Wahnsinnig interessant

Ein ausgesprochen spannender TED-Talk des Journalisten Jon Ronson über Geisteskrankheit, seelische Gesundheit, einseitige Wahrnehmungen, vorschnelle Urteile und die Schwierigkeit, hier überhaupt eine klare Unterscheidung zu treffen.

Wer erst einmal im Verdacht steht, ein Psychopath zu sein, kann eigentlich fast nichts mehr richtig machen. Ist das Fazit zu pessimistisch? Es klingt jedenfalls fast wie ein Kommentar zum Fall Mollath.

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Oster-Giveaway

Der adeo-Verlag hat mir eine große Kiste mit Restexemplaren von Kaum zu fassen geschickt. Es sind mehr als ich in den nächstem Monaten allein verschenken kann, daher darf jeder mithelfen, der möchte. Unsere Aufgabenteilung bei dem Projekt lautete: Autor schreibt, Verlag verkauft. Als ich den Text einreichte, war das Echo vom Lektorat sehr positiv. Beim Cover und Titel habe ich mich nach einer Diskussion und unter Zeitdruck auf den Sachverstand der Profis verlassen. Was nun genau nicht so recht gelungen ist, Inhalt oder Verpackung, das darf jeder Leser selbst entscheiden (und gern die Leseprobe bzw. die Amazon-Rezensionen dazu lesen).

Das Buch ist eine Einladung an denkende Zeitgenossen, sich mit dem christlichen Glauben zu befassen – und für Christen, das Ganze mal wieder neu zu reflektieren. Dran schrieb dazu: „Ein kreativer, unkonventioneller Reisebegleiter in den Glauben. Gut zum Verschenken, aber auch zum eigenen kritischen Weiterdenken!“

Diese Woche haben wir ein paar hundert Stück bei Gott im Berg verschenkt. Zu Karfreitag und Ostern gibt es jeweils ein ganzes Kapitel, insofern bot sich das an. Und weil noch eine große Kiste übrig ist, wird feste weiter verschenkt. Wer mir einen frankierten und adressierten Rückumschlag schickt, bekommt ein Exemplar umsonst. Einzige Bedingung ist, dass Ihr es entweder selber lest oder es an andere verschenkt (oder beides).

Ein Exemplar wiegt 257 Gramm, in eine Büchersendung passen (je nach Gewicht des Umschlags) ein (Groß) oder drei Stück (Maxi). Bitte schickt die Umschläge ins Büro: ELIA, Obere Karlstr. 29, 91045 Erlangen, denn da liegen die Bücher. Ich tüte sie dann ein und schicke sie zurück.

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Verschämt

Eben habe ich eine Bildzeitung gekauft. Streng dienstlich natürlich. Ich muss Buchstaben ausschneiden und aufkleben. Nichts Kriminelles, falls jemand das befürchtet. Wäre ja auch nicht klug, das im Internet zu veröffentlichen.

Doch wie war ich froh, dass es schon dunkel wurde und so kalt war, dass kein Nachbar mich dabei beobachtete, wie ich zu dem Automaten ging und das Machwerk herausholte. Vielleicht könnten man noch braune Papiertüten dazulegen?

Kaum war ich wieder zuhause und hatte die Schere herausgekramt, kam mein Sohn herein und runzelte die Stirn. Was ich mit der Zeitung wolle, und ob das nicht wahnsinnig peinlich sei, hoffentlich hätte mich niemand gesehen. Ich versicherte, die Aktion sei unbemerkt vonstatten gegangen und klebte weiter.

Es gibt Augenblicke, da ahnt man, dass Erziehung und Vorbild doch nicht ganz vergebens waren…

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Tod einer Subkultur?

Schon vor ein paar Monaten fragte Tony Campolo in diesem Blogpost, ob der Evangelikalismus vor der Spaltung stünde. Die Differenzen sieht er in der Frage nach dem sozialen Engagement in der Gesellschaft vs. einer Ausrichtung auf das ewige Heil (und die zu dessen Erlangung nötige Moral!), im strengen oder weniger streng wörtlichen Bibelverständnis, in Fragen der Liturgie und in der unterschiedlichen Haltung zur Politik der republikanischen Partei.

