Über Jasons Blog habe ich diesen intelligenten Post von Chris Tilling zum Thema Proof-texting gefunden. Brian McLaren hat am Samstag auf dem Emergent Forum mit der interessanten Beobachtung aufgewartet, dass in Streitfragen oft die Methode, mit einzelnen, isolierten Belegstellen zu arbeiten ein ganz anderes Resultat ergibt (und in der Regel die herrschenden Machtverhältnisse rechtfertigt), während die Argumentation vom großen Bogen der Geschichte Gottes eher befreiende Ansätze hervorbringt. Rob Bell und seine Leute nannten das den redemptive arc.
Mir erging es neulich so mit der Frage nach Frauen in Leitungsfunktionen, Brian spielte auf Sklaverei und Apartheid an, man könnte auch die Todesstrafe und andere Themen an dieser Stelle nennen. Isolierte Textportiönchen lassen sich so organisieren, dass sie den damaligen wie den heutigen – darauf hebt Chris Tilling ab – Kontext verschleiern:
… when they read scripture, it is used to decorate this pre-given, this assumed narrative concerning the meaning of faith, Christ, and the church. This is done even though assumed their social discourse is profoundly unbiblical in its wider concerns and shape. The failure of much conservative evangelical rhetoric is not that they use scripture in their arguments, but that their assumed ‚Christmas tree‘ upon which they often decoratively hang scripture, is in desperate need of reformation
Im übrigen sind die biblischen Aussagen in den meisten Fällen gar nicht auf einen stimmigen Nenner zu bringen. Es wird immer wieder mal ein Vers übrig bleiben, der in eine andere Richtung deutet. Und in manchen Fragen, etwa ob Todesstrafe oder nicht, gibt es nur ein entweder/oder. Ich kann nicht alle Aussagen der Schrift zu einem Thema aufmalen und dann die geometrische Mitte suchen. Ich muss nach der Richtung der Bewegung fragen und manchmal weiter gehen als Paulus & Co.
Wenn also jemand kommt und plump apodiktisch behauptet “die Bibel sagt”, dann stellt sich schon die Frage, was er damit rechtfertigen will. Aber man kann die Freunde des Proof-Texting nicht mit Bibelstellen-Pingpong auskontern. Wenn das ginge, gäbe es auch keine Zeugen Jehovas mehr. Man muss ihre Methode zurückweisen und das Gespräch auf eine andere, biblischere Basis stellen.
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„bibel-pingpong“ war für mich eines deiner übersetzungs-highlights am wochenende. wenn du übersetzt ist es ohnehin eine freude einem gast aus dem ausland (und das gilt auch für jason da england ja nicht europa ist 😉 ) zuzuhören.
um nicht völlig am thema vorbei zu kommentieren möchte ich auch noch meine zustimmung zur angesprochenen thematik ausdrücken 😉
Manfred Oeming ist einer der wenigen Alttestamentler, die ich kenne, die versuchen, eine biblische Theologie aus dieser von die beschriebenen Bewegung heraus zu entwickeln. Das meiste andere, was ich gesehen habe, geht sonst entweder in die Richtung, die Frage nach einer biblischen Theologie als solche überhaupt aufzugeben (zugunsten vieler zersplitterter Theologien einzelner biblischer Autoren, die es ja fraglos auch gibt) oder eben einem Verständnis, das Schwierigkeiten und Brüche im Textbestand von vorneherein leugnet oder die Diskussion zumindest schon für abgeschlossen hält (so z.B. Brevard Childs, von dem Oeming herkommt).
@ Simon:
oh gut zu wissen. Sollte ich mich mal in die Veranstaltung reinsetzen bei ihm. Wobei auch Welker und Theissen interessant wären…
Aber andere Sache: besonders im Umgang mit Kritikern (wenn sie konstruktiv sind!) würde ich vorschlagen, nciht zu schnell auf „Bibel Ping Pong“ zu verweisen und es sich es zu einfach zu machen. Tilling spricht ja davon, dass dieser Proof-texting Vorwurf auch einfach immer dann gestellt werden kann, wenn man sich nicht wirklich mit seinen Schwachstellen auseinandersetzen will.
Wenn jemand bestimmte Aussagen der Emergent Leute kritisiert (gehen wir mal weg von ethsichen Aussagen, da ich es da wirklich nicht immer sinnvoll finde, mit der Bibel zu argumentieren), zeigen seine Bibelstelle ja immer auch auf Lücken von dem Bild des „Großen Ganzen“, das wir haben. Wir geben ja zu, dass unsere Theologie Schwachstellen und Lücken hat. Gerade deshalb müssten wir doch „störende Zwischenrufe“ gut heißen, weil sie uns helfen, ein besseres Bild vom großen und ganzen zu sehen.
Der Ansatz, den Heilsplan Gottes im Blick haben zu wollen und mit dieser Brille auch das Detail zu sehen, kann doch nur die einzig wahre Hermeneutik sein.
