Emergent-Nachlese (7): Sub- oder Gegenkultur?

In vielen kritischen, ängstlichen oder polemischen Reaktionen auf das Reizthema Emerging Church wird immer wieder unterstellt, hier finde ein Ausverkauf des Evangeliums an den Zeitgeist statt. Dass das Evangelium (oder das, was wir eben dafür halten) schon längst mit der Moderne verheiratet ist (vgl. den letzten Post) wird in der Regel nicht wahrgenommen.Das Bemühen um ein Verstehen überwiegt die Kritik an der Postmoderne bei vielen, die sich an der emerging conversation beteiligen. Das wird dann sofort als Kritiklosigkeit interpretiert – zu Unrecht. Natürlich geht es auch darum, Gegenkultur und Kontrast zu leben. Aber eben nicht in einer weitgehenden oder gar völligen Verweigerung. Gegenkultur kann man nur mit den Mitteln der jeweiligen Kultur ausdrücken, aber nicht mit den Formen und Begriffen früherer Epochen.Wer das versucht, verwechselt Gegen- mit Subkultur. Davon gibt es auch zahlreiche Varianten, fromme und andere. Hier liegt das Dilemma konservativer Christen: Luther (oder wer immer nun die Ikone der jeweiligen Bewegung ist) hat in seiner Zeit das Richtige getan (ok, es war auch nicht alles gut). Aber wenn wir heute dasselbe sagen, ist es eben nicht dasselbe. Die Welt hat sich verändert. Wer diese Veränderung ignoriert, verfälscht das Evangelium ebenso leicht wie der, der es in der veränderten Kultur auch anders ausdrückt. Aber dem Konservativen ist eben das Neue verdächtig und das Alte vertraut. Biblisch ist diese Logik nicht. Aber sie gehört zur typischen Begleitmusik jeglichen Paradigmenwechsels. Die Vertreter des alten Paradigmas, sagte Max Planck provozierend für seine Disziplin, werden in aller Regel nicht überzeugt, sondern sie sterben aus. Der Mainstream von gestern wird allmählich zur Subkultur.In der Subkultur findet kein gesellschaftlicher Diskurs auf Augenhöhe mehr statt, in dem man sich um Verstehen bemüht, selbst dazu lernt und sich auch selbst in Frage stellen lässt, sondern man will die eigene Meinung bestätigt bekommen (im Namen der “Wahrheit”), andernfalls zieht man sich schmollend, schimpfend oder resigniert zurück. Aus dem von Feinden und Verrätern umzingelten Ghetto werden (ich sag’s jetzt mal frech) nur noch sporadische Ausfälle organisiert, um in die publizistische Bredouille geratenen Seelenverwandten wie Eva Herman beizuspringen.Ich finde, wer kritisiert, sollte auch konstruktive Alternativen aufzeigen. Alles andere ist zu billig.

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Emergent-Nachlese (6): Weltenwanderer

Aus den Referaten und Gesprächen der letzten Woche haben mich noch zwei Gedanken beschäftigt. Eines macht nachdenklich, das andere stimmt hoffnungsvoll. Hier sind sie:

  • Weltweit findet das größte Wachstum der Kirchen da statt, wo Menschen aus einer vormodernen in eine moderne Kultur wechseln – durch Migration, Bildung und/oder technischen Fortschritt. Innerhalb der Kultur der Moderne wachsen die Kirchen kaum, sondern schrumpfen eher moderat. Aber beim Übergang aus der modernen in die postmoderne (postindustrielle, postkoloniale, …) Kultur sieht es anders aus – da existiert praktisch noch gar keine Kirche.
  • Momentan spielt das “Wohlstandsevangelium” eine große Rolle, im Westen wie in Lateinamerika, Afrika und Asien. Aber die Kinder derer, die darauf anspringen, wenden sich vom Glauben der Eltern (hoffentlich nicht auch vom Glauben an Christus) in der Regel wieder ab. Sie durchschauen die falschen Versprechungen und die Oberflächlichkeit dieses “Evangeliums”.