Nun hat Roger Olson in einem ausführlichen Artikel erläutert, dass es die evangelikale Bewegung nicht mehr gibt, nur noch ein evangelikales „Ethos“. Theologisch ist der Dialog zwischen den unterschiedlichen Richtungen, die sich in den letzten 20 Jahren entwickelt haben, praktisch zum Erliegen gekommen. Konkret nennt er

  • die Neofundamentalisten, etwa der Gospel Coalition (dt: Evangelium 21)
  • eine Mittelpartei, deren Sprachrohr Christianity Today ist (das wäre in Deutschland vielleicht „Aufatmen“)
  • und schließlich postkonservative Evangelikale (z.B. Scot McKnight, Frost und Hirsch wären sicher auch in dieser „Schublade“)

Das evangelikale Ethos besteht für Olson – stichwortartig formuliert – aus Bibelfrömmigkeit, Bekehrungsglauben, Kreuzestheologie und sozialem/missionarischem Aktivismus plus einer hohen Achtung der reformatorischen Tradition. Es reicht aber nicht mehr aus, um einheitlich in der Öffentlichkeit aufzutreten oder sonst irgendwie an einem Strang zu ziehen.

Zuletzt hat sich nun Rob Bell zu den Wandlungen und Spannungen geäußert. In einem Interview bei der Grace Cathedral in San Francisco sagte er:

Ich denke, wir sind Zeugen des Todes einer bestimmten Subkultur, die nicht funktioniert. Ich denke, es ist eine sehr enge, politisch verfilzte, kulturell abgeschottete evangelikale Subkultur, der man gesagt hatte „wir verändern das Ding“, aber es kam anders. Und das hat viele Leute abgeschreckt. Und ich denke, wenn man einer Subkultur angehört, die im Sterben liegt, macht man viel mehr Lärm, weil es so weh tut.

Entweder stirbt man, oder man passt sich an. Und wenn man sich anpasst, bedeutet das, dass man sich der Art und Weise stellt, wie wir über Gott geredet haben, und die Menschen eigentlich nicht liebevoller und barmherziger hat werden lassen. Wir haben politische Maßnahmen und Weltbilder gefördert, die in Wahrheit destruktiv sind. Und wir haben das im Namen Gottes getan und müssen uns davon abwenden.

In Deutschland ist die Lage anders und überschaubarer, aber eben nicht völlig anders. Sterbe- und Anpassungsprozesse gibt es auch hier. Wie die jedoch verlaufen, das wird eine spannende Frage sein in den nächsten Jahren.

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Bemerkenswerte Selbstkritik

Vor ein paar Wochen lief Töte zuerst auf Arte und in der ARD. In den letzten Tagen hatte ich zwischendurch Zeit, die Aufnahme in mehreren Etappen anzusehen. Der Film dokumentiert die Geschichte des Schin Bet, Israels Inlandsgeheimdienst, und dessen unbarmherzigen Kampf gegen den Terror – den palästinensischen zumindest, denn militante jüdische Fanatiker wurden vom Parlament nach kurzer Haft begnadigt.

Dabei kommen mehrere ehemalige Chefs zu Wort, die wenig Gutes über die Besatzungspolitik ihres Staates zu sagen haben. Wie klar und reflektiert sie reden, das verdient großen Respekt (erst Recht, wenn man das mit unseren pannen- und skandalgeplagten Verfassungsschützern vergleicht). Hoffnungsvoll klingt keiner von ihnen, aber immerhin wird klar: Es gibt schlicht keine Alternative zu Friedensgesprächen, und man muss mit allen reden, selbst mit dem Iran.

Die derzeitige Führung scheint daran kein großes Interesse zu haben, wie die verhaltenen Reaktionen auf Obamas Werben für den Friedensprozess zeigen. Benjamin Netanjahu soll sich geweigert haben, den Film überhaupt anzuschauen. Am 16. April wird er auf Arte wiederholt, wer ihn noch nicht gesehen hat, sollte unbedingt einschalten oder den Aufnahmeknopf drücken.