Wie sonst würden wir solche Begriffe wie „Lamm Gottes“ oder „Freiheit in Christus“ im NT verstehen können, wenn wir nicht in die Heilsgeschichte schauen würden?
„Bibel-Pingpong“ mag dann nicht nur „sportlich“ sein (es trainiert ja! 🙂 ), sondern letztlich geht es ja nicht ohne das Detail – aber eben mit dem Blick auf das Ganze.
@ Arne: Da musst du mal gucken. In Spezialveranstaltungen habe ich davon nicht so viel bei ihm mitbekommen, eher in Aufsätzen. Die Vorlesungen und Seminare bei Welker waren das Beste, was ich im Studium gemacht habe. Das ist ein toller Kerl, witzig und ungeheuer umfassend informativ und klug im besten Sinne. Gleichzeitig betreibt er leidenschaftlich biblische Theologie und denkt an die Kirche. Meine wärmste Empfehlung!
@ Arne: Die Bibelstellen zeigen nur dann Lücken auf, wenn mein Standpunkt jeder einzelnen Aussage Rechnung tragen muss. Das genau geht aber nicht, weil die einzelnen Sätze nicht harmonisierbar sind. Es wird uns also eine hermeneutische Entscheidung zugemutet, bei der einzelne Aussagen sehr wohl herausfallen. Nehmen wir mal die Prügelstrafe bei Kindern – das kannst Du auch „belegen“, aber im Ernst nicht mehr rechtfertigen…
@ Simon: Welker wäre mal was für eine emergent theological conversation, wie sie die Amis ab und zu machen, oder?
@ Peter: Unbedingt! Der Gute ist auch viel zu wenig bekannt (aber auch viel beschäftigt). Mich kennt er wahrscheinlich nicht mehr, aber Simon Laufer war einer seiner Stipendiaten – da wäre eine Ansprechmöglichkeit, wenn man jemanden sucht, der ihn schon kennt.
Ok auf all die Fragen wie Prügelstrafe, Frauen im Gottesdienst, Skalverei und so passt die Bemerkung Brians recht gut. Ich glaub Scot McKnight hat mal darüber gebloggt und das ganze „hermenutic trajectory“ genannt.
Aber nehmen wir Eschatologie. Wenn unsere Eschatologie mit 2. Petrus 3 nicht zurecht kommt und das irgendwie einordnen kann, haben wir es uns zu einfach gemacht und werden zu recht kritisiert. Ich glaub es kommt darauf an, mit welchen Leuten man im Gespräch ist. Will man interessierte, konservativere Evangelikale zum Nachdenken bringen, sollte man einfach besser irgendwie exegetisch gegründet sein.
@Peter: mal von nem theologisch eher unbeleckten Zeitgenossen ne Frage: Was ist denn dann ne (oder die?) biblische Basis?
@ Arne: Da bin ich nicht einverstanden. Aber Dein Beispiel ist klasse: Es gibt m.E. einen ziemlich klaren Widerspruch zwischen Jesus und Paulus einerseits und 2. Petrus andererseits in der Eschatologie. Kurz: Ich finde, man muss sich auch da entscheiden, wie in der Ethik, was man glauben möchte: Entweder eine Vernichtungseschatologie oder eine der Vollendung. Tertium non datur.
Dem 2. Petr. (dessen Urheberschaft ist in der Wissenschaft recht umstritten, und ich verstehe auch, warum: Würde er fehlen, käme niemand auf solche Gedanken beim Bibellesen! Aber vielleicht ist Petrus ja auch etwas seltsam geworden auf seine alten Tage?) widerspricht praktisch das gesamte Alte Testament. Da fällt die Entscheidung doch nicht schwer. Es sei denn, man interpretiert die apokalyptische Sprache symbolisch. Das ist für mich exegetisch begründet. Konservative Evangelikale werden trotzdem ihre Mühe damit haben, das liegt an ihrem Kontext und dem Liebäugeln mit – bzw. der Unfähigkeit zum Verzicht auf – ein gewaltsam strafendes Gottesbild (für das es zweifellos biblische Belege gibt, aber die müssen m.E. Thema der verantwortlichen theologischen Kritik sein. Dawkins sagt sonst fröhlich Danke). Metaphorisch verstanden (als das radikal Neue) hätte man es integriert, aber nicht so, wie die Fans des Endknalls es gerne hätten…
Aber ist es wirklich etwas anderes zu sagen: „Es steh geschrieben dass…“ und auf einzelne Stellen zu zeigen und zu sagen: „Der große Rahmen ist…“ und auf Verläufe, die man meint zu sehen, zu zeigen?
Ist nicht das große Bild immer nur unser großes Bild?
Unsere Konstruktion davon, was der große Rahmen sein könnte (sicher gestützt durch einige Stellen und angreifbar durch wieder andere)?
Wenn wir immer auch ein Stück auf klassisch evangelikale Theologie reagieren, ist doch die Gefahr, dass wir wiederum konervative Gorillas im Bild übersehen (guter Gedankenanstoß beim Herzton Blog!).
