Mission und Qualität – geht das?

Vorgestern war ich zu einem Treffen eingeladen, wo wir versucht haben, diese beiden Begriffe zusammenzubringen. Vielleicht war die Runde ein bisschen zu groß, die das Zentrum Mission in der Region da zusammengebracht hatte. Während die offizielle Ergebnissicherung noch aussteht, habe ich beschlossen, hier mal mein persönliches Fazit in ein paar unausgegorenen Thesen festzuhalten:

1. Wesen und Ziel von Mission

Zum Missionsbegriff ist viel geschrieben worden. Ich bevorzuge ein weites, ganzheitliches Verständnis. Mission ist mehr als nur die Predigt des Evangeliums, sondern auch der Dienst am Nächsten und das Eintreten für soziale und ökologische Gerechtigkeit.

Aber selbst in der weitesten Fassung muss man gleichzeitig festhalten: Mission ist nur das, wo sich Kirche und Christen nicht mit sich selbst beschäftigen. Das ist im großkirchlichen Kontext schwer zu definieren, wo Kirchenmitgliedschaft und Getauftsein sich mit sehr unterschiedlicher Nähe und Distanz zum Glauben verbinden.

Mission hat ihr Ziel erst dann wirklich erreicht, wenn Menschen aktiv an dieser Bewegung teilnehmen, die Gottes liebendes und rettendes Handeln an der Welt beschreibt (richtig verstanden führen Taufe und/oder die Erfahrung von „Bekehrung“ zu diesem Ziel). Wollte man über Erfolgskriterien oder Ergebnisqualität nachdenken, so müsste man ansetzen bei Fragen wie:

  • hilft sie Menschen, zum Glauben zu finden und diesen auch selbst wieder weiterzugeben?
  • nehmen die nach außen gerichteten Aktivitäten in einer Gemeinde zu?
  • finden wir Partner in anderen Gruppen (und Glaubensgemeinschaften), mit denen wir soziale und ökologische Anliegen gemeinsam verfolgen?
  • wird unsere Stimme in der Gesellschaft wahrgenommen?

2. Charakter von Mission

Hier geht es, das habe ich gestern gelernt, um die Prozessqualität. Ich hatte vorgeschlagen, sich am biblischen Ethos der Gastfreundschaft zu orientieren. Ganz knapp formuliert hat „gute Mission“ für mich fünf Aspekte; ich versuche, weitgehend positiv zu formulieren:

  1. Die Bereitschaft, selbst zum Fremden zu werden – sich durch die Identifikation mit Christus in eine Distanz zur eigenen (auch und gerade kirchlichen) Kultur führen zu lassen, starre Identitäten erschüttern zu lassen und deren Grenzen zu überschreiten um des Nächsten willen.
  2. Auf den Nächsten, der mir als Fremder begegnet, zuzugehen und ihn mit seinen Bedürfnissen wie mit seinem Reichtum sehen zu lernen
  3. Einen Freiraum (Zeit, Kraft, Aufmerksamkeit) zu schaffen, der frei ist von Erwartungs- und Anpassungsdruck (bzw. von allen Versuchen, andere zu beeindrucken, zu manipulieren oder zu übertrumpfen)
  4. Eine „freundliche Leere“ (H. Nouwen) zu pflegen, indem ich mich selbst zurücknehme und ein echter, ergebnisoffener Dialog und gegenseitiges Lernen möglich wird
  5. das freimütige, fröhliche und unapologetische Bekenntnis des eigenen Glaubens an den dreieinigen Gott bzw. der eigenen Glaubensgeschichte mit Gott im Rahmen der großen Geschichte Gottes mit der Welt.

