„Liebe den Sünder, hasse die Sünde“

… ich dachte, „liebe den Sünder, hasse die Sünde“ sei die perfekte Zusammenfassung christlicher Gnade inmitten von Uneinigkeit. Heute stößt es mir auf, wenn ich höre, wie Leute das sagen.

Im Grunde ist es ja wahr. Aber „liebe den Sünder, hasse die Sünde“ fühlt sich recht unterschiedlich an, je nachdem, auf welcher Seite des Tisches man sitzt. Für den, der „liebt“, klingt das großherzig: Obwohl dieser Mensch ein Sünder ist, werde ich ihn mit Liebe und Barmherzigkeit behandeln!“

Aber wenn das jemand über dich sagt, fühlt es sich nicht mehr so großzügig an. Ja, ich weiß, ich bin ein Sünder, wie wir alle, aber der Satz hat etwas Herablassendes und Entmenschlichendes, als wäre ich jetzt „der Sünder“ statt der Freund oder Nächste des anderen, und als wäre mich zu „lieben“ nun das neue Projekt, das er eher aus einem Pflichtgefühl Gott gegenüber auf sich nimmt als deswegen, weil ihm daran liegt, dass es mir gutgeht.

Justin Lee, Torn. Rescuing the Gospel from the Gays-vs.-Christians Debate, S. 227

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35 Antworten auf „„Liebe den Sünder, hasse die Sünde““

  1. Danke für dieses Zitat! Hier ein kleiner Auszug zum Thema aus unserem in Kürze erscheinenden Buch „Aufmachen. Wie wir heute Kirche von morgen werden“:

    „Es ist einfach zu SAGEN, dass man zwischen der Sünde und dem Sünder unterscheidet – in der Praxis ist das sehr schwierig!

    Das heißt: In jeder Kultur, in jeder Gesellschaft müssen wir Christen uns immer wieder danach fragen, ob unsere Werte und unsere soziale Organisation, unsere Musik, unsere Liturgie, und unser alltägliches Verhalten dem Evangelium von Jesus Christus entsprechen.

    Gleichzeitig müssen wir uns fragen, ob unsere Werte und unsere soziale Organisation, unsere Musik, unsere Liturgie, und unser alltägliches Verhalten das Evangelium von Jesus Christus so widerspiegeln, dass die Menschen um uns herum seine Liebe zu und seine Sehnsucht nach ihnen erkennen können.“

  2. Vielleicht ist der beste Beweis, dass jemand tatsächlich zwischen Sünder und Sünde, also Tat und Person, unterscheiden kann, der, dass er den Sünder gerade nicht als Sünder bezeichnet – vor allem nicht gegenüber Dritten, die sich im Blick auf den Betroffenen als „Gerechte“ betrachten.

  3. Die Formulierung ergibt eigentlich nur Sinn im Zusammenhang mit Gottes Liebe zu uns Sündern. Und vielleicht kommt sie auch ursprünglich aus dem Zusammenhang (das herauszufinden wäre mal ein schönes Forschungsprojekt.)
    Als Erklärung, warum Jesus für unsere Sünde starb, sind „Gott liebt den Sünder, aber hasst die Sünde“ vielleicht unvollständig, aber stimmig.
    In dem Moment, wo es zum Maßstab für zwischenmenschliches Verhalten wird, besteht die Möglichkeit, die Menschheit in Sünder und Nichtsünder einzuteilen und „Sünder“ immer nur im andern zu sehen. Das ist freilich nicht zwingend.
    Ob für die übrigen Nichtsünder dann auch das „so ist Christus vergeblich gestorben“ aus Gal. 2,21 gelten würde?

    (Belege bei GoogleBooks haben als ältestes die Formulierung als ethische Anweisung. Aber das ist noch kein Forschungsergebnis.)

