Eindringliche Mahnung

Kürzlich habe ich wieder mal eine dieser vertrauten Geschichten gehört: In einer Gruppe, die eine gravierenden Konflikt durchlebt, meldet sich jemand mit einem „Eindruck“ bzw. „Bild“ (das ist charismatischer Code für „Reden Gottes“) zu Wort, das die eigene Position von aller Kritik ausnimmt und den anderen einseitig die Schuld anlastet. Ein dreister oder vielleicht auch verzweifelter Versuch der Manipulation, eine Vereinnahmung Gottes zum Zweck der Selbstrechtfertigung.

Ich merke, dass ich für solche Manöver überhaupt gar kein Verständnis habe. Vielleicht war ja die Drohung aus Deuteronomium 18,20 gar nicht so falsch? Da heißt es ganz rabiat:

Doch ein Prophet, der sich anmaßt, in meinem Namen ein Wort zu verkünden, dessen Verkündigung ich ihm nicht aufgetragen habe […], ein solcher Prophet soll sterben.

Niemand würde das heute noch wörtlich verstehen. Es geht weder um Blasphemiegesetze noch um Inquisitionsprozesse, eher schon um die fehlende „Furcht Gottes“. Aber die scharfe Warnung hilft vielleicht, das Problembewusstsein etwas zu steigern: Erst mal sein Testament zu machen, bevor man allzu flott unter Berufung auf göttliche Inspiration den Mund öffnet, also bei letzterem wenigstens ebenso viel kritische Sorgfalt walten zu lassen wie bei ersterem, das kann allen Beteiligen doch nur gut tun. Und wenn der „Prophet“ das nicht selbst kann, müssen es eben seine Hörer tun, und ihm eine deutliche Rückmeldung seiner Grenzverletzungen verpassen.

Gestern wurde Hildegard von Bingen von Papst Benedikt XVI zur Lehrerin der Kirche erhoben. Sie wird als prophetische Gestalt geschildert, die ein ganzes Zeitalter geprägt hat. Ihr wird die folgende Weisheit zugeschrieben:

Nicht mit Drohworten sollst du auf deine Untergebenen einschlagen wie mit einer Keule. Mische vielmehr die Worte der Gerechtigkeit mit Barmherzigkeit und salbe die Menschen mit Gottesfurcht.

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Alpha analysiert (4): Trockene Gewissheit

Ich habe mich im August schon ein bisschen mit der Theologie des Alpha-Kurses beschäftigt, damals ging es um die Christologie und Soteriologie und die modernistische Grundfärbung. Ich möchte den Faden wieder aufnehmen und diese Woche zwei weitere Aspekte betrachten, die eng zusammenhängen: Die Suche nach Gewissheiten und der Umgang mit der Bibel. Zum einen ist das eine Antwort auf etliche Anfragen, die mich zu den Themen des Kurses erreicht haben, zum anderen denke ich, dass von einer offenen Diskussion alle profitieren, auch wenn der eine oder andere Kommentar unten kritisch ausfällt. Die positiven Seiten habe ich übrigens hier gewürdigt.

Das vierte Kapitel stellt die Frage nach der Heilsgewissheit – ein zentrales Anliegen der Reformation (Luthers Frage nach dem gnädigen Gott) und, ein paar Jahrhunderte später, auf einem etwas bescheideneren Niveau und beschränkt auf eine bestimmte Szene, immer noch ein beliebter Einstieg in „evangelistische“ Gespräche („Wenn du heute nacht sterben würdest, wärst du dir sicher, dass du in den Himmel kommst?“).

Und so geht es auch in diesem Kapitel über den Himmel, dessen Tür sich in der Form biblischer Verheißungen öffnet, die es nun bewusst anzunehmen gilt. Der zentrale Vergleich ist der Trauschein, der den Beziehungsstatus rechtlich eindeutig klärt. Wer Gottes Verheißungen annimmt und – um im Bild zu bleiben – die eigene Unterschrift dazu setzt, der hat das ewige Leben. Da spricht also wieder der Jurist.

