Tod einer Subkultur?

Schon vor ein paar Monaten fragte Tony Campolo in diesem Blogpost, ob der Evangelikalismus vor der Spaltung stünde. Die Differenzen sieht er in der Frage nach dem sozialen Engagement in der Gesellschaft vs. einer Ausrichtung auf das ewige Heil (und die zu dessen Erlangung nötige Moral!), im strengen oder weniger streng wörtlichen Bibelverständnis, in Fragen der Liturgie und in der unterschiedlichen Haltung zur Politik der republikanischen Partei.

Nun hat Roger Olson in einem ausführlichen Artikel erläutert, dass es die evangelikale Bewegung nicht mehr gibt, nur noch ein evangelikales „Ethos“. Theologisch ist der Dialog zwischen den unterschiedlichen Richtungen, die sich in den letzten 20 Jahren entwickelt haben, praktisch zum Erliegen gekommen. Konkret nennt er

  • die Neofundamentalisten, etwa der Gospel Coalition (dt: Evangelium 21)
  • eine Mittelpartei, deren Sprachrohr Christianity Today ist (das wäre in Deutschland vielleicht „Aufatmen“)
  • und schließlich postkonservative Evangelikale (z.B. Scot McKnight, Frost und Hirsch wären sicher auch in dieser „Schublade“)

Das evangelikale Ethos besteht für Olson – stichwortartig formuliert – aus Bibelfrömmigkeit, Bekehrungsglauben, Kreuzestheologie und sozialem/missionarischem Aktivismus plus einer hohen Achtung der reformatorischen Tradition. Es reicht aber nicht mehr aus, um einheitlich in der Öffentlichkeit aufzutreten oder sonst irgendwie an einem Strang zu ziehen.

Zuletzt hat sich nun Rob Bell zu den Wandlungen und Spannungen geäußert. In einem Interview bei der Grace Cathedral in San Francisco sagte er:

Ich denke, wir sind Zeugen des Todes einer bestimmten Subkultur, die nicht funktioniert. Ich denke, es ist eine sehr enge, politisch verfilzte, kulturell abgeschottete evangelikale Subkultur, der man gesagt hatte „wir verändern das Ding“, aber es kam anders. Und das hat viele Leute abgeschreckt. Und ich denke, wenn man einer Subkultur angehört, die im Sterben liegt, macht man viel mehr Lärm, weil es so weh tut.

Entweder stirbt man, oder man passt sich an. Und wenn man sich anpasst, bedeutet das, dass man sich der Art und Weise stellt, wie wir über Gott geredet haben, und die Menschen eigentlich nicht liebevoller und barmherziger hat werden lassen. Wir haben politische Maßnahmen und Weltbilder gefördert, die in Wahrheit destruktiv sind. Und wir haben das im Namen Gottes getan und müssen uns davon abwenden.

In Deutschland ist die Lage anders und überschaubarer, aber eben nicht völlig anders. Sterbe- und Anpassungsprozesse gibt es auch hier. Wie die jedoch verlaufen, das wird eine spannende Frage sein in den nächsten Jahren.

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