  4. Den Spruch auf Gott und seine Liebe zu übertragen, macht die Sache aus meiner Sicht nicht besser. Denn auch da schwingt die von Lee kritisierte Herablassung ja deutlich mit hinein. Für mich hat diese Aussage ein ähnliches Ungleichgewicht wie: „Eigentlich solltest Du in der Hölle schmoren, aber irgendwie muss ich Dich doch mögen.“

  5. Die Gefahr ist auch da nicht gebannt, das stimmt.
    Allerdings kann ich Gottes Herablassung eher ertragen als die anderer Menschen, weil er ja nicht von Natur aus auf Augenhöhe mit mir ist. Und zum anderen lässt sich da leichter festhalten, dass wir alle Sünder sind, ich davon also nicht ausgenommen bin. Und das „eigentlich solltest du in der Hölle schmoren, aber Gott hat sich deiner ganz unverdient erbarmt“ hat ja auf die gesamte Menschheit bezogen durchaus eine lange Tradition in der Theologiegeschichte.
    Ein Ungleichgewicht zwischen Gott und uns allen Menschen ist m.E. theologisch eher vertretbar als eins zwischen Menschen.

    1. Ich habe mir gestern mal den Spaß gemacht, alle 173 Vorkommen von „Sünde“ im NT durchzusehen. Über ein Viertel der Erwähnungen findet sich interessanterweise im Römerbrief, Römer und Hebräer zusammen machen 42% aus. In den synoptischen Evangelien ist der Begriff erstaunlich selten und wird sehr häufig in einem Satz mit „Vergebung“ erwähnt. Von „Hass“ ist nur in Joh 15,24 die Rede, aber es ist nicht der Hass auf die Sünde, der da beschrieben wird, sondern die Sünde als Hass auf Gott. Nirgendwo gibt es eine Aufforderung, die Sünde zu hassen (nicht mal die eigene…).

      Ein Christentum, das den Römerbrief zum Angelpunkt der Schriftauslegung und Theologie macht, wird also sehr viel häufiger von „Sünde“ reden als eines, das sich auf die (synoptischen) Evangelien stützt. Man sollte aber sehen, dass der Römerbrief in dieser Hinsicht atypisch ist für das NT. Sprich: In manchen Traditionen ist Sünde vielleicht überbewertet.

  6. Nichts gegen das Ungleichgewicht zwischen Gott und uns. Aber ich glaube nicht, dass Gott uns mit dieser Sicht gegenübertritt. Und dass wir Sünder sind, ist aus Gottes Sicht – so wie ich sie verstehe – auch keine herablassende Aussage nach dem Motto „wie blöd kann man sein …“; es geht doch darum, dass Neues möglich wird – Aufbruch aus lebensfeindlichen Strukturen. Insofern verstehe ich da dann den Dialog zwischen Gott und uns als „auf Augenhöhe“, auch wenn wir das rein faktisch nicht sind.

  7. „Sünde vielleicht überbewertet“:

    Das finde ich eine sehr gute Nachricht. Für einen selbst, aber gerade auch für das Miteinander. Denn davon sind wir bzw. ist Justin Lee ja ausgegangen.

  8. Dieser Ausspruch scheint ja gerade sehr „in“ zu sein in der EC, jeder Blog scheint gerade etwas dazu schreiben zu müssen (und alle gehen in genau die gleiche Richtung).

    Ich verstehe den Ausspruch aber irgendwie anders.

    „Liebe den Sünder, hasse die Sünde“
    Erstens sind wir alle, ohne Ausnahme, Sünder, deswegen hat das nichts Überhebliches oder Herablassendes für mich, denn ich bin genauso gemeint! Dieser Satz ist ein Aufruf, alle Menschen zu lieben und für sie da zu sein. Und das ist etwas sehr Positives. Es führt außerdem dazu, dass ich alle Menschen vorbehaltlos annehmen kann. Und ich hoffe, dass wir alle uns von der Sünde fernhalten wollen, denn Sünde ist nicht gut und ist niemals etwas Positives. Also kann ich Sünde nicht lieben. Das ist der zweite Teil. Liebe deine Mitmenschen, aber lass dich nicht in Sünde hineinziehen, nimm nicht alles an.

    Banales Beispiel: Wir sollen auch einen Neonazi lieben und ihn vorbehaltlos annehmen, aber das heißt nicht, dass wir seine Taten (was weiß ich, Pöbeln gegen die Ausländerin im Bus, etc. etc.) akzeptieren oder ignorieren. Da müssen wir klar Stellung beziehen und das klar ablehnen (das Wort „Hass“ wird heute eher ungern benutzt, das scheint für viele nicht zur Liebe Gottes zu passen).