Hier wird „Qualitätssicherung“ vor allem darin bestehen, auf die Rückmeldungen des jeweiligen Gegenübers zu hören. Darüber hinaus kann man sich selbst fragen (und das am besten von Jahr zu Jahr und dann die Antworten vergleichen):

  • Wo bewegen wir uns als einzelne und gemeinsam über das gewohnte und vertraute Terrain hinaus?
  • Wo gelingt es uns, Distanz zu überwinden und Vorbehalte bei uns selbst und anderen abzubauen?
  • Wie klar ist unsere Vorstellung von unserem Beitrag zum Wohl des Gemeinwesens?
  • Wo lassen wir die Beschäftigung mit eigenen Bedürfnissen und dem eigenen Erfolg bleiben um des anderen willen und pflegen Kontakte?
  • Welche Spannungen nehmen wir dafür in Kauf?
  • Wie kultivieren wir Achtsamkeit und Gelassenheit?
  • Wie ist es um unsere Sprachfähigkeit im Blick auf den Glauben bestellt und welche Formen (Belehrung, Appell, Apologie, Bekenntnis/Zeugnis) bevorzugen wir dabei?

Oft sind hier nur relative Bewertungen möglich: Mehr/weniger (bzw. besser/schlechter) als vor einem Jahr, vor drei Jahren, vor zehn. Die jedoch können enorm sinnvoll und hilfreich sein. Man könnte schließlich auch noch die Frage der Strukturqualität aufwerfen: Aus- und Weiterbildung des Personals, Ausstattung mit Mitteln, angewandte Methoden.

Ich gestehe, dass ich das immer noch mit einem mulmigen Gefühl niederschreibe. Die Ökonomisierung so vieler Bereiche des gesellschaftlichen Lebens droht auch in den Kirchen großen Schaden anzurichten, wenn man nicht sehr umsichtig mit den Begriffen und Methoden des Managements verfährt. Ich rede zum Beispiel viel lieber von „Identität“ als „Marke“ zu sagen. In dieser Hinsicht musste ich mir beim Gespräch öfters auf die Zunge beißen. Die meisten Leute, die ich kenne, sind heilfroh, wenn in ihrer Gemeinde nicht auch noch die ganze Zeit von Effizienzsteigerungen und ähnlichen Dingen die Rede ist.

Kleiner Nachtrag: Mission ist eine Art Liebesaffäre. Kein Wunder, wenn man Hemmungen verspürt, in Herzensangelegenheiten Qualitätskriterien anzulegen.

Share

Zutaten gesunder Gemeinschaft (2): Kompetenzen

Um ausgewogene Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen sich ein gesundes Gemeinschaftsgefühl entwickeln kann, sind ganz unterschiedliche Kompetenzen gefragt. Myers zählt einige auf, ich fasse das kurz zusammen:

  • Im öffentlichen Raum ist die Fähigkeit, auf Fremde zuzugehen und sie einzubeziehen, gefragt. Es geht um gemeinsame Erlebnisse, die Menschen locker verbinden. Das Ganze bleibt einmalig oder episodisch, und den Eventcharakter muss man akzeptieren können wie auch die Spielregeln, nach denen solche Veranstaltungen ablaufen. Humor ist eine wichtige Tugend, der ermöglicht eine angemessene Distanz und signalisiert, dass man keine Bedrohung darstellt. Blickkontakte sind im öffentlichen Raum kurz, Berührungen bleiben in der Regel aus.
  • Im sozialen Raum geht es darum, kleine und möglichst authentische „Schnappschüsse“ von sich selbst mitzuteilen und die Schnappschüsse oder „Blitzlichter“ anderer realistisch einschätzen zu können. Spontane und kurze Interaktion ist gefragt, der klassische Small Talk, und Taktgefühl wird großgeschrieben, ein Gespür für das richtige Maß von Nähe und Distanz. Der Blickkontakt darf etwas länger ausfallen, Berührungen sind bestenfalls kurz und ohne größere Bedeutung. Sich an spielerischen Aktivitäten in der Gruppe zu beteiligen, ist wichtig. Sowohl defensive als auch offensive Verhaltensweisen sind gefragt. Es geht darum, dem anderen ein guter Nachbar bzw. Nächster zu sein.
  • Im persönlichen Raum sollte man Vertraulichkeit wahren können. Hier bekommt man auch Privates erzählt und sollte sich für den anderen auch persönlich interessieren und um die Beziehung kümmern. Oft sind es Gespräche unter vier Augen mit intensiverem Blickkontakt, der jedoch nicht ins Intime wechselt.
  • Im intimen Raum geht es noch mehr darum, wer ich eigentlich bin und nicht mehr so sehr darum, was ich tue. Rollen treten in den Hintergrund, aber ein gutes Gefühl für die eigene Identität mit unseren Eigenarten, Stärken, Schwächen und Grenzen ist wichtig. Blick- und Körperkontakt fallen entsprechend inniger aus als in anderen Beziehungen.

