Torn (8): Zurück zur Bibel

Der Kulturkampf zweier Lager und Lebenskonzepte, die nach eigener Überzeugung die jeweils andere ausschließen, stellt Justin Lee vor die Frage, auf welche Seite er sich schlägt. Die christliche Subkultur ist ihm bislang jede Antwort auf die Frage, wie er denn nun als (alleinstehender) mit seiner homosexuellen Orientierung leben solle, schuldig geblieben.

Bei seiner Suche in der Bibel beginnt er in Genesis 19, mit dem Untergang Sodoms. Und er stellt fest, dass Homosexualität dort keineswegs als das Hauptproblem oder die Kardinalsünde der Bewohner von Sodom erscheint. Dass diese geschlossen über Lots Gäste herfallen wollen, ist kaum sinnvoll als Folge gleichgeschlechtlichen Begehrens zu verstehen, sondern als ein Akt gewaltsamer Erniedrigung Fremder. Darauf deuten auch die auffälligen Parallelen zu Richter 19 hin. Über auf Liebe und gegenseitige Treue hin angelegte Beziehungen zwischen Partnern gleichen Geschlechts sagt die Geschichte nichts aus.

Ähnlich ist es in Levitikus 18,22. Lee erkennt schnell, dass die gern verwendete Unterscheidung zwischen Kultgesetzen und Moralgesetzen hier nur zu künstlichen und willkürlichen Resultaten führt, weil den Texten selbst ein solcher Unterschied völlig fremd ist. Selbst konservative Exegeten (er zitiert Robert Gagnon) sind hder Auffassung, es gehe bei diesem Verbot um Tempelprostitution. Damit wäre es erstens nachvollziehbar, zweitens aber auf einen Kontext bezogen, der heute kaum anzutreffen ist.

Der große gedankliche Bogen, den Paulus in Römer 1,18-32 schlägt, wirft eine Menge Fragen auf. Zum Beispiel, ob Homosexualität als Strafe Gottes gegenüber Menschen anzusehen ist, die sich von ihm abkehren. Wie aber könnte diese Strafe jemanden treffen, der im Glauben groß geworden war und ihn nie hinter sich gelassen hatte? Von wem spricht Paulus also da in der dritten Person Plural? In den Kommentaren zu dem Abschnitt wird immer wieder auf heidnische Kulte Bezug genommen. Und „Götzendienst“ war der pauschale Grundvorwurf des religiösen Judentums gegenüber der heidnischen Umwelt. Paulus greift diese relativ grobe Polemik, der die meisten Juden ohne Zögern zustimmen würden, in Römer 1 auf, um ihr negatives Urteil über die heidnischen Zeitgenossen in 2,1 dann gegen sie selbst zu wenden – mit demselben Überraschungseffekt, den Nathan gegenüber König David schon erfolgreich eingesetzt hatte.

Beim Verständnis von 1.Kor 6,9-11 hängt dagegen alles an einem in seiner Bedeutung strittigen Wort, dem griechischen Begriff arsenokoitai, der außer in 1.Tim 1,10 nirgends mehr auftaucht. Unter diesen Bedingungen ist seine Bedeutung schwer zu klären. Geht es wieder um Kultprostitution, geht es um die griechische „Knabenliebe“ (ein verheirateter, älterer Mann hält sich einen jugendlichen Liebhaber), oder werden tatsächlich auch Liebesbeziehungen auf Gegenseitigkeit und Augenhöhe, wie es sie heute gibt, damit abgelehnt? Vorschnelle Verallgemeinerungen sind problematisch. Es kommt ja auch niemand auf die Idee, das negative Urteil der Bibel über „Zöllner“ auf unsere heutigen Finanz- und Zollbeamten zu übertragen.

Hätte irgendeiner dieser Schriftstellen irgendetwas zu verantwortlichen und treuen homosexuellen Beziehungen gesagt, pro oder contra, oder über ernsthafte Christen, die sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlen, oder von der Notwendigkeit, dass Menschen wie ich allein bleiben, hätte ich das so hingenommen. Aber das taten sie nicht.

Andererseits war zumindest bei dem Begriff arsenokoitai nicht zweifelsfrei klar, dass er sich nicht auch auf homosexuelle Partnerschaften beziehen könnte. Eine Pattsituation: Man konnte es so herum betrachten oder andersherum. Lee fragt sich, ob er den Texten vielleicht voreingenommen begegnet sein könnte und stellt eine doppelte Tendenz bei sich fest: Den Wunsch nach einem Partner und zugleich die Angst, all das in Frage zu stellen, was ihm über die Bibel und Homosexualität beigebracht worden war. Kann man diesen inneren Knoten entwirren?

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