    So verstehe ich diesen Ausspruch.

  9. Ich denke das Problem bei dem Satz ist, dass er oft in einem Zusammenhang gebracht wird, in dem eine bestimmte Sünde (z.B. Homosexualität) als schlimmer als andere Sünden angesehen wird.

    Sicher gibt es in Gottes Augen leichte und schwere Sünden, nur wenn ich z.B. Lk 12,47-48 lese, dann komme ich zu dem Schluss, dass Gottes Bewertung anders aussieht als mein Urteil, da ich nicht ins „Herz“ schauen kann.

    Dieser Satz hat seinen Platz in der Ermahnung von Leuten, denen es schwer fällt, bestimmte Leute zu lieben – und *nicht* in Gespräch mit Sündern, die letztlich immer Mit-Sünder sind.

  10. „Dieser Satz hat seinen Platz in der Ermahnung von Leuten, denen es schwer fällt, bestimmte Leute zu lieben – und *nicht* in Gespräch mit Sündern, die letztlich immer Mit-Sünder sind.“

    Das trifft es sehr gut! Alles hat zwei Seiten! Der eine braucht Ermahnung, dass er auch den lieben sollte, der ihm vielleicht schlimmes Unrecht getan hat, der andere braucht Ermahnung, sich nicht hineinziehen zu lassen in die Sündes des vielleicht uneinsichtigen Sünders.

  11. Die Sünde hassen, aber den Sünder lieben.

    Der Satz ist doch schlicht und einfach krank, völlig schizophren!

    Meist aus der Sicht der Gerechten – Selbstgerechten ausgestossen, stösst er Menschen ab.

    Und das ist nicht der Sinn der Botschaft. Die ist nicht verletzend, sie ist heilend; und dieser Satz verletzt, er kränkt nicht die „Sünde“ er kränkt den Menschen.

    Stellen Sie sich eine Ehefrau vor, die zu ihrem Mann sagt: Ich liebe dich, aber ich hasse, was du mit mir tust. Die Ehe ist am Ende; aus und vorbei.

  12. @F.M., dieser Satz ist m.E. nicht für das Gespräch mit einem Sünder gedacht, um ihm womöglich zu erklären, dass ich ihn liebe, aber sein Tun hasse… Das wäre völlig kontraproduktiv und würde ihn kränken und vor den Kopf stoßen, sicher.

    Wie schon gesagt: Eine Erinnerung, dass ich meinen Mitmenschen liebe und annehme, so wie er ist – aber ohne die Sünde zu tolerieren / zu ignorieren oder mich gar mit reinziehen zu lassen. Ein Beispiel hatte ich ja schon genannt.

    Deine heftige Reaktion kann ich mir auch nicht so ganz erklären. Warum ist der Satz „krank“, „schizophren“? Damit unterstellst du jemanden, der diesen Satz nicht völlig ablehnt, das gleiche, und ist das nicht auch sehr verletzend und kränkend?

  13. @F.M., und um das Beispiel der Ehe zu nehmen: Gerade in einer reifen und von tiefer Liebe geprägten Ehe muss es möglich sein, mit dem anderen Dinge zu teilen, die nicht richtig sind, und gemeinsam darüber zu sprechen. Dies auch vom anderen anzunehmen. Gleiches gilt für tiefe Freundschaft: Nur wirklich gute Freunde können sich gegenseitig in Liebe die ganze Wahrheit sagen, ohne dass die Freundschaft leidet.

  14. @F.M.: Volle Zustimmung, was den verletzenden Charakter dieser Kategorisierungen angeht – ob sie nun explizit gemacht werden oder nicht, spielt kaum eine Rolle.

