Terror und Hoffnung

Die Flut der Kommentare zu den Morden in Norwegen war so, dass ich auf diesem Blog nicht auch noch meinen Senf dazu geben wollte. Auch ein paar Tage nach dem Blutbad finde ich ein paar Stimmen aus ganz unterschiedlichen Gründen noch bemerkenswert:

Paul Hefty schreibt in der FAZ darüber, dass man die Geschehnisse nicht kommentieren könne. Und im nächsten Atemzug kommentiert er sie doch – als hätte er seinen eigenen Text schon vergessen. Vergessen kann man auch den Rest des Kommentar: Es sei die Tat eines Irren, schreibt er. Wobei das, wie Manfred Lütz schon im Blick auf Hitler betont hat, nur allzu leicht auf eine Diffamierung psychisch Kranker hinausläuft. Man kann das moralisch qualifizieren, aber nicht unbedingt pathologisch. Vor allem gleicht das dem Reflex der Rechtspopulisten , die ihren Geistesverwandten nur allzu gern als Verrückten hinstellen wollen, um sich keinen unangenehmen Fragen stellen zu müssen.

Markus Horeld rechnet auf Zeit Online mit deutschen Politikern und Funktionären ab, die angesichts des Leids nicht schweigen können und sich nicht zu schade sind, alte Forderungen nach mehr Überwachungsstaat aus der Mottenkiste zu holen, um damit innenpolitisch zu punkten. Sozialdemokraten sind übrigens keine darunter, die trauern und müssen sich mit dem Gedanken abfinden, dass sie in Westeuropa womöglich eine gefährdete Minderheit werden könnten.

Mit der Blindheit der „Terrorexperten“ und dem peinlichen Zwang, auf Verdacht schon mal loszulabern oder Meinungen zu äußern, bevor man über seriöse Informationen verfügt, beschäftigt sich Hasnain Kazim auf Spiegel Online.

Und Peter Frey findet im ZDF ein paar klare Worte zum „christlichen“ Hintergrund des „ersten antiislamischen Terroristen“, mahnt zugleich aber auch eine energischere Auseinandersetzung der Kirchen mit „christlichen Fundamentalisten“ an. Die ist nötig und stellt Evangelische Allianz wie auch freikirchliche Verbände vor dieselbe Aufgabe, sich hier nämlich noch deutlicher zu positionieren. Ohne scharfe Abgrenzungen gegen einzelne Stimmen und Gruppen, die eine bedenkliche Nähe zu Anders Breiviks Kreuzzugmentalität aufweisen, wird es kaum abgehen.

Positiv und hoffnungsvoll stimmt schließlich dieser Artikel von Michael Schlieben auf Zeit Online über die Reaktion der Norweger, die dieses Land noch sympathischer macht. Wäre da nicht der dunkle Winter, ich würde mir ernsthaft überlegen, ob ich nicht auswandere. Ministerpräsident Stoltenberg beschwört die Freiheit und nicht die Vergeltung:

Stoltenberg sprach nicht von Rache, nicht von Vergeltung, nicht von einer Jagd auf irgendwelche Hintermänner. Er demonstrierte keine militärische Entschlossenheit, wies niemandem die Schuld zu, er forderte auch keine Gesetzesänderungen, wie das jetzt reflexhaft in Deutschland bereits begonnen hat. Stoltenberg war nicht aktionistisch, nicht affektgesteuert, sondern in seiner Fassungslosigkeit wohltuend klug und besonnen. Sein Verhalten war ein Zeugnis von guter politischer Führung.

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10 Antworten auf „Terror und Hoffnung“

  1. Bertolt Brecht: Vaterlandsliebe, der Haß gegen Vaterländer

    Herr K. hielt es nicht für nötig, in einem bestimmten Lande zu leben. Er sagte: „Ich kann überall hungern.“ Eines Tages aber ging er durch eine Stadt, die vom Feind des Landes besetzt war, in dem er lebte. Da kam ihm entgegen ein Offizier dieses Feindes und zwang ihn, vom Bürgersteig herunterzugehen.

    Herr K. ging herunter und nahm an sich wahr, daß er gegen diesen Mann empört war, und zwar nicht nur gegen diesen Mann, sondern besonders gegen das Land, dem der Mann angehörte, also daß erwünschte, es möchte vom Erdboden vertilgt werden.

    „Wodurch“, fragte Herr K., „bin ich für diese Minute ein Nationalist geworden? Dadurch, daß ich einem Nationalisten begegnete. Aber darum muß man die Dummheit ja ausrotten, weil sie dumm macht, die ihr begegnen.“

  2. Ganz herzlichen Dank, Peter, für deine aktuelle Linkliste. Ich habe dieses Thema noch einmal mit der Implosion-Debatte verknüpft. Vielleicht gibt es noch einmal andere Anregungen!