Aber eine Ehe beginnt nicht nur mit einem Stück Papier, die Eheschließung ist auch ein Ereignis. Daher tritt zu Gottes Zusagen als zweite Säule der Gewissheit das Ereignis des Kreuzestodes Christi. Hier hinkt der Vergleich freilich, weil im Unterschied zur eigenen Eheschließung niemand von uns die Kreuzigung miterlebt hat, also muss das eigene Ja-Wort sozusagen nachgeschoben werden, wie die Beispielgeschichte des Hochseilartisten Blondin verdeutlicht, der eine Schubkarre über die Niagara-Fälle schob und die Zuschauer aufforderte, sich hineinzusetzen. Eigenartigerweise ist hier von der Taufe nicht die Rede. Ebensowenig vom Abendmahl, beides ist ja in der paulinischen Theologie ganz stark mit dem Gedanken des „In-Christus-Seins“ verknüpft, um das es hier eigentlich geht.

Und auch im dritten Argumentationsgang bleibt Gumbel bei der Ehe-Metapher: Das (all-)tägliche Wirken des Heiligen Geistes schafft ein neues Verhältnis des einzelnen zu Gott. Wieder ist alles ausschließlich vom Individuum her gedacht, der gemeinschaftliche Aspekt des Glaubens wird erst sehr spät im Kurs thematisiert. Vielleicht fehlt deshalb der sakramentale Bezug. Alles spielt sich in Worten ab und bewegt sich in der Dimension der Innerlichkeit. Am Ende des Kapitels fällt dann wieder der schon beschriebene „Methodismus“ (nicht im konfessionellen Sinn!) auf, wenn es dort heißt:

Wenn Sie nicht sicher sind, ob Sie je wirklich Ihren Glauben auf Jesus gesetzt haben, dann können Sie das folgende Gebet sprechen. Es kann zum Startpunkt für Ihr Leben als Christ werden. Sie können dadurch alles empfangen, was Christus durch seinen Tod bewirkt hat.

Es folgt ein schlichtes Buß- und Übergabegebet. Vielleicht schweigt der Text auch deshalb von den Sakramenten, weil man noch in der alten Frontstellung (vgl. die alte pietistische Polemik gegen die „Namenschristen“) gegen eine diametral entgegengesetzte Objektivierung des Christseins steht, derzufolge die institutionelle Kirchenmitgliedschaft (bzw. der Taufschein) die Frage nach dem Gottvertrauen und Glaubensgehorsam – und damit jede konkrete Praxis der Nachfolge – überflüssig erscheinen lassen. Auf der Strecke bleiben die reiche Symbolik der Sakramente, ihr Gemeinschaftsbezug und das sinnliche Erleben – alles Aspekte, die im Bild von der Ehe durchaus eine Rolle spielen. Man kann – um noch einen anderen Brückenschlag zu versuchen – so ein Gebet vielleicht als eine Art Konfirmationsversprechen sehen (oder dessen Aktualisierung). Aber es kommt ja andererseits nicht von Ungefähr, dass der übliche Ort eines solchen Versprechens der Abendmahlsgottesdienst ist…

Stattdessen gründet sich nun die Gewissheit des neuen Lebens in Gott nun de facto auf ein trockenes, vorgestanztes Gebet, und die Frage stellt sich: Was kommt danach?

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Nochmal: Freiheit

Vor ein paar Tagen habe ich hier drei Sätze über die Freiheit gepostet. Eben habe ich auf Zeit Online in einem Beitrag von von Thomas Assheuer die folgenden Sätze gelesen, die, wie ich finde, dazu sehr gut passen:

Freiheit, sagt der erwähnte Pastor Terry Jones, sei nur etwas wert, wenn man »Dinge sagen kann, die andere nicht mögen«. Dieser triviale Satz ging um die Welt, denn er klingt so, als sei die westliche Freiheit umso freier, je mehr sie den anderen verletzt. Aber das wäre keine Freiheit, sondern Unfreiheit, denn sie kalkuliert mit der Empörung des anderen, sie braucht den Ausschluss und die Abgrenzung, um sich in ihrer irdischen Göttlichkeit selbst zu bestätigen.

Es stehen noch eine ganze Reihe kluger Gedanken in diesem Text über Religion, Meinungsfreiheit und die globale Öffentlichkeit – allein schon die gelungene Problemanzeige einer „Selbstbestätigung der Freiheit durch kalkulierte Fremdverletzung“. Die fünf Minuten Lesezeit sind gut angelegt!