  15. Wie wäre es mit einer Umformulierung:
    Jeden Menschen lieben, aber auch Fehlverhalten beim Namen nennen?

  16. „Dieser Satz hat seinen Platz in der Ermahnung von Leuten, denen es schwer fällt, bestimmte Leute zu lieben – und *nicht* in Gespräch mit Sündern, die letztlich immer Mit-Sünder sind“

    „Wie schon gesagt: Eine Erinnerung, dass ich meinen Mitmenschen liebe und annehme, so wie er ist – aber ohne die Sünde zu tolerieren / zu ignorieren oder mich gar mit reinziehen zu lassen. Ein Beispiel hatte ich ja schon genannt.“

    Also ich muss den og Zitaten von Helmut und JohannesP Recht geben. Man kann natuerlich in den Satz etwas hineinlesen und mit Absicht die Intention den viele bei dem Gebrauch dieses Satzes haben natuerlich absichtlich missverstehen.

    Auch das Schizophrenieurteil finde ich etwas uebertrieben. Es geht immer darum Selbstgerechtigkeit zu vermeiden. Dabei ist es auch hilfreich solche Sätze zumindest in Gedanken durchzugehen. Denn dadurch wird einem die Bedeutung der Suende oftmals erst bewusst.

    Als Arzt muss ich auch oft den Menschen diese Nachricht ueberbringen oder klarmachen welche schwerwiegenden Konsequenzen aus einem bestimmten Verhalten resultieren können, So ähnlich sehe ich es im Umgang mit Geschwistern und dem Hinweis auf schwerwiegende Probleme oder Suende. Aus Liebe zu ihnen nehme ich ihre Suende
    ernst.

  17. Der Satz ist in seiner Formulierung gelungen und gut zu merken, und er bringt die Unterscheidung zwischen Person und Werk sehr gekonnt auf den Punkt. Das möchte ich ihm erstmal zugestehen. Dazu gehört auch, dass man sich gut an ihm reiben und die Thematik differenzierter diskutieren kann als bei einem Slogan, der in sich schon differenziert ist.

    Ich überlege gerade, was es in meiner Einstellung, meinen Gefühlen und meinen Handeln für einen Unterschied macht, ob ich den anderen als Sünder liebe oder einfach als Mensch.
    Ich glaube, eine ganze Menge, bei mir zumindest.

  18. Andreas sagt:

    Der Satz ist in seiner Formulierung gelungen und gut zu merken, und er bringt die Unterscheidung zwischen Person und Werk sehr gekonnt auf den Punkt.

    Ich mag Sie durchaus Andreas, aber was Sie da schreiben ist der grösste Blödsinn!

    Und jetzt stellen Sie sich vor, nicht irgendein unbekannter, Ihnen völlig gleichgültiger Forumsteilnehmer wie ich sagt das zu Ihnen, sondern jemand wie der Herr Pfarrer, oder, wenn Sie Pfarrer sind, der Herr Generalvikar.
    Versuchen Sie sich vorzustellen, wie Sie sich nach so einer Situation fühlen, in der nicht Sie, aber Ihre Arbeit, Ihre Absicht, Ihre Mühe und Bemühungen runtergemacht worden sind.
    Selbst wenn der Mensch, der das zu Ihnen gesagt hat, glaubt trennen zu können, zwischen der Person Andreas und seinem Werk, Sie selbst können das nicht.

    Es ist ja auch gar nicht der Sinn dieses Beichtstuhlsatzes. Der Mensch SOLL sich schlecht fühlen wegen seiner gefühlten un-Taten, es SOLL ihm sogar möglichst schlecht gehen, weil man immer geglaubt hat, dass er sich dann und nur dann bessern wird.

    Sie ist nicht zielführend diese ganze Beichtstuhlmethodik wie wir heute wissen. Die -kriminelle- Steigerung davon ist dann die schwarze Pädagogik, die zu oft in kirchlichen Einrichtungen auch praktiziert wurde, obwohl man sich dort die Nächstenliebe riesengross auf die Fahnen geschrieben hatt.
    Nein, dieser Satz, man soll den Sünder lieben aber die Sünde hassen ist von Grund auf böse zu Menschen und er ist oft genug auch böse gemeint. Lassen wir ihn auf dem Müllaufen der Geschichte liegen wie die anderen bösen Worte der Kirche, des Klerus und aller anderer.
    Es gibt wirklich bessere und wirkungsvollere Methoden die Menschen zu motivieren und wir können alle, auf der Stelle damit anfangen, indem wir Kants kategorischen Imperativ beherzigen. Wenn wir nicht wollen, dass uns jemand liebt, aber das hasst, was er bei uns als „Sünde“ verortet (der Begriff Sünde ist ja selbst relativ, was gestern Sünde war, kann heute schon ganz anders aussehen), dann sollten auch wir anderen mit diesem Satz kein Leid zufügen, sondern uns bessere Methoden einfallen lassen. Wie wärs mal mit leuchtendem Vorbild?

