Entkernter Glaube

Die Zeit berichtet von Alain de Botton, der als Atheist groß geworden ist und irgendwann begann, die spirituelle und zwischenmenschliche Verarmung seines (Un?)Glaubens durch religiöse Riten aufzubessern. Denn inzwischen hat auch die Forschung entdeckt, dass Glaube gesundheitsfördernd ist. Das Spannende an de Bottons „Religion für Atheisten“ ist nun seine Annahme, man könne sich aus diesem Baukasten gewinnbringend bedienen, ohne dabei das, was religiöse Menschen selbst für die Hauptsache halten, zu übernehmen. Nun haben sich mit Zen und Yoga schon etliche ursprünglich religiöse Übungen aus ihrem Zusammenhang lösen lassen. Dennoch wirkt das Ganze recht künstlich auf mich.

Das Verbindende am christlichen Glauben (analog dürfte das für die meisten anderen Religionen auch gelten) ist ja die Erfahrung, dass man eine Art Schicksalsgemeinschaft bildet, die man sich nicht ausgesucht hat; sondern man wird unversehens von einem Gott, der „das Verlorene“ sucht, gefunden und adoptiert und findet sich als Teil einer unmöglichen Familie wieder, die zudem seit Abrahams Zeiten auf einem gemeinsamen Weg ist auf ein nach menschlichem Ermessen unerreichbares Ziel hin.

Der ganze Artikel betrachtet, wie de Botton ja auch, jede Form von Glauben ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Nützlichkeit. Das ist eine sehr eingeschränkte Perspektive, so etwas wie Selbsttranszendenz kommt dabei gar nicht richtig in den Blick. Sie ist immerhin ein Fortschritt gegenüber anderen Formen des Atheismus, die Religionen als den Hort aller Bosheit und Dummheit im Verdacht haben und ganz einseitig die negativen Folgen und pathologischen Formen von Religiosität herausstellen.

Aber reicht das aus, um Menschen dazu zu bringen, sich auf eine bestimmte Praxis dauerhaft einzulassen, wenn man ihnen erklärt, dass es ihrer Gesundheit und Zufriedenheit dient? Solche Programme gibt es viele und sie alle stiften nur einen ganz begrenzten Zusammenhalt unter Menschen. Im Prinzip müsste schon die Beobachtung nachdenklich machen, dass ausgerechnet jene Formen des Christentums rapide an Zusammenhalt einbüßten, die den Gedanken einer aktiven Einwirkung Gottes auf Welt und Menschen als Zumutung an den modernen Menschen empfanden und daher deistisch oder existenzialistisch auflösten.

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