Terror und Hoffnung

Die Flut der Kommentare zu den Morden in Norwegen war so, dass ich auf diesem Blog nicht auch noch meinen Senf dazu geben wollte. Auch ein paar Tage nach dem Blutbad finde ich ein paar Stimmen aus ganz unterschiedlichen Gründen noch bemerkenswert:

Paul Hefty schreibt in der FAZ darüber, dass man die Geschehnisse nicht kommentieren könne. Und im nächsten Atemzug kommentiert er sie doch – als hätte er seinen eigenen Text schon vergessen. Vergessen kann man auch den Rest des Kommentar: Es sei die Tat eines Irren, schreibt er. Wobei das, wie Manfred Lütz schon im Blick auf Hitler betont hat, nur allzu leicht auf eine Diffamierung psychisch Kranker hinausläuft. Man kann das moralisch qualifizieren, aber nicht unbedingt pathologisch. Vor allem gleicht das dem Reflex der Rechtspopulisten , die ihren Geistesverwandten nur allzu gern als Verrückten hinstellen wollen, um sich keinen unangenehmen Fragen stellen zu müssen.

Markus Horeld rechnet auf Zeit Online mit deutschen Politikern und Funktionären ab, die angesichts des Leids nicht schweigen können und sich nicht zu schade sind, alte Forderungen nach mehr Überwachungsstaat aus der Mottenkiste zu holen, um damit innenpolitisch zu punkten. Sozialdemokraten sind übrigens keine darunter, die trauern und müssen sich mit dem Gedanken abfinden, dass sie in Westeuropa womöglich eine gefährdete Minderheit werden könnten.

Mit der Blindheit der „Terrorexperten“ und dem peinlichen Zwang, auf Verdacht schon mal loszulabern oder Meinungen zu äußern, bevor man über seriöse Informationen verfügt, beschäftigt sich Hasnain Kazim auf Spiegel Online.

Und Peter Frey findet im ZDF ein paar klare Worte zum „christlichen“ Hintergrund des „ersten antiislamischen Terroristen“, mahnt zugleich aber auch eine energischere Auseinandersetzung der Kirchen mit „christlichen Fundamentalisten“ an. Die ist nötig und stellt Evangelische Allianz wie auch freikirchliche Verbände vor dieselbe Aufgabe, sich hier nämlich noch deutlicher zu positionieren. Ohne scharfe Abgrenzungen gegen einzelne Stimmen und Gruppen, die eine bedenkliche Nähe zu Anders Breiviks Kreuzzugmentalität aufweisen, wird es kaum abgehen.

Positiv und hoffnungsvoll stimmt schließlich dieser Artikel von Michael Schlieben auf Zeit Online über die Reaktion der Norweger, die dieses Land noch sympathischer macht. Wäre da nicht der dunkle Winter, ich würde mir ernsthaft überlegen, ob ich nicht auswandere. Ministerpräsident Stoltenberg beschwört die Freiheit und nicht die Vergeltung:

Stoltenberg sprach nicht von Rache, nicht von Vergeltung, nicht von einer Jagd auf irgendwelche Hintermänner. Er demonstrierte keine militärische Entschlossenheit, wies niemandem die Schuld zu, er forderte auch keine Gesetzesänderungen, wie das jetzt reflexhaft in Deutschland bereits begonnen hat. Stoltenberg war nicht aktionistisch, nicht affektgesteuert, sondern in seiner Fassungslosigkeit wohltuend klug und besonnen. Sein Verhalten war ein Zeugnis von guter politischer Führung.

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Deutsch zum Abgewöhnen: „Ich erinnere“

Ich habe es vor ein paar Jahren zum ersten Mal bewusst in einem Fernsehinterview von Peer Steinbrück gehört, dass jemand sagte, „ich erinnere dieses oder jenes Ereignis“ statt „ich erinnere mich an dieses…“ Seither begegnet es mir ab und zu und diese Woche habe ich einen längeren Text aus dem Englischen übersetzt, der sich um Erinnern und Vergessen drehte. Da lag die Versuchung nahe, erinnern á la Steinbrück zu verwenden. Allein, ich brachte es nicht fertig.

