Mehr erwarten?

Immer wieder mal begegnet mir jemand, der sagt, er sei mit Gott und den Christen fertig, weil er mit irgendjemandem schlimme Erfahrungen gemacht hat. Ich höre mir dann meistens die bedrückenden, empörenden oder traurigen Geschichten an. In der Regel ist das dann nicht der Augenblick für Diskussionen und Argumente, die die Schlussfolgerungen aus dem Erlebten in Frage stellen würden. Oft bin ich auch wütend über irgendwelche „lieben Geschwister“, die da leichtfertig, fahrlässig oder überheblich so einen fetten Bock geschossen haben. Ich denke, ich muss sie auch gar nicht in Schutz nehmen in so einem Moment.

Was mich dann aber auch frustriert, ist die Tatsache, dass hier jemand eine konkrete verletzende Erfahrung verallgemeinert. Letztlich ist es so, als würde er sagen: Ein Franzose hat mir mal eine Freundin ausgespannt oder den Traumjob weggeschnappt. Seitdem kann ich keine Franzosen mehr riechen. Oder: Ein Grieche hat mich mal beleidigt, seitdem können Griechen mir gestohlen bleiben.

Gut, sagen jetzt einige mit Recht, Christsein hat ja vielleicht auch einen moralischen (ich schlucke etwas bei dem Wort) Anspruch, der über dem der griechischen oder französischen Durchschnittsethik liegt. Da ist es eben viel ärgerlicher, wenn einer alle anderen in Verruf bringt. Das ist so wie mit Israel und den Palästinensern – wir erwarten von den Israelis ja auch (ob zu Recht oder zu Unrecht lassen wir mal dahingestellt sein), dass sie sich humaner oder zivilisierter verhalten als ihre Kontrahenten (denen die niedrigen Erwartungen an sie selbst anscheinend gar nicht so zu denken geben…).

Ja, Jesus fordert in der Bergpredigt eine „bessere Gerechtigkeit“, und moralischen Dünkel hat er damit sicher nicht gemeint. Trotzdem wundert es mich, dass manche Leute, denen nationale Vor- und Pauschalurteile ein Dorn im Auge sind, über Christen und Kirchen insgesamt so bereitwillig den Stab brechen. Vielleicht funktioniert es so: Weil man Christen für selbstgerecht hält oder als selbstgerecht erlebt, empört man sich auch eher selbstgerecht über ihr Versagen.

Sei’s drum – irgendwie würde ich auch von diesen Zeitgenossen gern etwas mehr erwarten…

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7 Antworten auf „Mehr erwarten?“

  1. „diesen Zeitgenossen“

    Ja, was ist das denn wieder? 😉

    Nicht zu verallgemeinern, sich von den vielen Schubladen und Kategorien zu trennen die wir für unsere Umwelt aufgebaut haben ist eine der schwierigsten Sache die uns im Leben im Weg steht.
    Schubladen sind ja auch praktisch – wie gerade hier vorgeführt: „Die Franzsosen“, „die Israelis“ oder eben auch „die Christen“ und natürlich: „Die Verallgemeiner“
    Wie wäre es mal mit: Die Menschen?
    Wenn wir irgendwann anfangen Menschengruppen mit gemeinsamen Merkmalen schlicht als Menschengruppen zu sehen, dann haben wir tatsächlich etwas erreicht.

  2. Netter logischer Trick, Hendrik, aber der geht in diesem Fall m.E. nicht auf:

    Ich habe hier ja weder eine Gruppe („Verallgemeinerer“) aufgemacht, sondern nur einen Plural verwendet, noch wie in den beschriebenen Fällen ein Vorurteil produziert. Analog zu „alle Argentinier foulen“ müsste das ja heißen „alle Verallgemeinerer haben Schweißfüße“ oder so ähnlich.

    Dass das natürlich schwer ist, nicht zu verallgemeinern, das ist wohl wahr.

  3. Ich denke, wir sollten den Mut haben, als Christen anderen christlichen Gruppen öffentlich zu Rede stellen, wenn wir überzeugt sind, das sie irren oder scheiße bauen. Und nicht aus falscher Rücksichtnahme drei Augen zu drücken. In Wahrheit haben doch die meisten Christen angst vor öffentlichen Diskussionen, weil sie selbst nicht sicher sind, ob ihre Theologie einer kritischen Prüfung standhält. Und so gibt es denn ein ungeschriebenes Gesetz das da heißt: „Ich guck bei dir nicht so genau hin und du guckst bei mir nicht so genau hin.“ Das ganze wird dann gelegentlich noch als „gelungene Ökumene“ gefeiert. Ne, so gewinnt man weder ein Königreich noch Blumentop!

