Frommer Irrsinn

Wir sind sicher nicht die einzigen, die das betrifft, und es ist nicht das erste Mal, dass es mir auffällt. Da haben wir mit „Gott im Berg“ ein Projekt entwickelt, das gut läuft und auch bei Menschen auf Zuspruch stößt, die sonst kaum in kirchlichen Veranstaltungen auftauchen.

Kaum aber machen die ersten „Erfolgsmeldungen“ die Runde, setzt der fromme Tourismus ein. Diese Woche schrieb eine Gemeinde, sie wollten am Karfreitag mit einem ganzen Bus kommen, grob geschätzte Fahrzeit 45 Minuten einfach. Aber das sind nicht die Leute, für die wir uns die Arbeit machen, sondern es geht uns um unsere Nachbarn, Arbeitskollegen und Mitbürger, die mit dem Fahrrad oder zu Fuß kommen können, Fahrzeit unter 15 Minuten.

Ich habe immer noch nicht begriffen, was für Christen so toll daran ist, die Veranstaltungen anderer Christen zu besuchen, selbst wenn die etwas origineller sein sollten als die eigenen. Da setzt man sich doch besser auf den Hosenboden und denkt sich selbst etwas aus. Wenn ich höre oder lese, dass anderen etwas gelingt, dann freut mich das und spornt mich an, aber ich organisiere doch keine Busreise! Wenn uns (gewiss: liebe und wohlmeinende) Mitchristen den Keller verstopfen, dann haben wir dadurch weniger Zeit und Ruhe für die Menschen, die uns wirklich am Herzen liegen.

Aber vielleicht hat sich das in einer gewissen Szene längst eingebürgert, weil viele Macher von „evangelistischen“ Veranstaltungen etwas zahlenverliebt sind und dabei vorsichtshalber schon gar nicht mehr fragen, wie das Verhältnis von alten Hasen und „Neuen“ überhaupt aussieht. Plakate und Flyer scheinen sogar bevorzugt an Mitchristen aller Art versandt zu werden, ohne zu vermerken, dass die es zwar gerne weitergeben dürfen (oder auch jemanden einladen und begleiten), aber ansonsten tunlichst daheim bleiben sollten und etwas Vernünftiges tun, statt hier zu konsumieren, oder aus Solidarität zu erscheinen, oder was auch immer sonst die Motivation sein mag.

Lässt sich dieser Irrsinn irgendwie abstellen? Wir haben in diesem Jahr einem christlichen Fernsehsender abgesagt, weil wir nicht ohne Grund fürchten, ein Bericht würde sich ungünstig auf die Besucherstruktur auswirken. Zum Glück sind wir dort auf Verständnis gestoßen. Das ist schon mal ein guter Anfang.

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Ungewisse Sicherheit

Wir hatten gestern in Kooperation von Evangelischer Allianz und Evangelischem Dekanat einen guten Abend zur Situation von Flüchtlingen in Erlangen. Im Vorfeld habe ich am Rande eines Deutschkurses für Flüchtlinge mit ein paar Teilnehmern sprechen können. Schon diese kurzen Begegnungen waren eindrücklich: Eine Kurdin aus dem Irak erzählte, dass – noch zu Saddams Zeiten – ein naher Verwandter von „Sicherheits“behörden verschleppt und zu Tode geprügelt wurde (heute droht dort Gefahr eher durch Terroranschläge), ein junger Iraner war mit seiner Familie zum christlichen Glauben konvertiert und musste deshalb fliehen, ein Mann aus Afghanistan verlor Frau und Kind bei einem Bombenanschlag auf einen Bus.

In fast jeder dieser Familien führten die traumatischen Erlebnisse vor und während der Flucht zu psychosomatischen Erkrankungen, die hier wegen der Sprachbarriere oft nicht oder nicht ausreichend behandelt werden. Und die meisten leiden unter dem ungeklärten Status, hier nur geduldet leben zu können, sie müssen also immer mit einer plötzlichen Abschiebung rechnen und können keine Zukunft planen.

Wir zeigten einen Videoclip mit den oben beschriebenen Interviews, dann entspann sich ein lebhaftes Gespräch zwischen den Besucher/innen und den Vertreter/innen der verschiedenen Initiativen, eine Mitarbeiterin der AWO-Flüchlingshilfe erläuterte die staatliche Asylpolitik von Sammelunterkünften, Taschengeld/Lebensmittelpaketen und Bewegungsfreiheit. Am Ende hatten wir uns gemeinsam einen groben Überblick verschafft über bestehende Hilfsangebote und ein paar neue Ideen schwirrten schon durch den Raum.

Freundlich begleitet wurde das Ganze von der Stadt Erlangen, die das ehrenamtliche Engagement unterstützt, während der Vertreter einer Umlandgemeinde die Veranstaltung unter leisem Protest verließ, weil sie ihm zu „politisch“ erschien. Aber dass es kein kulinarischer Abend sein würde, wenn der Titel „Ungewollte Nachbarschaft“ lautet, war ja eigentlich klar.

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