Bloß nix ändern, es ändert sich eh nix…?

Ich bin wohl nicht der einzige, der den Eindruck hat, so lange die Wirtschaftsdaten halbwegs „stimmen“, interessieren sich nicht besonders viele Menschen für die aktuelle Politik. Vor allem, wenn es um komplizierte Themen geht wie Grundrechte, Europakrise oder Klimaschutz und Energiewende, wo einer Ursache zumindest keine unmittelbar spürbare Wirkung mehr zugeordnet werden kann – und das ist in einer komplexen Welt ja der Normalfall.

Solche Zusammenhänge aufzudecken erfordert also einiges an Denkleistung und Diskussion. Es gäbe also durchaus viel zu besprechen und zu entscheiden. Aber wir sind, so sagt Marc Beise von der SZ, selbstzufrieden und träge. Und die Regierungskoalition fördert das durch die Verweigerung so gut wie jeder inhaltlichen Diskussion, weil sie überzeugt ist, dass sie davon – vom Nichtreden und Nichtdenken – profitiert. Angela Merkel scheint ein Dauerabo der Kanzlerschaft zu besitzen wie Ihr Ziehvater Helmut Kohl, weil auch sie den Eindruck erweckt, eigentlich nichts ändern zu wollen.

Dass das auch spirituell eine mehr als bedenkliche Situation ist, hat Walter Brueggemann im Blick auf das langfristig ruinöse, aber mittelfristig leider erfolgreiche Regierungskonzept des Salomo festgestellt. Es ist ganz offenbar ein Vorläufer der modernen Wohlstandsgesellschaft und ihrer satten Apathie, in der Neoliberalismus zur Notwehr geworden ist:

Das königliche Bewusstsein mit seinem Programm machbarer Sättigung hat unsere Vorstellung von Menschsein umdefiniert, und zwar für uns alle. Es hat ein subjektives Bewusstsein geschaffen, das sich nur um die eigene Befriedigung dreht. Es hat die Legitimität der Tradition geleugnet, die es uns abverlangt, uns zu erinnern, der Autorität, die von uns eine Antwort erwartet, und der Gemeinschaft, die uns zur Anteilnahme ruft. Es hat die Gegenwart so inthronisiert, dass die verheißene Zukunft […] undenkbar ist.

Damals war es die Aufgabe der Propheten, all die störenden Empfindungen ins öffentliche Bewusstsein zurückzubringen, die dort nicht erwünscht waren. Nicht nur einen Politikwechsel herbeizuführen, sondern einen drastischen Bewusstseinswandel, durch die „Praxis öffentlicher Belästigung„, wie Jürgen Habermas das nennt. Und wie die alten Propheten findet auch der frische Worte für Krisen, die andere (so funktioniert „Merkels clever-böses Spiel der Dethematisierung“ eben) nur gelangweilt oder resigniert zur Kenntnis nehmen.

Der Mann ist 84. Wer hat das Format und tritt in seine Fußstapfen?

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