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Emergent-Nachlese (5): Bibel-Pingpong

Dscf1066-2Über Jasons Blog habe ich diesen intelligenten Post von Chris Tilling zum Thema Proof-texting gefunden. Brian McLaren hat am Samstag auf dem Emergent Forum mit der interessanten Beobachtung aufgewartet, dass in Streitfragen oft die Methode, mit einzelnen, isolierten Belegstellen zu arbeiten ein ganz anderes Resultat ergibt (und in der Regel die herrschenden Machtverhältnisse rechtfertigt), während die Argumentation vom großen Bogen der Geschichte Gottes eher befreiende Ansätze hervorbringt. Rob Bell und seine Leute nannten das den redemptive arc.

Mir erging es neulich so mit der Frage nach Frauen in Leitungsfunktionen, Brian spielte auf Sklaverei und Apartheid an, man könnte auch die Todesstrafe und andere Themen an dieser Stelle nennen. Isolierte Textportiönchen lassen sich so organisieren, dass sie den damaligen wie den heutigen – darauf hebt Chris Tilling ab – Kontext verschleiern:

… when they read scripture, it is used to decorate this pre-given, this assumed narrative concerning the meaning of faith, Christ, and the church. This is done even though assumed their social discourse is profoundly unbiblical in its wider concerns and shape. The failure of much conservative evangelical rhetoric is not that they use scripture in their arguments, but that their assumed ‚Christmas tree‘ upon which they often decoratively hang scripture, is in desperate need of reformation

Im übrigen sind die biblischen Aussagen in den meisten Fällen gar nicht auf einen stimmigen Nenner zu bringen. Es wird immer wieder mal ein Vers übrig bleiben, der in eine andere Richtung deutet. Und in manchen Fragen, etwa ob Todesstrafe oder nicht, gibt es nur ein entweder/oder. Ich kann nicht alle Aussagen der Schrift zu einem Thema aufmalen und dann die geometrische Mitte suchen. Ich muss nach der Richtung der Bewegung fragen und manchmal weiter gehen als Paulus & Co.

Wenn also jemand kommt und plump apodiktisch behauptet “die Bibel sagt”, dann stellt sich schon die Frage, was er damit rechtfertigen will. Aber man kann die Freunde des Proof-Texting nicht mit Bibelstellen-Pingpong auskontern. Wenn das ginge, gäbe es auch keine Zeugen Jehovas mehr. Man muss ihre Methode zurückweisen und das Gespräch auf eine andere, biblischere Basis stellen.

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Emergent-Nachlese (4): Die zwei Listen

Ein Schlüsselerlebnis, von dem Brian letzte Woche mehrfach berichtet hat, war eine Freizeit mit Jugendlichen vor gut zwanzig Jahren. Zuerst fragte er die Gruppe nach den Problemen, über die man sich in der Kirche Gedanken macht. All diese Themen schrieb er auf ein Flipchart und hängte es an die Wand: Musikstil im Gottesdienst, Umgang mit bestimmten Geistesgaben, dürfen Frauen predigen, und so weiter.

Dann fragte er nach den Themen, die unsere Gesellschaft beschäftigen: Hunger, Bevölkerungsexplosion, Krieg, ABC-Waffen und einiges mehr. Er hängte diese Liste an die gegenüber liegende Wand. Sie hatte mit der ersten Liste nichts gemeinsam. Die Frage war und ist seither: für welche Liste setzen wir unsere Zeit, Kraft und Talente ein?

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Emergent-Nachlese (1): Der angebissene Apfel

Der hohe Mac-Anteil bei ermergenten Happenings ist verschiedentlich schon aufgefallen. Apples “Think different” ist sicher ein gutes Motto: Hier tummeln sich Early Adopters, der creative fringe, und was einem sonst noch an soziologischen Klassifizierungen einfallen mag.

Mich hat der angebissene Apfel aber auch daran erinnert, dass die Postmoderne ein starkes Gefühl für verlorene Unschuld entwickelt hat. Was die Politik angeht, ist das in Europa vielleicht stärker als in den USA: das Misstrauen gegen unsere Lösungen für die Probleme anderer – vor allem, wenn man das mit Gewalt durchsetzen muss.