  19. Was ist den der zielführende Gedanke dieses Beitrages? Geht es darum, dass der Satz inhaltlich falsch, nicht nachvollziehbar ist? Dann wäre dies theologisch zu klären. Oder geht es aber darum, in welchem Kontext der Satz gesprochen werden kann?
    Ist das Zitat ,Liebe den Sünder und hasse die Sünde‘ im Grund genommen nicht ein Schlussfolgerung aus einer theologischen Auseinandersetzung? Wenn ja, dann handelt es sich um eine Aussage von Christ zu Christ d. h., man weiß von wan man redet und man fühlt sich dadurch nicht abgewertet. Wenn ein Christ das nicht weiß, sich abgewertet fühlt, dann sollte er sich damit auseinandersetzen bzw. man sollte es ihm erklären. Fakt ist: Diese Aussage ist für eine bestimmte Zielgruppe gedacht: Christen. Diese Verwendung passt zur Ziegruppe eines Lehrbriefes, wie z. B. Römerbrief, in dem Sünde auffällig theologisiert wird.
    Dort wo diese Aussage die Zielgruppe Christen verlässt, dort hat er m. E. so nichts verloren. Sie wird zweckentfremdet und aus dem Zusammenhang gerissen. Leider verhalten sich hier viele Christen sehr unglücklich und verletzend. Im Hinblick auf den Nichtchristen ist diese Bezeichnung zwar theologisch richtig, aber psychologisch abwertend. So kann man mit Nichtchristen nicht sprechen. Gemäß dem Charakter der Evangelien geht es mehr darum, Menschen zu gewinnen und ihnen nicht vor den Kopf zu stoßen. Von daher müssen wir andere Worte finden. Jesus stößt den Theologen seiner Zeit vor den Kopf. Doch ansonsten ist es die Barmherzigkeit, die sein Wirken prägt. Die beste Zusammenfassung des Christlichen Glaubens ist immer noch: Liebe Gott und liebe deine Nächsten, wie dich selbst!
    Aus theologischer Sicht (Lehre für Christen) kann man sagen: Gott liebt den Sünder, aber er hasst die Sünde!
    Aus christlich psychologischer Sicht (Gespräch mit Nichtchristen) kann man sagen: Gott liebt den Menschen, aber er liebt nicht alles, was der Mensch tut.

    1. @Rüdiger: Es geht darum, wie unterschiedlich diese Worte klingen können, je nachdem, ob man sich in der Position des „Sünders“ wiederfindet, über den geredet wird – denn der Satz erscheint charakteristischerweise fast immer im Mund derer, die über „Sünder“ in der dritten Person reden – oder nicht.

      Dass er da häufig als herablassend empfunden wird, wäre allein schon ein Zeichen dafür, dass mit dem Satz etwas nicht stimmt und wir vielleicht ja aus gutem Grund so ein Diktum in der Bibel vergeblich suchen.

      Deine Formulierung „Gott liebt den Menschen…“ ist insofern besser, als sie ohne negative Kategorisierungen auskommt. Also bleiben wir doch dabei…!

  20. Lieber F.M. Sie schrieben:

    „Ich mag Sie durchaus Andreas, aber was Sie da schreiben ist der grösste Blödsinn!

    Und jetzt stellen Sie sich vor, nicht irgendein unbekannter, Ihnen völlig gleichgültiger Forumsteilnehmer wie ich sagt das zu Ihnen, sondern jemand wie der Herr Pfarrer, oder, wenn Sie Pfarrer sind, der Herr Generalvikar.“

    Ich versuche, mir das vorzustellen, und denke, es würde mich sehr neugierig auf die Begründung machen. Schade, dass von Ihnen keine kommt. 😉

    Angegriffen würde ich persönlich mich nicht fühlen. Vor allem, da es sich auf eine konkrete Aussage bezieht.

