe Mist baut, weil sie Geld veruntreut, Missbrauch duldet oder vertuscht, soziale Vorurteile schürt oder sich dem rechten Rand des politischen Spektrums nähert, dann befinden sich auch die Aktien der anderen an der Börse des gesellschaftlichen Ansehens im freien Fall.

Tatenlos zuzusehen ist da die falsche Taktik. Eigentlich müssten auch hier Stresstests her: Positionen zu gesellschaftlichen Fragen müssten geklärt werden, vor allem da, wo es um eine ambivalente Haltung zu Gewalt und ein autoritäres Verständnis von Macht geht. Aus machen verhängnisvollen Allianzen sollte man sich schleunigst verabschieden, Verlagssortimente müssten kritisch überprüft werden und manche ReferentInnen sollte man lieber nicht mehr einladen.

Und das alles natürlich am liebsten aus aufrichtiger Überzeugung. Aber für alle Besonnenen, die unter den Eskapaden unbelehrbarer Sturköpfe, Schwärmer und Stänkerer zu leiden haben und hatten, wäre selbst zähneknirschende Kooperation schon ein echter Segen – so wie am Finanzmarkt auch.

Wenn nun jemand fragt: „Aber wer soll das entscheiden und nach welchen Kriterien?“ – dann herzlichen Glückwunsch, das ist genau die Diskussion, die wir jetzt brauchen!

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Fundstücke zum Wochenende

Ein paar bemerkenswerte Sachen habe ich in den letzten Tagen gelesen, vielleicht findet der eine oder die andere sie auch spannend:

Die Zeit erläutert, warum viele Spitzenkräfte an ihrer neuen Stelle nicht mehr annähernd so gut sind wie bisher. Das Umfeld ist oft mindestens so wichtig für den Erfolg wie die eigene Leistung.

John Hulsman beschreibt in einem Gastbeitrag für die SZ, warum Sarah Palin eine Gefahr für die USA und die Welt ist, obwohl (oder gerade weil) sie bestimmt nie zur Präsidentin gewählt wird.

Die Stiftung Warentest hat die Anbieter fairer Kleidung unter die Lupe genommen und einen ernüchterndes Fazit gezogen.

Christine Herbert hat sich Gedanken gemacht zum Tag der Freundschaft – und warum sich Männer mit dem Thema schwerer tun als Frauen.

Immerhin: CSU-General Dobrindt entschuldigt sich für sein Gepöbel gegen Hannelore Kraft, die in Duisburg mit einer Rede die Herzen erreichte und den richtigen Ton traf – was man sich das bei ihrem Vorgänger nie hätte vorstellen können.

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So dumm und Gomorrha

Die ganz Bibeltreuen müssten es ja eigentlich wissen, dass man auf Eva nicht hören sollte. Spätestens seitdem sie sich diese Woche mit – wie ausgerechnet die konservative Welt vermerkte – kalkulierter Bosheit zum Tod von 20 Menschen bei der Love Parade äußerte, sollte auch der letzte verstanden haben, wes Geistes Kind sie ist und warum man sich tunlichst nicht mit ihr einlassen sollte. Ihr Fazit lautet nämlich:

Eventuell haben hier ja auch ganz andere Mächte mit eingegriffen, um dem schamlosen Treiben endlich ein Ende zu setzen. Was das angeht, kann man nur erleichtert aufatmen!

Den Toten und Verletzten eine Mitschuld dafür zu geben, dass sie niedergetreten und erdrückt wurden, die Frage nach den wahren Verantwortlichen gar nicht zu stellen, sondern am Ende über ein Gottesurteil á la Sodom und Gomorrha zu spekulieren, das das orgiastische Treiben jäh beendet, das kann nur als gnadenlose Verhöhnung der Opfer verstanden werden.

Zugleich reiht sich das Gottesbild, das Herman auf ihrem Blog propagiert, nahtlos ein in die Reihe unsäglicher Pharisäerpolemik, die schon AIDS mit kaum verhohlener Genugtuung als „Strafe Gottes“ hingestellt hatte. Kürzlich nahm sie dort Walter Mixa (dem auch Verhöhnung der Opfer vorgeworfen wurde), als verfolgtes Unschuldslamm gegen die blutrünstige Medienmeute in Schutz – auch das spricht Bände.