Auf der Website des Duden fand ich heute einen Vermerk, dass eine nichtreflexive Verwendung von „erinnern“ norddeutsch ist. Sie ist also nicht falsch. Ob gut oder schön, das hat der Duden nicht zu bewerten. Für meinen Geschmack dürfen die lieben Preußen das so halten, und wenn sie es tun, dann versuche, ich mich nicht lange dran zu erinnern, sondern es ganz schnell wieder zu vergessen (mich vergessen werde ich deswegen freilich nicht).

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Primaballackinas

Armer Michael Ballack, seit über einem Jahr erscheinen pausenlos irgendwelche Kommentare, die seine Konflikte breittreten, seine Comebackchancen ausloten, erklären, warum er eine tragische Figur ist und jede seiner öffentlichen Gefühlsregungen akribisch auf Untertöne abtasten. Kein Wunder, dass er extrem schlecht gelaunt ist. Aber so ist das im Fußball: Wer ein Star ist und ein Millionengehalt bezieht, ist eine öffentliche Person und muss damit leben, dass andere ihn besser kennen als er sich selbst. Oder eben auch nur so schreiben, als wüssten sie Bescheid.

Da kommt die WM der Frauen wie eine willkommene Abwechslung. Keine kickenden Millionärinnen, kein überflüssiges Geraune – sollte man meinen. Stattdessen machen nun unsere auf Ballack’sche Tragik konditionierten Sportjournalisten einfach so weiter: Birgit „Ballack“ Prinz könnte zur tragischen Figur des Turniers werden, heißt es seit Tagen, und bis gestern stand auch noch Lira Ball… – äh, Bajramaj – auf der Liste potenziell ausgemusterter Primaballackinas.

Wem nützt das Ganze? Mir als Leser wäre es lieber, von dieser WM das berichtet zu bekommen, was sich tatsächlich auf dem Platz zuträgt. Die Spielerinnen sollten sich auch darauf konzentrieren dürfen, sich auf den Gegner einzustellen. Und die Sportjournalisten könnten sich die Peinlichkeit ersparen, ihr bisschen Hobbypsychologie hier zur Schau stellen zu müssen.

Immerhin: Michael Ballack kann in Ruhe durchatmen. Das wird ihm guttun. Freilich: Die WM der Frauen ist schneller vorbei, als man denkt…

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Exzesse und Erklärungen

Neulich kam das Gespräch in einer Runde auf das Phänomen des Vandalismus bei Partys, zu denen Jugendliche ahnungslos oder leichtfertig im Internet einladen. Was sind das für Menschen, war die Frage, die da sinnlos die Häuser der Gastgeber verwüsten?

Ganz normale vermutlich. Vielleicht gibt dieses Interview auf Zeit Online eine Antwort darauf. Der Historiker Hannes Wehr und der Sozialpsychologe Harald Welzer haben sich mit den Kriegsverbrechen der Wehrmacht in Russland befasst. Ihr Ergebnis: Anders als vermutet, brauchen Soldaten keineswegs eine gewisse „Eingewöhnungszeit“, um zu extremer Gewalt fähig zu werden. Welzer sagt:

Es genügt aber offenbar schon eine Situation, in der Menschen so etwas tun können und dürfen – Gewalt als Erlebnis absoluter Macht. In vielen Truppen herrschte außerdem ein regelrechtes Gewaltklima, in dem es goutiert wurde, wenn Soldaten mit ihren Exzessen prahlten.

Das Angeben in der Gruppe und die Aussicht, ungestraft zu bleiben, sind die entscheidenden Faktoren. Nazi-Ideologie kam freilich noch dazu, war aber wohl von nachrangiger Bedeutung. Vielleicht lässt sich das für die Genozide in jüngerer Zeit auch auch sagen, oder eben für große, unübersichtliche Feten irgendwo nachts, wo eine Clique von Vandalen unerkannt einfallen kann, um hinterher im kleinen Kreis mit der Verwüstung anzugeben, die man hinterlassen hat: auch da ist mehr der Macht- als der Alkoholrausch entscheidend.

Die beunruhigende Frage dabei lautet natürlich auch: Wie stabil ist eigentlich das, was wir „Charakter“ nennen, wenn es vielfach nur die richtigen Umstände braucht, damit aus „anständigen Bürgern“ brutale Monster werden?

