Gemeinschaftsmythen (3) – Zweck und Ziele

Der dritte Kurzschluss, dem wir im Hinblick auf Gemeinschaft erliegen können, ist nach Zeit und Verbindlichkeit für Joseph Myers in The Search to Belong mit dem Begriff „purpose“ überschrieben. Da klingt natürlich ein ganzer frommer Industriezweig durch.

Wenn seit den Management-Büchern von Tom Peters in den 80ern statt von Komitees von Visionen, Mission Statements, Aufträgen und Teams die Rede war, brachte das an vielen Stellen deutliche Verbesserungen. Aber selbst eine lohnende gemeinsame Aufgabe garantiert noch keine tiefere Verbindung zwischen Menschen und schafft nicht unbedingt erfüllende Gemeinschaft, manchmal entstehen eben auch nur Zweckbeziehungen.

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11 Antworten auf „Gemeinschaftsmythen (3) – Zweck und Ziele“

  1. Zeit, Verbindlichkeit, Zweck bzw. Ziel – all das sind für mich Bestandteile von Gemeinschaft. Nicht ihre Quantität macht Gemeinschaft aus (je mehr, desto mehr/tiefere Gemeinschaft). Aber ganz ohne sie ist Gemeinschaft nicht möglich. Ich muss mir Zeit mit dem anderen nehmen (wenigstens ein bisschen), ich muss mich verbindlich zeigen (und wenn es nur ist, dass ich klar sagen, wann ich nicht zur Verfügung stehe) und jede Beziehung hat einen Zweck (und wenn es der ist, Gemeinschaft zu erleben). Aber alle diese Zutaten ergeben nicht automatisch gute, tiefe Gemeinschaft. Ich muss bereit sein, mich einzulassen…
    Bin gespannt, ob noch mehr Punkte kommen…
    Grüßle, Tineli

  2. ich kenne den begriff „gemeinschaft“ nur aus dem christlichen umfeld verbunden mit entsprechenden erwartungshaltungen. nach meiner beobachtung schreiben sich christliche gruppen häuftig auf die fahnen, „bessere beziehungen“ oder schlichtweg die „bessere gemeinschaft“ anzubieten. das kann aber bei distanzierter analyse der unterschiedlichen menschlichen bedürfnisse, neigungen und erwartungen nur zu frust führen, was die realität ja auch bestätigt. (ich kenne zumindest aus meiner gemeinde eine menge leute, die enttäuscht sind, weil die gemeinschaft eben nicht so tief/eng/verbindlich etc. ist wie erwünscht.)
    der wunsch nach tiefen beziehungen ist bestimmt etwas urmenschliches, persönlich unterschiedlich ausgeprägt. kann man das thema nicht einfach auf der persönlichen ebene belassen?

    1. @k.arola: Vom Jargon her trifft das bestimmt zu. Aber das Bedürfnis nach guten Beziehungen oder Geborgenheit und Zugehörigkeit ist ja kein spezifisch christliches. Die Kluft zwischen hohem Anspruch und harter Wirklichkeit vielleicht schon eher. Andererseits kann man sich auch kaum um den Punkt drücken, das Neue Testament kehrt die Besonderheit der Beziehungen „in Christus“ einfach zu oft hervor, um das ganze Thema als irrelevant abzuhaken…

  3. @peter: bestimmt ist das thema relevant. aber eben m.e. nicht auf der gruppen-ebene zu lösen. manche menschen finden in einer christlichen gemeinde tiefe beziehungen, andere nicht. „gemeinschaft“ als „verbindung in christus“ ist eben nicht automatisch gleich engere beziehung oder sogar freundschaft (welche stark von der eigenen persönlichkeit geprägt werden); und ich glaube, das war auch nie so gedacht.
    der gemeinschaftsaspekt im sinne einer gemeinsamen zugehörigkeit oder orientierung – nach myers wohl „search to belong“ – wird in der christlichen gemeinschaft doch „von christus“ her geregelt, und in der tat ist der bezug auf jesus manchmal die einzige verbindung, die es unter christen gibt. ich finde das faszinierend; und gleichzeitig irreführend, manchmal auch ärgerlich, wenn christen den „gemeinschaftsaspekt“ so stark betonen, weil das erwartungen nährt, die nur auf der persönlichen ebene erfüllt werden können.