Apropos Bände: So richtig gruselig wird schließlich der Blick auf das Sortiment des Kopp-Verlags, in dem Hermans Bücher neben wirren UFO-Spekulationen, abstrusen „Prophezeiungen“ und so Knüllern wie „Sexualmagie“ erscheinen, deren einzig erkennbarer gemeinsamer Nenner es ist, mit der Einfalt der Leser Geld zu verdienen. Da trifft es sich natürlich gut, dass der Server nach Hermans Skandalpost fast zusammenbrach vor lauter Anfragen.

Dass idea sich für Herman nach wie vor begeistert, ist leider keine Überraschung. Allen anderen Stimmen der evangelikalen Welt stünde jedoch eine deutliche Distanzierung gut zu Gesicht. Also los, andere schaffen das doch auch!

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Britische Verhältnisse

Anlässlich der gegenwärtigen Entschuldigungsorgien der Deutschen Bahn fiel mir ein altes Gedicht von Steve Turner ein: British Rail regrets. Ich habe es hier gefunden vielleicht inspiriert es ja ein paar Hobbydichter. Es ist alt, aber hierzulande wäre es mit „German Rail“ erstaunlich aktuell:

British Rail Regrets by Steve Turner

British Rail regrets
having to regret.
British Rail regrets
it cannot spell.
British Rail regrets
the chalk ran out.
British Rail regrets
that due to a staff shortage
there will be no-one
to offer regrets.
British Rail regrets, but will not be sending
flowers or tributes.
British Rail regrets
the early arrival
of your train.
This was due to industrious action.
British Rail regrets
that because of a work-to-rule
by our tape machine
this is a real person.
British Rail regrets
the cheese shortage
in your sandwich.
This is due to
a points failure.
The steward got
three out of ten.
British Rail regrets.
Tears flow from beneath
the locked doors of staff rooms.
Red-eyed ticket collectors
offer comfort
to stranded passengers.
Angry drivers threaten
to come out in sympathy
with the public.
British Rail regrets.
That’s why its members
are permanently dressed in black.
That’s why porters stand around
as if in a state of shock.
That’s why Passenger Information
is off the hook.

British Rail regrets
that due to the shortage of regrets
there will be a train.

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Verraten, aber nicht verbittert

Vielleicht die größte Anfechtung für Christen ist meiner Beobachtung nach der „Verrat“ – jemand, auf den ich zähle, lässt mich im Stich. Meiner Beobachtung nach sind die meisten Christen in der Lage, Schickalsschläge oder Gegenwind von außen wegzustecken. Doch wenn einem die eigenen Leute in den Rücken fallen, ist das viel schlimmer. Ob aus Feigheit, Opportunismus oder Größenwahn – es trifft uns völlig unvorbereitet.

Und dann ziehen viele sich aus allem zurück, was nach Kirche oder Gemeinde riecht. Mag sein, dass die Distanz ihnen anfangs gut tut. Aber oft bleibt ein großes Loch zurück. Und viele Gemeinschaften verfolgen umgekehrt Abtrünnige und Fahnenflüchtige erbitterter und unnachsichtiger als solche, die schon immer Feinde waren.

Paulus hat mehr als einmal solche bitteren Erfahrungen gemacht, resigniert und sich zurückgezogen hat er aber nicht. Er war aber auch niemand, der anderen prinzipiell misstraute. Wie man mit Verrat umgeht, hat er von Jesus gelernt. Ein paar Gedanken dazu, die mir hilfreich erscheinen, habe ich letzten Sonntag für alle, die es interessiert, hier zusammengetragen.

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Gestolpert – und jetzt?

