Kreuzzug-Lektüre: kurzes Fazit

Es ist unmöglich, Rodney Starks Buch über die Kreuzzüge hier inhaltlich zusammenzufassen. Die Darstellung stützt sich durchgehend auf neuere historische Untersuchungen, um viele der gängigen Klischees über dieses Kapitel mittelalterlicher Geschichte in Frage zu stellen. Die Originalquellen führt er selten an, aber das tun eben auch jene nicht (oder nur sehr selektiv), die in den letzten Jahrzehnten ein vermutlich einseitig negatives Bild gezeichnet hatten.

Ein paar dieser Korrekturen sind bei mir hängengeblieben:

Der Kontrast zwischen der blutigen Eroberung Jerusalems beim ersten Kreuzzug und dem scheinbar so viel zivilisierteren Abzug gegen Lösegeld, den Saladin den Kreuzfahrern ein paar Generationen später anbot, führt Stark überzeugend auf die damals geltenden Kriegsregel zurück, dass man die Einwohner einer belagerten Stadt mit dem Leben davonkommen lässt, wenn sie den Angreifern einen verlustreichen Sturmangriff auf die Befestigungen ersparen. Saladin konnte, wie andere Beispiele zeigen (und islamische Quellen belegen), durchaus sehr grausam verfahren, wenn er eine Festung einnahm. Die gleiche Regel galt auch bei Konflikten zwischen zwei christlichen Kriegsparteien.

Die oft herausgestellte Überlegenheit der arabischen Kultur (Philosophie, Medizin, Mathematik, Architektur, Schiffbau und Navigation) beruhte in weiten Teilen auf den geistigen Leistungen der Dhimmis, also unterworfener Juden und Christen. Oft täuscht ein arabischer Name darüber hinweg, dass der betreffende Gelehrte byzantinischer oder nestorianischer Christ, beziehungsweise Zoroastrier oder Jude war. Zugleich erklärt dies auch den Niedergang der Gelehrsamkeit in dem Maße, wie die Dhimmis allmählich zum Islam konvertierten. Während nämlich die Griechen aristotelische Philosophie als eine Möglichkeit unter vielen und als Ansporn zur Suche nach besseren Argumenten verstanden, wurde er im arabischen Sprachraum später kanonisiert und alle Diskussion abgewürgt. Die „arabischen“ Zahlen wiederum wurden eigentlich bei den Hindus erfunden und von dort „importiert“, sie stammen also ursprünglich aus Indien.

Der vierte Kreuzzug, der mit der Eroberung und Plünderung Konstantinopels endete, wird immer wieder als venezianische Verschwörung gegen den Konkurrenten als Handels- und Seemacht im Mittelmeer bezeichnet. Abgesehen davon, dass die Plünderung deutlich weniger Opfer gefordert haben dürfte, als oft behauptet, legt Starks Darstellung auch eine andere Perspektive nahe: Die Byzantiner hatten nicht nur ständige Intrigen im Inneren angezettelt, die das Reich schwächten, sie hatten auch die Kreuzfahrer während der ersten drei Kreuzzüge immer wieder verraten und ihnen damit schwerste Verluste beigebracht. Mit den Venezianern war zwar die Begleichung der immensen Transportkosten durch die Rückeroberung von Zara durch die Kreuzfahrer vereinbart. Die Wendung gegen Byzanz trat ein, nachdem sie die Stadt für den Prinzen Alexios Angelos eingenommen hatten, dieser aber seine Zusagen (die astronomische Summe von 200.000 Silbermark und 10.000 Soldaten zur Eroberung Ägyptens, das die Kreuzfahrerstaaten ständig bedrohte) nicht einhielt. Stark ist mit dem französischen Historiker Jean Richard der Ansicht, dass neben dem Zorn über den Wortbruch vor allem auch die sehr schwierige Versorgungslage der Kreuzfahrer einen Angriff nahelegte und dass bei der Eroberung nur ein relativ kleiner Teil der Einwohner umkamen – da hatten die Byzantiner in internen Rivalitäten auch schon deutlich härter hingelangt. Umstritten, auch das erwähnt Stark, war die Aktion trotzdem auch damals schon: Der Papst kritisierte den Krieg gegen das christliche Byzanz aufs Schärfste.

Insgesamt zeichnet Stark das Bild einer sehr kriegerischen Epoche, in der die pauschale Einteilung in Schurken auf der einen Seite und Edlen auf der anderen nie aufgeht. Die selektive Entrüstung über die Gewalt verstellt den Blick auf die tatsächlichen Motive der meisten Kreuzfahrer, vielleicht auch deshalb, weil diese uns, die wir alles in primär ökonomischen Kategorien zu deuten gewohnt sind, heute so fremd geworden sind.

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