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Wenn Schweigen nicht weiter hilft

Und noch eine Gesprächsrunde mit Miroslav Volf in Berlin. Viele spannende Fragen wurden aufgeworfen. Zwischendurch spricht einer aus der Runde die demnächst zu erwartende Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften an und bemerkt, dass viele Christen gar keine Stellung nehmen und dass die wenigen konservativeren Stimmen, die öffentlich sagen, dass sie da nicht mitkönnen, in den Medien heftig Prügel beziehen. Wie sollten sich Christen in dieser Situation verhalten?

Es war nicht die Frage nach der „richtigen“ und der „falschen“ Position, sondern eher das Erschrecken über die Sprachlosigkeit in einer Frage, die gerade ganz Europa (und die USA) bewegt: Kürzlich berichtete SPON, dass laut ARD Deutschlandttrend sogar die Mehrheit der CSU-Anhänger für die „Homo-Ehe“ sei. Die Parteiführung positioniert sich (momentan – das muss man bei Horst Seehofer ja immer einschränkend dazu sagen) jedoch dagegen, mit Rücksicht auf ihre konservativeren Wähler. Wohl um zu verhindern, dass diese an der schwankenden Haltung der Union verzweifeln, hat es CSU-General Dobrindt dann auch gleich wieder in gewohnter Manier krachen lassen. Den Satz mit der „schrillen Minderheit“ hat er wohl beim politischen Aschermittwoch nicht mehr im Manuskript unterbringen können (nebenbei ist eine ganz eigene Problematik dabei in der katholischen Kirchen entstanden, wie dieser Artikel von David Berger bei Zeit Online zeigt).

In der Gruppe ließ sich das Ganze nicht mehr ausdiskutieren, auch nicht die verschiedenen Ausgrenzungstendenzen, die es allerorts befördert. Nachdem unser Oberthema jedoch die Versöhnung war in diesen Tagen habe ich mich gefragt, ob es nicht ein echter Beitrag zur gesellschaftlichen Diskussion wäre, wenn Christen ihre unterschiedlichen Positionen untereinander in aller Offenheit, mit der angemessenen intellektuellen Redlichkeit und Sorgfalt und in versöhnlichem Ton diskutieren könnten, ohne dass der Konservative gleich als „homophob“ betitelt wird und ohne dass der Progressive (ich weiß, die Kategorien sind unbefriedigend) sich anhören muss, er habe die „biblische Wahrheit“ verraten.

Die Differenzen in der Sache werden wir damit ziemlich sicher nicht lösen, aber vielleicht braucht unsere Gesellschaft auch viel dringender ein Modell, wie man Streitfragen respektvoll behandelt, als eine „richtige“ Antwort, mit der man gleich wieder siegesgewiss auf andere losgehen kann? Mehrheitsbeschlüsse sind eine Sache, die andere ist, wie man einen Raum schafft, in dem ein echter Konsens entstehen kann, wenn der bisherige nicht mehr trägt. Und hoffentlich gelingt das dann besser als Dobrindt und Seehofer das in bewährt taktierender good-cop/bad-cop-Manier derzeit vorführen, weil mal wieder Wahlen anstehen.

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Wohltäter und Opfer?

Wir hatten gestern Abend ein interessantes Gespräch in Berlin über die unterschiedlichen Aspekte der „Wiedervereinigung“ und die daraus bis heute resultierenden Spannungen. Irgendwann sagte Miroslav Volf dann, Deutschland und Frankreich seien ja ein Musterbeispiel für nationale Versöhnung, aber lasse sich eigentlich das klassische Muster von Versöhnung – das wir in Marburg zwei Tage lang diskutiert hatten – auf den Osten und Westen Deutschlands anwenden?

