Eindringliche Mahnung

Kürzlich habe ich wieder mal eine dieser vertrauten Geschichten gehört: In einer Gruppe, die eine gravierenden Konflikt durchlebt, meldet sich jemand mit einem „Eindruck“ bzw. „Bild“ (das ist charismatischer Code für „Reden Gottes“) zu Wort, das die eigene Position von aller Kritik ausnimmt und den anderen einseitig die Schuld anlastet. Ein dreister oder vielleicht auch verzweifelter Versuch der Manipulation, eine Vereinnahmung Gottes zum Zweck der Selbstrechtfertigung.

Ich merke, dass ich für solche Manöver überhaupt gar kein Verständnis habe. Vielleicht war ja die Drohung aus Deuteronomium 18,20 gar nicht so falsch? Da heißt es ganz rabiat:

Doch ein Prophet, der sich anmaßt, in meinem Namen ein Wort zu verkünden, dessen Verkündigung ich ihm nicht aufgetragen habe […], ein solcher Prophet soll sterben.

Niemand würde das heute noch wörtlich verstehen. Es geht weder um Blasphemiegesetze noch um Inquisitionsprozesse, eher schon um die fehlende „Furcht Gottes“. Aber die scharfe Warnung hilft vielleicht, das Problembewusstsein etwas zu steigern: Erst mal sein Testament zu machen, bevor man allzu flott unter Berufung auf göttliche Inspiration den Mund öffnet, also bei letzterem wenigstens ebenso viel kritische Sorgfalt walten zu lassen wie bei ersterem, das kann allen Beteiligen doch nur gut tun. Und wenn der „Prophet“ das nicht selbst kann, müssen es eben seine Hörer tun, und ihm eine deutliche Rückmeldung seiner Grenzverletzungen verpassen.

Gestern wurde Hildegard von Bingen von Papst Benedikt XVI zur Lehrerin der Kirche erhoben. Sie wird als prophetische Gestalt geschildert, die ein ganzes Zeitalter geprägt hat. Ihr wird die folgende Weisheit zugeschrieben:

Nicht mit Drohworten sollst du auf deine Untergebenen einschlagen wie mit einer Keule. Mische vielmehr die Worte der Gerechtigkeit mit Barmherzigkeit und salbe die Menschen mit Gottesfurcht.

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5 Antworten auf „Eindringliche Mahnung“

  1. Ich teile deine Meinung nur bedingt. Im ersten Absatz erweckst du den Eindruck, dass was man gemeinhin als Eindruck oder Bild bezeichnet, sei generalisiert Menschenwerk. Das wird auch manchmal zutreffend sein. Jemand, der selbst Eindrücke oder Bilder hatte, wird diesen Vorwurf aber mit Recht zurückweisen. Man muss es halt selbst erlebt haben. Eine andere Sache ist die Prüfung einer Aussage; diese müsste man in christlichen Kreisen, wo das Wirken des Heiligen Geistes erwartet wird, grundlegend voraussetzen und das geschieht oft ungenügend. Zu oft habe ich erlebt, dass man in Gemeinden, wo der Heilige Geist als entbehrlicher Appendix behandelt wird, hilflos gegenüber Äußerungen, die angeblich oder tatsächlich von Gott sind, daneben steht. Zum Schluss: Die Eindrücke und Bilder, welche ich bisher gehört habe oder selbst erlebte, waren allesamt positiv besetzt, oder hatten ein versöhnliches Ende und ich selbst lebe immer noch.

    1. @Falk: Solche Bilder und „Eindrücke“ sind immer auch „Menschenwerk“, weil sie von Menschen vorgetragen werden. Ob sie bloß Menschenwerk sind oder vielleicht doch mehr, darüber müssen die Hörer dann entscheiden. So lange man das nur positiv erlebt hat (Glückwunsch, hoffentlich bleibt es so!), ist das alles relativ einfach und das Zutrauen auch ungebrochen.
      Dass ein waches „Prüfen“ die Ausnahme ist zwischen pauschaler Ablehnung und unkritischer Naivität, darin sind wir uns anscheinend ja einig. Mir ging es darum, zu sagen: Wenn man mal die destruktive Kraft manipulativer Äußerungen erlebt hat, wird man mit gutem Grund noch genauer hinsehen. Insofern ist die zitierte Warnung aus Dtn 18 ganz sinnvoll.