Gruppen in Gemeinden, sagt Myers, sind für die meisten Leute deswegen interessant, weil sie dort Nachbarn und Bekannte suchen. Geht das Gespräch oder der Austausch ins Persönliche, dann wünschen sich manche schon wieder die Knabbersachen und den Plauderton der Ankomm-Phase wieder zurück. Die Wahrscheinlichkeit, dass in einer beliebig zusammengewürfelten Gruppe von acht bis zwölf Leuten jeder die nötigen Kompetenzen mitbringt, die persönliche Beziehungen erfordern, ist nicht sehr hoch. Wenn sich eine Gruppe jedoch in einem größeren Kontext gefunden hat, klappt es eher. Bei sehr intimen Selbstmitteilungen fühlen sich allerdings viele ganz plötzlich sehr unwohl. Statt also Intimität zu betonen, sollte man den Schwerpunkt auf soziale und persönliche Kontakt setzen und darauf vertrauen, dass sich intime Freundschaften dann von selbst entwickeln. Vieles hängt von zwanglosen, im positiven Sinne „unverbindlichen“ Möglichkeiten zum „Andocken“ ab. Zu schematisch und mit einem zu hohen Anspruch an Verbindlichkeit heranzugehen ist eher hinderlich.

Share

Zutaten gesunder Gemeinschaft (1): Die Mischung macht’s

Joseph Myers nennt in The Search To Belong vier Felder, in denen sich gesundes Gemeinschaftsleben entwickelt. Ich habe sie hier kurz angerissen, die Definitionen haben mit Raum und Distanz unterschiedlichen Ausmaßes zu tun. Es gibt nicht die eine Gestalt von Beziehungen, die immer richtig ist.

Es stimmt auch nicht, dass die unterschiedlichen Formen nur Durchgangsstadien auf dem Weg ins Allerheiligste der Intimität sind. Selbst unsere Beziehung zu Gott kennt diese unterschiedlichen Dimensionen. Wir fühlen uns ihm nicht immer gleich nah und vertraut.

Wichtig ist nun, dass unsere Beziehungen in den vier Feldern im richtigen Verhältnis stehen. Myers nennt das die „Gruppenchemie“ und meint damit nicht primär, das, was wir oft im Sinne von Sympathie verstehen. Wir brauchen sehr viele öffentliche Kontakte, viele soziale (einen größeren Bekanntenkreis), einige persönliche (echte Freundschaften) und wenige intime Beziehungen. Aber selbst mit Freunden und Partnern bewegen wir uns immer wieder im öffentlichen Raum und passen unser Verhalten an die (unausgesprochenen) Spielregeln größerer Gruppen an. Von innen nach außen gedacht verdoppelt sich der Personenkreis also mindestens.

Oft pflegen Gemeinden jedoch nur eine oder zwei bestimmte Tonlagen. Neulich erzählte eine engagierte Katholikin, dass sie seit ihrem Umzug in einer neuen Pfarrgemeinde Anschluss gesucht hat und wie irritiert sie war, als sie Stimmen aus der Kerngemeinde hörte, die etwas abschätzig von „Laufkundschaft“ sprachen. Die Anwesenheit „Fremder“ (und jeder Neue ist natürlich erst einmal fremd) wurde als Störung oder Beeinträchtigung einer Gemeinschaft empfunden, die darauf beruhte, dass jeder jeden kannte – die klassische Definition des Social Space.