Und tatsächlich ist die Situation eine andere. Es gibt keine nahezu ebenbürtigen Feinde, die sich nach vielen Kriegen dauerhaft versöhnen, sondern einen großen Bruder, der dem deutlich kleineren irgendwie aus der Patsche helfen musste und sich nun wundert, das der daran auch noch etwas auszusetzen hat. Es geht nicht um eine Täter-Opfer Beziehung, sondern um eine Wohltäter-Opfer-Beziehung. Die ist ungleich schwerer zu klären, weil der Wohltäter ja subjektiv nur das Beste wollte oder das zumindest gern so sieht und zurückgespiegelt bekommen will.

Aber wir kennen ja alle diese Situationen, wo jemand nur das Beste für uns wollte und uns seine – keineswegs immer passenden – Lösungen für unsere wahren oder auch nur vermeintlichen Probleme übergestülpt hat. Wo es dann aber kaum möglich war, das anzusprechen, weil der Wohltäter dann empört oder zumindest mit Unverständnis reagierte auf diesen Undank. Fast jeder hat schon erlebt, dass jemand ihn mit den besten Absichten vereinnahmt hat. Solche Erfahrungen könnten als Schlüssel für ein Gespräch dienen, in dem die unguten Gefühle unverblümt benannt, die komplementären Rollen kritisch betrachtet werden – und wo man sich allmählich von beidem lösen kann.

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Die Ferne zu den anderen

Die Ferne zu den anderen … wird noch einmal größer, wenn uns klar wird, dass unsere Gestalt den Anderen nicht so erscheint wie den eigenen Augen. Menschen sieht man nicht wie Häuser, Bäume und Steine. Man sieht sie in der Erwartung, ihnen auf bestimmte Weise begegnen zu können und sie dadurch zu einem Stück des eigenen Inneren zu machen. Die Einbildungskraft schneidet sie zurecht, damit sie zu den eigenen Wünschen und Hoffnungen passen, aber auch so, dass sie an ihnen die eigenen Ängste und Vorurteile bestätigen können. Wir gelangen nicht einmal sicher und unvoreingenommen bis zu den äußeren Konturen eines Anderen. Unterwegs wird der Blick abgelenkt und getrübt von all den Wünschen und Phantasmen, die uns zu dem besonderen, unverwechselbaren Menschen machen, der wir sind. Selbst die Außenwelt einer Innenwelt ist noch ein Stück unserer Innenwelt, ganz zu schweigen von dem Gedanken, die wir uns über die fremde Innenwelt machen und die so unsicher und ungefestigt sind, dass sie mehr über uns selbst als über den anderen aussagen.

Pascal Mercier, Nachtzug nach Lissabon, S. 100

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Kirche trifft Zukunft

Unter diesem Motto werden wir vom 12. bis 14. April ein Wochenende lang nachdenken, diskutieren und mit Musik und Mahl (einem richtigen) feiern. Und das nicht einfach nur intern – ELIA wird in diesen Wochen 20 Jahre alt – sondern mit möglichst viele und möglichst vielen unterschiedlichen Christen aus nah und fern.

Ein besonderer Gast an diesem Wochenende ist Paul M. Zulehner aus Wien, den viele von seinen Büchern oder Vorträgen schon kennen. Ich finde seine poetische Sprache, seine theologische Weite und sein Wiener Humor sehr erfrischend, und weiß von vielen, denen das ganz ähnlich geht.

Dazu gibt es Workshops zu spannenden Themen, die einige MitarbeiterInnen aus der Gemeinde machen, aber auch Tobias Fritsche von Lux in Nürnberg. Wer also mal hinter die Kulissen von „Gott im Berg“ schauen möchte, bekommt hier seine Chance.

Den Flyer könnt Ihr hier herunterladen und gern weitergeben.

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Torn (11): Und jetzt?

Justin Lee schließt seine Geschichte mit Gedanken dazu, wie sich das Verhältnis zwischen Homosexuellen un Christen konstruktiv weiterentwickeln lässt. Christen müssen erstens Andersdenkenden weitherziger begegnen. Homosexuelle erleben die meisten Christen immer noch als Menschen, die sie ablehnen oder meiden und alle möglichen Vorurteile pflegen.

