Die Rechte und die Mächte

Der Rechtsruck in Europa beschäftigt die Kommentatoren. Und tatsächlich muss es jeden vernünftig denkenden und geschichtsbewussten Bürger unruhig werden lassen, wenn im Westen Farrage und Le Pen behaupten, alles Unheil komme aus Brüssel, wenn im Osten Orban und die PiS-Partei repressive Mittel gegen Meinungs- und Pressefreiheit einsetzen und wenn jenseits der Grenzen der EU in Russland und der Türkei das politische System immer autoritärer wird. Ganz zu schweigen von der FPÖ, der AfD, Pegida und dem Hass derer, die bei uns (ähnlich wie Trump-Anhänger in den USA) den drohenden sozialen und wirtschaftlichen Absturz fürchten und einen Prügelknaben brauchen – manchmal „nur“ verbal, immer öfter aber ganz handgreiflich. Fortschritt, Liberalisierung und Menschenrechte sind weder Automatismen, noch sind sie unumkehrbar.

Stop Hatin! by Francis Storr, on Flickr
Stop Hatin!“ (CC BY-SA 2.0) by Francis Storr

Die Ursache für diese rasante Eintrübung des gesellschaftlichen Klimas kann man bei den etablierten Parteien suchen, beim globalen Finanzkapitalismus, in vernachlässigten Bildungsystemen, der Empörungsdynamik sozialer Medien, der Entsolidarisierung des Konsumzeitalters. Und man wird vermutlich überall fündig. Ob die Entdeckungen – einzeln oder im Aggregat – das Phänomen hinreichend ausleuchten und Wege zur Bekämpfung der Problematik von Hetze und Angst liefern werden, ist noch die Frage. Historische Parallelen zu rassistischen Denkmustern und Weltbildern, zu Begriffen wie „Lügenpresse“, zur Dämonisierung ethnischer und religiöser Minderheiten und zur Psychologie der NS-Propaganda können vielleicht jene Teile der Gesellschaft sensibilisieren, die in größeren Zusammenhängen denken und Komplexität nicht als Zumutung oder Verschwörung begreifen.

Es waren die rechten Dikaturen in Lateinamerika und die Apartheid in Südafrika, in deren Kontext Walter Wink das Thema der Mächte und Gewalten aufgriff und daraus nicht nur eine Praxis des gewaltfreien Widerstands ableitete, sondern auch eine klare Verhältnisbestimmung von Kirche und politischer Macht (oder besser: Ohnmacht). Mit dem (wie Ludwig Greven in der Zeit schreibt) globalen „Trash-Faschismus“ und seiner „Lizenz zum Hassen“, mit dem rasanten Anstieg rechter Gewalt rücken vergleichbare Verhältnisse auch bei uns deutlich näher.

Winks Theologie der Mächte kann beim Kampf für Frieden, Menschenrechte und eine offene Gesellschaft eine wichtige Seh- und Lebenshilfe sein. Sie sensibilisiert uns für die spirituelle Dimension dieser Ereignisse. Konkret könnte das Folgendes bedeuten:

  • Nicht nur bei einzelnen Menschen, sondern auch bei sozialen Systemen (Staat, Gesellschaft, Institutionen, Konzernen) besteht immer die Gefahr einer Regression in einen parasitären Modus der Existenz (das Eigene auf Kosten des Ganzen) und eine sich ins wahnhafte steigernde Identität, die mythische Verklärung der eigenen Wurzeln, ethnisch-kulturelle Überlegenheits- und Reinheitsphantasien, das Opfern von Sündenböcken – alles, was einen Götzenkult eben so ausmacht. Jedes soziale System kann auf dieses destruktive Verhaltensmuster umschalten (Wink: „The Powers have fallen.“). Diese Muster sind nicht systemfremd, sondern latent vorhanden.
  • Dieses Umschalten ist keine zwangsläufige Sache, es liegt ihm kein sturer Automatismus zugrunde, es kann sich aber sehr wohl so weit verfestigen, dass es kurz- und mittelfristig nicht mehr zu stoppen ist. Das deutet sich in den biblischen Passagen an, wo von „Verstocktheit“ die Rede ist. Auf den anderen Seite gibt es aber auch keinen gesellschaftlichen Reifezustand, der endgültig immun wäre gegen die autoritäre Verführung.
  • In der Auseinandersetzung mit diesen Tendenzen besteht nicht nur die Gefahr der Resignation und des Ausweichens vor der Konfrontation, sondern auch die spiegelbildliche Erwiderung von Hass, Aggression und Verachtung. Davon profitieren die Rechten in aller Regel, weil sie sich am liebsten als Opfer inszenieren, um dann den Mythos der erlösenden Gewalt zu beschwören, die groteskerweise als „Notwehr“ ausgegeben wird. Und Autokraten nutzen sie als Vorwand für Repressionen aller Art, indem sie die Terror-Karte spielen und das Recht aushebeln.
  • Ein Kampf ist sehr wohl nötig, aber anders zu führen. Es geht darum, das geistige Klima zu verändern. Für den einzelnen bedeutet das, immun zu werden gegen die Einschüchterungen und Versuchungen destruktiver Macht – paulinisch ausgedrückt hieße das, „den Mächten zu sterben“: Dem Hass, der Angst, den Vorurteilen, der Suche nach Sündenböcken, der Sehnsucht nach „starken“ Führern. Dieses „Sterben“ schließt auch die Bereitschaft zum Leiden ein. Gewaltfreiheit erfordert mehr, nicht weniger Mut als der bewaffnete Kampf
  • Dazu brauchen wir Basisgemeinschaften, die einen Freiraum zur Entgiftung bieten, in denen Identität anders verstanden und gelebt werden kann, in denen Ohnmachtsgefühle nicht durch Härte kompensiert werden und Energie nicht aus Hass gewonnen wird, sondern aus der lebendigen Gegenwirklichkeit von Gottes herrschaftsfreier Ordnung.
  • Für Täter und Mitläufer stellen solche Gemeinschaften (und nichts anderes sollte die Kirche sein…) sowohl ein Angebot zur Versöhnung und der Hoffnung dar (denn man kann aus dem System aussteigen, ohne ins Bodenlose zu fallen), als auch eine Erinnerung an das Gericht, denn niemand wird dann noch sagen können, es habe keine Alternative gegeben. Eine ähnlich katalytische Wirkung hatte Paulus wohl im Sinn, als er den Korinthern schrieb: „Dank sei Gott, der uns stets im Siegeszug Christi mitführt und durch uns den Duft der Erkenntnis Christi an allen Orten verbreitet. Denn wir sind Christi Wohlgeruch für Gott unter denen, die gerettet werden, wie unter denen, die verloren gehen. Den einen sind wir Todesgeruch, der Tod bringt; den anderen Lebensduft, der Leben verheißt.
  • Schließlich gehört hier noch das prophetische Element hinein: Die Klage über das Leid der Opfer von Hass, Hetze und Gewalt, die Kritik an den skrupellosen Führern und ihren wehleidigen Mitläufern, die Ankündigung des Zerfalls einer auf Unmenschlichkeit gegründeten „Ordnung“ (beziehungsweise einer Gesellschaft im Selbstzerstörungmodus), und die Hoffnung auf eine Erneuerung lebensfreundlicher Verhältnisse für alle.

Wink blieb immer Realist, und wir tun gut daran, uns ihm anzuschließen:

Wir haben nicht den Auftrag, einen neue Gesellschaft zu schaffen; wir sind ja kaum kompetent dazu. Was die Kirche am besten kann, auch wenn sie es viel zu selten tut, ist einem ungerechten System die Legitimation zu nehmen und ein spirituelles Gegenklima zu schaffen.

… Wir „bauen das Reich Gottes“ nicht, wie eine frühere Generation so gern sagte. Uns fehlt schlicht die Kraft, den Mächten eine Veränderung aufzuzwingen. Wir tun treu, was wir können, ohne Illusionen über unsere Aussichten auf direkte Einwirkung. Wir bereiten nur den Boden und säen; die Saat wächst von selbst, Tag und Nacht, bis zur Ernte (Mk 4,26-29). Und Gott – das ist unsere tiefste Überzeugung – wird die Ernte bringen.

Share