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Evangelium, Mission und Privatdetektive

Eine nette Analogie stand heute in dieser Meldung der Süddeutschen Zeitung, vielleicht braucht sie jemand mal als Beispiel in einem Gespräch oder einen Predigt:

Ein Mann im US-Bundesstaat Utah hat monatelang als Obdachloser gelebt, obwohl ein dickes Erbe seines Bruders auf ihn wartete. Die Familie des Mannes hatte eigens einen Privatdetektiv angeheuert, um ihn zu finden – doch erst als lokale Medien über den Fall berichteten, kam laut „Deseret News“ der entscheidende Hinweis auf ein Obdachlosenheim in Salt Lake City. Der Mann lebte demnach jahrelang auf der Straße. Künftig werde er genügend Geld haben, „um sich selbst zu versorgen oder jemanden anzustellen, der sich um ihn kümmert“, sagte der Detektiv der Zeitung. Die genaue Erbsumme blieb geheim.

Ich kommentiere das jetzt nicht; wer möchte, kann dazu Römer 8,17 und 10,14ff lesen.

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Ist Gott grün?

Diese Frage warf jemand letzte Woche in einer e-mail auf. Seither habe ich immer mal wieder darüber nachgedacht. Mein erster Gedanke dazu war: Einen farblosen Gott kann ich mir eigentlich nicht vorstellen.

Man kann Gott nun mit allen möglichen Farben in Verbindung bringen. Ich fand ja immer, blau müsse seine Lieblingsfarbe sein, dicht gefolgt von Grün, wenn der Blick an den Himmel bzw. von oben auf die Erde etwas zu sagen hat.

Theologisch korrekter wäre vielleicht die Orientierung am Regenbogen: Das sind so ziemlich alle Farben drin. Mit einer Ausnahme: Schwarz!

Also lautet die korrekte Antwort auf die Frage, ob Gott grün ist: Ich weiß es nicht genau. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass er nicht schwarz sein kann. Das sollte zur Orientierung doch ausreichen, oder?

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Verfolgte Unschuld?

Ratko Mladic ist – das entbehrt nicht einer gewissen Ironie – in den Niederlanden eingetroffen und die Welt wartet auf den Prozess wegen Völkermords. Der Mann behauptet natürlich, er sei unschuldig. Anlass genug, hier einen kleinen Auszug aus Mirolsav Volfs „Exclusion and Embrace“ zu posten. Das Buch entstand Ende der Neunziger aus den Erfahrungen der Balkankriege. Der Mord fängt – das lässt im Blick auf die Rhetorik der erstarkten FPÖ in Österreich auch Sorgen aufkommen – schon mit dem Reden an:

Wenn die Sprache und Denke der Exklusion – wir können das „symbolische Exklusion“ nennen – moralisch dazu dient, die Praxis der Exklusion zu untermauern, sollten wir davor gewarnt sein, sie auf „Ignoranz“ zurückzuführen, in ihr ein „fehlendes Wissen“, „Uneinsichtigkeit“ oder „verarmte Phantasie“ zu sehen […] Bosheit als Ignoranz setzt zu viel falsche Unschuld voraus und erzeugt zu viele trügerische Hoffnungen. Es impliziert, dass die Verderbnis der Übeltäter in erster Linie eine Frage des Verstandes ist, dem mit anständiger Aufklärung abgeholfen werden kann. Sowohl die christliche Tradition als auch die Erfahrung lehren uns, das dies selten der Fall ist. Symbolische Exklusion ist oft eine Entstellung des anderen, nicht bloßes Unwissen in Bezug auf ihn; sie ist eine willentliche Fehlkonstruktion, kein Versagen der Erkenntnis. Wir dämonisieren und bezeichnen andere als Tiere, nicht, weil wir es nicht besser wüssten, sondern weil wir uns weigern, das Offensichtliche anzuerkennen, und uns dafür entscheiden, nur das zu wissen, was unseren Interessen dient. Dass wir unsere Verzerrungen dennoch für schlichte Wahrheiten halten ist kein Gegenargument; es unterstreicht nur, dass das Böse fähig ist, ein gedankliches Umfeld zu erzeugen, in dem es unerkannt gedeihen kann.