  4. @ Karola. Ja, so ist es! Das geht nur auf persönlicher Ebene; und das zu erkennen, halte ich fast schon für überlebensnotwendig in idealistisch geprägten Gemeinden (die übrigens wohl anstrengender, aber auch spannender sind als anspruchslose…). Allerdings gilt dies vor allem, wenn man „Gemeinschaft“ als emotional-freundschaftliche versteht. Erweitert man den Gemeinschaftsbegriff dagegen um die vielleicht weniger intim-emotionale aber trotzdem sehr wichtige Dimension des Anteilnehmens (Röm 12,13-15), dann ist m.E. auch ein hohes Gemeinschaftsethos tatsächlich am Platz, das in mehr besteht als in gleichen Überzeugungen, nämlich in spürbarer Gemeinschaft. Solange eben „spürbar“ nicht auf die emotional-intime Ebene reduziert wird, sondern das praktisch-öffentliche mit einbezieht. Oder?

  5. Was heißt hier „spürbar“? Wer spürt wann was und warum? Wie geht man mit der Tatsache um, dass verschiedene Leute verschieden empfinden, dass sie zwar die Begriffe „Gemeinschaft“, „Beziehung“, „Freundschaft“, „Verbindlichkeit“ verwenden, dass aber jeder etwas anderes damit verbindet? Es geht ja nicht nur um den „Anspruch“, den wir aneinander haben, sondern auch darum, wie die Begriffe gefüllt werden. Der eine erlebt einen netten, herzlichen Umgangston schon als den Inbegriff der Gemeinschaft, für den anderen mag dieser Ton überhaupt erst die Voraussetzung sein, sich in Richtung Gemeinschaft (was er selbst darunter versteht) vorzuwagen. Dem einen ist ein liebevoller Umgang Ausdruck dessen, was in ihnen ist, dem anderen Ersatz für das, was sie gerne in sich hätten (wie halt bei manchen anderen „Ritualen“ auch. Wie kriegt man einheitliche Definitionen solcher grundlegender Begriffe in Gruppen? Oder wenigstens die Tatsache, dass es unterschiedliche Definitionen gibt und ich nicht unbedingt meine Definition bei anderen voraussetzen kann?

  6. Solange die Gemeinschaft einfach nur ein „sich treffen“ ist, ist alles klar. Da kann ich mit Myers leben und die Hürden niedrig halten, den Anspruch klein und die Erwartungen minimal. Aber was, wenn man was zusammen tun will? Weil sich alle dazu freiwillig entschieden haben und dann doch jeder in der „modernen“ Unverbindlichkeit mal eben schnell seine Freiheiten nimmt. Da guckt dann jeder in die Röhre und die Katze beißt sich in den Schwanz. Myers scheint mir die aktuelle Lage genau und liebevoll zu beschreiben. Dauerhaft hilfreich ist es aber nur wenig, oder?
    Oder ist dieser Anspruch schon wieder zu hoch?

  7. @Achim: Myers will nur weg von den Vereinfachungen. Seine Antworten auf die Frage nach Zugehörigkeit kommen erst noch. Nur so viel: das kann sehr unterschiedlich aussehen.

  8. @Gaby: „Spürbar“ habe ich bewusst abgegrenzt von emotionalen Wahrnehmungen (Nettigkeit, Intimität) und mit Röm 12,13-15 auf die ganz praktisch-tätige Mithilfe bezogen. Auch da wird es natürlich unterschiedliche Erwartungen geben; jedenfalls geht es mir bei dieser Spürbarkeit aber nicht um eine psychologische, sondern ein ganz leiblich-äußerliche.

  9. @Alex: ich habe jetzt ein paar Tage über Römer 12 und Deine Aufteilung in (nach meinen Worten) persönlich-private und geschwisterlich-anteilnehmende Gemeinschaft nachgedacht. Letztere muss über persönliche Prägungen hinaus durch Christus möglich sein – sonst stände das ja nicht so häufig beispielhaft in der Bibel 😉
    Vielleicht ist der Knackpunkt der, dass diese Gemeinschaft durch die Bereitschaft, selbst etwas beizutragen, auch persönlich erfahr- und spürbar wird; und immer dann als mangelhaft oder leer erlebt wird, wenn sie nur von einer Empfänger-Seite her bewertet wird.
    @Gaby: Eine einheitliche Definition dafür, was man erwarten darf, könnte man sich dann evtl. auch sparen, weil man sich vor allem mit dem beschäftigt, was man zu geben bereit ist…

  10. @karola Zustimmung, beim Konsumproblem liegt wohl der Knackpunkt. Und wer könnte sich da nicht an die eigene Nase fassen…

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