  3. Hier ein interessantes Zitat zum „christlichen“ Hintergrund des Attentäters. Seine quasi Selbstdefinition. Denn der Täter schreibt in seinem Manifest genauer, wen er für Christen hält und wie er sich da sieht. Es ist eine rein kulturelle Definition auf Seite 1307 seines Manifests:

    3.139 Distinguishing between cultural Christendom and religious Christendom – reforming our suicidal Church:
    A majority of so called agnostics and atheists in Europe are cultural conservative Christians without even knowing it. So what is the difference between cultural Christians and religious Christians?
    If you have a personal relationship with Jesus Christ and God then you are a religious Christian. Myself and many more like me do not necessarily have a personal relationship with Jesus Christ and God. We do however believe in Christianity as a cultural, social, identity and moral platform. This makes us Christian.“

  4. Die meisten sich in meinem Bekanntenkreis befindlichen Menschen, die sich als Christen definieren – und das geht weit in kirchlich aktive Kreise hinein – tun dies aus einem kulturell geprägten Verständnis heraus. Interessant finde ich den „Reflex“ auf einigen christlichen Blogs, es könne keinen christlichen Fundamentalismus geben. Anscheinend kann nicht sein, was nicht sein darf …

  5. @IWe,

    es gibt auch Versuche, diese Meldung zu unterdrücken:

    „St. Pölten – Robert Ziegler, Vize-Chefredakteur des ORF Niederösterreich, bittet „Kolleginnen und Kollegen“ per Rundmail, den Attentäter von Norwegen nicht als „christlichen Fundamentalisten“ zu bezeichnen: „Das Wort ‚christlich‘ und den Mord an mehr als 90 Menschen in einem Atemzug zu nennen – da empfinden wohl die meisten einen deutlichen Widerspruch. Hier sollten wir bei der Formulierung besonders sensibel vorgehen, diesen äußerst unchristlich agierenden Mann eventuell als ‚religiösen Fanatiker‘ bezeichnen oder uns vor allem auf die überwiegend verwendete Einordnung als ‚Rechtsextremisten‘ beschränken.“ I

    http://derstandard.at/1310512111212/Norwegen-ORF-St-Poelten-Attentaeter-nicht-christlich-nennen

    Hier auch ein Kommentar:
    „Christliche Fundamentalisten“ gibt es nicht
    http://www.heise.de/tp/artikel/35/35205/1.html

    1. Man kann es vielleicht so sagen: Mit seinen Ansichten, besonders der, dass Mord in diesem Fall ein legitimes Mittel ist, steht der Mann sicher relativ allein da – auch unter „fundamentalistischen“ Christen. Anders sieht es bei dem Thema Hass auf Muslime oder Panikmache gegenüber dem Islam. Bei letzterer (weniger beim Hass!) stimmen ihm manche durchaus zu. Allerdings auch nur eine Minderheit, denke ich. Seine Selbstdefinition ist jedoch relativ aufschlussreich. Er verwendet „Christ“ nach eigenen Worten in einem kulturellen Sinn. Was auch immer das dann genau bedeuten soll…

  6. Ich finde die Bezeichnung des Fundamentalismus etwas unglücklich.
    Gerade Christen die die Bibel sehr streng nehmen werden dadurch pazifistischer(!)…
    Breivik sieht sich selber nicht als religiös…
    Zitat:
    “Ich will niemandem vormachen, dass ich sehr religiös bin, das wäre eine Lüge. Ich war immer sehr pragmatisch und wurde von meiner säkularen Umwelt beeinflusst. (…) Religion ist eine Krücke für schwache Menschen, und viele umarmen die Religion aus eigennützigen Gründen, weil sie dadurch geistig gestärkt werden.”
    Quelle: http://www.pro-medienmagazin.de/nachrichten.html?&newsaction=detail&newsid=4256

  7. @ Johannes,
    man hofft es.
    Märtyrer im christlichen Kontext bedeutet ja i.d.R.“passiv Leidender“, im islamischen Kontext hingegen meist jemand im „Glaubenskrieg“ (Dschihad) gegen die „Ungläubigen“, der vorher eine ganze Reihe Leute umbrachte, oder es zumindest versucht hat.

  8. allerdings führt es, meiner Ansicht nach, zu gefährlichen Missverständnissen die christliche und islamische Definition eines Märtyrer zu vermischen…
    Das christliche Verständnis definiert es ausschließlich als Leiden für den Glauben.
    Mit dem islamischen Verständnis will KEIN Christ in Verbindung gebracht werden.
    Auch in der Kirchengeschichte (vor allem in der Zeit vor Kaiser Konstantin) waren Märtyrer diejenigen die für Ihren Glauben gelitten haben oder dafür umgebracht worden sind.
    (auf das gotteslästerliche Morden der Katholischen Kirche im Mittelalter gehe ich hierbei nicht ein)

  9. Wer einen Hass hat, kann den begründen mit was er will – auch mit der Bibel wenn es sein muss. Das hat es auch schon immer gegeben z.B. bei Anschlägen auf Abtreibungsärzte.
    Was man natürlich nie wissen wird, was mich aber mal sehr interessieren würde ist, wieviel Gewalt die 10 Gebote in den Jahrhunderten ihrer Wirkungsgeschichte schon verhindert haben. Das wäre mal eine Story wert.

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