Zweitens geht es darum, Christen konstruktiv anzuleiten im Umgang mit Homosexuellen. Dabei ist kaum etwas so wichtig wie das Erzählen der eigenen Geschichte. Wenn sich ein Mensch öffnet und ein anderer ihm zuhört, dann können Ängste und Hemmungen überwunden werden.

Drittens gilt es, den Ansatz der „Ex-Gay“-Bewegung aufzugeben. Hier wird Lee immer wieder gefragt, ob eine solche Arbeit nicht wenigstens einer kleinen Minderheit wirklich nützt und daher unterstütz werden sollte. Manche Christen scheuen davor zurück, von Homosexuellen Enthaltsamkeit zu verlangen, ihre theologische Position lässt aber keinen anderen Spielraum zu, daher erscheint die Aussicht auf eine eventuell erfolgreiche Therapie attraktiv. Auf der Negativseite steht jedoch zu Buche, dass der Ansatz bei den meisten scheitert und auf dem Weg dahin viel Schaden entstehen kann – für die Betroffenen selbst, für ihren Glauben und für die Menschen um sie her. Der Glaube an die Therapierbarkeit hat zudem (auch wenn die unterschiedlichen Ex-Gay-Gruppen ihre Erfolge inzwischen bescheidener darstellen) oft dazu geführt, dass jemand, der nicht an diesen Treffen teilnehmen wollte, sich den Vorwurf gefallen lassen musste, er drücke sich ja nur um den anstrengenden Prozess der Veränderung.

Viertens muss es für Homosexuelle auch in Ordnung sein, zölibatär zu leben und dabei zu seiner Homosexualität zu stehen. Diese Gruppe darf nicht zwischen den anderen Positionen zerrieben werden: Heterosexuelle und Ex-Gays neigen dazu, diesen Weg ebenso mit Argwohn zu betrachten wie Homosexuelle, die sich für eine Partnerschaft entscheiden. Und dann müssten Gemeinden auch aktiv Wege suchen, diese Menschen zu unterstützen (vor allem dann, wenn ihre Theologie keinen Raum bietet für Partnerschaften zwischen Mann und Mann oder Frau und Frau). Zusätzlich wird das noch dadurch erschwert, dass Christen das Alleinleben an sich tendenziell schon als defizitären Zustand begreifen; darunter leiden dann auch viele heterosexuelle Singles, aber die müssen sich wenigstens keine harten Worte wegen ihrer Orientierung anhören.

Fünftens muss der Mythos überwunden werden, die Bibel sei gegen Homosexuelle. In der konservativen kirchlichen Tradition hat sich aufgrund dieser Ansicht die Neigung zu scharfen Abgrenzungen durchgesetzt, während „liberalere“ Zeitgenossen wohlmeinend einwenden, man dürfe die Bibel eben nicht allzu wörtlich nehmen. Da hören die anderen statt „nicht wörtlich“ „nicht ernst nehmen“ heraus und es entsteht wieder der Eindruck, dass „Bibeltreue“ immer irgendwie Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit nach sich zieht. Aber Justin Lee hatte ja schon gezeigt, dass man die Bibel durchaus ernst nehmen und trotzdem Raum für gleichgeschlechtliche Partnerschaften sehen kann.

Es folgen noch zwei weitere Vorschläge, für die brauche ich etwas mehr Platz und Zeit, es wird zu Torn also noch einen letzten Post geben.

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„Missionale“ Kleingruppen – geht das?

In seinem Buch Missional Small Groups geht M. Scott Boren der Frage nach, welche Rolle Kleingruppen in einer Gemeinde spielen, die sich als missional versteht. Es ist weniger die große Theorie, sondern die vielen praxisnahen Ideen und Gedanken, die die Lektüre wertvoll machen. Und man muss etwas Übersetzungsarbeit leisten, nicht nur sprachlich, sondern auch kulturell. Boren setzt mit einer Unterscheidung von vier „Typen“ ein. Wenn Menschen über ihre Kleingruppen berichten, dann hört er vier unterschiedliche Geschichten.

