Warum Genugtuung nicht mehr genügt

In den letzten Jahren gab es immer wieder erbitterte Auseinandersetzungen über die Interpretation des Kreuzestodes Jesu. Einzelne soteriologische Konstrukte standen dabei in der Kritik, besonders der Gedanke des Sühnopfers und der Satisfaktion. Für die einen steht und fällt der Glaube mit diesen Vorstellungen, für die anderen sind sie unerträglich.

Theodore W. Jennings hat mit Transforming Atonement. A Political Theology of the Cross ein paar interessante Gedanken ins Spiel gebracht: Die gängigen Metaphern, die das Kreuz erklärten, sind aus seiner Sicht ungemein erfolgreich gewesen. So erfolgreich, dass sie den Zusammenhang, aus dem sie ursprünglich stammen, fast völlig gesprengt und aufgelöst haben.

Der Opfergedanke, für Juden und Griechen im ersten Jahrhundert noch ein alltägliches Erlebnis, wird etwa im Hebräerbrief herangezogen. Obwohl Jesus nach einem politischen Prozess exekutiert wurde, wird sein Tod als „Opfer“ verstanden. Zugleich wird deutlich, dass dieses eine Opfer das Verhältnis von Gott und Menschheit ein für allemal verändert. In der Folgezeit hat die Ausbreitung des Christentums, indem es keine blutigen Opfer mehr zuließ, dafür gesorgt, dass uns dieser Gedanke inzwischen völlig fremd geworden ist. Unglücklicherweise strotzen unsere alten (und leider auch viele der neuen) Kirchenlieder von eben dieser Begrifflichkeit.

Der Gedanke vom Triumph Gottes über die dämonischen Mächte, der in der alten Kirche eine große Rolle spielte und auf den Dualismus persisch-parthischer Herkunft anspielt, wo gute und böse Gottheiten sich einen Krieg lieferten, ist inzwischen weithin aus unserem alltäglichen Weltbild verschwunden, und von Teufel und Dämonen ist (außerhalb gewisser frommer Subkulturen) heute nur noch in dem Sinne die Rede, dass sie entmachtet sind. Den alten Dualismus (den es bei Marcion und den Manichäern noch gab) kennt heute kaum noch jemand.

Und von Satisfaktion (Anselm von Canterburys genialem Entwurf fürs feudale Hochmittelalter reden wir heute kaum mehr, weil nicht zuletzt das Christentum den Ehrbegriff und das Fehdewesen von damals effektiv überwunden hat. Heutige Versuche, Sünde als todeswürdige Majestätsbeleidigung darzustellen, lösen bei unseren Zeitgenossen verständlicherweise nur Kopfschütteln und Empörung aus.

Diese Modelle hatten ihre Zeit und ihren Sinn. Aber sie ist vorbei und kommt nicht mehr zurück. Sie haben ihren geschichtlichen Wert, aber kaum noch einen aktuellen. Und sie sind nicht „die Wahrheit“, sondern Modelle. Bei einem Modell kommt es darauf an, dass es wirkungsvoll erhellt, was es erklären soll. Wenn das nicht mehr gelingt, muss man (wie Anselm) neue Modelle finden. Der Streit um ihre Wahrheit (oder ob das „biblisch“ ist) ist also irrelevant, es geht vielmehr um die Zweckmäßigkeit solcher Bilder und Vergleiche.

Jennings weist auch noch darauf hin, dass diese Modelle eine gemeinsame Schwäche hatten, weil sie der Tendenz der altkirchlichen Theologie folgten, das Ereignis des Kreuzes vom Leben und der Verkündigung Jesu wie auch von den konkreten Umständen seines Todes durch das Urteil des römischen Statthalters und die Hand seiner Schergen immer mehr abzukoppeln. Das Kreuz wurde – ob bewusst oder nicht – damit auch entpolitisiert.

Wenn wir also heute fragen, warum Jesus so starb, wie er starb, und wozu das gut sein könnte, dann müssen wir das Kreuz wieder in den weiteren Zusammenhang der Evangelien stellen – und darüber hinaus danach fragen, welche Folgen dieser Weg Jesu für seine Nachfolger haben sollte (bei Jennings habe ich leider keinen Hinweis auf Tom Wright gefunden, der ja viel in dieser Richtung gearbeitet hat).

Eine schöne theologische Aufgabenstellung für die Passionszeit, finde ich.

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