Durban und Madrid – wie die Dinge sich wiederholen: Da spielen sich ehemalige Duselbayern und frühere Rumpelfußballer mit jugendlicher Leichtigkeit, Eleganz und mitreißendem Offensivspiel ins Rampenlicht, um schließlich an abgezockten Milanesen unter Mourinho oder Spaniern unter del Bosque zu scheitern. Aber mit so viel Stil, dass selbst frühere Feinde Respekt und (heimlich wenigstens) Sympathie empfinden. Zum Teil waren es dieselben Spieler, in beiden Fällen hieß der Vorgänger des jetzigen Trainers Jürgen Klinsmann. Dem war zwar jeweils der Aufbau nicht so richtig gelungen, dafür aber wohl der Abbruch des Alten.

Der Fan sitzt wie die Mannschaft traurig da und muss die Hoffnung zu Grabe tragen. Das Double, das Halbfinale, beides großartige und anfangs unerwartete Erfolge, sie zählen kaum angesichts der Niederlage. Jetzt hoffen viele, dass die „anderen Bayern“ in Orange nun die schön und effizient, aber in ihrer nicht mehr so spritzigen Dominanz eher einschläfernd kickenden Spanier noch irgendwie überwinden. Wie sagte Mark van Bommel jüngst: „Wir Holländer konnten immer schön spielen und gewinnen. Aber nun haben wir gelernt, auch zu gewinnen, wenn wir mal einen schlechten Tag haben. Das haben uns die Deutschen beigebracht.“

Warum erzähle ich das Offensichtliche? Um den Kummer zu verarbeiten und weil Louis van Gaal schon alles Wichtige gesagt hat: Am Ende der Saison gab er sich überzeugt, dass seine Mannschaft noch besser wird. Weil die Spieler das entsprechende Potenzial haben und weil er weiß, wie er es weiter entfalten kann. Müller und Schweinsteiger sind der lebende Beweis, und ohne sie wären auch die glanzvollen Siege gegen England und Argentinien undenkbar gewesen. Löw hat dasselbe mit Podolski und Klose geschafft. Und nun sollte auch er wie van Gaal nach weiter anpacken und das Unvollendete der verdienten Erfüllung entgegen führen – statt den inflationären Rücktritten dieses Krisenjahres noch einen weiteren hinzuzufügen und irgendwo einen lukrativen (und gewiss auch irgendwie reizvollen) Posten anzunehmen.

Er muss dran bleiben, damit die Jungs von La Mannschaft auch dran bleiben. Dann gibt er dieser Niederlage vielleicht einen echten Sinn.

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Naive Jenseitsvorstellungen

Als Kinder blätterten wir lachend die religiösen Bücher durch. Besonders lächerlich fanden wir die Hölle und das Paradies, die Hölle erinnerte uns an die russische Sauna, dort kochten die Sünder bei hohen Temperaturen. Auch das Paradies erinnerte lustigerweise an eine Sauna, wo schon gewaschene Sünder, in weiße Tücher gehüllt, auf der Suche nach ihren Hosen herumirrten.

Wladimir Kaminer in der Zeit über den Kampf zwischen Gut und Böse

"Sauna" von mag 3737 via flickr.com/creative commons 2.0
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Mehr erwarten?

Immer wieder mal begegnet mir jemand, der sagt, er sei mit Gott und den Christen fertig, weil er mit irgendjemandem schlimme Erfahrungen gemacht hat. Ich höre mir dann meistens die bedrückenden, empörenden oder traurigen Geschichten an. In der Regel ist das dann nicht der Augenblick für Diskussionen und Argumente, die die Schlussfolgerungen aus dem Erlebten in Frage stellen würden. Oft bin ich auch wütend über irgendwelche „lieben Geschwister“, die da leichtfertig, fahrlässig oder überheblich so einen fetten Bock geschossen haben. Ich denke, ich muss sie auch gar nicht in Schutz nehmen in so einem Moment.

Was mich dann aber auch frustriert, ist die Tatsache, dass hier jemand eine konkrete verletzende Erfahrung verallgemeinert. Letztlich ist es so, als würde er sagen: Ein Franzose hat mir mal eine Freundin ausgespannt oder den Traumjob weggeschnappt. Seitdem kann ich keine Franzosen mehr riechen. Oder: Ein Grieche hat mich mal beleidigt, seitdem können Griechen mir gestohlen bleiben.