Myers nennt auch verschiedene Beispiele, in denen Wortwahl und Sprache für eine subtile Ausgrenzung sorgten, weil der Zugang zur Gemeinde, den jemand gerade gewählt hat, dort als minderwertig abqualifiziert wird. In der Regel betrifft das „Besucher“, „Gäste“ und damit alle, die den Weg noch nicht in eine Kleingruppe oder verbindliche Form von Mitarbeit und Mitgliedschaft gefunden haben. Ohne die Bedeutung dieser Dinge zu relativieren – wir müssen trotzdem lernen, dass auch die sporadischen und distanzierten Formen echte Zugehörigkeit ausdrücken können, nicht nur passives Konsumententum (das gibt es leider auch, und ich bin noch etwas ratlos, wie man mit dieser Spannung fertig wird).

Es hat mich auch an ein anderes Erlebnis erinnert: Leute kamen neu zur Gemeinde dazu und suchten nach dem „inneren Kreis“. Oft kannten sie das von früher und unterstellten, dass es da einen informellen Klüngel gibt, der privilegierte Informationen austauscht und die wichtigen Entscheidungen regelt. Folglich musste man möglichst viele enge Kontakte zu den Leuten in den vermeintlichen oder tatsächlichen Schlüsselpositionen knüpfen. Für mich persönlich bedeutete das, dass immer wieder jemand mit der unausgesprochenen Erwartung auf mich zukam, dass wir Freunde werden. Aber erstens ist meine Kapazität begrenzt und zweitens hat die Erwartung mich so unter Druck gebracht, dass ich mich instinktiv zurückzog, weil ich spürte, dass die Enttäuschung programmiert war. Freundschaften brauchen einen weiteren Raum, um sich zu entwickeln: den zwanglosen Bekanntenkreis. Leute, deren Namen ich kenne, aber die ich nicht zu meinem Geburtstag einlade.

Share

Missionalinkarnatorischorganisch…

… das gibt es, ohne den ganzen Jargon, offenbar alles auch in der katholischen Kirche, und zwar unter dem Stichwort „Kleine Christliche Gemeinschaften“. Hier ein paar Statements von der dazugehörigen Website:

In einer Kleinen Christlichen Gemeinschaft verwirklicht sich eine Kirche,

  • in der die wahre Gleichheit und gemeinsame Würde aller Gläubigen konkrete Gestalt gewinnen kann,
  • in der alle Teilnehmenden als Geistträger ernst genommen werden,
  • in der jede und jeder in der Gruppe Leiterin und Leiter sein kann,
  • in der persönliche und soziale Situationen des täglichen Lebens im Licht des Evangeliums gedeutet werden,
  • in der ein herrschaftsfreier Führungsstil angewendet wird.

Eine Kleine Christliche Gemeinschaft (KCG) hat vier Merkmale:

  • Eine konkrete KCG besteht aus Personen, die einen gemeinsamen Lebensraum haben.
  • Eine KCG nimmt die Bedürfnisse und Nöte der Menschen in ihrem Umfeld wahr und entdeckt darin den Anruf Jesu. sie weiß sich gesandt
  • Eine KCG lebt aus der Eucharistie der Pfarrgemeinde und ist so mit der gesamten Kirche verbunden.
  • Eine KCG wächst immer neu aus dem Wort Gottes, das sich ihr besonders im Bibel-Teilen erschließt.