    Etwas skurriler wäre es, wenn jemand sagen würde „Ich liebe Sie als Autor, aber mag nicht, was Sie schreiben.“ Dieser Drive scheint mir im Ausgangssatz zu stecken, und dass das mindestens als Doppelbotschaft ankäme, sehe ich auch so.

    Die Trennung von Person und Werk halte ich weiterhin für elementar. Dem Ausgangssatz könnte man vorwerfen, dass er es nicht konsequent tut, sondern die Person doch auf ihr Sündersein festlegt. Das erfordert dann sachliche Kritik.

    Allein dass es hier zu einer so kontroversen und sachlichen Diskussion kommt, ist eine Stärke der zugespitzten Formulierung, auch wenn sie inhaltlich falsch sein sollte.

  21. „Liebe den Kranken, hasse die Krankheit“ – na wie klingt das?

    Arzt: „Herr Müller, ich muss Ihnen die Wahrheit sagen: Sie haben Übergewicht und massiven Bluthochdruck. Wenn Sie Ihren Lebenswandel nicht radikal ändern, laufen Sie Gefahr, bald einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zu erleiden.“

    Patient: „Was fällt Ihnen ein, mir das einfach so ins Gesicht zu sagen. Das ist ganz schön überheblich! Sie haben mich massiv gekränkt! Ich suche mir einen anderen Arzt!“

  22. @ Peter
    Ok, wenn ich dich richtig verstehe teils du meine Differenziehung nicht in der Weise. Demnach wäre es auch abwertend wenn diesen Satz unter Christen verwendet wird. Mein Frage hierzu wäre: Ist es denn so, dass dieser Satz, aus dem sich Christen ja selbst nicht herausnehmen, von Christen wirklich als herablassend empfunden wird? Stellt sich dieses Problem wirklich? Ist es nicht so, dass gerade die Erkenntnis ein Sünder zu sein letztlich zu Christus führt? Wenn ja, warum sollte ich es dann als Abwertung empfinden? Du leitest die Herablassung direkt aus Worten ab und sagt, weil es so ist, kann mit dem Satz nichts stimmen. Diese pauschale Feststellung greift für mich an dieser Stelle zu kurz. Ich meine je nach Kontext muss diese Aussage keine Herablassung sein. Es kann sich doch um eine sachliche Feststellung handeln, oder? Anderseits: Wenn ich z. B. eine herablassende Herzenshaltung habe, in dem ich denke, dass ich als Christ etwas besseres bin, dann kann doch auch der Satz Gott liebt alle Menschen, aber er liebt nicht alles was sie tun, im Grunde abwertend sein. Hier würdest du keine Herablassung aus den Worten ableiten, obwohl eine dahintersteht. Was das Diktum betriff kann ich dir sicher zustimmen. Möglicherweise benötigen wir diese Aussage wirklich nicht. Also ich brauche sie nicht. Grundsätzlich würde ich schon auch den Kontext bedenken wollen, in dem was man wem wie sagt. Aber ein Stückweit geht es hier ja auch um ein Prinzip, wie ich Dinge benennen kann und darf. Du phsychologisiert die Aussage und je nach Kontext gebe ich dir recht. Ich verteidige dennoch ihren rein theologischen Gehalt. Was darf ich denn überhaupt noch sagen? Theologisch habe ich mit dem Bezeichnung ,Sünder‘ kein Problem. Wäre gemäß deinem Anliegen z. B. die Kapitel 1-3 des Römerbriefes nicht wahrlich eine einzige Herablassung und Abwertung? Wenn ja, wir können wir dann diese Worte noch öffentlich lesen? Meidst du diese Stellen in deiner Predigt? Liest du sie gar nicht mehr vor?

  23. @JohannesP:
    Dein Gespräch zwischen Arzt und Patient bringt sehr gut auf den Punkt, in welchem Kontext so eine Äußerung Sinn hat und die Reaktion überzogen wäre.
    Die Frage ist also, wer ich als Gesprächspartner in dieser Metapher bin: Der Arzt des anderen oder der Patient im Nachbarbett?

