Lernender Glaube: Eine Theologie und Spiritualität der Entwicklungsfähigkeit

Vor längerer Zeit hatte ich ein Gespräch mit jemandem, der unsere Gemeinde verließ, weil dort Menschen meditieren. Sein Argument war, dass es derartiges auch in anderen Religionen gebe, ergo könne es nicht christlich sein. Er könne solche Dinge nicht mittragen oder tolerieren.

Immer wieder argumentieren Menschen genealogisch – sie verfolgen den eine Idee (oder in diesem Fall eine bestimmte Praxis) zurück zu ihren Ursprüngen, und wenn die nicht zweifelsfrei in der Bibel oder der Kirche zu lokalisieren sind, schlagen sie Synkretismusalarm: Reiner Glaube und Lehre werden kontaminiert, und das muss natürlich böse enden. Mit der Frage „Wer hat’s erfunden?“ lassen sich viele Dinge diskreditieren. Zugleich geht sie von einem starren Gegensatz aus: Alle Wahrheit ist „hier drinnen“ zu finden, „da draußen“ nichts als Lüge und Irrtum. Die fromme Variante des Not-invented-here-Syndroms.

Die Argumentation gibt es in verschiedenen Variationen. Zum Beispiel wird gern „hebräisches Denken“ gegen „griechisches Denken“ ausgespielt, wobei ersteres per Definitionen gut und letzteres schlecht ist. In Wirklichkeit ist alles viel komplizierter. Schon beim Apostelkonzil wurde die theologische Grundlage dafür gelegt, dass das Christentum den Raum der jüdischen Kultur überschreiten konnte. Der Fehler kam – wenn überhaupt – viel später, als man sich an dieser Herkunft nicht mehr erinnern wollte oder konnte. Und natürlich hat man bei der Kontextualisierung des Glaubens in griechisch-römischen Kulturkreis nicht auf Anhieb alles richtig gemacht und manche Ideen von Platon etwas zu optimistisch und unkritisch übernommen. Man muss also differenzierter hinsehen.

Interessant fand ich in diesem Zusammenhang eine Beobachtung von Michael Pflaum in seiner pastoraltheologischen Dissertation über Die aktive und die kontemplative Seite der Freiheit. Dort beschreibt er den Integrationsprozess neuer Elemente in die christliche Spiritualität am Beispiel der Wüstenväter. Konkret ging es um die Übereinstimmung mit der Natur, das Nachdenken über den eigenen Tod, die Gewissenserforschung, die Formulierung von Lebensregeln und Sentenzen, die drei Stufen oder Etappen des geistlichen Weges und andere Ideen oder „Sprachspiele“.

Diese Integration verlief keineswegs unkritisch. Die Mönche setzten Inhalte der Schrift und antike Übungen in eine durchdachte Beziehung zu einander und vertrauten dabei demütig auf die göttliche Gnade. Und deshalb ist grundsätzlich erst einmal nichts einzuwenden gegen eine theologisch verantwortete Integration von Einsichten der Philosophie oder Psychotherapie in christliche Theologie und seelsorgerliche Praxis.

Als Kriterien für eine „Unterscheidung der Geister“ nennt Michael Pflaum

  • die Verträglichkeit mit der Lehre Jesu
  • die Ausrichtung auf Gott und Bereitschaft, Leid anzunehmen
  • die intuitive Empfindung, dass mich ein Gedanke oder Text bereichert
  • Transparenz und Glaubwürdigkeit der Quelle/des Autors und positive Früchte

Theologische Arbeit folgt dem Muster der „Idiomenkommunikation“. Das ist ein Begriff aus der christologischen Zweinaturenlehre, der die Einheit der Person stärkt. Die menschliche „Natur“ Christi hat Anteil an den göttlichen Eigenschaften und umgekehrt. Auf die Theologie angewandt heißt das dann, dass man nicht nur mit Hilfe des Evangeliums zerstörerische Tendenzen der Gegenwartskultur erkennt, sondern dass auch die jeweilige Kultur zu einem neuen und vertieften Verständnis des Evangeliums führen kann:

Es kann nicht von einer Einbahnstraße vom Dogma zur Pastoral oder vom Evangelium zur Kultur ausgegangen werden. weil die eine Seite immer auch die andere miteinbegriffen hat, müssen beide Bewegungen, die Bewegung vom Göttlichen zum Menschlichen und die Bewegung vom Menschlichen zum Göttlichen, gerade auch in ihrer unhintergehbaren Divergenz als wesentlich erkannt werden. (S. 16)

Darauf lässt sich doch gut aufbauen. Ich bin gespannt auf den Rest des Buches.

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