Wenn eine Kleine Christliche Gemeinschaft so lebt, wird das Wort aus dem Johannesevangelium erfahrbar:
„Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ Joh. 1,14

Share

Gemeinschaftsmythen (5) – Entfernungen

Myers‘ Mythos Nummer 5 betrifft die räumliche Nähe. Wenn wir nur alle nahe genug beisammen wohnen würden (am besten in einer großen Kommune…?), wäre alles besser. Und natürlich erleichtert räumliche Nähe vieles und wir sollten uns von Begriffen wie „Nachbarschaft“ nicht vorschnell verabschieden.

Andererseits machen wir in unserer unmittelbaren Umgebung eben auch die Erfahrung von großer Fremdheit und Distanz. Konflikte, die auf engem Raum ausgetragen werden müssen, können sehr anstrengend sein.

Und was Gemeinde angeht, so wundere ich mich immer wieder, wie manche relative weite Wege ganz treu und regelmäßig zurücklegen, während für andere nur ein paar hundert Meter Weg unüberwindlich scheinen, weil sie über den Tellerrand ihrer individuellen Existenz kaum noch hinausschauen.

Share

Gemeinschaftsmythen (4) – Persönlichkeit

Beim oberflächlichen Hinsehen kann das Missverständnis entstehen, sagt Joseph Myers, man müsse einfach ein extrovertierter Mensch sein. Stille und Schüchterne dagegen finden nur schwer Anschluss. Also müssen sie lernen, mehr aus sich heraus zu gehen.

Aber der Schein trügt. Manch ein lebhafter, kontaktfreudiger Mitmensch fühlt sich einsam und hat das Gefühl, nur oberflächlich mit anderen verbunden zu sein. Und mancher Stille hat gute, tiefe Beziehungen – und nicht einmal wenige. Sie fallen nur in größeren Gruppen nicht so auf.

Vor einer Weile bin ich schon einmal auf Richard Sennett zu sprechen gekommen. Hier nochmal ein Zitat zum Dilemma des Gefühls in zwischenmenschlichen Beziehungen. Vielleicht steckt das auch in dem, was Myers hier mit Persönlichkeit beschreibt und dem Empfinden, irgendwie nicht zu passen:

Wenn ich bloß mehr empfinden könnte, oder wenn ich bloß wirklich empfinden könnte, dann könnte ich eine Beziehung zum anderen aufnehmen oder eine »wirkliche« Beziehung zu ihm unterhalten. Aber im Augenblick der Begegnung habe ich jedesmal das Gefühl, nicht genug zu empfinden. Der manifeste Gehalt dieser Verkehrung ist eine Selbstanschuldigung, aber dahinter verbirgt sich das Gefühl, von der Welt im Stich gelassen zu sein.

Sennett kritisiert, dass das Private und Intime das Öffentliche und Gesellschaftliche verdrängt und wir Ereignisse und Beziehungen nur dann als relevant empfinden, wenn sie in uns irgendeine emotionale Resonanz hervorrufen. Wo die ausbleibt, bleiben wir desinteressiert.

Share

Gemeinschaftsmythen (3) – Zweck und Ziele

Der dritte Kurzschluss, dem wir im Hinblick auf Gemeinschaft erliegen können, ist nach Zeit und Verbindlichkeit für Joseph Myers in The Search to Belong mit dem Begriff „purpose“ überschrieben. Da klingt natürlich ein ganzer frommer Industriezweig durch.

Wenn seit den Management-Büchern von Tom Peters in den 80ern statt von Komitees von Visionen, Mission Statements, Aufträgen und Teams die Rede war, brachte das an vielen Stellen deutliche Verbesserungen. Aber selbst eine lohnende gemeinsame Aufgabe garantiert noch keine tiefere Verbindung zwischen Menschen und schafft nicht unbedingt erfüllende Gemeinschaft, manchmal entstehen eben auch nur Zweckbeziehungen.