Die „Praxis der Exklusion“ und die „Sprache der Exklusion“ gehen Hand in Hand mit einer ganzen reihe von emotionalen Reaktionen auf den anderen, die von Hass bis Gleichgültigkeit reichen; diese Exklusionen rufen emotionale Reaktionen hervor und werden zugleich von ihnen aufrecht erhalten. Bevor Jitzchak Rabin 1995 ermordet wurde, trugen rechtsgerichtete israelische Demonstranten Plakate herum, auf denen er wie Yassir Arafat dargestellt wurde, mit einer Kufiya auf dem Kopf und Blut, das von seinen Händen tropfte. Das Bild diente dazu, Hass zu erzeugen, den Widerwillen gegenüber dem anderen, der sich aus dem Gefühl, Schaden oder Unrecht erlitten zu haben, nährt, und von der Demütigung befeuert wird, das nicht verhindert haben zu können […]. Einige der brutalsten Akte von Exklusion beruhen auf Hass, und wenn die allgemeine Geschichte der Menschen und Gruppen nicht genug Gründe zum Hass liefert, werden die Meister der Exklusion die Geschichte umschreiben und Unrecht erfinden, um Hass zu erzeugen.

Mehr von Miroslav Volf über das Thema Versöhnung nächstes Jahr beim Studientag Gesellschaftstranformation am 18. Februar 2012.

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Pssst…!

„… sag’s bloß keinem weiter!“, hatte eine Bekannte diese Woche zu ihrer Freundin gesagt, als sie hörte, dass Richard Rohr am 7. Juni zwischen Kirchentag und einem Seminar in Müsterschwarzach in Erlangen Station macht. Sie fürchtete, wenn sich das zu weit herumspricht, könnte die Hütte überfüllt sein.

Den Mann muss man eigentlich nicht vorstellen, seine Bücher sprechen für sich. In den letzten Jahren hat er sich aus katholischer Perspektive mit dem Thema „Emerging Christianity“ befasst, und dazu haben wir Ihn auch eingeladen. Es gibt eine weltweite Konvergenzbewegung – verschiedene Flügel der Christennheit bewegen sich aufeinander zu. Was das bedeuten könnte, auch hier in Deutschland, werden wir am 7. Juni mit ihm bedenken (19.00 Uhr Markuskirche, Sieglitzhofer Str. 4 in Erlangen).

Wer Englisch versteht und sich schon mal einstimmen möchte, kann hier seinen Vortrag am Fuller Seminary ansehen:

Emerging Christianity from Fuller Seminary on Vimeo.

Und wer möchte, darf es selbstverständlich weitersagen. Die Kirche hat ein paar hundert Plätze. Nur zu spät kommen sollte man besser nicht.

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Selbstachtung und Selbstverleugnung

Bei dem eigentlich immer lesenswerten Wolf Lotter auf Brand Eins habe ich heute zum Thema Respekt folgende sehr nachdenklich stimmende Zeilen gelesen. Er beschreibt einen gesellschaftlichen circulus vitiosus:

Die meisten Führungskräfte, Manager und Politiker strengen sich an, disziplinieren sich, vernachlässigen Familie und Beziehungen, geben alles, wie es so schön heißt. Um was genau zu kriegen? Macht ohne Bedeutung, Einfluss, aber keinen Respekt und wenig Anerkennung.

Im Gegenteil: Es gehört kulturell zum guten Ton, die „oben“ zu bashen, für alles verantwortlich zu machen, was man im eigenen Leben verbockt hat. Der Sachzwang killt den Anstand, den Respekt und die Würde. Und deshalb wimmelt es in den Chefetagen auch von Leuten, die hartnäckig verdrängen müssen, dass sie ihr eigentliches Karriereziel, ein Leben in Würde, Anerkennung und also Respekt, verfehlt haben.

Das führt zur Selbstverleugnung – und zerstört die Grundlage aller Rücksichtnahme auf andere, den Respekt zu sich selbst. Wer sich selbst nicht achtet, schafft das bei anderen erst recht nicht.

