Nur ein kleines Pünktchen

Zweifelt ihr etwa nur deshalb an den Prophezeiungen, weil Ihr selbst tatkräftig daran mitgewirkt habt, das sie in Erfüllung gehen? Ihr glaubt doch nicht etwa, es sei Zufall, dass Ihr die Abenteuer bestanden habt und all den Gefahren entkommen seid und dass das einzig zu Eurem Nutzen geschehen ist? Ihr seid ein prächtiger Kerl, Mister Beutlin, und ich habe Euch sehr gern. Aber schließlich seid Ihr doch nur ein kleines Pünktchen in einer sehr großen Welt.

Gott sei Dank, sagte Bilbo lachend und reichte ihm die Tabakdose.

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Tödlicher Perfektionismus

Moralisches Vollkommenheitsstreben, schreibt Walter Wink, entstand erst so richtig durch die Kombination des religiösen Egalitarismus im Protestantismus und des rationalen Egalitarsmus aus der Aufklärung. Dort wurde der Gedanke menschlicher Selbstvervollkommnung zum kulturellen Ideal und zur Obsession. Perfektionismus ist also ein Zug des modernen Protestantismus wie auch der westlichen Welt im allgemeinen.

Wenn Jesus in Mt 5,48 sagt: „Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist“, dann meint er jedoch etwas anderes. Was genau, das zeigt die Parallele in Lukas 6,36: „Seid barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist“. Jesus lenkt die Aufmerksamkeit dabei weg von uns selbst hin zu unserem Umgang mit anderen – den Feinden (oder auch den „Sündern“, den Schwachen), die der Barmherzigkeit bedürfen. Es geht darum, alle Reinheitsideale aufzugeben und die in die Arme zu schließen, die gänzlich unvollkommen sind. Das ist zugleich das Bedrohlichste, was wir uns wohl vorstellen können.

Es konfrontiert uns mit allen möglichen inneren Widerständen und Unmöglichkeiten. Den Feind zu lieben und damit Gottes radikale Inklusivität nachzuahmen, erfordert es, dass wir uns Gott stellen und uns von ihm verwandeln lassen, und dass wir damit rechnen, auf diesem Weg immer wieder über unsere Vorurteile, blinden Flecken und Antipathien zu stolpern. Es wird nur dann gelingen, wenn unser Hunger und Durst nach Gerechtigkeit uns dazu dringt, immer wieder die Gräben und Fronten zu überwinden.

Wer dagegen das Spiel des Perfektionismus spielen will – Vollkommenheit mit dem Blick nicht auf den anderen, sondern als Pflege der eigenen sündlosen Perfektion – der muss alles, was er an sich selbst hasst, vertuschen und das eigene Böse unterdrücken. Freilich erscheint es dann in Form von Projektionen wieder: Wir erkennen das, was wir an uns selbst nicht sehen dürfen, in anderen und bekämpfen es dann, indem wir auf sie losgehen. Das führt in eine symbolische Beziehung zu den Feinden – Wink schreibt:

Der Perfektionismus hat einen heimlichen, uneingestandenen Bedarf an Feinden. Perfektionisten sind nur im Vergleich vollkommen. Sie brauchen jemanden, auf den sie herabsehen können. (Engaging The Powers, S. 270)

Die Wirklichkeit wird in Gut und Böse unterteilt, und alles Gute sehen Perfektionisten in sich selbst und den Ihren, alles Böse in den anderen. So führt die falsch verstandene Vollkommenheit zum genauen Gegenteil dessen, worum es Jesus eigentlich geht. So landet sogar ein Christentum, das ständig von Gnade redet, am Ende womöglich in demselben Reinheitswahn und bei einer Vorstellung von Heiligkeit, die im Ausschluss des anderen besteht und damit in den Fußstapfen derer, die Jesus verurteilten und hinrichten ließen.

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