Share

Gemeinschaftsmythen (2): Verbindlichkeit

Ein zweiter Mythos besteht nach Joseph Myers darin, zu meinen, tiefere Beziehungen seien allein die Folge höherer Verbindlichkeit. Er hält das für eine romantische Idee. Man kann selbst in einer Ehe (sicher das Maximum an Verbindlichkeit) das Gefühl haben, dass der andere meilenweit weg oder auf einmal ganz fremd zu sein scheint. Ganz zu schweigen von anderen Beziehungen, die viele Pflichten, aber wenig Nähe bedeuten.

Wir verwenden Begriffe wie „authentisch“, „tief“ oder „eng“ um zu beschreiben, dass eine Beziehung für uns große Bedeutung hat. Ein enges Verhältnis lässt sich aber vielfach nicht ohne größere Schwierigkeiten und Überforderungen erreichen. Vielleicht ist das auch nicht nötig: Myers beschreibt, wie sich seine Frau jedes Jahr mit anderen trifft, um sich über ihr Hobby, das Teppichknüpfen, auszutauschen. Es gibt keine Kontakte in der Zwischenzeit, sie entscheidet sich meist erst kurzfristig, zu den Treffen zu reisen. Und doch kommt sie erfüllt zurück.

Share

Gemeinschaftsmythen (1): Der Zeitfaktor

Es stand lange auf meiner Wunschliste – seit ein paar Tagen lese ich nun Joseph Myers‘ kleines, aber feines Buch The Search to Belong. Rethinking Intimacy, Community and Small Groups. Myers beginnt mit einem herzhaften Abriss seiner gesammelten Kleingruppenerfahrungen und wendet sich dann erst einmal verschiedene Mythen zu, die rund um das Thema „Gemeinschaft“ und Zugehörigkeit existieren.

Gemeinschaft ist ein Dauerthema in den meisten Gemeinden. Die Bedürfnisse und Erwartungen sind je nach Persönlichkeit und Lebensabschnitt höchst unterschiedlich – was dazu führt, dass es keine Formel gibt, die alle zufrieden stellt, sondern nur eine ständige Suchbewegung, die nie ans Ende kommt.

Der erste Fehlschluss, sagt Myers, besteht in der Gleichsetzung der Qualität von Beziehungen mit der Dauer gemeinsam verbrachter Zeit. In Wirklichkeit können wir jeden Tag Stunden mit Menschen verbringen, ohne eine tiefere Beziehung zu ihnen zu entwickeln. Umgekehrt können wir jemanden treffen und nach dem ersten Gespräch schon das Gefühl haben, sie oder ihn eine Ewigkeit zu kennen. Und wenn man sich dann nach Monaten oder Jahren wieder trifft, ist es genauso.

Solche Erlebnisse tiefer Verbundenheit wecken vielleicht den Wunsch, mehr Zeit mit einander zu haben. Aber umgekehrt greift die Logik eben nicht.

Share

Heute schon reformiert?

Harald Freiberger schreibt in der SZ über den Unsinn vieler Reorganisationen am Beispiel eines Stammtischbruders. Der erduldete

… erst das Säulenmodell, dann die zweidimensionale Matrix, danach die dreidimensionale, eine verschlungene Doppelhelix. Die aber stellte sich als zu kompliziert heraus und war eine Woche später wieder abgeschafft. Man kam zurück auf das Säulenmodell, aber diesmal sollten die einzelnen Säulen durch Querstreben miteinander verzahnt werden. Es war eigentlich eine schöne Zeit. Leider bekam das Unternehmen irgendwann Probleme und musste viele Arbeitsplätze abbauen.

Vielleicht liegt es nur an der Literatur, die ich lese, aber zumindest auf dem Papier finde ich auch eine verwirrende Vielzahl von idealen, zumindest aber favorisierten Gemeindestrukturen, und mit der einen oder anderen Idee habe ich auch schon meine Erfahrungen gesammelt. Aber wie wirken solche Diskussionen auf jemand, der das täglich auf der Arbeit über sich ergehen lässt und sich nichts mehr wünscht, als dass seine Gemeinde eine stabile Oase im Treibsand des Lebens darstellt?