Das wirft auch im Blick auf Kirchen und Gemeinden Fragen auf:

Erstens: Schaffen wir es, eine Gegenkultur zu entwickeln? Und das, ohne dabei süßlich-nett und unkritisch zu werden, ohne in die alte Autoritätshörigkeit zurückzufallen, die die neue Respektlosigkeit ja nicht ganz zu Unrecht, aber zu einem sehr hohen Preis aufgegeben hat?

Zweitens: Wie buchstabieren wir „Selbstverleugung“, so dass man dem Begriff überhaupt noch etwas Positives abgewinnen kann? Also gerade nicht als Preisgabe der Selbstachtung, nicht als negatives Selbstbild oder gestörte Selbstwahrnehmung (bzw. Kontaktverlust zu den eigenen Gefühlen und Empfindungen)?

Vielleicht kann man ja sagen: Man kann nur verleugnen, was man wirklich kennt. Wenn – berechtigt oder nicht – Zorn in mir hochsteigt, kann ich also sagen: Ich weiß genau, was ich jetzt fühle und was ich im Moment am liebsten tun würde. Ich weiß aber auch genau, warum ich auf Rache und gehässige Worte verzichte: Weil ich es Gott (und mir selbst) wert bin, nicht zum Spiegelbild von Gewalt oder Respektlosigkeit zu werden. Weil ich lieber Böses mit Gutem überwinde, und wenn es sein muss, dafür auch einen hohen Preis zu bezahlen. Denn die Folgeschäden und -kosten der Alternative sind enorm.

Die Frage nach der unverlierbaren Menschenwürde ist dabei kein geringes Problem. Karl Barth hat sie so beantwortet:

Der Mensch selber ist […] wertbeständig, ist und bleibt und wird immer neu interessant. Darum nämlich, weil Gott Wert auf ihn legt, weil Gott sich in aller Macht gerade für ihn interessiert. Nicht auf Grund einer ihm, seiner allgemeinen Art und seiner besonderen Existenz immanenten Würde und Wichtigkeit also – nicht auf Grund von etwas, was Gott gerade an ihm finden müsste. (KD IV,3 S. 915)

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Gerächtigkeit

Bin Laden ist tot, ob die Welt damit wesentlich sicherer geworden ist, bleibt unklar. Obama verbessert seine innenpolitische Position und hebt sich wenigstens dadurch von seinem Vorgänger ab, dass er eine kleine, durchdachte Operation einem ausufernden Flächenbombardement vorzieht.

Die Genugtuung darüber ist für einen Europäer eher befremdlich. Mich hat das Ganze an den Film True Grit erinnert. Da geht es auch um Vergeltung, nur ist die Protagonistin ein 14-jähriges Mädchen, ein versoffener Marshal und ein stoffeliger Texas Ranger begleiten sie. Irgendwie wird der Gedanke vergeltender „Gerechtigkeit“ (oder eben Gerächtigkeit) damit auch wieder ein Stück ironisiert.

Der ironische Obama gefällt mir nebenbei deutlich besser. Hoffentlich nimmt das demnächst wieder breiteren Raum ein.

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Der Ausbrecherkönig

In der Bucht von San Francisco liegt die ehemalige Gefängnisinsel Alcatraz. Rund 30 Jahre befand sich dort ein Hochsicherheitsgefängnis aus dem es – so der Nimbus, der es umgab, kein Entrinnen gibt. Durch Filme wie The Rock und Flucht aus Alcatraz hat sich diese Aura bis heute erhalten. Alcatraz war nicht nur ein Knast, sondern auch ein Symbol. Im Meer um die Insel, so hieß es, wimmele es nur so von gefräßigen Haien.

Etliche Ausbruchsversuche scheiterten. Erst 1962 gelang dem Bankräuber Paul Scott die Flucht. Er schaffte es bis ans Ufer, wo er unterkühlt aufgefunden, wiederbelebt und ins Gefängnis zurückgebracht wurde. Aber der Mythos Alcatraz hatte zu bröckeln begonnen und weil auch die Bausubstanz unter dem Salzwasser gelitten hatte, wurde Alcatraz im Jahr darauf geschlossen.

