Den Apfel madig machen: Lektionen in Unzufriedenheit

Was ist nicht wieder alles geschrieben worden über Apple in den letzten Tagen. Der Börsenkurs bricht ein, die Innovationskraft sei erlahmt, ja ganz Amerika drohe womöglich nun der technologische Abstieg. Jeder schien plötzlich seinen Senf dazugeben zu müssen, dass wir nicht wie inzwischen scheinbar gewohnt schon „the next big thing“ geliefert bekommen haben.

Ein Artikel jedoch schien gegen den Strom geschrieben: Schneller, flacher, Stopp vom Sophie Crocoll in der SZ. Sie erinnert daran, dass vor der Veröffentlichung des iPhone sage und schreibe fünf Jahre lang das Motorola Razr stilprägend war. Heute liegen die Produktzyklen bei sechs bis neun Monaten, nur Apple kann sich längere Pausen leisten als die Konkurrenz aus Korea und Taiwan.

Oder sollte ich sagen: konnte?

Immherin haben sie unter Steve Jobs gleich mehrmals das Rad mit Erfolg neu erfunden. Aber das geht eben nicht unbegrenzt oder auf Knopfdruck. Neulich postete ein Fanboy auf Facebook, Apple habe seine Zuneigung bald verspielt, wenn nicht der nächste große Wurf käme. Nur: Wie sollte der aussehen? Crocoll stellt nüchtern fest:

Aus der Revolution ist aber eine Evolution geworden. Und selbst die ist oft kaum zu erkennen. … Den Wettbewerb um die Kunden gewinnt, wer die beste Marketingmaschine bewegt. Längst zelebriert nicht mehr nur Apple seine Produktvorstellungen als Event. Bei jedem Branchentreffen präsentieren die Hersteller das flachste, das schnellste Handy der Welt – bis auch das, oft nur wenige Wochen später, seinen Status wieder verliert.

Bei William Cavanaugh bin ich auf den Begriff der „fabrizierten Unzufriedenheit“ (manufactured dissatisfation) gestoßen. Sie ist ein Schlüsselfaktor der Konsumgesellschaft: Kaum hat man ein Produkt erworben, kommt eine noch attraktivere und leistungsfähigere Version auf den Markt, die Begehrlichkeit weckt. Ebay lebt zum großen Teil davon, dass man die alten Geräte dort vertickt, weil man sich gerade wieder das Neueste geleistet hat. Crocoll dazu:

Früher haben die meisten Menschen ein neues Handy gekauft, wenn das alte kaputt ging. Nun wechseln sie das Gerät spätestens, wenn nach zwei Jahren der Vertrag mit dem Mobilfunkanbieter ausläuft. … Die Kunden sind auf das Karussell aufgestiegen und sie treiben es an: Wer stets das neueste Smartphone kauft, so scheint es vielen, bleibt selbst modern. Auch, wenn er den zusätzlichen Speicherplatz oder das bessere Mikrofon weder braucht noch nutzt.

Erfinder dieses Prinzips der „fabrizierten Unzufriedenheit“ war Charles Kettering von General Motors. Im Jahr 1929 (!) schrieb er einen Artikel mit der Überschrift: Keep the consumer dissatisfied. Aber die ganze Entwicklung führt in die Sackgasse: Finanziell, ökologisch, sozial und psychisch – wer sich ständig die Karotte vor die Nase hängen lässt, zieht den Karren der Konzerne bis zur völligen Erschöpfung. Wer sich einmal hat vorgaukeln lassen, dass sein Lebensglück an einem Gerät aus der Massenproduktion hängt, der liefert brav sein Geld ab, wenn das nächste überflüssige Detail verbessert wurde. Vielleicht sieht man das heute, über 80 Jahre nach Kettering und vier Jahre nach der „Abwrackprämie“, besser denn je. Wir hängen nicht mehr an unseren Sachen, schreibt Cavanaugh. Kaum haben wir sie, wollen wir sie schon wieder loswerden.

Falls irgendwer mal wieder einen echten Quantensprung hinlegt, sagt mir Bescheid. Es muss nicht Apple sein, vielleicht wird ja was aus dem fair produzierten Smartphone. Ich habe zum Glück keine Aktien aus Cupertino und die Computer habe ich gekauft, weil man nicht so oft einen neuen brauchte wie bei der Konkurrenz. Denn das ist der Punkt: Wenn Kunden und Konzerne nicht auf die Bremse treten (und sich Zeit nehmen zum Nachdenken, was sinnvoll wäre), dann gibt es keine richtigen Neuentwicklungen mehr, schreibt Crocoll.

Könnte jemand vielleicht die Werbung und das Konsumverhalten neu erfinden? Oder, besser noch, die Zufriedenheit?

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