  24. @Andreas: Geht mir ähnlich.

    Ich finde die Analogie von Krankheit und Sünde auch insofern reizvoll, als Sünde wie in der ostkirchlichen Tradition dann eher als etwas Schicksalhaftes erscheint, was man erleidet, und nicht als etwas, was man verschuldet hat. Dann verliert das Etikett „Sünder“ das moralische Stigma und wir sind alle aus dem Schneider. 🙂

  25. Ich hab jetzt ein paar Tage nicht hier reingeschaut – aber jetzt muss ich was @ F.M. sagen:

    Ich habe den Satz „Wir sollen den Sünder lieben, aber die Sünde hassen“ oder so ähnlich schon öfter in meinem langen Leben gehört und auch schon selber gesagt – aber das war *nie* in einem Beichtgespräch.

    Könnte auch damit zusammenhängen, dass ich als Nichtkatholik in einer Kirche bin, in der zwar Sünde ernst genommen wird, aber nicht als Druckmittel benutzt wird.

    Und wenn ich mir vorstelle, dass mein Pfarrer diesen Satz zu mir sagt – dann will er mir garantiert zu verstehen geben, dass ich mit jemanden nicht richtig umgegangen bin, ihn also nicht geliebt, sondern z.B. herablassend behandelt habe.

    @ Rüdiger: ich stimme dem zu, was du geschrieben hast – aber die Unterscheidung „zu Christen gesagt / zu Nichtchristen gesagt“ ist missverständlich. Eine herablassende Haltung anderer Menschen als „Sünder“, mit der sich jemand über andere Leute erhebt, ist auch gegenüber Mitchristen möglich und sollte (natürlich) nicht vorkommen. Insofern ist das die falsche Unterscheidung, das kann bei Leuten wie F.M. falsch ankommen.

  26. „Ich finde die Analogie von Krankheit und Sünde auch insofern reizvoll, als Sünde wie in der ostkirchlichen Tradition dann eher als etwas Schicksalhaftes erscheint, was man erleidet, und nicht als etwas, was man verschuldet hat. Dann verliert das Etikett “Sünder” das moralische Stigma und wir sind alle aus dem Schneider.“

    Peter, ich komme grade nicht ganz mit… Alle aus dem Schneider? Sünde etwas Schicksalhaftes, was man nicht verschuldet hat?

    Am besten nach dem Motto: „So bin ich halt, ich kann nicht anders. Das ist schon alles in Ordnung so“? Da haben wir aber ein völlig unterschiedliches Verständnis, wie mir scheint. Hört sich nach Allversöhnung an.

    Ich maße mir nicht an, über einen Menschen zu urteilen. Aber Sünde ist etwas, was ich selbst verschuldet habe. Ich habe mich entschieden für oder gegen etwas – und die Verantwortung dafür kann mir keiner abnehmen – nur Jesus durch seinen Tod am Kreuz.

  27. …nebenbei finde ich es trotzdem wichtig, wenn ich merke, dass jemand krank ist, diesen darauf hinzuweisen, auch wenn er das unangenehm findet oder das ignorieren möchte, und ihm zu empfehlen, einen Arzt aufzusuchen (am besten den, der mir auch geholfen hat).

  28. @ Helmut.

    Danke für den Hinweis. Ich dacht ich hätte in meiner Reaktion auf Peter die Unterscheidung etwas relativiert. Also nicht mehr zwischen Christ und Nichtchrist, sondern vom , Kontext abhängig‘. Darin sind auch Christen eingeschlossen. Das heißt ich glaube, dass es sehr wohl Kontexte gibt, in denen es überhaupt kein Problem ist, die Aussage zu verwenden.
    Mein Anliegen ist aber insgesamt zu fragen: Was dürfen wir überhaupt noch sagen. Verzichten ist nicht zwingend eine Lösung. Was sind denn die Alternativen. Das Christentum sollte sprachfähig sein und nicht durch Verzicht glänzen. Es ist eine Sache etwas zu wenn auch zurecht monieren. Konstruktiv wird es aber erst dann, wenn man Alternativen anbietet, den Leute hilft, die sich hier unglücklich oder abwertend ausdrücken. Ist den nicht die ganze Bibel voll von solchen Herablassungen? Unser Liedgut? Meine Botschaft ist also zum einen: Ich kann sehr wohl so etwas sagen, muss aber auf den Kontext aufpassen. Und: Dass es nicht damit getan ist auf problematische aussagen zu verzichten, sondern wir uns auch über Alternativen unterhalten sollten, nämlich, wie wir über Glaubensinhalte reden können.