Gut, sagen jetzt einige mit Recht, Christsein hat ja vielleicht auch einen moralischen (ich schlucke etwas bei dem Wort) Anspruch, der über dem der griechischen oder französischen Durchschnittsethik liegt. Da ist es eben viel ärgerlicher, wenn einer alle anderen in Verruf bringt. Das ist so wie mit Israel und den Palästinensern – wir erwarten von den Israelis ja auch (ob zu Recht oder zu Unrecht lassen wir mal dahingestellt sein), dass sie sich humaner oder zivilisierter verhalten als ihre Kontrahenten (denen die niedrigen Erwartungen an sie selbst anscheinend gar nicht so zu denken geben…).

Ja, Jesus fordert in der Bergpredigt eine „bessere Gerechtigkeit“, und moralischen Dünkel hat er damit sicher nicht gemeint. Trotzdem wundert es mich, dass manche Leute, denen nationale Vor- und Pauschalurteile ein Dorn im Auge sind, über Christen und Kirchen insgesamt so bereitwillig den Stab brechen. Vielleicht funktioniert es so: Weil man Christen für selbstgerecht hält oder als selbstgerecht erlebt, empört man sich auch eher selbstgerecht über ihr Versagen.

Sei’s drum – irgendwie würde ich auch von diesen Zeitgenossen gern etwas mehr erwarten…

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Bekenntnisse auf dem grünen Rasen

Letzte Woche hatte ich eine kleine Korrespondenz mit einem Blogleser, den das Verbot von (bestimmten) Glaubensäußerungen bei der Fußball-WM störte. Schränkt die FIFA die freie Religionsausübung ein? Ich habe eine Weile nachgedacht und sehe das Thema mit sehr gemischten Gefühlen:

Erstens ist die WM auch ohne Jesus-lebt-T-Shirts unter dem Trikot voller kleiner Gesten: Akteure bekreuzigen sich oder bilden eine Gebetsrunde auf dem Platz. Maradona hat vorgestern acht Kreuze geschlagen. Oder war es einfach nur ein nervöses Fingerzucken, das er nicht abstellen kann?

Zweitens begeistern mich nicht alle Christen: Wenn jemand sich bei der Einwechslung demonstrativ bekreuzigt und dann Ellbogenschläge verteilt oder einen Gegenspieler umsäbelt, auf die Gefahr hin, dass der sich verletzt, dann bringt er damit auch Gott in Verruf, mit dem er sich identifiziert hat.

Drittens scheint mir manches (z.B. bei Maradona, von dem in seiner aktiven Zeit in Neapel angeblich Bilder aufgestellt und Kerzen davor angezündet wurden) eher mühsam verbrämter Aberglaube zu sein: eine Art magisches Ritual – der Versuch, (den Fußball-)Gott zu bestechen oder auf die eigene Seite zu ziehen.

Viertens bin ich froh, dass keine Parolen auf den Unterhemden erscheinen. Was hätten wohl die Nordkoreaner geschrieben? Oder die Algerier? Es gibt Anlässe, da gehört so plakative Werbung nicht hin. Auf einer Beerdigung oder im Bundestag fände die wenigsten von uns so etwas gut – zu Recht. Was jemand in einem Interview sagt, ist ihm sowieso freigestellt, auch von der FIFA. Es bleibt also genug Raum für öffentliche Bekenntnisse, aber eben nicht in jeder Form.

Das eigentliche theologische Dilemma scheint mir aber zu sein: Welche Rolle spielt Gott beim Ausgang eines Spieles? Wird die WM primär im Gebet und erst sekundär auf dem Platz entschieden? Lässt Gott sich vor den eigenen Karren spannen oder hält er sich schön heraus und lässt die Besten gewinnen? Trübt göttliche Vorsehung den Blick und lenkt das Urteil des einen oder anderen Schiedsrichters oder sind da finstere Mächte am Werk? Reichlich Platz für Spekulationen und Streitereien.

Ich würde es dabei belassen: Ein Fußballer ehrt Gott vor allem, indem er gut und fair spielt. Abgesehen davon sind Gottes Wege unergründlich, und das ist wenigstens bei einer Fußball-WM gut so.