Man kann sich dem Thema Ostern und Auferstehung nur in Analogien nähern. Eine davon ist, den Tod nicht als Schlaf, sondern als Gefängnis zu beschreiben:

Ich war tot, aber sieh doch: Ich lebe für immer und ewig. Und ich habe die Schlüssel, um das Tor des Todes und des Totenreichs aufzuschließen. (Offenbarung 1,18)

Der Tod Jesu war eine Strafe: Aus jüdischer Sicht wegen Gotteslästerung, aus römischer Sicht wegen Hochverrats. Indem Gott Jesus auferweckt, überstimmt er nicht nur die Richter und schafft Gerechtigkeit, er entwindet dem System der römischen Machtsicherung auch seine stärkste Waffe: Die Drohung mit Folter und Tod.

Im Grunde lassen sich alle anderen Drohmittel und -gebärden als verschiedene Formen von Tod darstellen: Verachtung und Isolation, Folter und Vernachlässigung, Ausschluss und Verleumdung – die Liste ließe sich beliebig erweitern. Wir können aktuell an die Rebellen in Libyen, die Demonstranten in Kairo und Damaskus oder an Bradley Manning in den USA denken, die den Zorn des Systems am eigenen Leib erfahren.

Der Seher Johannes sagt nun, dass Jesus aus diesem Gefängnis ausgebrochen ist und dabei auch noch die Schlüssel mitgenommen hat. Und nun ist es wie im letzten Jahr von Alcatraz. Das Gebäude steht noch und der Betrieb läuft. Aber der Mythos bröckelt und irgendwo läuft einer frei herum, der die Schlüssel hat, und die Sicherheitskräfte bekommen ihn nicht zu fassen. Was haben wir in diesem Jahr schon an angeblich unvorstellbaren Dingen erlebt. Also ist auch diese Gedanke nicht so schrecklich abwegig: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Ausbrecherkönig zurückkommt und die Tore öffnet.

In gewisser Hinsicht sind wir beides – Gefangene und Komplizen des Systems. Wir leiden und haben uns arrangiert, indem wir das Leid anderer in Kauf nehmen, wenn es unsere Lage, wenn schon nicht grundsätzlich ändert, so doch etwas verbessert. Insofern wir Komplizen sind, ist Ostern auch als eine Warnung zu begreifen. Insofern wir Gefangene sind, dürfen wir uns freuen.

Was wir also heute schon ändern können, ist dies: Wir können unsere problematischen Abhängigkeiten und falschen Loyalitäten über Bord werfen. Deswegen spricht auch und gerade das Osterevangelium von Umkehr. Und wir können neue Bündnisse schmieden, die auf die Zeit nach der Befreiung, nach der Wende zielen und sie im Kleinen schon erlebbare Wirklichkeit werden lassen. Unsere Mitgefangenen sind nicht unsere eigentlichen Feinde, selbst da, wo sie sich schäbig verhalten und sich (wie wir auch) vom System verbiegen lassen. Es gibt aber auch eine verbürgte Hoffnung, das ist die andere Seite des Evangeliums: Da, wo wir für die Freiheit üben und gegen den Mythos des unentrinnbaren Systems über den König der Ausbrecher zu sprechen wagen, die Erinnerung wach und damit auch die Hoffnung lebendig halten, da bekommen die Mauern immer größere Risse und frische Luft weht durch die Zellenfenster.

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„Neue“ Evangelikale?

Paul Markham macht sich im Journal of Religion and Society Gedanken über die Entstehung einer neuen Evangelikalen (oder sollte ich jetzt doch besser „evangelisch“ schreiben?) Bewegung in den USA. Er sieht dabei große Parallelen zu dem zupackenden Eifer, mit dem Evangelikale sich im 19. Jahrhundert der persönlichen und sozialen Transformation widmeten.

Dazu blickt er erst einmal kurz zurück: Evangelicals haben sich theologisch nie auf einen Nenner bringen lassen, wohl aber durch Stil und Ausdrucksformen. Heute leidet die Bewegung darunter, dass sie in der Öffentlichkeit unzutreffenderweise zum Synonym für „Fundamentalismus“ gemacht wird. Junge Evangelikale drängen auf eine Lösung von der religiösen Rechten und deren schmalen Themenkodex. Markham betrachtet das als Parallele einer Auseinandersetzung zwischen Evangelicals und Fundamentalists zur Mitte des 20. Jahrhunderts, aus der damals die Zeitschrift Christianity Today und die National Association of Evangelicals hervorging. Führender theologischer Kopf dieser Trennung war auf evangelikaler Seite Carl F. H. Henry. Er machte die Botschaft Jesu vom Reich Gottes zum Schlüsselthema seiner Arbeit.