„What your focus is on determines what you miss“ sagt Brian. Da man nicht keinen Fokus haben kann, kan man nie nichts verpassen.
Genau wegen den Überschuß an Bibelstellen, die aus unserem Konstrukt vom großen Rahmen fallen, brauchen wir die anderen.
Wenn wir wirklich um ein ganzheitliches Bild bemüht sind, dürfen eben nicht nur Moltmann und ähnliche unsere Gesprächspartner sein, sondern gerade die, die uns unangenehm sind: Zeugen Jehovahs, geschlossene Brüdergemeinden, klassische Reformierte.
Aber vielleicht gibt es immer zwei Ziele in der Theologie: Theologie für unsere Freunde (aka ‚die Kultur‘) zu treiben, wo wir auch bereit sein müssen, Ballast über Bord zu werden und Theologie zu treiben mit einem Blick dafür, ob wir den Texten gerecht werden.
Hehe, ich wollte schon diverse Mal mit einsteigen, aber Du sprichst mir aus dem Herzen, Arne. Rock on, Bro‘!
Ja, klar – mit dem Risiko leben alle. Mir geht es nur darum: Die Aussagen der Bibel zu den meisten Themen sind nicht 100% hamonisier- und systematisierbar. Anders gesagt: Es bleibt immer irgendwo eine Aussage stehen, die man nicht integriert bekommt. Deswegen braucht es den redemptive arc – den großen Bogen von der Verheißung an Abraham und die Botschaft der Propheten bis hin zu Jesus und dem Evangelium von der Gottesherrschaft und der Neuschöpfung der Welt.
Ganz nebenbei kann auch der Teufel sagen „es steht geschrieben„. Das wäre auch mal einen Post wert: diabolische Schriftauslegung.
Wenn es Christsein in unserer heutigen Kultur geht, ist mir Moltmann oder ein Vertreter der großen christlichen Traditionen (wenn es schon eine Alternative sein muss) lieber als die Bewohner frommer Subkulturen. Ich denke, unter ein bestimmtes menschliches und theologisches Niveau muss man in dem Diskurs nicht unbedingt gehen, egal welche Position damit verbunden ist. Zeugen Jehovas halte ich für völlig ungeeignet. (War das wirklich ernst gemeint, oder stichelst Du da nur ein bisschen?) Da ist man ja kein Gesprächspartner, sondern Missionsobjekt.
Ja das mit dem diabolisch find ich interessant. Auch wenn man die Bibel nicht als monolithes Ganzes nimmt sondern als Buch in dem Konflikte vorkommen, ist sicher interessant- auch wenn mir Bemerkungen über den „alten Petrus“ doch eine Spur zu respektlos wären.
[mir fielen übrigens Wege ein, diese Schriftstelle auch mit einer transformativen Eschatologie zu verbinden. Nämlich da steht die Erde wird vergehen, so wie sie bei der Sintflut verging. Hm die Erde verging damals aber strenggenommen gar nicht. Ich würde sagen: wenn Gott kommt und alles zerstörerische aus der Schöpfung herausnimmt, wird man fieles an der Schöpfung gar nicht mehr wiedererkennen. Das ist was Petrus umschreibt.].
Mit den Zeugen Jehovahs. Hm ich glaub ich mein das ernst. Du wirst lachen oder dir Sorgen machen, aber der Anstoß zur Beschäftigung mit dem Reich Gottes gab bei mir nicht Eldon Ladd oder McLaren sondern ein Traktat der Zeugen Jehovahs. Einer aus meiner Klasse war außerdem einer. Wenn man- was vielleicht auch problematisch ist- mal die Sache mit der Wachturmgesellschaft weglässt und sich nur die Theologie anguckt; könnte es sein, dass man Zugänge zu ihr findet, wenn man sie als eine Theologie mit essentiell jüdischen Sensibilitäten begreift? (strenger Monotheismus, Reich Gottes Zentriertheit,Betonung der Orthopraxis). Man sieht an den Zeugen auch eins gut: Vorstellungen von einem Weltgericht setzen manchmal auch prophetisches Potenzial frei. Die Zeugen sin dschließlich die einzigst religiöse Gruppe, die geschlossen den Nazis widerstand (und auch der Apartheit wenn ich recht informiert bin).
Und Gott verspricht nach der Sintflut, die Schöpfung nicht mehr zu zerstören. Eine unmissverständliche Aussage – die ganze Geschichte läuft auf diesen einen Satz in Gen 8,21 zu: Ich will nicht mehr alles Leben auf der Erde vernichten, wie ich es getan habe.
Aber wer das mit der 2Petrus-Brille liest, kann es nicht mehr verstehen. „So lange die Erde steht“ in Gen 8,22 ist dann plötzlich keine unbedingte Zusage mehr, sondern eine verkappte Drohung. Das stellt die Intention auf den Kopf – so sieht diabolische Auslegung für mich konkret aus.