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Bringt das was?

Die SZ hat die Oma von Thomas Müller interviewt. Erna Burghart spricht über ihr Leben und den berühmten Enkel. Diese Passage fand ich besonders nett:

Burghart: Ich verstehe ja nicht viel vom Fußball und habe auch bei früheren Spielen immer nur dann weitergeschaut, wenn der Thomas nicht ausgewechselt wurde. Aber diesmal habe ich alles bis zum Ende angesehen, mit einer Kerze auf dem Tisch.

SZ: Mit einer Kerze? Bringt das was?

Burghart: Schon. Nur diesmal habe ich vergessen, die Kerze anzuzünden. Mich wundert selber, dass es trotzdem geklappt hat.

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Akkusativ- oder Dativpredigten?

Ich denke gerade – dienstlich bedingt – über Versuchungen nach und übers Predigen. Die Schnittmenge beider Wortfelder liegt in der Versuchung zur Akkusativpredigt: Ich predige mich selbst. Meine Vorlieben und Vorurteile, meine Eitelkeiten und meinen Eigensinn. Ein Freund kommentierte neulich eine Predigt so ähnlich. Zwischen den Zeilen des gewollt lockeren Predigers kam für ihn nur heraus „schaut mal, wie toll ich bin – nicht so wie die anderen“. Ich als Prediger lerne, wenn ich dieser Versuchung erliege, bei der Arbeit an meiner Predigt nichts dazu (außer wie man sein Image geschickt poliert). Meine Zuhörer leider noch viel weniger.

Nützlicher sind Dativpredigten, und das bedeutet: Ich predige mir selber (und zugleich natürlich der Gemeinde). Da bin ich dann, wenn es richtig läuft, weder der tolle Hecht noch der arme Wurm, sondern einer, der ringt wie alle anderen. Ich muss das nicht einmal ausdrücklich dazu sagen jedes Mal, sondern ich kann mich einfach zurücknehmen. Ich werde automatisch anders reden, wenn sich das Zentrum von mir zu dem hin verschiebt, um den es tatsächlich geht. Klar kann ich nicht jede persönliche Färbung oder perspektivische Verzerrung vermeiden. Aber das Bewusstsein, dass es zwischen Gottes Wort und meinem immer eine Differenz geben wird, nötigt mir hoffentlich genug Bescheidenheit ab, und öffnet für andere eine Tür, durch die sie selbst gehen und Gott begegnen können.

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Sternstunden des Sportjournalismus

Ich mag die SZ – normalerweise. Aber vor dem Auftaktspiel unserer Internationalmannschaft einen Astrologen ins Studio zu holen, das gehört schon zu den schwärzeren Stunden ihrer verdienstvollen Geschichte.

Der Mann (ich hab den Namen vergessen und will ihn auch gar nicht wissen) gab ein paar wohlwollend-positive Allgemeinheiten von sich über Löw und Lahm und Schweinsteiger, die man auch ohne Referenz zu irgendwelchen Himmelskörpern tausendfach im heimischen Blätterwald vorfindet. Beruhigend daran: Er ist offenbar des Lesens kundig. Auf die Frage, was die Sterne mit der WM zu tun haben, antwortete er: Eine Menge. Schließlich gebe es 12 Tierkreiszeichen und eine Fußballmannschaft bestehe ja auch aus 12 Leuten … wenn man den Trainier dazu rechne.

Guter Mann, du hättest wenigstens vorher sehen können, dass gestern 14 Leute gespielt haben. Auswechslungen sind ja so ungewöhnlich nicht. Und der Trainerstab besteht auch aus mehr als einer Person. Flick und Köpke mitgerechnet wären wir bereits bei 17 Akteuren. Bei dieser Kaffeesatzleserei geht es offenbar nur darum, Leuten das zu sagen, was sie gerne hören würden und daher glauben wollen, und dem eine an den Haaren des freien Assoziierens herbei gezogene Pseudoplausiblität zu verleihen. Ohne sich freilich auf irgendwas festzulegen.

Leute, gebt mir den Kaffee und behaltet die schwammigen, ausgelutschten Sätze für euch!

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