  4. Mir fällt dazu ein kurzer Spruch ein: Die Existenz von Schmutz ist kein Beweis gegen die Existenz von Seife ! Oft wird die vermeintl Enttäuschung auch vorgeschoben, die wahren Gründe für die Distanzierung vom Glauben liegen dahinter verborgen…

  5. Schöner Artikel wäre wohl nicht angebracht. Ein Artikel, der mich zum Nachdenken angeregt hat, trifft es wohl besser.

    Mit dem mehr Erwarten ist es so eine Sache. Viele Menschen erwarten mehr. Wenige geben mehr. Vermutlich gehöre ich persönlich auch ganz häufig in die Kategorie – gibt zu wenig und erwartet zuviel.

    Mit dem Stab brechen… naja, ging mir auch schon so. Und ich werde nach wie vor z.B. in meinem Blog auch kritische Artikel schreiben. Deshalb ist es ja auch mein Blog. Was ich nichtmehr tue ist z.B. Bilder, die den Glauben irgendwie versuchen lächerlich zu machen. Ich (und andere ´Ungläubige´) denke mir nichts dabei. Es gibt aber genügend Menschen, die sowas verletzen kann.

    Da kommt dann wieder die „Erwartung“ ins Spiel. Umgekehrt „erwarte“ ich sowas dann auch. Was allerdings – in den meisten Fällen – ein Traum bleiben wird.

    @Olaf Radicke
    Öffentlich zur Rede stellen? Da kommt dann gleichviel bei raus, wie wenn sich Atheisten und Christen gegenseitig ihre Argumente an den Kopf schmeissen. Und warum einen Blumentopf gewinnen? Warum muss man gewinnen? Habe dabei das ungute Gefühl – in diesem Zusammenhang gibt es dann einen Gewinner und einen Verlierer? Beziehungsweise halt jeweils eine Gruppe von Gewinnern und eine Gruppe von Verlierern.

    Scheinbar achten Menschen gerne auf das, was „einen“ von anderen unterscheidet. Viele Gemeinsamkeiten werden dabei leicht übersehen. Vielleicht bin ich naiv. In meiner Welt gibt es mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Auch wenn ich dies an manchen Tagen anders WAHR nehme. Konstruierte Wirklichkeit eben.

  6. @waelti (03. Jul 2010 um 02:10):

    Wenn irgend welche christlichen Schwachmaten, die in hohen Klerus-Positionen sitzen, allen ernstes die sexuelle Orientierung von Teilen der Bevölkerung für Naturkatastrophen verantwortlich machen, ist Schluss mit Lustig! Und da verzichte ich gerne auf Ökumene. Und da distanziere ich mich in aller Deutlichkeit. Und nicht erst, wenn jemand auf nicht zu kommt, und mir sagt, er könne nicht an einen Gott glauben, der mit Naturkatastrophen auf Homosexualität reagiert!

    Das gleiche gilt für Christen in Wehrdienst oder Kirchen mit „Militärseelsorge“. Wie willst du einem Atheisten, Hindu oder Muslimen was von der Bergpredigt erzählen, wenn du dich nicht von (Baals-)Priestern in Kampfanzügen distanzierst? Ist doch einfach lächerlich! Mt 5 ist völlig unvereinbar mit Militärdienst.

    Nicht selten höre ich: „Die Christen haben ein Knall! …aber Ihr Quaker seid aber nicht damit gemeint.“ Ich warne vor falscher Kameraderie und Bequemlichkeit. Manchmal muss man sich eben bei den christlichen Geschwistern unbeliebt machen, wenn man sich der Wahrheit verpflichtet fühlt.

    Christen haben all zu oft geirrt. In der Naturwissenschaft wie moralisch. Es gab immer einzelne prophetisch begabte, die offen die Christen kritisierten und zu Umkehr aufforderten. So in der Sklavenfrage, der Gleichberechtigung von Frauen oder beim Widerstand gegen Gleichschaltung der Kirchen im dritten Reich. Aber die meisten haben wieder nichts hören wollen und die Finder in die Ohren gesteckt.

    Wahre Nachfolge zeichnet sich auch durch Kritikfähigkeit aus. Nachfolge besteht nicht nur immer aus Wohlfühl-Wellness-Evangelium. Manchmal muss man auch mal ertragen, das die Grundfesten des eigenen Glaubens vom Anderen in Frage gestellt werden. Aber wenn mein Glauben und Leben wahrhaft im Geist ist, wird mich nichts erschüttern, was nicht von Gott ist. Und wenn ich von Gott erschüttert werde, sollte ich dankbar dafür sein. Und nicht den Überbringer der Botschaft verfluchen.

    Gruß

    Olaf

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