Beim Betrachten des NS-Dokuzentrums mit unseren Gästen fiel aber auch auf, wie unsere Sprache und Medien im Zuge der NS-Propaganda ihre Unschuld verloren. Die Slogans der Werbung heute haben es auch nicht leichter gemacht, die wieder zurück zu bekommen, also leben wir seither mit einer Hermeneutik des Verdachts. Das Vietnam-Trauma hat nicht ausgereicht, um die amerikanische Zuversicht, in der Welt gehe es um “Gut gegen Böse und am Ende gewinnen wir” (so sagte das einst Bruce Willis) zu zertrümmern. Und die christliche Variante dieser Weltsicht gibt es leider auch nicht nur in den Staaten.

In der Kommunikationsgesellschaft ist alles schon irgendwo einmal gesagt worden. Wir reden also ständig in Zitaten. Umberto Eco hat darauf hingewiesen, dass der Verlust der Unschuld nur durch Ironie wett gemacht werden kann. Ein Mann möchte einer Frau sagen, dass er sie wahnsinnig liebt. Damit das nicht als abgedroschene Phrase erscheint, sagt er aber: Barbara Cartland würde sagen “Ich liebe dich wahnsinnig”. Wenn die Frau diesen Satz versteht, ist die Liebeserklärung angekommen, aber ohne plump vordergründig zu sein.

An dieser Stelle setzt auch Pete Rollins‘ How (Not) to Speak of God an: Nicht nur ist alles schon gesagt über Gott im Guten wie im Schlechten, sondern unsere Begriffe werden ihm gar nicht gerecht. In dem Augenblick, wo wir Definitionen versuchen, berauben wir Gott seiner Freiheit und schaffen einen Götzen (hier liegt der tiefere Sinn des Bilderverbotes). Weil wir aber nicht aufhören können, von Gott zu reden, muss auch das mit einer gewissen Ironie gegenüber uns selbst geschehen, einem Bewusstsein unserer unzureichenden Möglichkeiten und einem Misstrauen angesichts unserer gemischten Motive und theologischen Machtspielchen.

An all das erinnert der angebissene Apfel mich jeden Tag…

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Zurück aus dem Norden

Die beiden Studientage liegen hinter mir mit vielen Eindrücken, die ich noch gar nicht sortieren konnte. Es gab zwei Pole in den Reaktionen: Die einen wünschten sich möglichst griffige, detaillierte und strukturierte Information, um das Phänomen emerging church einzuordnen. Ein legitimes Bedürfnis, das aber schwer zu erfüllen ist, weil es eine ganz erhebliche Bandbreite gibt, die auch so gewollt ist.

Auf den anderen Seite dann meist jüngere, die ab und zu auch ein bisschen ungeduldig drängen, und sich mit vielem, was schon besteht, schwer tun, weil es ihnen die Freiheit zu experimentieren und Risiken einzugehen nimmt.

Und dazwischen tummeln sich alle möglichen Leute, viele davon froh, einen Ort und Menschen gefunden zu haben, mit denen sie über die Fragen sprechen können, die ihnen auf den Nägeln brennen.

Dsc00730

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Brian-Storming

Nächste Woche kommt Brian McLaren. Ich freue mich darauf, weil er ein unglaublich netter Typ ist und zugleich eine Menge zu sagen hat. Es sagt das mutig und steckt eine Menge an Prügel aus dem fundamentalistischen Lager auf beiden Seiten des Atlantiks ein (obwohl das hier nicht richtig weh tut, weil diese Richtung hier zum Glück gesellschaftlich und kirchlich relativ isoliert ist – wozu also viel Zeit verplempern mit Antworten auf Kritik, die auf einem Niveau daherkommt, das sich selbst dekonstruiert und eigentlich keine Antwort verdient hat?).

Aber mir hängt (gerade was Brian angeht) dieses stereotype “ich-finde-nicht alles-gut-was-er-schreibt” langsam zum Hals heraus. Ich weiß nicht auf wie vielen Blogs ich das nun gelesen habe. Mal ehrlich: Das ist doch nie so, dass man alles gut findet, was ein anderer sagt. Wozu also dieses ständige Herumeiern, diese Angst, mit ihm in einen Topf geworfen zu werden?