Natürlich lässt sich die Erwartung nicht ganz erfüllen. Viele katholische Gemeinden machen zum Beispiel derzeit schmerzhafte Umstrukturierungen durch, bedingt durch Geld- und Priestermangel. Trotzdem (oder deswegen!) sollten Veränderungsprozesse in Gemeinden anders laufen als Reorganisationen in einer Firma. Und man sollte nicht denselben Fehler machen, nämlich zu glauben, dass das Heil schlicht in der neuen Struktur liegt. Wenn sich die Kultur nicht auch verändert – besser noch: zuvor schon verändert hat – wird es schwierig.

Andererseits brauchen Gemeinden zwar keine Umstürze, vermutlich aber durchaus kontinuierliche Veränderung. Je länger alles am gewohnten Platz war, desto irritierter sind wir, wenn wir es dort nicht mehr finden. Je verknöcherter wir sind, desto leichter brechen wir uns etwas, wenn wir stolpern.

Share

Relativismusrhetorik

Ich kuriere meinen Kirchentagshusten und lese Berichte über die zurückliegenden Tage – diesen etwa: Der Würzburger Bischof Hofmann kritisiert seinen Bamberger Kollegen Schick. Der konnte sich die Lockerung des Pflichtzölibats für Priester vorstellen und hat damit die Mehrheit der Gläubigen auf seiner Seite. Hofmann versucht nun den Konter mit dem folgendem, bestens bekannten Mantra selbstisolierender Hierarchien:

«Aber es kann nicht darauf hinauslaufen, dass Mehrheitsentscheidungen die Frage der Wahrheit beantworten.»

Mir ist noch nicht ganz klar, welche „Wahrheit“ in diesem Fall unter die Räder kommen sollte: Verheiratete Apostel in der Bibel? Der eklatante Priestermangel in unseren Breiten? Das problematische Image der Katholischen Kirche in der Öffentlichkeit? Die individuellen Tragödien, die diese mittelalterliche Regelung verursacht hat?

Es ist wohl – nicht nur unter Katholiken – ein konservativer Reflex, immer das Relativismusgespenst an die Wand zu malen. Am Freitag abend saß ich in der überfüllten Halle B1 und hörte den aufmüpfigen Alten Küng und Moltmann zu. Die warteten nicht mit neuen Thesen auf, machten aber noch einmal engagiert deutlich, dass man das Rad nicht zurückdrehen kann und viele Reformen von der kirchlichen Hierarchie und dem bürokratischen Apparat schon seit Jahrzehnten verschleppt und torpediert werden.

So demütig die Bereitschaft klingt, sich als Minderheitenkirche in einer pluralistischen Gesellschaft einzurichten, so mulmig ist mir bei dem Gefühl, das könne vor allem dem Bedürfnis geschuldet sein, nichts ändern zu müssen.

Share

„Missional“, zum x-ten Mal…

… in diesem Fall schön erklärt von Craig van Gelder, Professor am Luther Seminary, interviewt von Alan Roxburgh. Ich war neulich in einem größeren Treffen und musste mich immer wieder wundern, was Leute unter diesem Ausdruck alles verstehen. Klarstellungen sind nach wie vor nötig, vielleicht hilft ja die weiter:

Craig Van Gelder & Alan Roxburgh – What is Missional Church? from Allelon on Vimeo.

Kürzer, simpler ist Tim Keller in diesem Statement – auch schon ein paar Jahre alt. Gut für den Einstieg, aber natürlich geht es – auch für Keller – noch um mehr.