  2. Eine Anmerkung zu Deuteronomium 18,20: Dieses Zitat wird ja immer wieder gern verwendet um eine ablehnende Haltung gegenüber dem Gebrauch der prophetischen Gabe mit dem Stichwort „falscher Prophet“ zu begründen. Das kann ich aus dem Vers nicht lesen und ebenso nicht, dass als ein falscher Prophet der gemeint ist, der eine falsche Prophetie aufsagt. Wenn ich das Beispiel mit Natan in 2.Sam. 7 sehe, hätte er gemäß dieser Logik tot umfallen müssen. Ist er aber nicht, denn er hat nur das weitergegeben, was Gott ihm auftrug – auch die Korrektur Gottes eigener Worte. Damit kommt man auch zu Kernvoraussetzungen für einen Propheten: unbedingter Gehorsam gegenüber Gott, Korrekturbereitschaft und Demut. Das erste kann nur der Prophet selbst prüfen, zweitens und drittens kann man auch als Mensch erkennen und wenn ein Prophet dazu nicht bereit ist, sollte man misstrauisch sein.

  3. Es ist ja aber auch nicht so einfach, in tiefer Harmonie mit dem Heiligen Geist zu wirken in allem was man so tut und sagt, und in freikirchlichen Gemeinden ist es bisweilen so, dass Pastoren zu bestimmten Zeiten Raum geben für das Reden des Heiligen Geistes (Wo ist er zu den Zeiten, in denen ihm kein Raum gegeben wird?), als wenn dieser sich auf Kommando melden und die Leitung übernehmen könnte (was diese Pastoren gar nicht wirklich möchten, denn dann wird ihnen womöglich das Heft aus der Hand genommen!). Zum anderen gibt es aber auch Gemeindemitglieder (und bisweilen spontane Besucher, die ihre „geistlichen“ Eindrücke unbedingt loswerden müssen!), die das „Der Heilige Geist und wir“ gern umkehren in „Wir und der Heilige Geist“ (bzw. „Ich und der Heilige Geist“) und durch „Gaben“ mehr selbst glänzen als Gott verherrlichen (oft unbewusst, gar nicht mal in „böser“ Absicht!). Der dänische Pastor und Schriftsteller hat in einer historischen Predigt in Kopenhagen zur Zeit der deutschen Besatzung einmal gesagt: „Es gibt Menschen, die bilden sich ein, man kann die Wahrheit einlegen. Man kann sie einsalzen, glauben sie, sie in einem Fass aufbewahren und herausnehmen und gebrauchen, wenn es einem passt. Sie irren sich. Die Wahrheit kann nicht aufbewahrt werden. Es gibt sie nur in lebendigem Zustand. Und sie muss just in dem Augenblick angewendet werden, in dem sie sich meldet. Wird sie das nicht, stirbt sie und verrottet und erweist sich bald als verderblich. Denn die gefährlichste aller Lügen ist die tote Wahrheit.“ In dieser Predigt, die sich in dänischer Sprache in einer Predigtsammlung aus dem Jahre 1948 findet, aber während der Zeit der deutschen Besatzung unter der Überschrift „Johannes und Jesus“ gehalten wurde, obwohl Kaj Munk Predigtverbot hatte, wird die ganze Brisanz des „lebendigen Wortes“ deutlich. Kaj Munk hat damals seinen Freimut (wie auch Johannes der Täufer!) mit dem Leben bezahlt. Haben wir heute den Glaubensmut und die Kraft immer dann zu reden, wenn der Heilige Geist sich frisch meldet??? Aber umgekehrt gehört wohl auch Kraft dazu zu schweigen, wenn andere Geister sich melden!!! Wie aber prüfen, das eine vom anderen unterscheiden, eine Atmosphäre der Offenheit für Gottes Reden herstellen? Viele Fragen, wer möchte antworten? – UE, Husum

  4. Vor diesen selbsternannten Propheten die mit der „Gott hat mir gesagt-Keule“ um sich schlagen kann man tatsächlich nicht genug warnen. Falk hat in seinem Kommentar auf Demut und Korrekturbereitschaft als Eigenschaften eines echten Propheten hingewiesen. Jemand mit einer demütigen, selbstkritischen Haltung würde m.E. nie so kategorisch auftreten, sondern versuchen im Diskurs mit seinen Schwestern und Brüdern seinen „Eindruck“ als Gesprächsbeitrag einzubringen. Ich habe mir angewöhnt, Gespräche die mit der o.a. Keule geführt werden sofort abzubrechen, da einfach keine gemeinsame Gesprächsgrundlage mehr vorhanden ist.

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