Relativismusrhetorik

Ich kuriere meinen Kirchentagshusten und lese Berichte über die zurückliegenden Tage – diesen etwa: Der Würzburger Bischof Hofmann kritisiert seinen Bamberger Kollegen Schick. Der konnte sich die Lockerung des Pflichtzölibats für Priester vorstellen und hat damit die Mehrheit der Gläubigen auf seiner Seite. Hofmann versucht nun den Konter mit dem folgendem, bestens bekannten Mantra selbstisolierender Hierarchien:

«Aber es kann nicht darauf hinauslaufen, dass Mehrheitsentscheidungen die Frage der Wahrheit beantworten.»

Mir ist noch nicht ganz klar, welche „Wahrheit“ in diesem Fall unter die Räder kommen sollte: Verheiratete Apostel in der Bibel? Der eklatante Priestermangel in unseren Breiten? Das problematische Image der Katholischen Kirche in der Öffentlichkeit? Die individuellen Tragödien, die diese mittelalterliche Regelung verursacht hat?

Es ist wohl – nicht nur unter Katholiken – ein konservativer Reflex, immer das Relativismusgespenst an die Wand zu malen. Am Freitag abend saß ich in der überfüllten Halle B1 und hörte den aufmüpfigen Alten Küng und Moltmann zu. Die warteten nicht mit neuen Thesen auf, machten aber noch einmal engagiert deutlich, dass man das Rad nicht zurückdrehen kann und viele Reformen von der kirchlichen Hierarchie und dem bürokratischen Apparat schon seit Jahrzehnten verschleppt und torpediert werden.

So demütig die Bereitschaft klingt, sich als Minderheitenkirche in einer pluralistischen Gesellschaft einzurichten, so mulmig ist mir bei dem Gefühl, das könne vor allem dem Bedürfnis geschuldet sein, nichts ändern zu müssen.

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4 Antworten auf „Relativismusrhetorik“

  1. Ich habe zunehmend den Eindruck, dass beide Argumente ins Lehre laufen: Weder dass es den meisten gefällt, noch dass es gesellschaftlichen Notwendigkeiten widerstrebt ist doch ein Ausschlusskriterium für Wahrheit. Auch Letzteres nicht.
    Mein Arzt meinte kürzlich, er könne mit der katholischen Kirche nichts mehr anfangen, weil sie sich nicht an die gesellschaftlichen Entwicklungen anpasse. Ich dachte mir nur: Na und? Wer sagt denn, dass die Gesellschaft Recht hat? Auf Alltagslevel ist eine solche Logik ja nachvollziehbar, für den theologischen Diskurs aber doch zu wenig, oder?
    Also: Entweder war der Zölibat als Pflichtinstitution schon immer falsch, oder er ist es auch jetzt nicht, wo es der Gesellschaft antiquiert scheint. Nur das erste zählt m.E. als theologisches Argument.

  2. Meiner Meinung geht es hier doch gar nicht um wahr/falsch, sondern um einfach nur um sinnvoll/hinderlich. Die Elite versucht, das Thema auf die Wahrheitsfrage zu verschieben, um es für den eigenen Kompetenzbereich zu reklamieren. Und zeigt damit, wie eng Wahrheitsfragen und Machtfragen verknüpft sind.

  3. Hmm, aber würde es denn nicht auch zu ihrem Kompetenzbereich gehören, wenn man hier keine Wahrheitsfrage im Hintergrund hätte (was ich mir bei dieser Frage irgendwie einfach schwer vorstellen kann)? Mir scheint es zu einfach, den „anderen“ schnödes Machtinteresse vorzuwerfen; vielleicht ist es, so seltsam es scheint, echte Überzeugung? Kann ich in dieser Frage gar nicht genau sagen, scheint mir aber grundsätzlich wichtig als erste Voraussetzung für eine „dialogische Grundhaltung“ (wie es vermutlich @depone nennen würde).

  4. Klar – in dieser Frage wäre es allerdings an der Hierarchie, eine dialogische Grundhaltung zu entwickeln oder da wo sie entsteht (Schick) nicht zu behindern.

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