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Karriere: die Kosten überschlagen

Stephen Covey hat den Spruch mit der Leiter populär gemacht, die jemand erklimmt, um schließlich festzustellen, dass sie an der falschen Wand lehnte. Nun haben australische Forscher festgestellt, dass dies ein relativ normaler Vorgang im beruflichen Aufstieg ist. Laut Wirtschaftswoche kann Erfolg krank machen, oder zumindest einen faden Nachgeschmack hinterlassen.

Während die positiven Aspekte (mehr Geld, Prestige etc.) einer Beförderung nach einer gewissen Zeit in den Hintergrund rücken, gibt es bei den negativen Seiten keinen Gewöhnungseffekt:

…spätestens ab dem dritten Jahr ging es bei den Befragten gefühlt bergab. Sie hatten nicht mehr den Eindruck gut bezahlt zu werden, obwohl die Gehälter nicht zurückgegangen waren. Sie fühlten sich ihres Jobs nicht mehr so sicher, obwohl sich auch daran nichts geändert hatte. Und auch die Jobzufriedenheit allgemein ging zurück auf das Niveau vor der Beförderung. Die zusätzlichen Belastungen blieben allerdings bestehen – mehr Stress, längere Arbeitszeiten.

Wer sich also darüber grämt, dass er Aufstiegschancen verpasst hat, sollte vielleicht umdenken. Vermutlich hätte er/sie an (beruflicher) Lebensqualität eingebüßt.

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Verzehr, Vernunft und Verordnungen

Die Zeit berichtet über gesundes und ungesundes Essverhalten und die Frage, was neben vernünftigen Erwägungen noch so alles unsere Ernährungsgewohnheiten steuert. Interessant fand ich diese Beobachtung zur Auswirkung von Verordnungen und Vorschriften:

Fischbach und ihre Kollegen gaben zwei Gruppen von Probanden identische Müsliriegel zu essen. Der einen Gruppe beschrieben sie den Snack als einen Gesundheitsriegel, der anderen als Schokoriegel. Einige durften selbst aussuchen, ob sie den vermeintlich gesunden oder lieber den leckeren probieren wollten, die anderen bekamen einen zugeteilt. Diejenigen, die den angeblich gesunden Riegel essen mussten, hatten hinterher mehr Hunger als die andere Gruppe. Diesen Effekt gab es dagegen nicht bei denen, die freiwillig den gesunden Riegel gewählt hatten.

Bevormundung führt schnell zu Trotz und bewirkt dann das Gegenteil des erwünschten Verhaltens. Daraus lässt sich jetzt sicher keine allgemeine Regel stricken, derart etwa, dass Regeln erst recht regelwidriges Verhalten fördern. Eher wäre es die Bestätigung dafür, wie wichtig es ist, das Richtige aus echter, eigener Überzeugung zu tun. Erst dann wird es offenbar zu einer wirklich befriedigenden Erfahrung.

(Nachtrag – Richtig peinlich ist diese Feststellung der nationalen Verzehrstudie: „Fast 40 Prozent der deutschen Männer haben noch nie einen Pfannkuchen zubereitet, fast die Hälfte hat noch nie eine Tomatensoße gekocht.“)

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Gott beschützen – vor wem eigentlich?

Ich habe mich mit dem zweiten und dritten Gebot beschäftigt und dabei festgestellt, dass Gott sich damit – anders als derzeit oft diskutiert – gar nicht vor seinen Feinden schützen muss, sondern vor seinen Anhängern.

Genauer gesagt: vor der allzu menschlichen Tendenz, ihn vor den eigenen Karren zu spannen, ihn mit dogmatischen Formeln zu verwechseln oder seine Namen für die jeweilige religiöse Institution zu vereinnahmen; ein MasGottchen aus ihm zu machen, ihn auf eine Art Stammesgott zu reduzieren, der für uns gegen die anderen kämpft – wer auch immer das jeweils ist. Es gab schon zu viele Versuche, Gottes Reich zu einer Provinz des eigenen Imperiums zu machen.

Ein paar Gedanken zum Thema Bild und Karikatur, Blasphemie und Heiligkeit des Namens, mit Überlegungen zum privaten Alltag und politischen Aufruhr habe ich hier zusammengetragen, wer mag, kann gern reinhören.

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