  29. @Rüdiger: Man darf alles sagen. Nur muss man sehen, was man damit anrichtet. Von daher interessiert mich mehr, wie man die Dinge besser sagen kann als mit Phrasen, die erstens abgedroschen und zweitens zumindest ambivalent sind. Und da hatten wir doch schon ein paar ganz brauchbare Ansätze in diese Diskussion. Irgendwann haben die dann auch wieder ausgedient, weil zu viele sie gedankenlos verwenden, aber bis dahin lohnt sich das Fragen durchaus.

  30. Peter scheint mich inzwischen auf seine Ignore-List genommen zu haben. Ich bin es anscheinend nicht wert, dass auf meine Anmerkungen reagiert wird.

  31. @ JohannesP:

    Ich sag mal was zu dir (auch wenn ich nicht Peter bin). Und ob di auf seiner Ignore-list steht, ist nicht sicher, es gibt auch andere Möglichkeiten (z.B. könnten Peter die Argumente ausgegangen sein 😉 ).

    In der Bibel stehen einige auf den ersten Blick unvereinbare Aussagen nebeneinander. Am bekanntesten sind wohl die Aussagen, die zur Trinitätslehre führten: Jesus ist Mensch, Jesus ist Gott, Gott ist nicht Mensch, der Vater ist Gott, der Geist ist Gott, es gibt nur einen Gott. Und so finden wir auch in der Bibel unterschiedliche Sichtweisen dazu, was Sünde ist.

    Einmal ist Sünde eine Macht, der wir (durch den Sündenfall) ausgeliefert sind (Rö 5!), Gott lässt Menschen in Sünde fallen (Rö 1!) – andererseits wird der Mensch für seine Sünden verantwortlich gemacht (und nicht nur der offensichtliche Sünder, Rö 2). Schließlich bedeutet *hamartia* ja so viel wie Abweichung – und ein Mensch, der von Gottes Wegen abweicht, wird dafür bestraft werden (das ist dann der Ausgangspunkt, von dem Paulus seine Lehre der Gnade entwickelt).

    Somit denke ich, dass die Sichtweise von Sünde als „Krankheit“ und Sünde als böse Tat, durch die jemand Schuld auf sich lädt, zwei Sichtweisen sind, die sich gegenseitig ergänzen und nicht gegeneinander ausgespielt werden sollten.

  32. Jetzt muss ich auch noch was gestehen: ich erinnere mich, eine Aussage wie „Liebe den Sünder, hasse die Sünde“ in einer Forendiskussion gebraucht zu haben. Einem User gegenüber, der bei mit (und anderen Christen) geradezu reflexartig bei jedem Thema auf das Thema Homosexualität (bzw. „Homophobie“) zu sprechen kam.

    Als mir das wieder bewusst wurde, fand ich, dass ich „gestehen“ sollte, sonst wär das, was ich sonst hier schrieb, irgendwie Heuchelei.

  33. @ Peter:
    ok –
    also das mit den Phrasen kann ich sehr gut verstehen und da stimme ich dir zu. Dies betrifft auch das ,Anrichten‘, definitiv muss man da aufpassen.
    genannte Ansätze als Ergebnis waren mir ja gerade wichtig –
    ansonsten war es eine gute Diskussion, um die Sinne zu schärfen in Bezug auf den Gedanken:Was man so alles unüberlegt von sich gibt. Gute Standpunkte – aber dennoch weiter offene Fragen
    und ansonsten ist das Thema irgendwann auch mal durch, gell
    – also bis dann man wieder!

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