Die Distanzierung von den Fundamentalisten hatte zur Folge, dass eine offenere Haltung gegenüber den Naturwissenschaften entstand, das Wirken des Heiligen Geistes neu in den Blick kam, eine größere Weite bei den unterschiedlichen Positionen in der Eschatologie und der Schriftinspiration einzog, soziale Verantwortung ernster genommen wurde und man wieder mehr bereit war zum Gespräch mit „liberalen“ Theologen.

Heute sind wieder viele Evangelikale auf der Suche nach einer Alternative zum Bündnis mit konservativer Ideologie. Es herrscht eine gewisse Krisenstimmung, was den Zustand der evangelikalen Bewegung und deren Wirkung auf die Gesellschaft betrifft. Verschiedene Versuche einer Absetz- oder Sammlungsbewegung von der religiösen Rechten sind zu erkennen. Theologisch zeigen sich dabei charakteristische Verschiebungen: Hin zu einer stärker präsentischen Eschatologie, die den Bezug zum Leben hier und jetzt betont, ein Zurücktreten der traditionellen Sühneopfer-Theologie, ein Interesse an „prophetic politics“ und an anderen Feldern der Sozialethik, besonders dem Thema der Gerechtigkeit.

Die Schwierigkeit diesmal besteht darin, dass sich noch kein organisatorisches Zentrum herauskristallisiert hat, so wie es Carl Henry und andere damals schufen. Das hat mit der Neigung zur Organisation in losen Netzwerken zu tun, und einer Auflösung der Grenzen zu anderen christlichen Traditionen, darunter auch Katholiken. Vieles hängt nun davon ab, wie sich die neue Bewegung organisiert. Ein paar führende Köpfe nennt Markham auch: Shane Caliborne, Rob Bell, Brian McLaren … und Tom Wright!

In Deutschland waren Evangelikale und ihre Vorläufer im Pietismus und der Erweckungsbewegung politisch nur ganz selten progressiv. Für die USA hatte der Soziologe Robert Putnam konstatiert, dass Evangelikale den gesellschaftlichen Wandel praktisch immer vorangetrieben haben. Hier kann man das so gewiss nicht sagen. Im neuzehnten Jahrhundert hat man auf die soziale Frage zwar mit reger Wohltätigkeit reagiert, strukturelles Unrecht aber weitgehend ignoriert, wenn man einzelne Stimmen wie Christoph Blumhardt mal ausklammert. Insofern fehlen hier bei uns auch Vorbilder für einen neuen Aufbruch wie Carl Henry, freilich fällt auch der Anteil von Fundamentalisten hier deutlich geringer aus – der Hang zum Konservativismus dagegen nicht. Die Unzufriedenheit mit dem Status Quo trifft man daher auch hier an, und mein Eindruck ist, dass sie weiter wächst.

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Gier und Erbsünde

Vorgestern in Neues aus der Anstalt, die derzeit keinen Mangel an kommentarwürdigen Verrücktheiten zu verzeichnen hat, hat Winfried Schmickler ein zeitloses Gedicht – man könnte auch sagen: eine veritable Kurzpredigt – zum Besten. Wer den Clip noch nicht gesehen hat: Unbedingt anschauen!

Passend dazu Erwin Pelzigs fränkisch-pessimistische Definition von „Erbsünde“: „Der Mensch an sich is halt a Drecksau.“
Für alle, die am Sonntag zur Wahl gehen: Diese Folge der Anstalt ist informativer als ein Wahl-o-Mat…

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Weisheit der Woche: Heldenverheerung

Die FAS hat gestern eine lange, aber ungemein scharfe Analyse des Aufstiegs und Falls von KTG vorgelegt. Wer sich die Zeit nimmt, hat eine gehörige Dosis Antikörper gegen die beginnende Verklärung des Polit-Stars gebunkert. Die werden wir dringend brauchen, ob es nun ein Comeback gibt oder nicht – das Muster kann sich auch anderweitig wiederholen. Hier ein kurzer Auszug:

Politik ist die Chance für Leute, die nicht gut aussehen und weder singen noch tanzen können, sehr, sehr prominent zu werden, und wenn sie dann noch, wie Guttenberg, gut aussehen, singen und tanzen, dann sind sie kaum noch aufzuhalten. Bis sie an sich selber scheitern. (…)

Die Wähler lieben Politiker, die Knoten durchschlagen, Unmögliches möglich machen oder auch nur Mögliches möglich. Schnell wird dabei die Grenze zu einem Deal überschritten: Jene, die Übermenschen sein wollen, beweisen denen, die an Übermenschen glauben wollen: dass es sie gibt. Und jene, die an Übermenschen glauben wollen, beweisen denen, die es sein wollen, durch ihre Anhänglichkeit und Begeisterung: dass sie es sind. Sehr belastbar sind solche Deals natürlich nicht. Aber es reicht, um eine Menge Schaden anzurichten.

(…) Guttenberg führte höchstpersönlich die Bewegung derer an, die nicht hinschauen wollten, unterstützt von zahllosen Unionspolitikern, die damit beschäftigt waren, der Öffentlichkeit einzureden, dass Lügen und Betrügen vielleicht nichts Großartiges ist, aber bei großartigen Menschen nicht weiter ins Gewicht fallen. Sie machten sich zu Einpeitschern von Personen, die unübersehbar das Urteil durch den Affekt ersetzten.

(Ein echtes Rätsel ist für mich die Union, vor allem natürlich in Bayern: Statt gerechtfertigten Zorn über das parteischädigende Verhalten ihres Stars zu äußern, solidarisiert man sich in einer Art Stockholm-Syndrom mit dem Kidnapper. Aber der Mythos wird nicht ewig leben. Wenn die medienwirksamen Auftritte – mit denen ist ja erst einmal vorbei –  in Vergessenheit geraten, stirbt er dahin. Und in ein paar Monaten werden sich die ersten CSU-Granden trauen, aus ihrem Herzen keine Mördergrube mehr zu machen.)

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„Eierköpfe“, oder: Nürnberg ist einfach größer

„In Erlangen gibbds lauder Eierköpf“, sagte vor 30 Jahren mein Geographielehrer, selbst promovierter Historiker und Studiendirektor am humanistischen Gymnasium, aber eben Sohn eines Eisenbahners aus Nämberch, von wo er täglich mit der Bahn anreiste. Und damit war für Ihn alles gesagt über die ungleichen Nachbarn in der Metrolpolregion.

Schon über 25.000 „Eierköpfe“ haben sich bei Kanzlerin Merkel beklagt und deren Umgang mit der misslungenen Titelverteidigung ihres Jungstars kritisiert. Zugleich hält die an akademischen Fragen uninteressierte Öffentlichkeit mit großer Mehrheit (es gibt eben fünf mal so viel Nürnberger wie Erlanger…) offenbar wie unsere Kanzlerin das umfangreiche Abschreiben zum karriereförderlichen Titel für eine Bagatelle. Nur der Unterfranke Pelzig kommentiert in der Anstalt den Lapsus des Barons aus Oberfranken (der sich am eigenen Schopf aus dem akademischen Sumpf zog) süffisant und meint, wenn Abschreiben schlampiges Zitieren sei, dann wäre Ladendiebstahl „schlampiges Einkaufen“.

Vielleicht sind die fränkischen Verwerfungen ein Grad-Messer für die deutsche Landschaft. Einerseits scheint der akademische Titel (noch?) dienlich für die Karriere und öffentliches Ansehen, andererseits betrachtet man die Institution, die ihn verleiht, als einen weltfremden Haufen zerstreuter Erbsenzähler, die sich am liebsten mit abstrusen Nebensächlichkeiten befassen.

Sprich: Zur Bergkirchweih fährt der Nürnberger schon mal nach in Erlangen, aber den Rest des Jahres lebt er mit dem tröstlichen Bewusstsein, dass die Musik im Schatten von Burg und Lorenzkirche spielt. Das müssen die Eierköpfe mal kapieren, dann regen sie sich auch bestimmt wieder ab.

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