Ich finde den Mann gut. Punkt. Werft mich in den Topf, steckt mich in die Schublade. Ich mag mich auch nicht vorab distanzieren, falls er hier oder da etwas sagen sollte, was ich nicht gut finde. Das sage ich ihm dann selber. Er ist ja kein Guru (das unterstellen vor allem die Kritiker, die ihre eigenen Autoritäten noch viel unterwürfiger hofieren), aber eben auch kein geeigneter Watschenmann.

Ich habe den Eindruck, dass viele Christen hier sehr aufgeschlossen sind für die Fragen, die Brian und andere aufwerfen. Nebenbei: Das halte ich für sein größtes Verdienst, dass er gute Fragen stellt. Aber vielleicht sollten wir eines gleich lernen: So zerfurcht, wie die fromme Landschaft aussieht, muss man ein dickes Fell haben und darf sich nicht jede Kritik zu Herzen nehmen.

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Mühsame Definitionen

In den letzten Tagen habe ich etwas in Pete Rollins‘ Buch “How (Not) to Speak of God” gelesen und viele interessante Gedanken entdeckt. Nachdem das emergent forum näher rückt, hat mich dieser Satz noch eine Weile beschäftigt. Vor allem Kritiker wissen viel genauer, was emerging church ist, als die Leute, die sich irgendwie dazu zählen. In diesem Fall haben aber die mehr verstanden, die weniger “wissen” – je “affiner” jemand ist, desto weniger muss also “de-finiert” werden:

Der erste Anlauf, dieses Netzwerk zu verstehen, hinterlässt oft eine gewisse Enttäuschung, weil sich sein kinetisches und dynamisches Wesen nicht einfach auf ein paar theologische Lehren und rituelle Praktiken reduzieren lässt.
Stattdessen haben wir es mit einer vielschichtigen Matrix von Beziehungen zu tun, die unterschiedliche Gemeinschaften verbinden. Schon ein kurzer Überblick über dieses Netzwerk verrät, dass die Beteiligten weder eine bestehende theologische Tradition verbindet, noch der Wunsch, eines Tages eine zu entwickeln.
Der Begriff “emergent” kann also nicht so verstanden werden, dass er ein Werden beschreibt, das eines Tages als etwas Einzelnes, Einheitliches und konfessionell Bestimmtes auf der religiösen Bildfläche erscheint (analog zu einer Raupe, die demnächst ihren Kokon sprengt und als Schmetterling davon fliegt), oder ein Werden, das sorgfältig nachgezeichnet werden kann (wie die Flugbahn einer Gewehrkugel).

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Greifswald-Nachlese: Braucht die Kirche das Picardiat?

Den Abschluss des Symposiums “Kirche in der Postmoderne” bildete Michael Herbsts Referat “Führung und Leitung in der Kirche der Postmoderne”. Den Inhalt hat der emsig tippende DoSi protokolliert. Ich habe weiter über transformationale Führung nachgedacht, die im Gegensatz zur transaktionalen Führung (der simple Tauschhandel Leistung gegen Lohn) darauf gerichtet ist, einen hohen Einsatz (“beyond expectations”) anderer zu bewirken.

Das Paradebeispiel für diese Art zu führen ist Bill Hybels: Er ist Meister des Vision Casting, er bringt seinen Mitarbeitern hohe Wertschätzung entgegen, ermutigt sie durch sein Vorbild, ihre Begabungen einzubringen; er weckt in anderen Anerkennung und Bewunderung, erwartet umgekehrt nicht nur Pflichterfüllung, sondern Exzellenz – und bietet im Gegenzug eine enge persönliche Beziehung, die von anderen als Aufwertung erlebt wird .

Potenziell ist dieser Ansatz jedoch manipulativ, je nach Inhalt der Vision, für die der charismatische Führer (Max Weber – Richard Sennett hat dazu auch einiges zu sagen und ich werde das bei Gelegenheit posten) andere begeistert. Er kann eben auch zu einer kollektiven Infantilisierung führen, weil die Anhänger von ihrem Führer und seiner fremden Wahrheit und Vision (in dem Sinne, dass man sie sich nicht selbständig angeeignet oder sie gar mit gestaltet hat) abhängig werden. Man “kauft” sich sozusagen in die fertige Vision ein. Das kommt vielen natürlich auch sehr entgegen, weil es manches erleichtert. Wir müssen auch so noch genug selbst entscheiden und verantworten.