Man trifft erstens auf die Geschichte der persönlichen Verbesserung („personal improvenment“): Das Leben ist ein bisschen leichter, wenn man es mit ein paar Freunden bespricht. Man nimmt an der Gruppe teil, wenn es sich so einrichten lässt, dass alle anderen Lebensrhythmen (Arbeit, Familie, Freizeit) davon nicht betroffen sind. Es tut gut, anderen von sich erzählen zu können und miteinander zum Beispiel auch in der Bibel zu lesen.

Zweitens funktionieren Kleingruppen nach der Geschichte der Anpassung des Lebensstils („lifestyle adjustment“): Die einzelnen haben es zu einer Priorität gemacht, die Vorrang vor anderen Lebensrhythmen bekommt. Also werden Inhalte, Struktur und Verbindlichkeit ganz wichtige Themen, andere Aktivitäten der einzelnen stehen öfter hinten an, um an den Gruppentreffen teilnehmen zu können.

Drittens gibt es die Geschichte der gemeinschaftlichen Umorientierung („relational revision“). Hier ist nicht so sehr die Zeit im Blick, die man in den regelmäßigen Zusammenkünften miteinander verbringt, sondern die Frage, wie man einander unterstützt in der Gestaltung des Alltags, wie man Kontakt hält, für einander da ist und gemeinsam lernt, aus der ständigen Verbindung mit Gott heraus anders zu leben, als wenn man der Eigendynamik der einzelnen Lebensbereiche weitgehend freien Lauf lässt.

Und schließlich ist da noch die Geschichte der missionalen Neugestaltung („missional recreation“), die das Blickfeld noch mehr weitet. Die ist insofern schwierig zu beschreiben, als sich lauter einzigartige Gestalten entwickeln, denn die entscheidende Frage einer solchen Gruppe lautet, wie sie sich in ihrem Umfeld (sei es ein Dorf oder Stadtteil, eine bestimmte „Szene“ o.ä.) sinnvoll engagieren und auf vorhandene Nöte und Bedürfnisse eingehen kann. Je nach Umfeld und je nach Zusammensetzung der Gruppe kommt dann ein ganz anderer Rhythmus heraus.

Boren beschreibt auch gleich die unterschiedlichen Reaktionen auf seine Typologie. Da ist einerseits der verbreitete Wunsch nach „mehr“ und die Enttäuschung, dass sich das bisher so nicht umsetzen ließ. Andererseits ist da die Tendenz, besonders die beiden erstgenannten Selbstverständnisse einer Kleingruppe als defizitär abzulehnen. Drittens ist da das Gefühl der Überforderung: Wenn die Latte so hoch liegt, schaffen wir das nie. Die meisten werden gemischte Gefühle haben. Die gute Nachricht jedoch ist, dass das Umlernen, wenn es denn erwünscht ist, in kleinen Schritten vor sich gehen kann.

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Des Papstes neue Kleider…

Lieber Peter Rollins,

seit dem Apostel Paulus ist es keinem christlichen Theologen mehr gelungen, eine „Narrenrede“ im Stil von 2. Korinther 10 hinzulegen. Paulus, der den von obskuren „Superaposteln“ verwöhnten Korinthern nicht nur paradox den Spiegel vorhält, in dem sie ihre eigene Blasiertheit erkennen konnten, sondern der auch noch den Jargon und die Superlative seiner Kritiker ins Absurde zieht. Und der dreist genug ist, von der äußeren Armseligkeit seiner eigenen Existenz die Verbindung zu leidenden Christus zu ziehen.

Doch jetzt, das muss ich anerkennend sagen, hat Paulus in Dir einen kongenialen Nachfolger gefunden. Und ein paar Zeilen Werbetext reichen dazu aus:

the Idolatry of God event has been carefully curated to provide a stage upon which the most innovative and paradigm shifting evolution in Christian thought and practice can be presented. Calling into question the most basic assumptions concerning faith that are shared by theists and atheists alike a radical form of faith collective will be explored that has the potential of usurping the dying church in its currently existing form.