Share

Uneinsichtig

Otto Hermann Pesch äußert sich zum bevorstehenden ökumenischen Kirchentag erfreulich ungeduldig. Hier ein paar Punkte aus seiner umfangreichen Liste:

Wir sehen nicht mehr ein, dass heute noch eine gegenseitige Zulassung zur Eucharistie, zum Abendmahl aus zwingenden theologischen Gründen ausgeschlossen sein soll.
Wir sehen nicht mehr ein, dass ein Kind aus einer konfessionsverschiedenen-konfessionsverbindenden Ehe, das getreu dem Versprechen des katholischen Partners zur Erstkommunion geführt wird, erleben muss, wie der evangelische Elternteil vom Empfang des Sakraments ausgeschlossen ist.
Wir sehen nicht mehr ein, dass, was immer in der Vergangenheit die Gründe gewesen sein mögen, Frauen nicht zum kirchlichen Amt zugelassen werden dürfen.
Wir sehen nicht mehr ein, dass angesichts all der Zufälle und auch Tragödien, die zur heutigen Gestalt des Papsttums geführt haben, die Anerkennung des päpstlichen Primats in Lehre und Disziplin zur Bedingung für eine neue Einheit der Kirche gemacht werden soll.

(Danke an Yotin Tiewtrakul für den Hinweis auf Facebook!)

Share

Bitte nicht weiterlesen…

… wer gerade einen neuen Namen für seine (alte?) Gemeinde sucht. Nicht, dass ich nicht auch schon versucht gewesen wäre. Aber nun hat Dennis Baker auf Out of Ur 129 hippe Namen zusammengetragen. Nach der Lektüre der süffisanten Kommentare werdet Ihr den alten Namen lieber behalten.

Meine Favoriten:

2. Revolution (Where only senior pastors get beheaded.)

8. enCompass (Wii th-|-nk [outside] the box. We R crAtiVe.)

10. Soma (Our pastor knows Greek.)

12. Rock Harbor (If your life hasn’t run aground yet, we can help.)

26. Paradox (Modernity sucks.)

43. TerraNova (Trekkies for Jesus. Live long and prosper.)

51. Mercy Street (Where Sesame Street characters go for rehab. Cookie Monster has checked in 7 times.)

68. New Life (Same baggage.)

78. 2 Pillars Church (Islam has 5. Christianity is way easier. )

90. NorthPointe (Adding an “e” tells everyone we’re sophisticated. We drink lattes.)

112. Life On The Vine (Even poop is organic.)

121. Axis (For a generation raised to believe the world revolves around them.)

122. Praxis (We adapt whatever Willow does.)

Frage: Was hätten sie wohl zu Kubik geschrieben?

Share

„Eine Generation auf Wanderschaft“

Carol Howard Merritt beschreibt auf Huffington Post, dass Evangelikale in den USA einen gravierenden Traditionsabbruch erleben. Der Zauber der Megachurches versagt bei jungen Leuten, und sie nennt drei Gründe dafür:

  • Sexismus – Leitung ist nahezu ausschließlich Männern vorbehalten
  • Religiöse Intoleranz – Andersgläubige und ihre Überzeugungen werden einseitig negativ wahrgenommen und dargestellt
  • Einseitig konservative Politik – trotz einzelner abweichender Stimmen hat man sich als Bewegung nie von der Religiösen Rechten distanziert, geschweige denn gelöst, Leute wie Pat Robertson genießen Narrenfreiheit

Viele junge Menschen steigen aus, gehen entweder (wie die Autorin) in die „liberaleren“ Mainline Churches oder – und das ist die überwältigende Mehrheit – in gar keine Kirche mehr.

Hier ist das alles zum Glück nicht so extrem. Aber eine gewisse Spannung zwischen den Werten der verschiedenen Generationen ist erkennbar. Vielleicht liegt es ja nicht mal am Alter – es gibt ja auch junge Hardliner, die auf sehr enge Vorstellungen abfahren, und Ältere, die wunderbar progressiv denken. Hoffen wir trotzdem, dass es eine gesunde Spannung bleibt. Und dass alle Wanderer einen guten Platz finden, wo sie ihre Zelte aufschlagen können.

Share