Auf der Suche nach einer Lösung stellt Michael Herbst im Rückgriff auf Dan Kimball die Captains Kirk und Picard aus Star Trek gegenüber und fragt, wo man (meine, bzw. Kimballs Worte) emerging leadership lernen kann. Ich habe dann angeregt, ein Picardiat (laut lesen, sonst funktioniert der Kalauer nicht) einzurichten. Ob man dazu nach Santa Cruz muss oder demnächst auch nach Greifswald? Es war nicht das einzige Mal, dass bei diesem Symposium auf emerging church Bezug genommen wurde, und der Bezug war in aller Regel positiv.

Zurück zu mir: Picard zu sein ist aber nicht so leicht, wenn man an Kirks Elle gemessen wird. Mir sind spontan ein paar Gespräche aus den letzten Monaten eingefallen, wo ich auf oder zwischen den Zeilen die Erwartung gelesen habe, ich müsse in die Hybels-Rolle schlüpfen (wobei weder Herbst noch Kimball, noch ich selbst Bill Hybels und Captain Kirk in einen Topf werfen würden). Und ich spürte die ganze Zeit, dass ich das aus verschiedenen Gründen nicht konnte: große strahlende Visionen ausspucken, für die andere sich rückhaltlos einsetzen würden und mit mir eine verschworene Gemeinschaft bilden. Zu groß diese Aufgabe, ich wäre dabei nicht authentisch, und der Gedanke, andere könnten sich am Ende manipuliert fühlen, ist schon irgendwie beängstigend. Wenn es also auch anders geht, dann müssen wir das eben nun gemeinsam lernen.

(Apropos Kirk: Heute beim Kaffee mit unseren Freunden Regina und Martin hatten wir es dann aus einem anderen Anlass von der christlichen Sehnsucht nach Helden. Von der Psycho-logik her sind manche geschickt vermarkteten christlichen Stars, deren Bücher und CDs wie warme Semmeln gehen, irgendwie wohl auch das, was für Tante Emma das goldene Blatt mit den Reichen und Schönen ist, nämlich “Auferbauung” – in dem Sinne, dass der fremde Glanz vielleicht irgendwie auf die Konsumenten abfärbt, oder wenigstens ablenkt und die Stimmung hebt.)

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Greifswald – der erste Tag

Fast pünktlich sind wir im Alfried Krupp Wissenschaftskolleg eingetroffen und haben den ersten Tag des Symposiums erlebt – in stilvoller Atmosphäre, aber auch etwas beengt, so dass wir auf dem Boden sitzen mussten.

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Der erste Vortrag kam von Prof. Lamin Sanneh – geboren in Ghana, Studium in England, Professor in Yale. Er erklärte, wie sich der Schwerpunkt der Weltchristenheit innerhalb der letzten 100 Jahre vom Westen weg bewegt hat. Die Missionsbewegung, die generell als Aspekt den europäischen Kolonialismus verstanden wurde, hatte revolutionäre Konsequenzen für die kulturelle Vielfalt in der Welt, weil sie das Evangelium in die jeweilige Sprache und Kultur übersetzte. Einmal in den Händen der Einheimischen, begann das Christentum an vielen Orten schnell zu wachsen – und kommt nun nach Europa zurück durch Einwanderer.

Prof. Andreas Feldtkeller aus Berlin widmete sich vor allem dem Thema Religionsfreiheit, die er durch die missionarischen Religionen gefördert sieht. Genau dadurch, dass sie Menschen vor eine Wahl stellen bzw. dazu einladen, können diese von ihrer Freiheit Gebrauch machen. Die anschließende Diskussion widmete sich für meinen Geschmack zu viel den Statistiken von Kirchenaus- und eintritten (es sind eben viele Pfarrer hier). Und auf die Frage, ob die Säuglingstaufe kompatibel sei mit der Forderung nach Wahlfreiheit “antwortete” Feldtkeller in bester Charismatikermanier mit einer Heilungsgeschichte aus der eigenen Familie.