Einfach genial, wie Du hier die Superlative des frommen Marketing vorführst: Der „innovativste Ansatz überhaupt“, und zwar nicht nur Theologie, sondern auch Praxis. Hoch überlegen, egal ob man der „sterbenden Kirche“ angehört oder schon Atheist ist. Und dann wird auch noch eine feindliche Übernahme der Konkursmasse religiösen und areligiösen Denkens in Aussicht gestellt. Weltherrschaft!

Christen und Atheisten werden ihre Grabenkämpfe aussetzen und auf deine Provokation anspringen. Sie werden Dich als neuen gemeinsamen Feind entdecken, ihre Differenzen begraben und vereint gegen Dich antreten. Und damit wird Dir gelingen, was seit 200 Jahren oder mehr nicht möglich war, nämlich Frieden zu schaffen in einer ganz neuen Dimension.

Denn Dein Ziel ist es ja gar nicht, sie zu überwinden oder zu widerlegen – zumal Dein Cocktail aus zusammengewürfelten Paradoxien von Johannes vom Kreuz, Heidegger/Bultmann, frühem Barth und Zizek alles ja andere als bahnrechend neu ist – sondern sie mit der Aussicht auf einen leichten Sieg im theologischen Boxkampf zum Übermut zu verleiten und dazu zu bringen, am Ende über ihre eigenen Füße zu stolpern – Dekonstruktion im wahrsten Sinn des Wortes. Argumentativ ist den Taschenspielertricks, mit denen Du Glauben und Unglauben ständig vertauschst, ja gar nicht beizukommen. Wer es versucht, hat schon verloren, weil Du Dich im entscheidenden Moment in ein unscharfes „Kollektiv“ verwandelst, dessen Position unbestimmbar ist.

Und schließlich führt das Hypermarketing für Euren Event in Belfast die Superlativrhetorik des frommen Kommerzes und Konferenztourismus souverän vor. Wenn die ganz Unentwegten dann im April bei Euch auf der Matte stehen, werden sie nichts anderes sehen, als ein paar nachdenkliche Leute, die sich redlich mühen, das mit Jesus irgendwie zu kapieren und praktisch umgesetzt zu bekommen, und die dabei irren und scheitern. Sie werden sehen, dass sie das dort, wo sie sind und leben, auch ganz leicht schaffen, gern dahin zurückkehren und sich zusammen mit anderen unspektakulären Leuten fragen, was es wohl bedeutet, Gott und ihren Nächsten zu lieben. Denn wer genau hinsieht, erkennt in Dir trotz der theatralischen Pose des Besserzweiflers den weinenden Propheten, der die „sterbende Kirche“ liebt und ihre Auferweckung ersehnt.

Daher suggeriert das Projekt „Pyrotheology“ ein rauschendes Feuerwerk, das in Wirklichkeit aus einem einzigen Knallfrosch besteht – aber wir beide wissen ja auch: Schon ein Knallfrosch reicht aus, dass jemandem, der hoch zu Ross daherkommt, der theologische Gaul durchgeht. Und wenn darnach einem solchen schmerzhaften Sturz alle demütig und rechtschaffen ernüchtert über sich selbst begriffen haben, dass sie nur da stark sind, wo sie zu ihrer Schwäche stehen und sich gegen allen Augenschein an Gott halten, dann ist das Ziel erreicht und die Evolution 1950 Jahre nach Paulus ans Ziel gekommen. Gott sei Dank! Das neue Zeitalter ist angebrochen, Phönix emergiert aus der Asche toter Tradition und die widersprüchliche Widerspruchsfreiheit bisheriger Inkarnationen des Glaubens weicht einer widerspruchslosen Widersprüchlichkeit, der sich niemand mehr entziehen kann. Halleluja.

