Wahr oder erfunden? Was man von Karius und Baktus über die Bibel lernen kann

Meine Kinder haben im Kindergarten die Geschichte von Karius und Baktus gehört. Die Auswirkungen waren sehr positiv, bis heute putzen sie recht gewissenhaft ihre Zähne. Und niemand kommt auf die Idee, die Geschichte als erfunden und daher gar nicht wahr zu bezeichnen oder umgekehrt zu behaupten, man müsse das buchstäblich so glauben, wie es geschrieben steht. Kinder denken nun mal in Geschichten, und Karius und Baktus ist eine Geschichte, die ihnen eine wichtige Wahrheit nahebringt. Mit wissenschaftlichen Studien zur Dentalhygiene hingegen können Vorschulkinder nichts anfangen.

Kürzlich hat mich das Thema Schöpfung und Wissenschaft wieder beschäftigt. Der Streit zwischen fundamentalistischen Atheisten und fundamentalistischen Christen über die biblische Urgeschichte kommt mir vor wie ein Streit über Karius und Baktus. Natürlich ist dieser Text von Menschen und für Menschen in einer vorwissenschaftlichen Zeit geschrieben, in der es überhaupt nur Geschichten – Mythen – gab, mit denen man die Welt erklärte. Vermutlich nicht einmal so sehr die Frage, wie genau alles entstanden ist und was früher war (oder nicht war), sondern eine Beschreibung dessen, wie die Welt hier und jetzt ist und wie man in ihr richtig lebt.

Wenn man diese Geschichte verstehen will, muss man sich erstens auf sie einlassen, man muss in die Welt ihrer Vorstellungen von Urflut und Himmelsgewölbe eintauchen, und man muss zweitens verstehen, wo und wie sie sich von den anderen Geschichten unterscheidet, die zeitgleich im Umlauf waren: all den altorientalischen und antiken Schöpfungs- und Göttermythen. Zum Beispiel präsentiert uns Genesis 1 eine gewaltlose Schöpfung, eine völlig entdämonisierte Welt und depotenzierte Elementarmächte, während im Enuma Elish die Götter sagen „Lasst uns Dämonen machen“.

Im Übrigen hat ja auch Jesus niemand gefragt, ob die Geschichte vom verlorenen Sohn eine „wahre“ Geschichte ist. Natürlich ist sie „erfunden“. Aber sie ist genial erfunden, weil sie besser (und kürzer!!) als jede christliche Dogmatik Gottes Wesen charakterisiert. Und anders als unsere Wissenschaftsprosa kann die Poesie der Genesis etwas über Sinn und Schönheit des Lebens aussagen.

Wir sollten die Aussagen von Genesis 1-11 in unser heutiges, wissenschaftliches Weltbild integrieren und darüber nachdenken, was sie uns im 21. Jahrhundert denn sagen. Der Psychologe James Hillman hat die „modernen Mythen“ (des Materialismus, Positivismus und Szientismus) dafür kritisiert, dass sie Menschen weder Hoffnung noch Halt und Geborgenheit vermitteln können. Hillman möchte deshalb – aus therapeutischen Gründen – wieder zurück zu Göttern, Geistern und Seelenwanderung. Die biblische Schöpfungsgeschichte stützt weder das eine noch das andere Extrem. Und sie ist eingebettet in eine bunte Überlieferung, die von Gottes Handeln in der Geschichte und in konkreter menschlicher Erfahrung spricht.

PS: Chris Ellis hat mich gestern auf das folgende Video hingewiesen, da wird einiges noch einmal gut auf den Punkt gebracht

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