Das Highlight des Abends war der Vortrag von Heinzpeter Hempelmann über “kenotische Partizipation”. Anhand einiger Texte von Nietzsche, einem der maßgeblichen Vordenker der Postmoderne, förderte er überraschende und auch bewegende Einsichten zutage, wie das Evangelium angesichts einer “Hermeneutik des Verdachts”, die jeden Wahrheitsanspruch von vornherein zum bedrohlichen Machtanspruch erklärt, ausgesagt werden kann.

Doch davon dann demnächst mehr.

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“Pass auf, dass du deinen Glauben nicht verlierst”

Gestern erzählte ein Freund, wie vor Jahren ein junger Mann seine Heimatgemeinde und Kleinstadt verließ, um zu studieren. Seine Heimatbesuche versetzten die halbe Gemeinde in Aufruhr, weil er alle möglichen Fragen und Zweifel äußerte. Vor lauter Angst, er könne “ die Jugend verderben”, wurde er ziemlich unter Druck gesetzt. Das ging natürlich nicht lange gut.

Ich kenne aus eigener Erfahrung den stereotypen Reflex frommer Individuen, wenn sie hören dass jemand Theologie studiert: Pass auf, dass du deinen Glauben nicht verlierst. Ob Theologie oder nicht: Es ist völlig normal, dass man einen Glauben verliert, der davon gelebt hat, dass man sich manche Fragen nicht stellt. Das geht in der subkulturellen Blase der Heimatgemeinde vielleicht eine Weile gut, aber aufgrund der massiven religiösen Pluralisierung unserer Welt auch nicht mehr lange.

Natürlich ist die Kritik in der Theologie hier und da zersetzend über ihr Ziel hinausgeschossen. Aber es waren weniger die Extreme der Ansichten als ihre Vielfalt und die Entdeckung, dass man zu jedem beliebigen Thema ganz unterschiedliche Positionen und Meinungen findet, die neu waren. Und auf genau dasselbe Phänomen unterschiedlichster Auffassungen und Lebensweisen traf wohl auch der eingangs erwähnte Freund meines Freundes in seinem Studium – was immer es war.

Das Thema beschäftigt mich nun schon eine Weile. In einer immer noch pluralistischer werdenden globalen Welt (Peter L. Berger hat das in dem gestern erwähnten Interview schön herausgestellt) “verliert” man seinen Glauben ständig (in dem Sinne, dass er sich wandelt aufgrund der Lebenserfahrung und der Beschäftigung mit anderen Glaubensrichtungen. Man findet ihn aber auch wieder neu, wie viele Theologiestudenten. Traurig ist dann nur die Tatsache, dass der neue Glaube vom “alten” Umfeld nicht mehr als der eigene anerkannt oder gar als Gefahr und Verführung abgewiesen wird. Als wäre jede Form von Zweifel erstens böse und zweitens ansteckend.

Es gibt bei Berger den Begriff des “häretischen Imperativs”. Etwas tiefer gehängt: die vorhandene Pluralität macht im Vorfeld jeder Entscheidung kritisches Denken unausweichlich. Jemand, der mit diesen Veränderungen seines Gottesbildes ringt und dabei auch selbst das beängstigende Gefühl hat, in Glaubensfragen den Boden unter den Füßen zu verlieren, findet in einem zur Selbstkritik unfähigen und zwanghaft homogenen Umfeld keine Hilfe – im Gegenteil, seine Ängste werden verstärkt und bestätigt, so dass am Ende tatsächlich nur ein Bruch möglich erscheint. Denn zurück zu gehen in eine verlorene Naivität würde bedeuten, die eigene Integrität zu opfern – ein hoher Preis.

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Aus der Werkstatt: “Sünde, Kreuz und Bekehrung im Horizont der Postmoderne”

Zu diesem Thema habe ich eine Einladung des Arbeitskreises für evangelikale Missiologie (AfeM) in Januar 2008 bekommen, der über “Mission im postmodernen Europa” tagt. Ein weiteres Zeichen dafür, dass diese Diskussion nun auch in Deutschland angekommen ist. Am Tag darauf referiert Reinhold Scharnowski über Gemeindeformen.