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Das Glücksdilemma

DSC03040.jpgDie meisten Leute, die ich kenne, schenken gern. Dabei ist es zweitrangig, was man verschenkt. Wichtig ist, dass man es tut. Viele Geschenke weisen über sich hinaus und machen eine Aussage über die Beziehung zwischen den beteiligten Personen. Anders gesagt: sie sind kleine Zeichen der Liebe zwischen Menschen.

Der Zauber des Geschenks liegt in der Freiheit, aus der es kommt. Wenn jemand einen Anspruch oder gar eine Forderung erhebt, oder wenn Gewohnheit die Freiheit in Selbstverständlichkeit verwandelt, dann verliert ein Geschenk seinen Wert, dann wird aus dem Schenken ein Tausch, mit dem man eine Verstimmung zu verhindern hat oder Klagen zuvorkommen muss.

So weit die Theorie. In der Praxis gibt es sehr unterschiedliche Bedürfnisse zwischen Menschen. Und da wird es gar nicht so leicht, zu den eigenen Bedürfnissen zu stehen und zugleich dem anderen den Raum für Geschenke zu lassen. Beziehungsweise auch das als Geschenk zu erkennen, was das eigene Bedürfnis nicht gleich schon übererfüllt (sofern das überhaupt möglich ist), sondern vielleicht nur ansatzweise deckt.

Ich finde mich selbst mal auf dieser und mal auf jeder Seite dieses Glücksdilemmas wieder. Aber wenn das Kunststück gelingt, so weit Distanz zu sich selbst zu gewinnen, dass man dem anderen den Raum zum Schenken lässt, erlebt er sich nicht mehr als minderbemittelter Tauschpartner, sondern als jemand, der kompetent ist in Sachen Liebe. Und die Lust zum Schenken nimmt zu mit diesem Erfolgserlebnis, während sie mit jedem ungeduldigen „endlich hast Du’s begriffen“ oder „wieder nicht genug“ schwindet. Umgekehrt muss ein Zutrauen da sein, dass der andere gerne schenken würde, um die Forderungen zurückzunehmen, die es ihm unmöglich machen.

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„Liebe den Sünder, hasse die Sünde“

… ich dachte, „liebe den Sünder, hasse die Sünde“ sei die perfekte Zusammenfassung christlicher Gnade inmitten von Uneinigkeit. Heute stößt es mir auf, wenn ich höre, wie Leute das sagen.

Im Grunde ist es ja wahr. Aber „liebe den Sünder, hasse die Sünde“ fühlt sich recht unterschiedlich an, je nachdem, auf welcher Seite des Tisches man sitzt. Für den, der „liebt“, klingt das großherzig: Obwohl dieser Mensch ein Sünder ist, werde ich ihn mit Liebe und Barmherzigkeit behandeln!“

Aber wenn das jemand über dich sagt, fühlt es sich nicht mehr so großzügig an. Ja, ich weiß, ich bin ein Sünder, wie wir alle, aber der Satz hat etwas Herablassendes und Entmenschlichendes, als wäre ich jetzt „der Sünder“ statt der Freund oder Nächste des anderen, und als wäre mich zu „lieben“ nun das neue Projekt, das er eher aus einem Pflichtgefühl Gott gegenüber auf sich nimmt als deswegen, weil ihm daran liegt, dass es mir gutgeht.

Justin Lee, Torn. Rescuing the Gospel from the Gays-vs.-Christians Debate, S. 227

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Weisheit der Woche: Geduld

Warten ist eine Form der Demut, während sich im Vorwärtsdrang unsere Selbstsucht und Arroganz ausdrückt. Der Rastlosigkeit unserer Seelen wird nicht abgeholfen dadurch, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Warten wenigstens als unnötige Zumutung erscheint, oder gar als Verletzung der Menschenrechte…

Wenn wir in der Lage sind, uns zu entspannen und unseren Zugriff auf die Zeit zu lockern, dann wird sie unser sanfter Begleiter sein statt unser ständiger Feind. Wir entdecken, dass wir die Zeit verstreichen lassen können ohne darunter zu leiden, dass wir sie „verloren“ haben.

Mike Riddell, The Sacred Journey

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