Der Untertitel meines Referats lautet: “Zu den theologischen Inhalten missionarischer Verkündigung im postmodernen Europa”. Es sind ja noch ein paar Monate hin, aber ich habe schon einmal mein Bücherregal durchforstet und noch ein paar neue Titel bestellt. Heute aber geht erst einmal die Frage an Euch:

  • Was sollte in so einem Referat (60 Minuten) unbedingt angesprochen werden?
  • Welche Gedanken haltet ihr für besonders wichtig und relevant?
  • Wo habt Ihr dazu selbst schon referiert und/oder gebloggt?
  • Wo sollte ich nach- und weiterlesen?

Es geht ja um mehr als nur meine persönliche Perspektive. Vorab schon mal vielen Dank an alle! Ein Zwischenergebnis werde ich auf dem Emergent Forum in Erlangen am 1. Dezember vorstellen.

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Scharfe Bilder

Gestern bin ich über Ehrensenf auf diesen Blogpost gestoßen, der den sonst oft so unsichtbaren (oder vertuschten bzw. weichgezeichneten) Kontrast von Armut und Wohlstand ganz scharf abbildet. Das muss man sich einfach mal ein paar Minuten ansehen.

Auf derselben Website ist via Flickr eine Skulptur von Dennis Oppenheim zu sehen, deren Titel Device to root out evil lautet. Es zeigt eine Kirche, die auf dem Kopf steht und mit der Turmspitze in den Boden gerammt ist. Sie wurde anscheinend aus Stanford nach Vancouver verlegt, weil sie bei manchen Betrachtern aneckte:

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Ich kann dem Werk eine Menge abgewinnen. Der Kommentar des Künstlers dazu hat mir gut gefallen:

Turning the church upside down makes it more aggressive, but not blasphemous.

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Die Türe offen halten

Ein Gedanke aus Transforming Spirituality ist mir die letzten Tage noch nachgegangen. Steven Sandage schreibt dort über die Bedingungen für geistliches Wachsen und Reifen. Grundsätzlich spielen Beziehungen darin eine Schlüsselrolle: Das Eingebettetsein in eine Gemeinschaft und der Kontakt zu Vorbildern und Mentoren.

Da spirituelle Reifeprozesse in vielem analog zu den allgemeinen, natürlichen Reifeprozessen verlaufen (alles andere wäre ja auch seltsam…), geschieht es auch hier, dass man sich aus einer Gemeinschaft löst und vieles, was diese Gemeinschaft kennzeichnet, in Frage stellt und über Bord wirft, um sich nach einer Weile vielleicht oder hoffentlich wieder einen neuen Zugang zu finden.

Um Menschen beim Wachsen zu helfen, müssen geistliche Gemeinschaften also lernen, Leute auf Distanz gehen zu lassen. Natürlich ist das manchmal auch schmerzhaft und anstrengend. Die beiden Fehler, die es zu vermeiden gilt, sind Kontrolle auf der einen Seite und es jedem immer Recht machen zu wollen auf der anderen Seite. Der größte Gefallen, den man Menschen tun kann, ist entspannt den Kurs zu halten und ihnen die Distanz zu gönnen, die sie (tatsächlich oder vermeintlich – wer will das beurteilen?) brauchen. Dann entsteht auch die eher seltene Freiheit, eines Tages als ein anderer wieder zurückzukehren.

Ich denke, in unserer Gemeinde haben wir eine ganze Reihe Leute, die sich aus einem kirchlichen Kontext gelöst hatten, der irgendwie nicht mehr passte und vielleicht auch problematisch war. Aber es war Ihnen nicht möglich, dorthin wieder zurückzukehren. Wir haben auch Leute, die sich bei uns einige Zeit ausgeklinkt und verabschiedet hatten, und jetzt wieder dabei sind – gereift und verändert, und in der Regel stabiler als zuvor.

Und natürlich sind ein paar Leute gegangen und nicht wieder gekommen. In dem Fall hoffen wir natürlich auch, dass es ihr Wachstum beflügelt hat und sie anderswo kräftige Wurzeln schlagen. Aber vor allem wünsche ich mir, dass es uns gelingt, die Türen in jeder Richtung offen zu halten, Leute kommen und gehen und wieder kommen zu lassen, und gelassen zu bleiben ohne dabei gleichgültig zu werden.

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